Reger Briefverkehr und die Sache mit dem Tiger und dem Bettvorleger

DOSB und BMI haben mal wieder Krach: Es geht wie immer um das liebe Geld für die Leistungssportreform

Berlin, 25. Mai. Es geht mal wieder um Geld. Und da hört ja bekanntlich die Freundschaft auf. Wenn es denn je eine Freundschaft war! Derzeit wird in der fernsehreifen Serie „Leistungssportreform“ aufs anschaulichste eine weitere Folge vorgeführt, zu der Drehbuchschreibern irgendwie die Phantasie fehlen würde. Reales Leben sorgt eben noch immer für die besten Soaps. Wie schwer Kommunikation, vertrauensvolle und sachorientierte Zusammenarbeit sein kann – der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) und das Bundesinnenministerium (BMI) liefern derzeit dafür ein weiteres Beispiel.

Der Sport droht damit, die Spitzensportreform platzen zu lassen. In einem Brief an das BMI schreibt Dirk Schimmelpfennig, zuständiger Vorstand für Leistungssport im DOSB: „Wir müssen nun gemeinsam alle Anstrengungen unternehmen, um im zweiten Haushaltsentwurf der neuen Bundesregierung für 2018 eine „signifikante Erhöhung der Leistungssportförderung“ realisieren zu können. „Andernfalls wäre die Umsetzung unseres gemeinsamen Konzeptes zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung klar zum Scheitern verurteilt.“ Dem Schreiben, in dem er auf „zu Recht massiv verärgerte Spitzenverbandsvertreter“ hinweist, ist ein sogenanntes „Verlaufsprotokoll über die Abstimmung mit dem BMI“ beigefügt. Das aber nicht viel dazu beiträgt, die Probleme zu klären, sondern eher noch Fragen aufwirft.

Es geht um Mehrbedarf an Millionen

Auslöser des neuesten Streits ist ein Schreiben vom 10. Mai 2017 aus dem Innenministerium, in dem der Abteilungsleiter Sport, Gerhard Böhm, darauf hinweist, dass der vom Sport geforderte Mehrbedarf von 39 Millionen im Entwurf des Haushalts für 2018 nicht enthalten sind. „Gegenüber dem geltenden Finanzplan 2018 wurden vom Bundesministerium der Finanzen folgende Mehrbedarfe für die Spitzensportförderung im Bundesministerium des Inneren für den ersten Regierungsentwurf zum Bundeshaushalt anerkannt“, heißt es in dem Schreiben. Und dann werden die Posten aufgelistet: 700 000 Euro für die Potas-Kommission, die gleiche Summe für die Entsendungskosten der Olympiamannschaft nach Peyongchang. Für neue olympische Sportarten gibt es 300 000 Euro, für den Leistungssport von Menschen mit Behinderung 1,5 Millionen und deren Duale Karriere noch einmal 559 000 Euro.

Zusätzliche 992 000 Euro wurden im Rahmen der Tarifanpassung für Beschäftigte im öffentlichen Dienst für die Förderung der Olympiastützpunkte und 590 000 Euro ebenfalls für das IAT/FES genehmigt.

Das sind von den 39 Millionen also rund 8 Millionen,  die bewilligt wurden.

Überraschung überrascht

Dass die Verbände von der Mitteilung überrascht und verärgert seien, könne er nicht verstehen, sagt Böhm auf Nachfrage: „Auf Wunsch von Herrn Schimmelpfennig habe ich alles noch einmal zusammengefasst, was ich bei der letzen Sportdirektoren-Konferenz im März mündlich vorgetragen habe.“ Dirk Schimmelpfennig und der DOSB vermerken jedenfalls in dem vom DOSB gefertigten Verlaufsprotokoll für den 9.3.2017: „Konferenz der Sportdirektoren. Unaufgeforderte Aussage Herr Böhm: Aufnahme eines Aufwuchses von 39 Mio Euro in den Haushaltsentwurf für 2018.“

Was ja auch stimmt: Die Summe wurde im Etat aufgeführt, aber wegen „mangelnder Etatreife“ abgelehnt. Trotz persönlicher Intervention des Bundesinnenministers bei seinem Parteifreund und Finanzminister Wolfgang Schäuble. „Wir können uns nicht über Haushaltsverfahren hinwegsetzen“, sagt Böhm weiter. „Wir gönnen den Verbänden doch das Geld. Aber wir müssen uns an  Recht und Gesetz halten.“ Zugegeben, das im verschwurbelten Verwaltungsdeutsch verfasste Schreiben muss man vielleicht zweimal lesen, um nichts falsch zu interpretieren. Aber die BMI-Erklärung, warum nun weniger Mittel genehmigt wurden, klingt einleuchtend: „Durch das Diskontinuitätsprinzip zu Beginn einer neuen Wahlperiode muss das Verfahren zur Aufstellung des Bundeshaltes im Herbst dieses Jahres von Anfang an wieder aufgenommen werden, so dass ein zweiter Regierungsentwurf erstellt und beraten wird. Auch bei diesem wird sich das Bundesministerium des Inneren für einen signifikanten Mittelaufwuchs für die Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung einsetzen.“ Also: Alles auf Anfang nach der Bundestagswahl. Was ja nahe lag.

Noch ein Brief

In diesem Zusammenhang ist übrigens auch interessant, dass den Verbänden ein weiterer Brief, mit Datum 17. Mai 2017 ins Haus flatterte. Absender: der DOSB. Darin werden sie zum Wahlhearing nach Berlin eingeladen. Als Anlage ist ein Positionspapier dabei unter dem Titel „Sportdeutschland stark machen!“

Und da ist unter der Überschrift „1. Spitzen– und Leistungssport optimal fördern“ folgendes zu lesen: „Mit dem von der DOSB-Mitgliederversammlung und dem Bundeskabinett gebilligten Reformpaket zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung ist die zukunfts– und erfolgsorientierte Grundlage für wichtige strukturelle Veränderungen gelegt. Um künftige Generationen optimal zu fördern und Chancengleichheit auf Weltspitzenniveau zu ermöglichen, muss der Bund die jährlichen Mittel des Spitzensports ab dem Jahr 2018 zur konsequenten Vorbereitung der Reform und der dann ab 2019 folgenden professionellen Umsetzung derselben in zwei Stufen signifikant erhöhen.“ Und weiter: „Eine präzise Bedarfsermittlung soll – wie von Beginn des gemeinsamen Projekts an abgestimmt – zwischen den Projektpartnern bis zum Frühjahr 2018 erfolgen.“

Kreide gefuttert

Man verliert leicht den Überblick bei dem regen Briefverkehr und denkt darüber nach, ob jemand da zwischenzeitlich Kreide gefuttert hat. Je mehr man liest, um so mehr Fragen ergeben sich. Wer ist der Schurke, wer ist der Gute? Nicht nur Außenstehende, sondern auch Verbandsvertreter haben mittlerweile angesichts der inflationsartigen Sitzungen,Gespräche und Papiere zum Thema Leistungssportreform Probleme, Details noch richtig zuzuordnen. Und die Lage einzuschätzen – ein einheitliches Meinungsbild ist schwer auszumachen. Manche grübeln nun, wie sie aus diesem Dilemma halbwegs ungeschoren herauskommen, zumal es ja nicht nur um finanzielle Planungssicherheit geht, die das BMI ihnen geben könnte. Auch der DOSB macht es Verbänden derzeit nicht leicht – etwa beim Einbringen eigener Ideen, wie sie nun den Alltag und die Vorbereitungen für Olympische Spiele  neben der Leistungssportreform auf die Reihe kriegen. Und es ärgert viele, dass „jetzt bereits Dinge umgesetzt werden sollen, von denen man nicht weiß, ob sie in die Reformstruktur passen. Geschweige denn, ob man das wieder zurückdrehen kann“, sagt ein Hauptamtlicher. „Irgendwie stimmt die Reihenfolge nicht. Bevor Potas nicht arbeitet, wurde uns doch verklickert, geht erst mal gar nix.“ Und ein anderer ärgert sich schon wieder darüber, „wie man in den eigenen Reihen mit uns umgeht.“ Verunsicherung.Verärgerung. Dauerstress ist gleich Verbandsalltag 2017.

Die neuerliche Auseinandersetzung zeigt einmal mehr, dass diese Reform von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Zwar haben die Reformväter Thomas de Maizière und DOSB-Präsident Alfons Hörmann immer wieder Transparenz, Wahrheit und Klarheit rund um den Reformprozess beschworen, aber irgendwie klappt(e) das nicht.

Effektivere Arbeit und Medaillen

Klar waren von Anfang an bei dieser Reform nur zwei Dinge: Das Ministerium forderte effektivere Arbeit und mehr Medaillen. Und: Es gibt mehr Geld, wenn der Sport die Voraussetzungen erfüllt und die Reform umgesetzt hat. Das wiederholt vor allem der Minister gebetsmühlenartig. Zuletzt bei der Vorstellung der Potas-Kommission am 8. Mai in Berlin.

Doch dieses „erst liefern – dann mehr Mittel“ nahmen die Sportvertreter offensichtlich nicht allzu ernst. Spätestens bei der Mitgliederversammlung im Dezember 2016 in Magdeburg hätten bei den Delegierten die Alarmglocken jedoch endgültig klingeln müssen. Auch dort verkündeten der Minister, der wegen der Beerdigung seines Parteifreundes Peter Hinze nicht vor Ort sein konnte, per Video und sein Staatssekretär Hans-Georg Engelke live ihr knallhartes Reform-Credo.

Was sagte Engelke damals? „Es ist nicht so, dass der Bundesinnenminister einen großen Geldtopf hat und nach Belieben daraus verteilen kann. Er ist dem Sport – und Haushaltsausschuss verantwortlich und dem Interesse des Steuerzahlers verpflichtet.“ Die Mitglieder stimmten trotzdem mit 98,6 Prozent zu, obwohl es fast bis zur letzten Minute hinter verschlossenen Türen Streit gab, der gleich nach der Abstimmung im Foyer des Hotels wieder aufflammte. Zustimmung im naiven Glauben, dass die DOSB-Führung den finanziellen Aspekt wirklich im Griff habe. Ein schwerer Irrtum. Schon im Entstehungsprozess der Reform war klar: Das BMI zieht diesmal ganz sicher  seinen harten Kurs durch, auch weil der Bundesrechnungshof mehrfach kritisiert hat, wie die Dinge im Spitzensport so gehandhabt wurden.

Im Schlingern

DOSB-Präsident Alfons Hörmann, der so was wie eine Männerfreundschaft mit de Maizière pflegt, gerne im Vier-Augen-Gespräch mit ihm plaudert, hatte bei dieser in mehrfacher Hinsicht denkwürdigen Mitgliederversammlung gesagt: „Wir sind an einem Punkt, an dem die Konturen des Konzepts ganz klar und nachvollziehbar sind, wo die Reise hingeht. Die Leitplanken sind gesetzt. Details, ob wir die Spur wechseln oder in die Kurve gehen, werden wir dann im Einzelfall festlegen.“ Das Projekt sei über zwei Jahre in einer Intensität diskutiert worden, wie es noch nie der Fall gewesen sei. „Wir stehen am Start. Wir sind bereit, das Schiff auf Kurs zu halten.“ Doch nun scheint das Schiff heftig auf Schlingerkurs.

Seit Magdeburg ist jedenfalls klar: Den Kampf um die Lufthoheit über den deutschen Sport hat das BMI eindeutig für sich entschieden. Und wenn nun im Sport geklagt und gezetert wird, dann kann man immer nur wieder fragen: Wo war die öffentliche Gegenwehr der DOSB-Häuptlinge, die zusammen mit eigenen Sportexperten an den Verhandlungstischen saßen? Die skurrilen Verbalattacken Hörmanns, die auch vor der Kanzlerin, dem Finanzminister oder den Parlamentariern nicht halt machten und stürmisch vom Fußvolk beklatscht wurden, können ja nicht als ernstzunehmende Kritik , sondern nur als peinliche Ausraster registriert werden.

Der neuerliche Briefwechsel zeigt, dass sich die Fronten zwischen BMI und DOSB noch mehr verhärtet haben, der Ton – auch öffentlich – rauer geworden ist. Auch, wenn Minister und Präsident das bei ihrer nächsten Begegnung sicher wieder vehement bestreiten werden.

Und die Verbände stecken mitten drin im Schlammassel.

Keine Spielchen

Aber eigentlich ist keine Zeit für Kindergarten–Geplärre oder taktische Spielchen. Auch nicht für Drohungen oder noch schlimmere Vorwürfe. Mit dem Umsetzen der Reform ist man ohnehin schon in Verzug, nicht zuletzt, weil sich der DOSB mit der Kandidaten-Findung für die Potas-Kommission, die ja eigentlich schon lange arbeiten sollte, Zeit gelassen hat. Oder ziemlich schwer tat. Und es wird noch etwas dauern, bis sie richtig arbeiten kann: Denn die Geschäftsstelle ist noch nicht eingerichtet. Und auf der Suche ist man außerdem nach sportfachlichem geeignetem Personal, dass auch mit mathematischen Programmen umgehen und Potenziale und Erfolgsprognosen ausrechnen kann, wenn es mit entsprechenden Daten “gefüttert “wird.

Zu bedauern sind in diesem ganzen Tohuwabohu eigentlich nur die AthletInnen und TrainerInnen, die nun zwischen Olympischen Spielen und Reformumsetzungs-Alltag auf unsicheren Pfaden wandeln und aufpassen müssen, dass sie nicht auch noch weiter zwischen die Fronten geraten.

Der DOSB-Brief wirkt wie das Gebrüll des abspringenden Tigers, der aber als Teppichvorleger wieder landet. Sollte das die letzte Zuckung der Autonomie des Sports sein, auf die der DOSB so gern verweist, wenn etwas nicht so läuft, wie er es gerne hätte? Ist das der Versuch, schon mal Schuldige auszumachen, wenn es wirklich schief geht?

Die Unabhängigkeit des Sports ist seit langem dahin – ohne die staatlichen Finanziers geht nichts mehr. „Reform ist die neue Form des Abkassierens“, schreibt der Schriftsteller Manfred Hinrich über derartige Strukturierungsprozesse. Der Eindruck könnte sich tatsächlich festsetzen, und wäre nicht so gut für das ohnehin schon weltweit in dieser Hinsicht angeschlagene Image des Sports.

Was also ist die Alternative? Weiter Crashkurs? Sicher nicht. Sich auf Fair play im gegenseitigen Umgang zu besinnen, das wäre schon mal ein Anfang.

(Die Briefe und das Verlaufsprotokoll, aus denen zitiert wird, liegen Sportspitzen vor.)