LSB-Präsident zu Spitzensportreform, Gesetzgebungsverfahren und Entscheidern
Berlin, 22.Oktober. Wenn man mit Abstand fast ein Jahr lang von der Zuschauertribüne die Reformbemühungen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB ) und des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) beobachtet, dann fragt man sich, was denn in den letzten Monaten wirklich passiert ist: Die AkteurInnen auf den entscheidenden Spielfeldern wechselten nahezu alle, aber offensichtlich sind Strategie, Taktik und Einstellung dieselben geblieben. Über den Stand der Spitzensportreform, die Player und neuen/alten Streit, wer am Ende der/die EntscheiderIn ist, sprach sportspitze mit dem Präsidenten des Landessportbundes Berlin, Thomas Härtel.
Herr Härtel, vor fast genau einem Jahr haben wir uns zuletzt über die Spitzensportreform unterhalten. Da waren Sie vorsichtig optimistisch. Sind Sie das immer noch? Es scheint ja so, dass die alten Probleme immer noch nicht gelöst und neue dazugekommen sind. Wo steht der deutsche Sport mit seinen Reformbemühungen gerade?
Härtel: Die Frage ist ja nicht nur, wo der deutsche Sport bei der Spitzensportreform steht, sondern auch, wo die verantwortliche Bundesregierung bei der Leistungssportreform steht. Die ist ja nicht allein Angelegenheit des DOSB, sondern auch des BMI. Es gibt ein neues Leistungssportpapier, in dem der zentrale Punkt die geplante Sportagentur ist, die eine klare Absicht im Koalitionsvertrag ist, um eine effizientere Sportförderung zu erreichen. Die Gründung steht nun an, weil man sich politisch und sportpolitisch dafür entschieden hat. Der DOSB hat sich nach langem Ringen zu einer Sportagentur bekannt, wie wir, die Landessportbünde, auf unserer letzten Konferenz auch. Wir sehen die Agentur als einen Weg, um gezielter strategisch und operativ gemeinsam Verantwortung für die Leistungssportförderung mit zu übernehmen
Nun gibt es aber schon wieder den alten Streit, wer denn letztendlich entscheidet – BMI oder DOSB. Das BMI will das letzte Wort haben.
Härtel: Der Streit geht darum, dass nicht das BMI allein letztverantwortlich Entscheidungen über die Leistungssportförderung trifft, sondern der DOSB auf Augenhöhe mitentscheidet. Also: Welche Organisationsform bietet sich dafür an? In der Diskussion kristallisiert sich eine Stiftung als geeignet heraus. Der Sport ist der Meinung, dass der Stiftungsvorstand gleichermaßen mit VertreterInnen aus dem BMI und dem DOSB besetzt werden muss.
Es steht im Koalitionsvertrag „Unabhängige Instanz“ – Betonung auf unabhängig.
Härtel: Unabhängig heißt ja nicht, ohne DOSB und ohne BMI – das geht ja gar nicht. Wenn man die Leistungssportförderung effizienter gestalten will, dann sitzen da natürlich Personen aus BMI und DOSB, die sich gemeinsam auf notwendige Maßnahmenpakete zur Förderung des Leistungssports einigen müssen. Aber bei der Konstruktion, die sich nun in den ersten Agentur-Entwürfen abzeichnet, geht es offensichtlich darum, dass letztendlich bei den Förderentscheidungen der Agentur das BMI das letzte Wort hat.
Das überrascht Sie ja wohl nicht?
Härtel: Das kann so nicht sein, denn was ändert sich dann zur jetzigen Situation? Es muss eine klare Regelung her, dass DOSB und BMI – auch wenn es öffentliche Gelder sind – hier gleichberechtigt eine gemeinsame Entscheidung zu treffen haben.
Das sehen der Bundesrechnungshof, oder auch Ihr SPD-Parteifreund und Haushaltsexperte Martin Gerster anders – Zuwendungsempfänger DOSB kann nicht gleichzeitig Zuwendungsgeber sein.
Härtel: Ein Stiftungsvorstand und die entsprechenden Gremien, wie immer dann auch die Besetzung aussieht, müssen in der Lage sein, sowohl unabhängig vom BMI oder auch vom DOSB eine Entscheidung herbeizuführen im Sinne einer klaren Aufgabenstellung. Wenn das BMI aber das letzte Wort haben will, dann brauch ich keine Stiftung – dann kann man es lassen.
Ein weiterer Punkt ist, wenn die Koalition sich für eine Agentur entscheidet, die unabhängig sein soll, dann muss diese Agentur entsprechend personell ausgestattet werden. Es darf auf keinen Fall passieren, was bei der Konferenz der Landessportbünde auf einmal zur Sprache kam, dass man MitarbeiterInnen des DOSB aus dem Leistungssport und aus der BMI-Sportabteilung des DOSB hinüberschieben will. Da müssen Stellen neu ausgeschrieben werden – auf die sich natürlich auch MitarbeiterInnen aus dem BMI und DOSB bewerben können. In der neuen Agentur müssen neue Kräfte auch die Möglichkeit haben, ein von Verbands- und Ministeriumsinteressen unabhängiges Rollenverständnis in ihrer Arbeit zu entwickeln. Das heißt: Den MitarbeiterInnen dann zuwendungsrechtliche und haushaltsrechtliche Möglichkeiten zu geben, flexibel und unbürokratischer Leistungssportmaßnahmen umzusetzen. Das fängt dann schon damit an, dass man mindestens für einen olympischen Zyklus über eine Summe X als Agentur verfügen kann und sich nicht von Jahr zu Jahr, von Projekt zu Projekt hangeln muss.
Das garantiert mehr Handlungsspielraum bei unvorhergesehenen Situationen, die im modernen Spitzensport ja auftreten. Nochmal zur Unabhängigkeit: Unabhängig ist man nie, wenn man von öffentlichem Geld abhängig ist. Aber Mut zu mehr Unabhängigkeit heißt: Gemeinsamer Schulterschluss zwischen BMI und DOSB und auf Augenhöhe agieren.
Ich würde das als gegenseitiges Vertrauen bezeichnen. Daran hat es ja in den letzten Jahren zwischen BMI und DOSB sehr gemangelt – und scheint es noch zu mangeln. Wenn ich das Reformpapier von 2016 lese, das ja die alte Regierung vorgelegt hat, finde ich in dem jetzigen Konzept relativ wenig Neues, es sind Korrekturen vorgenommen worden, man hat alte Sachverhalte in neuen Texten beschrieben. Ein Déjà-Vu bleibt da nicht aus.
Härtel: Ja, natürlich ist in dem Konzept nicht viel Neues zu finden – viele Aufgaben müssen noch gelöst werden. Der DOSB wie der gesamte Sport haben ja zunächst sehr reserviert auf den Vorschlag der Politik reagiert, eine Sportagentur zu installieren. Aber wir haben uns alle ein Stück bewegt und sehen nun in einer Stiftung eine Chance auch etwa zur Beteiligung.
Stichwort Beteiligungsprozess: Die meisten Probleme bei der letzten Reform gab es, wenn mehrere Player beteiligt waren: Es wurde um das Stützpunktsystem, Mischfinanzierung von TrainerInnen, Nachwuchsförderung oder Kaderstärken gestritten. Zuständigkeitsgerangel und Eigeninteressen machten gemeinsames Vorgehen zunichte. Gab es Bund-Ländervereinbarungen, war noch nicht mal die Tinte trocken, und das Gerangel ging von vorne los. Föderalismus ist sehr hinderlich, wenn es um einheitliche Entscheidungen geht.. Was soll sich denn da mit einer Stiftung ändern? Mir ist nicht klar, was mit einer Stiftung an Flexibilität und Einigkeit gewonnen wird.
Härtel: Erst mal gar nichts. Aber was muss sich ändern? Bei den Landessportbünden war die Diskussion: In welcher Form hat man welche Beiräte bei einer Stiftung – Stiftungsrat, Sportfachbeirat? Wer ist wo in welchem Beirat vertreten? Das sind nach den jetzigen Vorstellungen auf jeden Fall zu viele, die da alle sitzen wollen. Aber man muss schon überlegen, wie man eine Beteiligung von Akteuren sicherstellt. Das heißt auch, manchmal individuelle Verbandsinteressen im Sinne der gemeinsamen Förderung zurückzustellen. Ein entscheidender Punkt für uns als LSBs ist, dass natürlich die Länder auch eine Verantwortung haben für ihre Landes- , Olympia- und Bundesstützpunkte. In dem Papier steht ja, dass die Länder auch für eine vorzuhaltende und zu entwickelnde Infrastruktur Verantwortung haben.Und schließlich muss aus meiner Sicht auch der Haushaltsgesetzgeber ein Beteiligungsrecht haben, wie z.B. bei der Kulturstiftung des Bundes.
Und da komme ich nun direkt zum Sportfördergesetz auf Bundesebene, das ja der Dreh- und Angelpunkt auch für die Einrichtung der Agentur oder Stiftung ist. Dieses Gesetz soll dann genau regeln, wie die Sportförderung durch die Stiftung wahrgenommen werden muss, aber auch, welche Verantwortung der Bund, der DOSB und die Länder haben. Damit wird auch Klarheit herrschen, wo Schwerpunkte gesetzt werden, und dass Spitzensportförderung kein Spielball zwischen einzelnen Verbänden, BMI und Bundestagsabgeordneten sein kann, sondern klare Regeln herrschen.
Wie weit ist man denn da mit dem Gesetzentwurf? Der sollte ja schon vorliegen.
Härtel: Ja, ein Entwurf sollte im September vorliegen. Aus dem BMI höre ich, dass es bisher keinen Entwurf gibt. Jetzt heißt es Dezember.
Wie ist denn dann das weitere Prozedere?
Härtel: Wenn es einen Referentenentwurf gibt, dann muss schon bevor er dem Kabinett zur Beschlussfassung vorgelegt werden kann, ein Beteiligungsprozess eingeleitet werden. Und da werden nicht nur der DOSB eine Stellungnahme abgeben, sondern auch unabhängige Verbände wie Athleten Deutschland oder andere Verbände ihre Interessen einbringen, spätestens dann auch im Rahmen des anschließenden Gesetzgebungsverfahrens. Und natürlich müssen die Länder über den Bundesrat beteiligt werden. Das geht nicht einfach so Hoppla hopp wie manche sich das vorstellen.
Was heißt das für die Zeitschiene?
Härtel: Vor Mai nächsten Jahres wird sicher kein Kabinettsbeschluss gefasst. Und dann muss es ja noch ins Parlament und den Bundesrat. Ich habe meine berechtigten Zweifel, dass das noch in dieser Wahlperiode klappt. 2025 wird der Bundestag neu gewählt. Es gibt also einen sehr engen Zeithorizont.
Was mich sehr wundert ist, dass auch bei diesem neuen Konzept niemand erkennbar darüber nachdenkt, dass die eigenen verkrusteten Strukturen vielleicht das größte Hindernis für eine Reform des gesamten Sports sind. Alle sind für alles irgendwie zuständig, vieles läuft doppelt, alle halten an ihrem status quo fest, viele wollen im Prinzip nichts ändern.
Härtel: Wir haben ein System, was den Spitzensport betrifft, von mehreren Zuständigkeiten aufgrund der föderalen Strukturen. Und nochmal: Es ist keineswegs so, dass das BMI, wie immer behauptet wird, alleine für den Spitzensport zuständig ist. Auch die Länder haben hier eine klare Aufgabe, jedenfalls ist das im System so angelegt.
Wenn das System so ist, warum lässt der DOSB sich dann auf eine Agentur ein, wo er seine Zuständigkeit für den Spitzensport aufgibt – man braucht doch keine Parallel- Spitzensportabteilung im DOSB mehr? Ist das durchdacht?
Härtel: Wenn das BMI die alleinige Verantwortung haben soll oder will, dann kann man gleich sagen: Okay, wir sind hier Antragsteller, legen unsere Gutachten und Stellungnahmen vor – dann bleibt am Ende eigentlich alles wie bisher.
Das macht aber keinen Sinn. Weil ja manchmal aufgrund ganz anderer Kriterien als sportfachlichen entschieden wird und die Haushaltsgrundsätze, die es ja einzuhalten gilt, dann uns oft auch wegen bürokratischer Strukturen daran hindern, flexibel im Rahmen der Leistungssportförderung zu reagieren. Deswegen ist so eine unabhängige Agentur nicht falsch, aber sie muss in die Lage kommen, so auch zu arbeiten. Am wichtigsten ist es, über diesen Weg zuwendungs-und haushaltsrechtliche Verfahren zu vereinfachen. Wir müssen flexibler werden.
Das heißt: Die Stiftung muss personell und finanziell ausreichend ausgestattet werden. Und das heißt auch, dass weiterhin BMI und DOSB in den jeweiligen Abteilungen MitarbeiterInnen sitzen müssen: so muss es im BMI AnsprechpartnerInnen geben, die das Geld nach den Beschlussfassungen im Deutschen Bundestag an die Stiftung weiterreichen und auch Kontrolle ausüben, der DOSB muss weiterhin Verbandsberatung und Serviceleistungen etwa bei Förderkonzepten etc. gewährleisten.
Wenn man sich über die Besetzung der Stiftung/Agentur einigen sollte, auch darüber, dass das BMI nicht letzter Entscheider ist – was passiert, wenn man sich in der täglichen Arbeit nicht einig ist? Wo finden Sie eine Persönlichkeit, eine Art CEO – unabhängig vom organisierten Sport und von Parteien, der fachlich die Kompetenz hat zu sagen: Ich treffe jetzt die finale Entscheidung?
Härtel: Ja sicher muss es da jemanden geben, der nicht nur kompetent und unabhängig ist, sondern aufgrund seiner übernommenen Verantwortung sich auch nicht scheut, etwa VerbandspräsidentenInnen zu sagen, Leute, so geht das nicht.
Die so oft angekündigte gesellschaftliche Debatte, welchen Sport diese Republik will, hat ja immer noch nicht stattgefunden. Und da gibt es nun den Sportentwicklungsplan, wo nicht nur ich mir vorstellte, da würde eine Sportpolitik in einem Guss entwickelt. Also von der Kita bis zum Spitzensport mit allen Nuancen. Ist aber wohl nicht so? Da müsste man sich ja auch Zeit lassen und nicht wieder Schnellschüsse wie jetzt mit der Reform produzieren.
Härtel: Ja natürlich gibt es viele verbindende Elemente, wo wir im Breiten- und Spitzensport an einem Strang ziehen müssen und müssten, aber das ist offensichtlich eine sehr große Herausforderung, weil viele verschiedene Blickwinkel vorhanden sind, die zu sehr unterschiedlichen Einschätzungen führen. Da ist noch ziemlich viel Luft nach oben. Dass der Sport beispielsweise gerade heute im sozialen und bildungspolitischen Bereich eine gesellschaftspolitisch wichtige Rolle spielen kann, wenn man ihn richtig einsetzt und fördert, das findet in der Politik, aber leider auch in den eigenen Reihen, noch immer nicht die notwendige Aufmerksamkeit.