Heinrich Heine wäre um den Schlaf gebracht…

Vor der DOSB-Mitgliederversammlung in Düsseldorf

Berlin, 30.November – Schaulaufen, Krönungsmesse, Kuschelkurs – Business as usual: Die Erwartungen im Vorfeld der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Düsseldorf am Samstag sind offensichtlich bei den anreisenden TeilnehmerInnen ziemlich gering. Obwohl Bundesinnen- und Sportminister Horst Seehofer (CSU) sich angekündigt hat. Und unter anderem auch Neuwahlen anstehen.

Depressive Ermüdungserscheinungen bei den einen, Lethargie bei den anderen. Genervt und gereizt, desillusioniert und ernüchtert beschreiben Verbandsvertreter die Befindlichkeiten. Die Stimmung in Alfons Hörmanns Sportdeutschland ist im Keller. Nichts mehr ist übrig von der Euphorie bei seiner ersten Wahl in Wiesbaden vor fünf Jahren, als die jubelnden Verbandsclaqueure sich gar nicht mehr einkriegten. Nun herrschen schlechte Laune, Katerstimmung. Und jeder wurstelt begeisterungslos weiter so vor sich hin. Das nimmt DOSB-Präsident Hörmann ganz anders wahr, der sich ja aus seiner Sicht von einem zum anderen Erfolgsmeilenstein – jetzt mit hilfreicher Unterstützung seiner CSU-Parteifreunde im BMI – eilen sieht.

Fragmente mitbekommen

Seit vier Jahren erleben AthletInnen, TrainerInnen und Verbände nun ein Auf und Ab rund um die Spitzensportreform und sind schon froh, wenn sie Fragmente wesentlicher Informationen mitbekommen. Die Frankfurter DOSB-Zentrale schickt mittlerweile zwar vermehrt Mails und PDFs an ihre Mitgliedsorganisationen, so jedenfalls der Eindruck der Adressaten. So werde   der Anschein des gegenseitigen Austausches, der Informations-Teilhabe erweckt, aber: „Wir kriegen fertige Papiere vorgelegt und sollen die abnicken. Als Betroffene werden wir nach wie vor nicht so in Entscheidungsprozesse einbezogen, wie es sein müsste“, heißt es aus Verbänden.

Und sie liefern ein neues Beispiel: Verbandsverantwortliche seien aus allen Wolken gefallen, als ihnen vor kurzem drei Dateien als Beschlussvorlage für die Mitgliederversammlung unter dem Titel „Optimierung der Personalentwicklung“ zugeschickt wurden. Was als Punkt 10.2 auf der Tagesordnung auf den ersten Blick so harmlos daher kommt, sorgte dann doch für erhebliche Erregung bei den Spitzenverbänden. Die Rede war von „Entmündigung“, „Fremdsteuerung“ und „Einmischung in Verbandsangelegenheiten“.

Nach der Lektüre der DOSB-Konzeption „Professionalisierung des Leistungssport-Personals der Olympischen Spitzenverbände“ stießen vor allem die Vorstellungen über die Rolle und das Aufgabengebiet der Sportdirektoren in den Verbänden auf wenig Gegenliebe. Gesprächsbedarf war angesagt.

Den haben sie auch in Bezug auf TrainerInnen und deren arbeitsrechtliche Bedingungen: Die sollen verbessert werden – darin sind sich alle einig. Eine Arbeitsgruppe, in der auch Verbandsvertreter saßen, konzipierte ein Papier, in dem allgemeine arbeitsvertragliche Bedingungen und Regelungen zu finden sind, die die Verbände nun aber hinnehmen sollen. „Wir haben über dieses Papier nicht einmal diskutiert. Aber wir sind als Verbände die Arbeitgeber, haben damit die Hauptverantwortung und werden hier verpflichtet, etwas umzusetzen, was eine Reihe von Verbänden so nicht erfüllen kann“, ist die  Antwort auf Nachfrage.

Nach einem Gespräch mit dem DOSB-Direktor Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, wurde das Trainer-Papier zurückgezogen und durch ein Eckpunkte-Papier ersetzt. Was nun auch nicht begeistert. Denn es mache keinen großen Unterschied, wie man es bezeichne – der Gesprächsbedarf bleibe.

Man fühle sich mal wieder „überrollt“, dass etwas „durchgewunken werden sollte, dessen Konsequenzen doch nicht einfach auf die Schnelle zu erkennen sind“. Frust als Folge.

Nebenerscheinung Bürokratie

Wenn‘s nur das wäre. Immer neue ungelöste Probleme bringt diese „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ mit sich, die sich BMI und DOSB nicht zuletzt auch aus Frust nach den verkorksten Spielen in London 2012 ausgedacht haben. Und Verbandsvertreter stöhnen über die Reform-Nebenerscheinungen, die sie kompakt in dem Sammelbegriff „Bürokratie“ zusammenfassen.

Diese Bürokratie, die sie eigentlich im Laufe der Jahre kennen und beherrschen müssten, verhagelt ihnen stets die gute Laune und das Leben. Und sehen sie als „Mutter vieler Probleme“. Dennoch ist und bleibt es eine Ausrede für eigenes Unvermögen.

Zu den großen Problemen gehört immer noch die ungeklärte Bundestützpunktfrage, die Bundessportminister Seehofer mit seiner Aktion im Rahmen des bayerischen Landtagswahl-Katers bei einer CSU-Pressekonferenz mit einem verbalen Federstrich ja zunächst für erledigt erklärte: „Wir werden alle Bundesstützpunkte fortführen, auch die in Mecklenburg-Vorpommern beziehungsweise in den neuen Bundesländern.“ Und überraschte und verwirrte nicht nur seine eigene Sportabteilung im BMI.

Dass seine Anweisung nur vorübergehend bis 2020 gilt, das sagte er nicht. Und somit auch nicht, was nach 2020 mit den bereits von BMI und DOSB gestrichenen und gefährdeten Stützpunkten passieren wird, wenn auch bis dahin die geforderten Kriterien nicht erfüllt sind.  Seehofers Entscheidung sei letztlich wegen einer Intervention des DOSB-Präsidenten gefallen, wird kolportiert. Aber der oberste Sportminister wird ja vielleicht etwas dazu in Düsseldorf zum Besten geben, wenn er denn wirklich kommt.

Hörmann sollte einiges erklären

DOSB-Präsident Alfons Hörmann wird diesmal eventuell einiges zu erklären haben. Ob er das öffentlich tut, bleibt abzuwarten. Auch wenn er von den Landessportbünden mit einem angeblich einstimmigen Votum, das es so nicht gab (die Sportspitzen berichteten), als Kandidat gekürt wurde. Auch wenn die Spitzenverbände mit den Daumen für die erneute Kandidatur ihres Obersten nach oben zeigten, mangels Alternative. Er ist gefordert. Dass es vorher von Unzufriedenen in den Mitgliederorganisationen den kleinen „Putsch-Versuch“ gab, ihm die Wiederwahl zu vermasseln, tut er ab. Einen Riss im DOSB? „Aus meiner Sicht existiert der schlichtweg nicht“, sagte er in einem Interview des Sport-Informationsdienstes (sid). Seine Wahrnehmung ist – wie so oft in den letzten Jahren – eine andere wie die vom Rest seines Sportdeutschlands.

„Klarheit und Wahrheit“ werden die immer wiederkehrenden Substantive seiner Fensterrede sein. Von der erwartet sich das Publikum auch eine Erklärung wie er sich die 70 Millionen Euro, die der Sport nun noch mehr bekommen soll, schön gerechnet hat – und was für die Verbände wirklich übrig bleibt. Bricht der von ihm versprochene Geldregen aus? Oder ist es am Ende in den Augen der Empfänger nur ein spärliches Rinnsal? Manche in den Verbänden haben angefangen zu zählen , und so mancher kommt nach Anwendung sämtlicher Grundrechenarten zu dem Schluss: „Es sieht fast so aus, als wären wir verar… worden.“ Lassen wir das so stehen.

Zwischendurch auch mal etwas Positives: Bund und Länder haben eine Vereinbarung zur Förderung des Spitzen- und Nachwuchssportes getroffen – zumindest scheint damit halbwegs klar zu sein, wer wofür bezahlen muss. Jedenfalls solange nicht wieder einer der Beteiligten ausschert und sein eigenes Süppchen kocht. Es gab auch da in der Vergangenheit im Bezug auf Verlässlichkeit nicht selten „schöne“ Bescherungen.

Alles nach Regieplan?

Sind Überraschungen zu erwarten? Bei den Wahlen? Nee, aber: Man soll nie nie sagen, trotz eines zeitstraffen und kontrollierten Regieplans  – nicht alles hat man immer und jederzeit im Griff. Auch nicht beim DOSB. Der amtierende Präsident Hörmann scheint konkurrenzlos, hat seine Mannen und Frauen für sein Präsidium schon ausgedeutet oder ausdeuten lassen, so dass das verbandliche Fußvolk nur noch abnicken muss.

Interessant könnte die Wahl der Ethik-Kommission werden, deren Vorsitzender der ehemalige Bundesinnen- und Sportminister Thomas de Maizière werden soll. Kritiker und Wohlmeinende fragen sich, was ihn wohl geritten hat, sich für diese Position überreden zu lassen. Es sei ein fatales und falsches Signal. Er sei weder unbefangen noch unbelastet im Bezug auf den DOSB und dessen Präsidenten Hörmann.

Monika Lazar, Sprecherin der Grünen im Sportausschuss des Bundestages, und ihr Kollege Andre Hahn sehen zu wenig „Distanz zur DOSB-Führung“. Was der Sache  mehr schaden als nützen würde. Ob es zur Wahl de Maizières überhaupt kommt, hängt von einem Berater-Gremium der Bundesregierung ab, das entscheiden muss, ob genügend Zeit zwischen dem politischen Amt und der neuen Aufgabe (die auch ein Ehrenamt sein kann) liegt. Hintergrund für die Einrichtung dieses Gremiums war die Kritik an PolitikerInnen, die direkt von ihrem politischen Amt etwa in lukrative Wirtschafts-Jobs wechselten.

Ob die Überprüfung bis Samstag erledigt und somit eine Wahl des Vorsitzenden möglich  ist, scheint nicht sicher. Das schreibt die Süddeutsche Zeitung, die sich auf Gremiumsmitglied Christa Sager (Grüne) bezieht. Dann doch nicht ganz Business as usual?

Strategie DOSB 2028

Zu wünschen wäre vor allem den AthletInnen und TrainerInnen, dass es – auch wenn viele meinen, der Reformzug wäre schon längst entgleist – endlich mal eine zielführende und offene Diskussion über den Kurs des DOSB gibt. „Strategie DOSB 2028“ lautet der Tagesordnungspunkt 11. Das Wort „Strategie“ im Zusammenhang mit dem DOSB beunruhigt – in letzter Zeit war es fast immer die falsche, um ans Ziel zu kommen.

Das lag nicht zuletzt an einer gewissen Sprachlosigkeit der Beteiligten. Denn mit der Fusion von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee von Deutschland ist die einst nicht selten heftig gepflegte offene Diskussionskultur und Debattenfreude unter dem Erinnerungsstein „Hier ruht der streitbare Sport“ begraben.

In einem Abschiedsgespräch sagte der Berliner LSB-Präsident Klaus Böger vor ein paar Tagen: „Sport mit seiner großen Integrationskraft national und international war noch nie so wichtig wie in diesen Zeiten.“ Integrationskraft? Davon ist nach innen gar nichts und nach aussen sehr wenig in Hörmanns Sportdeutschland zu spüren. Der Präsident, der vor allem wegen seiner Umgangsart überall aneckt, ist eher Spalter denn Versöhner.

Auch der visionären gesellschaftlichen Führungsrolle in der Gesamtverantwortung für den Spitzen-und Breitensport ist er nicht gewachsen. Dagegen hat der Kaufmann Alfons Hörmann jedenfalls in seinen beiden Amtszeiten sein wahres Reformziel bravourös erreicht: Dem Bund mehr Steuermittel aus dem Kreuz zu leiern. Der Sportetat wurde für 2019 noch einmal um 46 Millionen auf insgesamt 234 Millionen Euro aufgestockt. Trotz allem besteht Erklärungsbedarf, wie gesagt: Eigentlich wollte der Sport laut „Mehrbedarfsliste für 2019“ 114 Millionen mehr haben, was bei vielen Kopfschütteln und die Frage auslöste: „Was wollen die mit der Kohle?“

Nicht beliebt gemacht

Beliebt gemacht hat sich der oberste Sportführer durch überzogene Forderungen und indiskutable Auftritte nicht. Die schlechten Schlagzeilen haben für den gesamten deutschen Sport ein Negativ-Image zur Folge, das im Übrigen nicht die Medien produzierten. Die berichten nur darüber. Und BürgerInnen sind nicht „amused“, wie da personal- und finanztechnisch mit Steuermitteln agiert wird. Und auch deshalb finden etwa Sportgroßereignisse im eigenen Land immer weniger Akzeptanz.

Es ist eine Frage der Haltung, wenn man etwas ändern möchte. Kritik hinter vorgehaltener Hand nützt niemanden. Als der leichte Gegenwind durch die Oppositionsgruppe im September in den eigenen Reihen aufkam – der aber schnell im Keim erstickt war – und die erneute Kandidatur Hörmanns feststand, sagte er in dem erwähnten sid-Interview: „Das Grummeln ist in Zukunft herzlich gerne mit denen zu diskutieren, die in der Verantwortung sind. Die Tatsache, dass heute ein klares Votum im Kreis der Spitzenverbände gegeben war und so gut wie alle Verbände mit von der Partie waren – das ist das, was zählt.“ Und weiter: „Wir erleben es bei vielen anderen Entscheidungen, zum Beispiel um Olympische Spiele, dass immer mal wieder viel diskutiert wird. Die entscheidenden Momente sind in einer Demokratie, wenn es um die Abstimmung geht. Da war dieses Votum die beste Antwort auf die vergangenen Tage.“

Demokratie und DOSB? Da muss man an vielen Stellen nach der DOSB-Interpretation von demokratischem Verständnis nachfragen. Nicht nur, wenn es um Wahlen geht. Welche Antworten werden in Düsseldorf gegeben?Auch  auf die Frage, ob der DOSB dem Breitensport endlich wieder zu einer Stimme verhilft, die man hört? Und: Bleibt der deutsche Spitzensport ein Patient mit vielen Diagnosen und wenig erfolgreichen Therapien? Sorgen sind berechtigt.

Um es angelehnt an Heinrich Heine, den großen Sohn der Gastgeberstadt Düsseldorf, zu sagen: „Denk ich an Sport-Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht…“ Übrigens: Heine war nicht nur ein hoffnungsloser Romantiker mit sehnsuchtsvollen Träumen. Er war auch ein beispielhafter Revoluzzer. Man könnte ja mal darüber nachdenken, in welcher Rolle das Plenum ihm am Samstag folgen sollte…