PotASVorsitzender Urs Granacher über den Weg zu erfolgreichem Spitzensport
Berlin, 17.Juni. Die deutsche Sportpolitik hat sich neu sortiert: Seit dem 6. Mai 2025, als Friedrich Merz zum Bundeskanzler gewählt wurde, gibt es unter den 17 Ministern und Ministerinnen auch eine Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, die im Kanzleramt angedockt ist: Christine Schenderlein soll den deutschen (Spitzen-) Sport in die Erfolgsspur bringen, unterstützt von der Abteilung Sport aus dem Bundesinnenminsterium, in dem das Ressort bisher angesiedelt war.
Mit einer Reform und einem darin enthaltenen Potenzialanalysesystem (PotAS) scheiterten die Verantwortlichen in Politik und Sport in der Vergangenheit ebenso wie mit einem Sportfördergesetz, um den deutschen Sport wieder in die Erfolgsspur zu katapultieren. Über Erwartungen an das neue Ministerium, wichtige schnelle Schritte, die Rolle von PotAS sprach sportspitze.de mit Professor Urs Granacher.
Der Sportwissenschaftler ist am Institut für Sport und Sportwissenschaft an der Universität Freiburg Lehrstuhlleiter für Trainings-und Bewegungswissenachaft. Und er ist Vorsitzender der PotAS-Kommission, die am 8. Mai 2017 zunächst von dem Sportpsychologen Bernd Strauß von der Uni Münster geleitet wurde. Der gab nach wenigen Wochen offiziell aus gesundheitlichen Gründen auf. Seitdem ist Granacher für das Potenzialanalysesystem verantwortlich, das von Anfang an vor allem im Sport wegen grundsätzlicher Bedenken, aber auch falscher Erwartungen umstritten ist, und deshalb auch schon einige Metamorphosen im Bezug auf Ziel und Sinn erlebte.
Herr Professor Granacher, wie beurteilen Sie nach dem Umzug des Sports vom Bundesministerium des Inneren in das Bundeskanzleramt momentan die Gesamtsituation im deutschen Spitzensport?
Granacher: Ich sehe den Wechsel der Abteilung Sport aus dem BMI in das Bundeskanzleramt als große Chance für den Spitzensport, die bereits angestoßenen Reformprozesse, erfolgreich abzuschließen. Wichtige Themen des Spitzensports sind ganz oben auf der Agenda, d. h. die Olympiabewerbung und die Reform der Spitzensportförderung. Die Herausforderungen sind sehr groß und es müssen zeitnah richtungsweisende Entscheidungen getroffen werden, um Deutschland als Spitzensportnation auf dem internationalen Podium wieder besser sichtbar zu machen.
Welche Maßnahmen müssten aus Ihrer Sicht von Seiten des neuen Sportministeriums und von Seiten des DOSB dringend ergriffen werden, um in die Erfolgsspur zu kommen?
Granacher: Zunächst sollte die Frage nach der Zielstellung des deutschen Spitzensports eindeutig geklärt werden, um nachfolgend strukturelle Entscheidungen zu treffen, die sich an einer klaren Zielstellung orientieren. Eine Frage, die in diesem Kontext ehrlich beantwortet werden muss, ist zum Beispiel:
Ist es möglich, die Breite und Spitze gleichermaßen zu fördern, wenn Top 3 und Top 5 Platzierungen im Medaillenspiegel bei Olympischen Spielen angestrebt werden sollen? Ausgehend von der Zielstellung und der Beantwortung dieser Frage, sollten sich alle im Spitzensport tätigen Personen aus spitzensportlichenStrukturen hinterfragen, welchen Beitrag sie zur Zielerreichung leisten können. Neue Strukturen sollten nur dann geschaffen werden, wenn die Überzeugung besteht, dass sie einen substanziellen Beitrag zur Zielerreichung leisten können, der über die Beiträge der bestehenden Strukturen hinausgeht.
Das Sportfördergesetz ist ja nicht mehr verabschiedet worden – viele sagen: Zum Glück. Wenn das nun neu ge- oder überdacht werden soll, welche Rolle soll das Potentialanalysesystem – also PotAS – darin haben?
Granacher: Das Potenzialanalysesystem macht insbesondere dann Sinn, wenn es das Ziel des deutschen Spitzensports ist, wieder sportlich erfolgreicher zu werden. Basierend auf den Ergebnissen der Potenzialanalyse müssten weitgreifende Entscheidungen getroffen werden, um in erster Linie Sportarten zu fördern, die das Potenzial haben, in den kommenden vier Jahren Top 3 und Top 8 Platzierungen bei Olympischen Spielen zu erzielen. Die Instrumente dafür haben wir, es stellt sich aber die berechtigte Frage, ob die Instrumente auch kompatibel zur Zielstellung sind. Sollte das Ziel eine klare Potenzial- und Erfolgsorientierung des deutschen Spitzensports sein, kann PotAS neben anderen Instrumenten ein wichtiges Element darstellen. Zur erfolgreichen Umsetzung eines solchen Szenarios bräuchte es aber auch den Mut, unangenehme Entscheidungen zu treffen, die für den Erfolg Deutschlands als Spitzensportnation wichtig wären.
Das mit dem fehlenden Mut zu unpopulären Entscheidungen war ja schon beim ersten Reformversuch noch unter Minister Thomas de Maiziere festzustellen: Statt Potential zu stärken entschied man sich am Ende doch wieder für die Gießkanne. In Österreich hat man ja eine Spitzensportagentur eingerichtet. Nach diesem Vorbild ist auch eine deutsche Leistungssportagentur im Reformgesetz geplant gewesen. Die Erfahrungen unserer Nachbarn damit sind aber nicht besonders gut. Hauptkritik: Dieselben Akteuere sorgen für dieselben Probleme, die vorher auch schon da waren. Was lernen wir daraus?
Granacher: Wie bereits erwähnt, sollte die Gründung neuer Strukturen nur dann angestrebt werden, wenn sie mehr leisten und umsetzen können als bestehende Strukturen. Die Unabhängigkeit einer möglichen Agentur ist entscheidend, um sie handlungsfähig und den Spitzensport erfolgreicher zu machen. Sie müsste in der Lage sein, die oben beschriebenen unangenehmen Entscheidungen im Sinne des sportlichen Erfolgs für Deutschland zu treffen, ohne dass Aufsichtsgremien diese Entscheidungen abmildern oder rückgängig machen können. Partikularinteressen hinten anzustellen und ohne dass Aufsichtsgremien diese Entscheidungen abmildern oder rückgängig machen können. Grundsätzlich ist die Idee einer Agentur und die damit einhergehende Förderung und Steuerung aus einer Hand gut, aber eben nur unter der Prämisse der Unabhängigkeit einer solchen Einrichtung.
Aus Ihrer Sicht: Ist eine Konzentration auf bestimmte Sportarten und unumgänglich, wenn man Erfolg haben will- und, dass unabhängige Agentur auch unabhängig heißt- also Sachverstand und Management von außen geholt wird? Was bleibt dann da für den DOSB?
Granacher: Um Deutschland als Spitzensportnation wieder erfolgreicher zu machen, braucht es vor allem zwei Überlegungen. Einerseits benötigen wir den Nachwuchsleistungssport in den Ländern in der geographischen Breite sowie in der Vielfalt der Sportarten, sodass Kinder in ihrem familiären Umfeld Nachwuchsleistungssport praktizieren können. Zur besseren Vereinbarung von schulischer Ausbildung und leistungssportlicher Karriere sind Eliteschulen des Sports oder Sportschulen bedeutsame Einrichtungen. Einschulungskriterien und Qualität der Ausbildung lassen sich in Nuancen noch verbessern….
….das ist eine Voraussetzung. Und wie ist das mit dem Spitzensport?
Granacher: Für einen erfolgreichen Spitzensport werden wir an einer Konzentration von Sportarten nicht vorbeikommen, Teamsportarten dürfen dabei aber nicht vergessen werden. Eine Reduktion der Anzahl an Bundesstützpunkten und der gleichzeitige Ausbau von Trainingszentren zu Spitzensportzentren, die wenige Sportarten bedienen und in der Republik verteilt sind, wäre eine wichtige Maßnahme. An verschiedenen Standorten wird das bereits getan, sodass die Trainingsinfrastruktur an diesen Stützpunkten deutlich besser ist als an anderen Stützpunkten. Es wäre folglich ein Wettbewerbsnachteil, wenn Spitzenathleten nicht an diesen Stützpunkten trainieren. Magdeburg im Schwimmen, Kanu in Potsdam sind zwei Stützpunkte, die eine hohe Attraktivität für nationale und sogar internationale Schwimm- und Kanurennsportler haben.
Das werden Lokalfürsten aus Politik und Sport nicht gerne hören.
Granacher: Die Konzentration bei der Förderung von Sportarten im Spitzensport kann jedoch nicht auf Dauer festgeschrieben sein, sondern müsste beispielsweise in Olympiazyklen gedacht, überprüft werden. Sportarten, die eine erfolgreiche Nachwuchsarbeit geleistet haben und Athleten in den Spitzensport bringen, sollten die Möglichkeit besitzen, in die Spitzensportförderung des Bundes „aufzusteigen“.
Gleiches gilt aber auch in die andere Richtung. Die Individualförderung könnte zudem gestärkt werden, um es einzelnen Athleten mit Potenzial aus Verbänden, die bislang nur eine geringe Spitzensportförderung erhalten, zu ermöglichen, ihren Sport auf dem höchsten Niveau auszuüben. Der DOSB könnte den Spitzenverbänden, Landes- und Bundesstützpunkten beratend beiseite stehen, um sportlichen Erfolg zu verstetigen oder neu aufzubauen.