Vor der olympischen Apokalypse?

 Pyeongchang: Winterspiele versinken im juristischen Chaos / IOC von eigener Inkonsequenz eingeholt

Berlin, 7. Februar. In zwei Tagen werden im südkoreanischen Pyeongchang die Olympischen Winterspiele eröffnet. Geht es nach dem Internationalen Olympischen Komitee und seinem Präsidenten Thomas Bach, dann sollen die Tage vom 9. bis 25 Februar als die Tage der Friedensspiele in die olympischen Geschichtsbücher eingehen. Das könnte am Ende aber anders kommen, als sich das das IOC und sein Chef gedacht haben.

Am 27. September 1988 wurde Südkorea, in diesem Fall die Hauptstadt Seoul als Ausrichter der Olympischen Sommerspiele, Schauplatz eines Super-Gaus: Der Kanadier Ben Johnson hatte gerade einen Lauf über 100 m ins nächste Jahrhundert hingelegt. Umjubelt, gefeiert. Doch dieses Rekord-Rennen war Betrug: Menschliche Leistungsgrenzen wurden medizinisch und pharmakologisch manipuliert. Johnson, der Super-Held von gestern, war 24 Stunden später der Sündenbock und Prügelknabe aller. Der Mann, den das IOC als strahlendes Erfolgs-Aushängeschild für die Vermarktungsgelüste als Superstar im Duell mit dem anderen schnellen Mann Carl Lewis brauchte, war vom Sockel gefallen. Selbst der damalige IOC-Präsident Juan  Antonio Samaranch konnte den Gau nicht mehr verhindern: Der Sündenfall machte schon unter Medienvertretern die Runde, als noch versucht wurde zu dementieren. Die Olympische Bewegung hat seit diesem Skandal ein ausgeprägtes Glaubwürdigkeits-Problem.

Nun also fast dreißig Jahre später ist Südkorea wieder Gastgeber – diesmal Olympischer Winterspiele – und das Dopingproblem hat die olympische Familie und seinen Präsidenten Thomas Bach nicht nur eingeholt, sondern auch die Jahrzehnte hindurch öffentlich und intern stets wellenartig begleitet.

Weglächeln hilft nicht

Vor diesen Spielen kommt keine Freude auf. Da helfen weder launige Werbespots, nette, unbedarfte Filmchen über vermeintliche, in die Jahre gekommene Super-Frauen wie die umstrittene Eisschnellläuferin Claudia Pechstein. Oder das Lächeln der Biathletin Laura Dahlmeier und der Alpinen Viktoria Rebensburg. Fragt man sportaffine Menschen im eigenen Umfeld, merkt man schnell: Die olympische Luft ist raus, bevor das Spektakel überhaupt begonnen hat. Das IOC versucht abzulenken. In den Griff bekommen muss es Korruptionsvorürfe, Verhaftungen führender IOC-Granden und nicht nur das leidige Thema rund um das Staatsdoping der Russen, das das Komitee seit letztem Jahr und besonders vor und während der Sommerspiele in Rio 2016, in die Argumentations- und Handlungsbredouille brachte.

Kim kam zu Hilfe

Aber wie sollte das gehen? Nun, da kam Thomas Bach und seinem inneren Zirkel wieder einmal ein Diktator, in Gestalt des Nordkoreaners Kim Jong-un mehr oder weniger unfreiwillig zur Hilfe. Kim nutzt die olympische Plattform für einen neuen Anlauf, mit Südkorea wieder ins Gespräch zu kommen und zugleich um sein Böse-Buben-Image weltweit zu korrigieren: Nun dürfen Nord-und Südkoreaner u.a in einer Frauen-Eishockeymannschaft spielen und hinter einer neutralen Flagge gemeinsam wie in Turin 2006 zur Eröffnungsfeier einlaufen. Die selbsternannten „Friedensengel“ im IOC möchten dies nun als eigenen Erfolg in Anspruch nehmen. Das wird ihnen mitnichten gelingen.

Der politische Versuchsballon zeigt zwar, dass die Spiele wenigstens noch als Vehikel für heikle Missionen taugen. Der US-amerikanische Außenminister Rex Tillerson zum Beispiel schließt am Rande der Spiele Gespräche mit den Nordkoreanern nicht aus. Aber das ist eine andere Welt, auch wenn Thomas Bach sich gerne in der Nähe der Großen und Mächtigen aufhält. Das ist nicht sein Spiel. Und er hat ja auch anderes zu tun. Sich zum Beispiel um den olympischen Frieden zu kümmern.

Denn die Funktionäre sind diejenigen, die durch ihre Konsequenz in ihrem inkonsequenten Handeln sowie fragwürdiges und korruptes Verhalten für Misstrauen und Unfrieden in ihrer doch so viel gepriesenen olympischen Familie gesorgt haben. Man kann nicht sagen, dass Thomas Bach die Probleme nicht erkannt hat, die es anzugehen gilt, um das Unternehmen Olympia flott, ertrag-, einflussreich und medial attraktiv zu machen: Die „20 plus 20 Empfehlungen für die Zukunftsgestaltung der Olympischen Bewegung“, die, nachdem sie in Monaco im Dezember 2014 verabschiedet wurden, mit unkritischer Begeisterung auch teilweise von Medien als wegweisend gefeiert wurden, sind bei genauem Hinsehen elastische Phrasen mit flexiblen Interpretationsmöglichkeiten.

Empfehlungen

Beispiel: Doping-Problematik und sauberer Athlet. Titel der Empfehlung 15 in der Agenda: „Philosophie zum Schutz sauberer Athleten ändern.“ Und dann heißt es: „Das oberste Ziel des IOC besteht im Schutz sauberer Athleten.“ Ist das nicht selbstverständlich?

Und die Empfehlung 17 lautet: „Saubere Athleten würdigen“. Gemeint ist folgendes: „Saubere Athleten, die nach einem Doping-Vorfall mit einer olympischen Medaille ausgezeichnet werden, werden gewürdigt: 1) Es wird eine offizielle Zeremonie zu Ehren von Medaillengewinnern organisiert, die ihre Olympiamedaille in Folge der Disqualifizierung eines Wettbewerbers erhalten. 2) Über diese Zeremonie wird von allen Beteiligten in angemessener Form berichtet.“

Wenn „saubere Athleten“ nach den jüngsten Ereignissen nicht hier schon einen Lachkrampf bekommen, dann ist das spätestens bei der Empfehlung 18 der Fall: Titel: Athleten stärker unterstützen. „Athleten werden stärker unterstützt, 1) Das IOC stellt die Athleten-Erfahrungen in den Mittelpunkt der Olympischen Spiele.“ Und: „Das IOC unterstützt Athleten auf und neben dem Spielfeld stärker als bisher.“ Da haben wohl AthletInnen, die etwa in der IOC-Athletenkommission zu Gange waren oder sind, ganz andere Erfahrungen gemacht. Oder diejenigen, die für sauberen Sport stehen wie die Whistleblowerin Julia Stepanowa.

Langläufer im Visier

Doping ist das alles überschattende Thema dieser kommenden Spiele. Nicht zuletzt auch deshalb, weil nun die russischen Sportler, die das IOC bisher gesperrt hatte, vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS gezogen sind, wo fast alle mangels individueller Beweise freigesprochen wurden. Sie wollen erneut vor dem CAS das Startrecht einklagen. Und da sind dann noch die Langläufer mal wieder im Fokus. Ein Recherche-Netzwerk wurde von einer Person aus dem inner circle des Internationalen Skiverbandes (FIS) gebrieft. Der Informat gab eine Liste weiter. In der geht es um auffallend hohe Blutwerte, die auf Doping hinweisen, wie der recherchierende „Doping-Fahnder“ Hajo Seppelt sagt. Deshalb kamen die Langläufer – und diesmal nicht nur die russischen – in die Schlagzeilen, die ihnen sicher nicht gelegen kommen.

Und was zu heftigem Widerspruch führt: Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, selbst lange Präsident des nationalen Skiverbandes (DSV), war im Bayerischen Rundfunk Gast im „Blickpunkt Sport“ und lieferte sich mit dem zugeschalteten Seppelt dazu einen Schlagabtausch. Der war ein Beispiel dafür, wie die Doping-Diskussion mittlerweile geführt wird: Journalistische Ankläger einerseits, auf deren Recherchearbeit viele Enthüllungen basieren. Und ohne die es vermutlich keine Aufklärung gäbe. Gereizte Funktionäre, die erst einmal Namen wollen, bevor sie einer Sache nachgehen.

Übrigens: Der ehemalige Biathlet Peter Angerer saß mit im Studio und sagte kein einziges Wort… Dagegen widersprach der einstige Langläufer und deren späterer Bundestrainer Jochen Behle heftig der neuesten „Wahrscheinlichkeits-Berichterstattung“. “Ich lege meine Hand für meine damaligen Athleten ins Feuer“, sagte er in der Hessenschau. In der Datenbank, in der 10 000 Bluttests von rund 2000 Langläufern aufgeführt sind, sollen 290 SportlerInnen wegen abnormaler Ergebnisse aufgefallen sein. Darunter auch 22 Deutsche.

Geister und Medaillen

Apropos deutscher Skilanglauf: Erinnert sich noch jemand an Johann Müllegg, den Allgäuer, der mit Hilfe einer Geisterbeschwörerin und Wunderheilerin 2002 in Lake Placid kurzzeitig olympisches Gold holte? Allerdings für Spanien, weil sich Mühlegg mit DSV-Trainern und Funktionären wiederholt und dann endgültig verkracht hatte. Der „Spiegel“ ärgerte sich damals unter dem Titel “Der verlorene Sohn“ darüber, „dass Deutschland diesen komplizierten Mann nicht ertragen konnte.“ Aber nur kurz: Denn er sorgte ebenfalls für einen olympischen Doping-Gau: Der 31-Jährige stampfte zunächst die Konkurrenz in den US-amerikanischen Loipen in Grund und Boden, holte Gold über 10, 30 und 50 Kilometer., nahm die  Glückwünsche des spanischen Königs Juan Carlos entgegen . Und flog auf: Der Test nach dem zweiten Rennen war positiv.

Mit welchen Gefühlen also werden die „sauberen AthletInnen“ nun in Pyeongchang an den Start gehen? Ist der oder die neben mir sauber? Ist die Medaille verdient? Gestern noch schwer erkältet, heute im Siegesrausch? Das Vertrauen ist dahin, die Zweifel wachsen. Und manchmal auch die Verzweiflung.

Auch beim Publikum. Viele haben keinen „Bock auf den olympischen Beschiss“, fasst ein junger Mann bei einer Straßenumfrage die überwiegende Meinung zum Interesse an Olympia vor dem Fernseher zusammen. Vielen Dank auch ihr Herrn und Damen der Ringe!

Geldmaschine Olympia

Nicht nur sportaffine Zuschauer sind von dem Treiben auf dem Olymp angewidert. Auch immer mehr Athleten oder Trainer sehen die olympische Entwicklung sehr kritisch. Der Alpin-Chef des DSV, Wolfgang Maier, hat die Faxen dicke. Bei einem Symposium in Kitzbühel ist sich der Trainer sicher, dass „wenn wir so weiter machen, Olympia stirbt“. Und macht auch die Schuldigen dafür aus: „Der Tod dieser großen Sportveranstaltung ist der heutige Sportfunktionär.“

Felix Neureuther, der wegen einer Verletzung nicht teilnehmen wird, aber als TV-Experte doch dabei ist, stimmt Maier zu: „Ich finde es schade, dass die Spiele so kommerzialisiert werden. Viele Leute denken doch eh nur noch, dass die Kohle ans IOC geht, genau wie bei der FIFA – das hängt in den Köpfen der Menschen. Das ganze System und die Funktionäre sind so eingefahren. Klar bin ich enttäuscht von Bach. Wenn er schon nichts ändern kann, sieht man doch, wie eingefahren und kaputt das System sein muss.“ Markus Wasmeier, nicht nur Olympiasieger, sondern leidenschaftlicher Verfechter der olympischen Werte, wirkt fast deprimiert, wenn er sagt: „ Heute sind die Sportler doch nur noch Mittel zum Geld-Zweck. Die Hoffnungen, die wir in Bach gesetzt haben wurden schwer enttäuscht. Er hat nichts verbessert. Im Gegenteil – das IOC ist eine Geldmaschine.“

Und von dieser Geldmaschine bekommen die SportlerInnen das wenigste ab, wie etwa der Nordische Kombinierer Johannes Rydzek, sein Cheftrainer Hermann Weinbuch oder der ehemalige Skispringer Martin Schmitt in der „Bild-Zeitung“ bedauern. Aber das ist noch ein anderes Thema.

Kritische Dauerbrenner neben Doping bei Olympischen Spielen sind ja seit langem die Vorgaben für die Ausrichter, die in einem sogenannten Host-City-Vertrag vom IOC diktiert werden.

Da sind die internationalen Verbände und ihre Ansprüche: Etwa wie Pisten oder eine Sprunganlage auszusehen haben, wie groß die Zuschauer-Kapazität im Eisstadion sein muss. Genug Hotels, reibungloser Verkehrsfluss, Steuererleichterungen, IOC-genehme Werbe- und Sponsorenrichtlinen – die Ausrichter schlucken alles, um ein Spektakel, das seinen Glanz verloren hat und kaum noch einer will, zu veranstalten, von dem sie sich – ja was? versprechen. Image, Bekanntheit, Tourismus-Zuwachs?

Schon der Bewerbungs-Prozess bringt manche Kandidaten an finanzielle Grenzen. Und wenn sie dann den Zuschlag haben, flaut die Begeisterung – natürlich nur hinter den Kulissen – schnell ab: das Budget explodiert, Eingriffe in die Umwelt werden heftiger als vorher eingestanden Und mit der Nachhaltigkeit steht es auch nicht zum Besten: In Pyeongchang wusste man schon während des Baus des Eisstadions, dass es wohl nach den 16 olympischen Tagen mangels Nutzung wieder abgerissen wird. Und auch die Piste wird wohl wenige Skifahrer locken, weil sie zu steil angelegt wurde – eine Renn-Autobahn, für die man viel Natur geopfert hat.

Verheerende Auswirkungen

Christoph Gaffney beschäftigt sich seit langem mit den Auswirkungen olympischer Spiele auf Städte und Regionen. Der Stadtentwicklungs-Experte aus den USA zieht den ernüchternden Schluss: „Alle Olympischen Spiele haben unter dem Strich verheerende Auswirkungen.“ Beispiele für die Richtigkeit dieses Fazits gibt es viele.

Die Risiken tragen nach wie vor die Ausrichter. Davon könnten beispielsweise die Kämmerer von Olympiastädten wie Athen, Montreal, Turin oder Peking einiges erzählen. Der große Gewinner heißt IOC, Verlierer sind Steuerzahler und Stadt oder Region. Nicht nur Rio läßt grüßen! Ein Blick in die Agenda 2020 des IOC über Nachhaltigkeit und Partnerschaft ist auch da sehr aufschlußreich.

Es ist den Koreanern nicht nur in und um Pyeongchang zu wünschen, dass ihnen wenigstens keine politischen Störmanöver ihre Olympiastimmung verhageln.

Über Sport redet wenige Stunden vor der Eröffnungsfeier niemand. Es scheint, als ob das IOC samt seinem Präsidenten nun von juristischen Gemetzeln aus den Angeln gehoben wird. Der innere olympische Friede ist dahin. Nicht nur die öffentliche Kritik spricht von Chaos. Auch aus den eigenen IOC-Reihen werden die kritischen Stimmen zum Krisen-Managment heftiger und lauter. Ob dem Juristen Bach nun noch eine Taktik einfällt, um einer totalen Bankrotterklärung zu entgehen?

Oder ist das nun der Anfang der olympischen Apokalypse?