Ein Gegenkandidat schneit in die Krönungsmesse

DOSB-Mitgliederversammlung: Triathlon-Präsident sorgt für Knalleffekt – Hörmanns verpasste Chance

Berlin/Düsseldorf, 2. Dezember. Die Aussicht auf den Rhein mit den kleinen Fahrgastschiffen war während der 15. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes in den Rheinterrassen in Düsseldorf zunächst das Aufregendste. Es herrschte wie schon am Vortag im K 21 während eines Empfangs der Gastgeberstadt eine diffuse Stimmung. Und nun hing irgendwie bleierne Müdigkeit über dem Tagungsraum. Langatmige Reden, ausführliche Grußworte und ein Ehrungs-Marathon. Viele Delegierte hatten bereits die Heimreise angetreten. Aber dann, nach über fünf Stunden, wurden die letzten MohikanerInnen, die zu den Wahlen geblieben oder abkommandiert waren, aufgeschreckt. Für den Knalleffekt des Tages sorgte Martin Engelhardt, Präsident der Deutschen Triathlon Union (DTU).

Alfons Hörmann ist an diesem Samstagmorgen ganz weit weg von denen, die ihn – aus seiner Sicht zu Unrecht – nur kritisieren, den JournalistInnen. Die sitzen in der letzten Reihe ganz hinten im Saal an der Wand – diametral zum Podium. Sie vermuten, dass etwas im Anflug ist, genau wie Hörmann, der angespannt und schlecht gelaunt wirkt. Seit Wochen wird in Verbänden getuschelt, nach dem ersten misslungen Aufstand gegen den Sporthäuptling im September sei es das mit der Rebellion noch nicht gewesen. So wird Alfons Hörmann am Samstag also nicht ganz auf dem falschen Fuß erwischt, als Engelhardt in seine Krönungsmesse schneit.

Es ist etwas Neues: Noch nie wurde im DOSB ein vorgeschlagener Präsidentenanwärter mit einem Konkurrenten konfrontiert. Das ganze hat letztendlich eine Vorgeschichte.

Engelhardt, der sich lange mit Kritik an Hörmann zurückhielt, wurde im Vorfeld des Parlamentarischen Abends in Berlin im Juni, wo wieder einmal Hörmanns Umgangston der Auslöser war, zu einem seiner schärfsten Kritiker. Nun will er mit seiner Gegenkandidatur ein Signal senden: „ Ich weiß natürlich, dass diese Kandidatur die Wiederwahl des amtierenden Präsidenten nicht verhindern wird. In einer Demokratie müssen aber Gegenkandidaten selbstverständlich sein. Kandidaturen dürfen nicht von der Angst geprägt sein, dass derjenige, der es wagt, gegen einen gewünschten Kandidaten anzutreten, dass die Person oder der Verband, der sie angehört, anschließend bestraft wird.“

Einer traut sich

Laut Satzung müssen potentielle Kandidaten aus der Mitgliederversammlung heraus bzw. von den Verbänden vorgeschlagen werden. Engelhardts KollegInnen wollen das nicht. Genau aus dem genannten Grund, wie er sagt. „Ein Athletenvertreter hat mich dann letztendlich vorgeschlagen, weil die anderen alle Angst gehabt haben.“ Auch seine eigenen Verbandsleute hätten ihm von dem Vorhaben abgeraten.

Der Athlet, der sich dann traut, ist der Fechter Benedikt Wagner. Der ist kurz vorher als Persönliches Mitglied des DOSB auf Vorschlag der Athletenkommission gewählt worden.

Bezeichnend ist, dass die Unterstützung von den AthletInnen kommt, die mit dem Demokratieverständnis der DOSB-Führung auch schon so ihre Erfahrungen gemacht haben.

Engelhardt geht es nicht nur um Stil und Umgangsform in seiner Kritik, sondern dem Sport auch gesamtgesellschaftlich wieder mehr Bedeutung zu verschaffen. „Wir brauchen nicht nur eine Leistungssportreform. Sondern einen gesamtgesellschaftlichen Sportplan, auf den sich Verbände und Landessportbünde mit der Politik verständigen.“ Und weiter: „Wir haben einen großen Werteverfall in unserer Gesellschaft, und der oberste Führer des Sports hat eine Vorbildfunktion, die er in allen Facetten repräsentieren muss. Es gibt eine großes Misstrauen in Sportfunktionäre generell. Das kann man nur mit vorbildlichem Handeln ausräumen“, so sein Credo.

Kein Politbüro-Ergebnis

Dass seine Wahl ernsthaft in Gefahr war, fürchtete Hörmann sicher nicht. Von den 450 abgegebenen Stimmen bekam er 383, für den Herausforderer votierten 61. Und sechs Stimmen waren ungültig. Keine überwältigende Zustimmung wie noch in Magdeburg für sein Reformvorhaben, wo es nahezu ein Politbüro-Ergebnis gab. Und das wurmte den Allgäuer sicher. Zumal damit auch das Gebilde von der beschworenen  Einheit der Sportfamilie zerfällt.

Nun also weitere vier Jahre mit Alfons Hörmann und der Frage: Geht es weiter so? Nach seiner Wahl sagte er : „Ich danke für den großartigen Vertrauensbeweis und werde mit einem schlagkräftigen Team für Sportdeutschland weiterarbeiten. Ich werde einen Stil pflegen, der von Transparenz und Offenheit geprägt ist.“ Engelhardts Vorstoß fanden viele gut. Die Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, Dagmar Freitag, formulierte es so: „Das war das erste Mal, seit ich in der Sportpolitik bin, dass eine Wahl um das Präsidentenamt gab. Ich zolle Martin Engelhardt dafür Respekt.“

Noch keine Demokratie

Wird sich wirklich was ändern? Der ehemalige US-Präsident Barack Obama sagte auf die Frage, was Wahlen bedeuten: „Wahlen alleine machen noch keine Demokratie.“ Man müsse täglich für sie im Einsatz sein.

Wer wüsste das besser als der Bundesinnen- und -sportminister Horst Seehofer, der tatsächlich – was man bei ihm nie so genau weiß – in Düsseldorf vorbeischaute. Und es sich in seiner Rede nicht nehmen ließ, mal den großen sportpolitischen Bogen zu schlagen. Für ihn sei Sport die „herrlichste Nebensache der Welt“ (womit er nun vermutlich nicht den Stellenwert desselben in seinem Ministerium meinte). Der Heimatminister Seehofer schwärmte von dem unschlagbaren Duo Heimat und Sport, wenn es um mehr Lebensqualität geht, von den Ehrenamtlichen, die die Vereine am Laufen halten und heimatliche Geborgenheit vermitteln. Er lobt die integrative ‚Kraft des Sports auf allen Ebenen. Und als Sportminister lobt er irgendwie den Bau- und Heimatminister Seehofer, der für bauliche Maßnahmen für soziale Stadt- und Strukturentwicklung mehr Mittel zur Verfügung stellte.

Vom Breitensport spurtet er ins internationale Geschehen , beklagt den Vertrauensverlust wegen des Umgangs mit der Dopingproblematik, kritisiert deutlich RUSADA und WADA. Spricht sich aber trotz aller Probleme für einen neuen olympischen Anlauf aus. „Deutschland würde es gut zu Gesicht stehen, eine neue Olympiabewerbung auszurichten. Allerdings mit einem umsichtigen Konzept.“ Womit er sich für Umweltschutz und Nachhaltigkeit und gegen Gigantismus ausspricht. Eine weitere Olympiapleite nach den sechs seit 1972 sei auch zu verhindern, wenn man die Bevölkerung richtig mitnehme.

Zuckerbrot

Und schon ist er auf der Zielgerade und bei der Spitzensportreform. „Jede Zusammenkunft mit Ihnen ist teuer.“ Und ergänzt: „Sie sind mir lieb und teuer.“ Nach so viel Zuckerbrot die kleine Peitsche. Wenn man schon soviel Geld bekäme – es seien ja über 230 Millionen -, dann müsse man auch dafür sorgen, dass es ausgegeben wird „was offensichtlich nicht immer so einfach ist“. Womit er auf das Antragsdebakel anspielte, bei dem ein Teil des zusätzlich georderten Geldes gar nicht abgerufen wurde.

Zu guter Letzt: Natürlich haben sich alle lieb. „ Wir haben eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit“, sagt der Minister und man hört fast das Stirnrunzeln in der BMI-Sportabteilung. Man habe mit der Reform-Umsetzung wichtige Schritte erreicht. Aber wenn manchmal lange Diskussionen nicht beendet werden können, „dann muss gelegentlich auch ein Minister entscheiden.“ Über diese Aussage des Ministers wird sich seine Sportabteilung besonders freuen. Da macht  die Arbeit doch richtig Spaß!

Furchtlos sagt Alfons Hörmann, habe man sich an den inneren und äußeren Umbau des Sports gemacht. Und es wird ein Bild vom neuen Haus des Sports in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise gezeigt. Es stimmt, vieles ist angegangen worden. Man hat sich Unternehmensberater ins Haus geholt, die eine Aufgaben- und Effizienzanalyse erstellten. In Regionalkonferenzen holte man sich Anregungen für die Strategie 2028. Finanziell steht der DOSB offensichtlich gut da. Und da ist dann natürlich die alles erdrückende Reform, bei der zu alten Baustellen wieder neue gekommen sind, und bei der man in Sachen Personalentwicklung, Trainerbezahlung, dualer Karriere, Stützpunkten noch immer auf der Stelle tritt.

Dass Alfons Hörmann an diesem Samstag wirklich keinen guten Tag hatte, war bei seiner Rede nicht zu übersehen, die das Fazit seiner Amtszeit sein sollte. Warum, so fragt man sich, wirbt er nicht um Verständnis dafür, dass man noch nicht weiter gekommen ist? Warum erklärt er nicht Schwierigkeiten, gibt Probleme zu? Er ist ständig im Verteidigungs- oder Schuldzuweisungs-Modus. „Im Sport müssen wir uns für Dinge entschuldigen, für die es in anderen Bereichen des Bundesverdienstkreuz gibt.“ Damit bügelt er erneute Fragen ab, die im Zusammenhang mit der DOSB-eigenen Stiftung aufgetaucht sind.

Eine Chance vertan

In der Pressekonferenz nach seiner Wahl sitzt er angesäuert, will auch zu den inhaltlichen Anmerkungen Engelhardts nichts sagen. Selbst sachliche Fragen scheint er schon als Angriff auf die Einheit des Sports oder seine Person zu empfinden. Es wäre der Tag für Selbstreflexion und Empathie gewesen – eine Chance vertan.

Nun hat Alfons Hörmann in sein Präsidium und in Gremien neue Teamplayer geholt. Er könnte sich jetzt aufs Netzwerken und auf Repräsentationspflichten konzentrieren. Der neuen Vizepräsidentin Leistungssport Uschi Schmitz eilt der Ruf voraus, dass sie sich nicht die Butter vom Brot nehmen lässt. Als ehemalige Hockey-Nationalspielerin und erprobte Funktionärin kennt sie die Probleme aller Beteiligten aus dem Sport ziemlich gut. Und bildet mit ihrem Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, sicher ein fachlich unschlagbares Team. Und der neue Schatzmeister Kaweh Niroomand Geschäftsführer beim deutschen Volleyballmeister Berlin Recyling Volleys ist nicht nur ein erfolgreicher, sondern auch ein unabhängiger Mann, der sich zu behaupten weiß. Hörmann wird sich in seinem Präsidium an Widerspruch gewöhnen müssen. Was dem Sport und auch der Person nur gut tun kann.

Neue Landessportbundsprecherin

Veränderungen. Auch bei den Landessportbünden wird nun eine Sprecherin die Interessen vertreten: Elvira Menzer-Hassis aus Baden-Württemberg, die mal kurzerhand den schön ausgedachten Ämterwechsel ihres Vorgängers Andreas Silbersack und des ehemaligen Vizepräsidenten Sportentwicklung Walter Schneeloch aushebelte. Nun sitzt Silbersack im DOSB-Präsidium, aber das wird von einigen sehr kritisch gesehen: Schließlich kandidiert er für den Oberbürgermeisterstuhl in Halle. Und so musste sich Silbersack die Frage gefallen lassen, welches Amt er denn bei einer Wahl zum Stadtoberhaupt, wo er von FDP und CDU ins Rennen geschickt wird, abgebe. Bei einer geheimen Wahl bekam er 97 Gegenstimmen – wohlgemerkt ohne Gegenkandidaten.

Ein ehemaliges Präsidiumsmitglied ist nun in neuer Funktion am Ball: Multifunktionär Ingo Weiss hat mit knapper Mehrheit das Sprecheramt der Spitzenverbände in seine Sammlung aufgenommen. Sein Gegenkandidat war der Turnerpräsident Alfons Hölzl. Von dem gebürtigen Oberpfälzer, der in Regensburg als Rechtsanwalt arbeitet, hatten sich viele frischen Wind erwartet. Nun aber spricht Ingo Weiss, der sich gleich einmal mit einem peinlichen Lobgesang auf seine ehemaligen PräsidiumskollegInnen einführte.

Ins Boot geholt

Alte Bekannte in neue Ämter: Diese Devise gilt für die neue Ethikkommission, in die sich Hörmann zwei honorige Juristen ins Boot geholt hat, den ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière und den ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des BND, Hansjörg Geiger. Und das Männer-Doppel ergänzt die zigfache Biathlon-Olympiasiegerin und Weltmeisterin Kati Wilhelm.

Der Sprecher der Linken im Sportausschuss des Bundestages, André Hahn, sah wenige Veränderungen. Sein Fazit: „Wer die DOSB-Mitgliederversammlung verfolgt, der muss zwangsläufig zu dem Schluss kommen, dass es in Sportdeutschland keine Probleme gibt – alle sind zufrieden. Nur hinter den Kulissen geht das Grummeln weiter. Das ist für mich alles nicht mehr nachvollziehbar.“

Dennoch: Diese 15. Mitgliederversammlung war schon so etwas wie eine Zäsur – zumindest haben sich neben den AthletInnen nun auch einige andere im deutschen Sport entschlossen, Demokratie zu wagen. Und vielleicht wird Alfons Hörmann in den kommenden vier Jahren auch zu der Erkenntnis kommen, zu der Winston Churchill als britischer Premier gelangte: „Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute zu beugen.“