Hyperaktive und doch bräsige Sportpolitik

Ein Kommentar vom Spielfeldrand

Berlin, 22. Oktober. Nein, es macht keine Freude, auf den deutschen Sport und die deutsche Sportpolitik zu schauen. Noch immer sind ReformerInnen in zig Arbeitskreisen, anderen Gremien sowie Abteilungen und natürlich die Spitzenkräfte im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) sowie im Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) dabei, einen Neustart vor allem des deutschen Spitzensports hinzubekommen. Parallel dazu versucht man sich an einem Sport-Entwicklungsplan. Und da ist dann ja auch noch Olympia… Der deutsche Sport zeigt sich einerseits hyperaktiv – ist überall auf dem Spielfeld dabei – und wirkt dann doch bei vielen Aktionen gleichzeitig bräsig und überfordert. Nach dem Grobkonzept liegt nun ein Feinkonzept vor, das in der Feinabstimmung ist – und man denkt „fein“. Doch nur kurz.

Wieder einkassiert

Die Lektüre bringt einen nicht weiter, viel Neues, mal abgesehen von der geplanten Agentur, die nun zur Stiftung mutiert ist, gibt es nicht. Und man möchte fast in schallendes Gelächter ausbrechen, wenn man liest, wie die Konzeptautoren mit neuen Worten bemüht sind, alte Probleme und deren vermeintliche Lösungen zu umschreiben, ohne diesen wirklich näher gekommen zu sein. Man erinnert sich nur zu gut, was 2016 passierte, als das letzte Reformpapier vorlag: wenig bis nichts. Auch damals waren die Protagonisten risikobereit, aber fast alle etwas revolutionär angehauchten Vorschläge, die Sport und Politik gemeinsam verhandelt und denen sie zugestimmt hatten, wurden nach Protesten aus dem Sport schnell wieder einkassiert.

So kann es nicht weitergehen – ein Satz, den man im deutschen Sport seit Jahrzehnten immer wieder vorgesetzt bekam, wenn die Medaillenausbeute bei internationalen Ereignissen unbefriedigend blieb. Im deutschen Sport beschleunigt sich die Talfahrt nun schon seit Jahrzehnten. Um sie zu bremsen, werden immer wieder dieselben Werkzeuge eingesetzt und Reparaturen vorgenommen – ohne nennenswerten Erfolg.

Transformation

In anderen politischen und gesellschaftlichen Bereichen dieser Republik ist derzeit mehr oder weniger erfolgreich ein grundlegender Wandel – sprich Transformation – das angestrebte Ziel, um Probleme zu lösen und in und für Krisenzeiten gewappnet zu sein. Transformation, dazu scheinen sehr viele im deutschen Sport, aber auch in der Politik nicht bereit zu sein. Geht es an die eignen Strukturen, Interessen und Machterhalt, dann ist die angeblich harmonische Gemeinsamkeit schnell dahin. Der Streit, wer denn in einer Stiftung/Agentur – übrigens eine Idee der Vorgängerregierung – bei Förderentscheidungen das letzte Wort hat, zeigt, dass die Protagonisten ihre jeweiligen Rollen immer noch nicht geklärt haben. Oder auch nicht finden wollen.

Wer sich in diesen Tagen mit Veränderungen und Transformationen beschäftigt, der stößt auf Feststellungen wie: „Viele Unternehmen sind auf Aktionismus ausgerichtet. Sie tun etwas, weil sie das Gefühl haben, etwas tun zu müssen. Dabei wäre erstmal angesagt, auf die Bremse zu treten und sich Zeit zu nehmen für eine Neuorientierung … Man muss sich Zeit für Reflexionen freischaufeln und mit zeitraubendem Micro-Management aufhören“, sagt zum Beispiel Helga Pattart-Drexler, Expertin in Sachen Transformation. Und nicht nur sie kritisiert, dass viele Führungskräfte der Meinung sind, man könne an der Anzahl der Meetings und Gremien die eigene Qualität und die ihres Sujets ablesen.

Sportrahmen zusammengeklopft

Falsch gedacht. Zeit nehmen sich Sport und Politik nicht, sondern klopfen sich ihren Sportrahmen in rasanter Geschwindigkeit gerade mal wieder zusammen. Ob der Inhalt dann zum Rahmen passt? Scheint nicht wichtig. Aus Fehlern der Vergangenheit lernen? Das ist offensichtlich auch keine beliebte Disziplin auf dem Trainingsplan der Verantwortlichen. Weder die immer wieder angekündigte öffentliche Diskussion, wie der deutsche Sport insgesamt aussehen soll, noch die Aufgabe, die eigenen Strukturen wirklich auf den Prüfstand zu stellen, geht man an. Gerade viele Doppel- oder Mehrfachstrukturen binden in vielen Sport-Organisationen personelle und finanzielle Ressourcen, Wasserköpfe und Bürokratiemonster, die manchmal auch Geldverplempermaschinen sind, hat sich der Sport auch selbst geschaffen. Und Transparenz im Reformprozess? Da hüllte man sich nun lange in Schweigen…

Zuwendungsgeber und Empfänger

Dass sich der Bundesrechnungshof gegen die Pläne von DOSB und BMI stellt, verwundert nicht: Der kritisiert schon länger die Mittelvergabe. Es könne nicht sein, dass der Zuwendungsempfänger DOSB gleichzeitig als Zuwendungsgeber agiert. Der einflussreiche Haushaltsexperte und SPD-Bundestagsabgeordnete Martin Gerster, der jahrelang sehr großzügig gegenüber dem organisierten Sport war, stemmt sich gegen die Agenturpläne und echauffierte sich am Mittwoch in der FAZ: „Von wem soll diese Agentur unabhängig sein? Offenbar vom Deutschen Bundestag. An keiner Stelle ist absehbar, dass der Haushaltsgesetzgeber beteiligt werden soll. Dutzende von Beiräten sollen entscheiden, wie jedes Jahr rund 200 Millionen Euro Bundesmittel ausgegeben werden. Da mache ich nicht mit. Schließlich geht es um Steuermittel.“

Ja, bei dem Begriff der „unabhängigen Instanz“ haben sich die Koalitionäre doch offensichtlich etwas gedacht, oder?

Ob es auch noch andere Gründe für Gersters Empörung gibt, der da seinen Parteifreunden im DOSB und der Bundesinnenministerin in die Parade fährt, sei dahingestellt, aber viele geben dem Parlamentarier in der Sache Recht: Die Agentur/Stiftung sei „unter mehreren Gesichtspunkten ein Konstrukt, das sicher nicht so funktioniert, wie die Macher es sich vorstellen“, meinen Fachleute, die auch juristische Fragen dazu hätten.

Sportausschuss schweigt

Von wem man wenig oder gar nichts dazu hört – obwohl er ja auch eine parlamentarische Kontrollinstanz darstellt, ist der Sportausschuss des Bundestages. Nur wenige Mitglieder – sowohl aus Koalition wie Opposition lassen sich auch mal kritisch ein – die Mehrheit der Mitglieder versteht sich als Fan und Lobbyist und nicht als VertreterInnen der BürgerInnen. Und ist gerne Mitglied im Sportausschuss-Reisekader, um sich an internationalen Sportereignissen zu ergötzen. Oder – ohne sichtbare Konsequenzen – in anderen Ländern mal nachzuschauen, wieso der Sport dort besser läuft als zuhause.

Experten, die weder dem DOSB oder BMI nahe oder gar in dessen Diensten stehen, sich aber dem Sport verbunden fühlen, sehen auch diesen Reformversuch vor dem Scheitern. Nicht nur wegen des Zeitdrucks, unter den man sich selbst gebracht hat, sondern auch, „weil ein großer Wurf nicht gelingen kann, wenn man nicht endlich Sport aus einem Guss hinbekommt“, sagt einer.

Die Baustellen für Politik und Sport wären da zunächst Kita- und Schulsport, Talentsichtung, Spitzensport. Und irgendwann, wenn man die Gesellschaft so weit hat, dass Sport zum Alltag gehört wie Zähneputzen oder Einkaufen, dann kann man auch von Olympia träumen und Begeisterung entfachen. Wenn die deutsche (Sport-) Politik diese Baustellen abarbeitet, dann kann sie endlich auch die Meilensteine setzen, von denen sie so gerne redet.