Ärger und Frust über BMI wegen Sport-Entwicklungsplan
Berlin, 15. Februar. Begeistert zeigten sich die Sportorganisationen im November 2021 über die Entscheidung der Ampelparteien, einen Entwicklungsplan Sport zu erarbeiten. Und auch der erste Bewegungsgipfel am 13. Dezember 2022 gab noch Anlass zu der Hoffnung, dass daraus ein zukunftsbezogenes Modell für den Sport in allen Facetten werden könnte.
Nun löst der vorliegende Entwicklungsplan Sport, datiert vom 17. Januar 2024, unter Federführung des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat (BMI) verfasst, vor allem Ärger und Frust aus. Ob der so vorliegende Entwurf tatsächlich beim zweiten Bewegungsgipfel am 12. März in Berlin von Seiten des Sports unterzeichnet wird, scheint mehr als fraglich.
„Kein Plan beim Sport-Entwicklungsplan“, heißt es. Mal wieder ist ein Versuch gescheitert, ist eine Chance vertan, den organisierten deutschen Sport neu aufzustellen, ihn auf Ballhöhe zu bringen. Und damit vielleicht auch das zu formen, was man ja gerne sein möchte: Eine Sportnation. Ja, die Freude war groß, als die Koalition einen Sport-Entwicklungsplan ankündigte. Eine ganzheitliche Gestaltung von der Breite (Vereinssport) bis zur Spitze (Hochleistungssport) stellten sich Optimisten da vor, ein in sich greifendes, koordiniertes Sportsystem in einer nachhaltig geförderten und sanierten Infrastruktur. Nach Jahren der Vernachlässigung auch durch die alte Führung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) endlich ein Aufwind für Breiten- und Vereinssport.
Was war da zu lesen? „Sport lebt vom Ehrenamt, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist Mittler für demokratische Werte. Wir erarbeiten unter breiter Beteiligung einen ‚Entwicklungsplan Sport’ und weiten die Offensive für Investitionen in Sportstätten von Kommunen und Vereinen unter Beachtung von Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und Inklusion aus und berücksichtigen insbesondere Schwimmbäder stärker. Bei der Sportförderung berücksichtigen wir den besonderen Bedarf von Behindertensport. Wir fördern den Neustart des Breitensports nach Corona weiter“, heißt es in dem Koalitionspapier. Ambitioniert visierte der Bund nun also den organisierten Vereinssport in seiner gesamten Breite an – ein von ihm bisher nicht bearbeitetes Terrain. Und betrat offensichtlich unbekanntes Land.
Schnell abmoderiert
Die Freude dauerte nicht lange. Kaum hatten sich die fünf Arbeitsgemeinschaften (AG) gefunden, gab es die ersten Anzeichen von Frust. „Schon ziemlich bald wurde in meiner AG deutlich, dass die Vertreter der Bundesregierung den Gestaltungsanspruch der anderen Teilnehmer unter dem Hinweis auf das Kleingedruckte und Finanzierung relativ schnell abmoderierten“, so ein AG-Mitglied. „Es war nach kurzer Zeit nicht zu übersehen, dass Diskussionen im Nirwana endeten, wenn kein politisch substanzieller und verpflichtender Beitrag geliefert wird, Handlungsgrenzen durch den Hinweis ‚unter Leitungsvorbehalt’ gezogen werden“, berichtet ein anderer Teilnehmer.
Der vorliegende Entwurf sei ein Sammelsurium von sicher interessanten, aber auch alten Ideen – und ein Beleg der Unverbindlichkeit. Zumindest im Bezug auf den Bund. Denn in nahezu keinem Teil dieses „verwässerten“ Planes gebe es Hinweise, dass dieser seinem eigenen Anspruch gerecht wird, konkret Verbindlichkeiten oder gar Verantwortung übernimmt, so die Kritik aus den Landessportbünden oder etwa von den Sportreferenten der Länder. Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landessportverbandes und Sprecher der Landessportbünde, bestätigt auf Anfrage, dass die Kritik aus dem KollegInnenkreis an dem Plan sehr heftig sei. Und nicht nur von da.
Ausgebremst
Und die Verärgerung vor allem derer, die mit viel Einsatz und Zeit in den Arbeitsgruppen mitgewirkt haben, ist groß: Sie seien nicht nur von den VertreterInnen der verschiedenen Bundesressorts immer wieder ausgebremst worden. Auch seien viele Inhalte mit dem Hinweis „nicht finanzierbar“ abgebügelt worden. Beteiligungsprozesse auf Augenhöhe sähen anders aus. „Natürlich haben wir Verständnis, dass man nach dem BGH-Urteil zur Schuldenbremse nicht erwarten kann, dass nun gleich alles finanziert und umgesetzt wird. Da könnte man ja Prioritäten setzen.“ Aber auch das sei irgendwie nicht möglich gewesen. Von der Absichtserklärung einer Investitions-Offensive für nachhaltige Sportstätten von Kommunen und Vereinen oder gar der besonderen Berücksichtigung von Schwimmbädern bei der Förderung sei so gut wie nichts übrig geblieben.
2019 hatte der damalige Bundesinnen- und Sportminister Horst Seehofer bei der Mitgliederversammlung in Frankfurt am Main für die „Nachricht des Tages“ gesorgt, so der damalige DOSB-Präsident und CSU-Parteifreund Alfons Hörmann, als er ankündigte, einen neuen Goldenen Plan als Antwort auf „gesellschafts- und klimapolitische Fragen“ in Auftrag zu geben.
Eine Pandemie und eine neue Bundesregierung im Krisenmodus später hat sich dieses Vorhaben offensichtlich erledigt. Bis auf 200 Millionen Euro, mit denen vorliegende Anträge für Sportstätten abgearbeitet werden sollen. „Dieser wichtige Förderbereich ist damit auf einem für den organisierten Sport deprimierenden Tief angelangt“, so der sportpolitisch sehr erfahrene Vorstandsvorsitzende des LSB Nordrhein-Westfalen, Christoph Niessen.
Keine Prioritäten, keine Umsetzungsvorstellung
Nicht nur Beteiligte und Betroffene intern, sondern auch externe Beobachter und SportwissenschaftlerInnen sehen gewisse Parallelen zum Gezackere um die Spitzensportförderung. Die Ziele, die man in diesem Entwicklungsplan Sport nun erreichen wollte, wenn sie denn überhaupt explizit erkennbar waren, sind ebenso unklar wie Prioritäten, geschweige denn ist zu erkennen, wie die Umsetzung erfolgen soll.
Dass der Bund, wie schon beim Spitzensportkonzept, die Führungsrolle (allerdings ohne finanzielles Engagement und inhaltliche Kompetenz) übernehmen will – Autonomie des Sports hin oder her –, wird deutlich bei dem Vorhaben, eine „dauerhafte Kooperationsstelle Entwicklungsplan Sport“ einzurichten. Die soll „koordinierende und begleitende Aufgaben übernehmen“. Wie die nun verbindlich und genau aussehen soll, ist eher vage beschrieben. Wenn man Sätze liest wie: „Daher übernimmt das BMI es auch, die Umsetzung des Entwicklungsplans Sport zu begleiten – und sollte es erforderlich sein – einzufordern. Zu diesem Zweck erfolgt eine Verstetigung des Bewegungsgipfels, der künftig als Abstimmungs- und Entscheidungsplattform der Leitungsebenen von Bund, Ländern, Kommunalverbänden und organisiertem Sport zusammentreten soll.“ Das hört sich nach Zeitaufwand und weiterer Bürokratie an.
Ressortübergreifend
Eigentlich wollte man mit diesem Plan den Sport nun endlich ressortübergreifend behandeln. Das ist ein alter Wunsch der Sportverantwortlichen. Gerade nach Corona, wo von Politikern aller Couleur immer wieder betont wurde, wie wichtig Bewegung für geistige und körperliche Befindlichkeit der Bevölkerung ist, wurde das Ansinnen registriert, dass SportvertreterInnen mit Bildungs- und GesundheitspolitikerInnen, StadtentwicklerInnen und FamilienpolitikerInnen am Entscheidungs-Tisch sitzen müssen. Aber auch ein Gesundheitsminister Karl Lauterbach, der beim ersten Bewegungsgipfel im Trainingsanzug auftrat und damit die Wichtigkeit zwischen Gesundheit und Sport/Bewegung unterstreichen wollte – blieb nur ein Ankündigungssymbol.
Hauruck-Verfahren
Nun also ein weiterer Versuch von BMI und DOSB, den organisierten Sport neu aufzustellen. Und man muss leider konstatieren – aus Fehlern wurde nichts gelernt. In einer Art Hauruck-Verfahren wurde der Plan angegangen, ohne zu wissen, wo man hin will: Wollte man nun ein wirklich zukunftsweisendes, anspruchsvolles Sportpapier? Oder ein Aktionsprogramm? Schon die Ausgangslage und der Anspruch der Politik sind nicht nur diffus, sondern der Eindruck verstärkt sich, dass über den Sport, seine Struktur und vor allem Projekte und Arbeit teilweise derzeit auf politischer Seite viel Unkenntnis herrscht. Und noch immer gibt es offensichtlich im BMI eine Grundskepsis gegenüber den Sportorganisationen und dem Dachverband DOSB, dass die Sportverantwortlichen es nicht können und deshalb der Bund übernehmen müsse, um zentral zu steuern, obwohl (oder weil?) der Sport eine Querschnittsaufgabe ist, die alle betrifft: Bund, Länder, Kommune und Zivilgesellschaft.
Spannend, was sich hinter den Kulissen bis zum Bewegungsgipfel am 12. März in Berlin noch tut. Und ob der DOSB unterschreiben wird. „Selbst bei der optimistischsten Haltung gegenüber dem Plan bleibt nicht genug übrig, um da zu unterschreiben“, sagen die Kritiker aus dem Sport. Und: „Alleine eine Koordinationsstelle des BMI, die alles mögliche einfordern kann, aber selbst unverbindlich bleibt, löst bei mir Pickel aus.“ Sportpolitisch sei das ein verheerendes Signal. Nach anfänglicher Euphorie droht nun wieder einmal ein Scheitern mit Ansage.