Sportausschuss-Sitzung mit Irritationen und Nachfragen zum Spitzenbereich
Berlin,/16. November.- „Sachstand Spitzensport“ hieß der Tagesordnungspunkt im Sportausschuss des Bundestages diese Woche. Dabei ging es besonders auch um den Referentenentwurf für ein Sportfördergesetz, den das Ministerium für Sport und Ehrenamt vor drei Wochen vorlegte – und der beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Ärger und Empörung auslöste (sportspitze.de vom 23. Oktober 2025). Die Verstimmung auf Seiten des Dachverbandes war auch im Sportausschuss deutlich spürbar. Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport, wirkte frustriert an diesem Nachmittag.
Wer die Versuche um eine Reform des deutschen Spitzensports, die nach den Olympischen Spielen in London 2012 gestartet wurden, von Anfang an verfolgt, der hat immer wieder ein déjà vu: Der DOSB ist grade mal wieder dabei, sich zu verdribbeln. Und mittlerweile gehen ihm wirklich schlüssige Argumente aus, um seine Kritik am neuesten Gesetz-Entwurf und den vorgesehenen Reformschritten zu untermauern. Man will, so scheint es jedenfalls, sich weiter der Realität verweigern, die da heißt: Das deutsche Spitzensportsystem, so wie es der DOSB gerne haben möchte, ist, gemessen an den Anforderungen des modernen Hochleistungssports nicht mehr up to date.
Viele Tiefen, wenig Höhen
Urs Granacher, seit 2016 als Vorsitzender der PotAS-Kommission dicht am Reformprozess, hat die vielen Tiefen und wenigen Höhen im Ringen um eine Rückkehr in die spitzensportliche Erfolgsspur miterlebt. Um zu verstehen, warum nun ein Entwurf so vorliegt, wie er vorliegt, sind Granachers Anmerkungen hilfreich, der als Sachverständiger im Ausschuss geladen war. Zu Ursachen des Reformdilemmas und der Problemlösung fällt die nüchterne Bilanz des Sportwissenschaftlers heute so aus: „Im Eckpunktepapier der Leistungssportreform von 2016 wurden elf Handlungsfelder identifiziert, die als reformbedürftig galten. Dazu zählten unter anderem Neuausrichtung und Straffung der Kaderstruktur, die Konzentration der Olympiastützpunkte, effizientere Stützpunktstrukturen, eine Optimierung der Trainersituation, eine verbesserte Athletenförderung sowie eine potenzialorientierte Verbandsförderung. Diese Themen sind bis heute unverändert relevant, nicht zuletzt, weil viele der damals vorgesehenen Reformen kaum umgesetzt worden.“
Die Reformversprechen, die der DOSB und seine Mitgliedsverbände damals bei der Mitgliederversammlung in Magdeburg abgaben, wofür sie viel Geld bekamen, wurden also nie eingehalten. Was nicht zuletzt zur Zerrüttung des Verhältnisses zwischen DOSB und Bundesinnenministerium führte, das damals noch für den Sport zuständig war. Was heute noch nachwirkt.
Bestätigung für die Ministerin
Für Sportministerin Christiane Schenderlein dürften Granachers Ausführungen nochmal eine Bestärkung sein, dass man mit dem Gesetzentwurf auf dem richtigen Weg ist. Sie setzt auf einen weiteren Austausch mit der Dachorganisation, worin auch eventuelle Korrekturen an dem einen oder anderen Punkt im Gesetz noch möglich sind.
Granacher sagt: „Mittel- und langfristig müssen diese Handlungsfelder angegangen werden, um ein bislang stark auf Quantität ausgerichtetes System in ein qualitativ-effizientes, faires und transparentes Spitzensportsystem zu überführen.“
Der DOSB sieht zwar auch Handlungsbedarf, sieht sich aber offenbar außen vor der Kanzleramts-Tür. Über die Art der Vorstellung des Entwurfs ist der DOSB immer noch sauer. Wohlgemerkt – ein Gesetzentwurf des Ministeriums für Sport und Ehrenamt. Kritik war also so oder so zu erwarten. Olaf Tabor muss sie diesmal alleine im Sportausschuss vortragen, sein Vorstandsvorsitzender Otto Fricke war nur per Namensschild anwesend.
Verstaatlichung
Schon die erste Einlassung Tabors bei seinem Statement als Sachverständiger war irritierend. Es mutet wie ein Treppenwitz der deutschen Sportgeschichte an, wenn er von bevorstehender „Verstaatlichung“ des Sports angesichts des Entwurfs spricht. Seit Jahrzehnten wird der deutsche Spitzensport vom deutschen Steuerzahler subventioniert und in einem Maß finanziell unterstützt, von dem ähnliche Organisationen nur träumen können. Am staatlichen Finanztropf hängen – ist das nicht auch eine Form der „Verstaatlichung“?
Das wurde aber bisher nie – jedenfalls ist es nicht erinnerlich -von jemandem aus der Dachorganisation je laut problematisiert, oder gar über die Abhängigkeiten und Verlust der Autonomie hin zum Staatssport öffentlich räsoniert.
Mayer gibt Contra
Die Einlassung Tabors, dass in dem neuen Gesetzentwurf der Hinweis auf die Autonomie des Sports, der im Ampel-Gesetz noch drin stand, gestrichen wurde, und das nun Folgen für die deutsche Olympiabewerbung haben könnte, ist ebenso sonderbar. Denn, so begründet Tabor die DOSB-Kritik, für das Internationale Olympische Komitee (IOC) sei es sehr wichtig, dass die Autonomie der Verbände und des Sports gewährleistet sei.
Das lässt ihm der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU Stephan Mayer, nicht durchgehen. „Da könnte man ein paar ganz andere Fragen an das IOC stellen, wenn es sich an dem Gesetz stößt“, sagt Mayer – etwa die, wie das mit der Autonomie verschiedener anderer Ausrichterländer stand und steht.
Viele, die am Reformprozess in den letzten Jahren schon verzweifelt sind, unterstreichen die Aussage Granachers: Er begrüßt die Schärfung der Zielstellung, also Erfolg und Leistung und Medaillen, die Abkehr von dem Gießkannenprinzip – „Breite und Spitze verträgt sich an der Stelle nicht“ sagt er. Und positiv sieht er ebenso die Stärkung des Agentur-Vorstandes, der auch manchmal unbequeme Entscheidungen treffen muss. Auch Johannes Herber, Geschäftsführer von Athleten Deutschland, zählt viel Positives aus dem Gesetz auf – beklagt aber, dass die AthletInnen mehr Mitsprache haben müssten. Aber auch für die SportlerInnen gilt: Sie sind ZuwendungsempfängerInnen.
Mitsprache, Mitentscheider
Stichwort: Mitsprache, Mitentscheider. Im Herbst 2023 mahnte der Bundesrechnungshof in seinem Bericht zum wiederholten Mal, dass ein Zuwendungsnehmer wie der DOSB nicht gleichzeitig öffentliche Mittel verteilen darf, diese Doppelrolle also unzulässig ist.
Nun beschwert sich der DOSB, dass nach dem vorliegenden Gesetzentwurf die Politik alles bestimmt – konkret auch in der Spitzensportagentur – und die Bewegung in der Gremienstruktur weg vom Sport, hin zur Politik sei. Und spätestens hier wird noch einmal mehr als deutlich, worum es dem Dachverband wirklich geht: um Macht. Irritierend ist dieser empörte Aufgalopp des DOSB aber besonders, weil der Anschein erweckt wird, dass der DOSB mit dem neuen Gesetz einen Machtverlust verkraften müsste. Was nicht so ist: In der momentanen Förderkommission hat der Dachverband eben auch nur eine beratende Funktion. Das scheinen aber viele gar nicht so zu wissen.
Sturm im Wasserglas
Nachfrage im Staatsministerium für Sport und Ehrenamt, um sicher zu gehen, dass dem so ist. Die Antwort kommt sehr ausführlich und anschaulich:
„Es ist richtig, dass der Bundesrechnungshof in seinem Bericht vom 26. Oktober 2023 (Ausgewählte Aspekte der Reform der Spitzensportförderung, Potenzialorientierte Verbändeförderung) festgestellt hat – ganz allgemein gesprochen –, dass der Zuwendungsnehmer nicht gleichzeitig Steuergeld verteilen darf. Dies ist in den seit 2005 geltenden Förderrichtlinien des Bundes und in der Geschäftsordnung der Förderkommission aus dem Jahr 2018 auch entsprechend geregelt. Danach trifft der Bund ausnahmslos die Förderentscheidungen, der Sport und andere Dritte haben eine beratende Funktion“, so die Auskunft. Merke: Der Sport hat eine beratende Funktion.
Der Sprecher zitiert als Beispiel die Förderrichtlinien für Verbände und Stützpunkte. Da heißt es: „§ 7.1: (1) Das Bundesministerium des Inneren trifft sportpolitische Entscheidungen über die jeweilige Fördermaßnahme.
(2) Zur Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen kann das Bundesministerium des Inneren eine Beratung oder Unterstützung durch Organisationen des Sports, insbesondere durch den Deutschen Sportbund oder durch Dritte vorsehen.“
Und dann auch der Hinweis auf die Geschäftsordnung der Förderkommission für den olympischen Sommer-und Wintersport. Die sieht vor, „dass das BMI (künftig Bundeskanzleramt) die Gesamtförderentscheidung trifft und der DOSB sich in einer empfehlenden Rolle in einen Fördervorschlag einbringt.“
Weiter heißt es in der Antwort aus dem Staatsministerium: „Durch den Sitz im Stiftungsrat, die deutliche Verankerung im Sportfachbeirat – verbunden mit den verpflichtenden Konsultationsverfahren – und durch sein Vorschlagsrecht für ein Vorstandsmitglied der Agentur wird der DOSB aus unserer Sicht gestärkt.“
Ein Gewinn
Nochmal nachgefragt bei Professor Granacher, der als PotAS- Vorsitzender das bisherige Förderprozedere so gut kennt wie wenige andere: „Der aktuelle Förderzyklus ist dreistufig organisiert. Zunächst erfolgt die PotAS-Bewertung, anschließend finden die sogenannten Strukturgespräche mit den Bundessportfachverbänden statt. Auf dieser Basis erarbeitet die Förderkommission einen Vorschlag für das Bundesinnenministerium bzw. jetzt das Bundeskanzleramt. Die finale Entscheidung über die Vergabe der Fördermittel liegt dann bei der Politik, der organisierte Sport wirkt lediglich beratend. In der geplanten Spitzensportagentur soll hingegen nun der Stiftungsrat über die Mittelvergabe an die Bundessportfachverbände entscheiden. Dies ist ein Gremium mit fünf Mitgliedern (zwei aus dem Bundestag, je einer aus Kanzleramt sowie dem DOSB und Ländervertreter).Während der DOSB bisher ausschließlich beratend tätig war, erhält er nun künftig einen Sitz und kann mit entscheiden. Nach meinem Verständnis wäre das eine tatsächliche Verbesserung.“
Was also ist das Problem des DOSB mit dem Gesetzentwurf, wenn es sogar eine Verbesserung gibt, die da heißt Sitz und mitentscheiden? Dazu hätte man sich doch einige Fragen auch von den Ausschuss-Mitgliedern gewünscht.
Frist verlängert
Die Frist für die Stellungnahmen der Beteiligten aus Ländern und Verbänden wurde nun erstmal noch verlängert – statt 19. November bleibt nun Zeit bis zum 10. Dezember – das sind vier Tage nach der Mitgliederversammlung am 6. Dezember in Frankfurt am Main. Ob der DOSB schon eine Strategie hat, wie er mit dem Referentenentwurf zum Sportfördergesetz umgehen will? Ihn beschäftigt ja auch dort vermutlich vor allem die Bewerbung um Olympische und Paralympische Spiele.
Eine Entscheidung in Sachen Spitzensportreform nun weiter vor sich herzuschieben, bedeutet, dass das Zeitfenster, um Defizite möglichst schnell zu beheben, wieder enger wird. Granacher war bei den Sportausschussmitgliedern sehr gefragt – vor allem im Blick auf die nahe Zukunft und die nächsten Spiele in Los Angeles 2028. Er fordert gezieltes Handeln.
Gezielt unterstützen
„Während Deutschland im Wintersport und in den nicht-olympischen Bereichen weiter zur Weltspitze gehört, liegt die größte Herausforderung derzeitig eindeutig im olympischen Sommersport. Kurzfristig müssen wir vor allem die Situation der Athletinnen und Athleten sowie der Trainer und Trainerinnen verbessern, da sie die zentralen Akteure im Spitzensport sind. Mit Blick auf die Spiele in Los Angeles könnten Maßnahmen ergriffen werden, um die Disziplinen und Disziplingruppen mit realistischen Top-8- oder Top-3-Potenzialen ganz gezielt zu unterstützen. Dadurch ließe sich die Chance erhöhen, dieses Potenzial bei den Spielen tatsächlich auszuschöpfen. Aber selbst dann dürfte es schwer genug werden, das Niveau von Paris zu erreichen oder zu übertreffen.“ Zur Erinnerung: In der französischen Hauptstadt holte das deutsche Team 33 Medaillen und grade so Platz 10 im Nationen-Ranking.
Was passiert aber, wenn diese neuerliche Chance, die sich nun für den deutschen Hochleistungssport auftut, wieder versemmelt wird?
Bitte keine Unkenrufe. Der Professor aus Freiburg ist optimistisch: „Ich bin sehr zuversichtlich, dass diese Reform greift und den längst überfälligen Paradigmenwechsel in der Spitzensportförderung einleitet.“
Doktor Faust würde das nun locker so kommentieren: „Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt – noch – der Glaube.“