Die Sportpolitik muss üben, üben, üben

LSB-Präsident Thomas Härtel über das Scheitern des BMI-Entwicklungsplans

Berlin, 22. Februar. Zurückgezogen hat das Bundesministerium des Inneren und für Heimat, zuständig auch für den Sport, den höchst umstrittenen und kritisierten Entwicklungsplan Sport, der auf dem 2. Bewegungsgipfel am 12.März in Berlin unterschrieben werden sollte. Mit dem Präsidenten des Landessportbundes Berlin, Thomas Härtel, sprach sportspitze darüber, warum der Plan scheiterte und was sportpolitisch am Ende dieser Legislatur zu erwarten ist. Übrigens hat der Berliner LSB seine Teilnahme am Bewegungsgipfel  abgesagt. Es wird wohl nicht die einzige Absage bleiben.

Herr Härtel, nach heftiger Kritik der Länder, den Landessportbünden und dem DOSB hat das BMI den Sportentwicklungsplan-Entwurf zurückgezogen. Die Rücknahme dürfte Sie ja nicht überrascht haben – unter einem Sportentwicklungsplan haben sich die meisten etwas anderes vorgestellt als ein Sammelsurium alter Ideen.

Härtel: Der Ansatz, einen Sportentwicklungsplan anzugehen, war ja richtig. Ein Gesamtbild vom Sport mit seinen vielfältigen sportlichen und gesellschaftlichen Aktivitäten und Möglichkeiten in der Bundesrepublik auf allen Ebenen zu erstellen, ist längst überfällig. In unserem föderalen Land sind die Zuständigkeiten für den Sport unterschiedlich und kompliziert: Kommunen, Landkreise, Länder und Bund – alle sind irgendwie für den Sport zuständig. Das müssten die BMI-Verantwortlichen eigentlich wissen. Das BMI ist aus der Historie heraus nur für den Leistungssport zuständig. Und für alles andere die Länder.

Im Sportentwicklungsplan ist das BMI nun mit diesen Zuständigkeiten konfrontiert, formuliert aber an den Sport und an die Länder eine Erwartungshaltung, Aufgaben zu erfüllen, bei denen das Ministerium selbst weder ein Durchgriffsrecht, geschweige denn Finanzierungsmöglichkeiten hat, weil das eben Ländersache ist.Und ein zielorientiertes Abstimmungsformat mit den Ländern ist nicht erkennbar.

Das ist aber nun keine neue Erkenntnis: Zuständigkeitsgerangel gehört ja fast zum guten Ton zwischen DOSB und BMI.

Härtel: Ja, aber mit dem Hin- und Hergeschiebe von Zuständigkeiten und Verantwortungsgelaber kommen wir doch nicht weiter. Und erst recht ist das keine Voraussetzung, einen vernünftigen Sportentwicklungsplan zu gestalten. Da sind Vorarbeiten vonnöten. Etwa eine Bestandsaufnahme: Was haben wir vorliegen, was ist in der Verantwortung der Länder und Kommunen, was kann ich in meiner Verantwortung tun und muss ich auch sicherstellen? Das sind Fragen, die man klären muss. Und es geht um die Schnittpunkte, wo alle Beteiligten gemeinsam Lösungsmöglichkeiten anbieten müssen, um den Sport zu unterstützen und nach vorne zu bringen. Der Bund kann nicht einfach ein gemeinsames Projekt angehen und dann sagen: Moment, Klappe, Cut, jetzt seid ihr wieder dran. Man muss klare Vereinbarungen und Zuordnungen der Zuständigkeiten und Verantwortung festlegen, sich auf Kernbotschaften und Inhalte einigen, die man gemeinsam angehen will. Da sind wir ja noch längst nicht.

Woran oder an wem liegt das?

Härtel: Das BMI sollte mit diesem Sportentwicklungsplan einen Aufschlag machen. Und dieser Aufschlag ist total misslungen. Das muss man leider so klar und deutlich sagen. Das Papier, das vorgelegt wurde, war nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Dingen nach dem Motto „Wünsch Dir was“ mit Beispielen aus verschiedenen LSBs, die als „best practice“ funktionieren, aber es fehlt der Überbau, die Einordnung. So taugt dieser Entwurf nicht als allgemeine Grundlage für einen nachhaltigen Entwicklungsplan, zu dessen Zielen sich jeder in seiner Verantwortung klar bekennt. Das ist der entscheidende Fehler.

Der Entwurf lässt auch offen, was das Ziel des Sportentwicklungsplans sein soll?

Härtel: So ist es. Dem Papier fehlt eine Präambel, in der steht: Warum machen wir einen Entwicklungsplan? Und: Welchen Stellenwert hat Sport in der Bundesrepublik nach Corona, was bedeutet der Sport für unsere Gesellschaft, wie sieht die Zukunft des deutschen Sports aus?

Viele haben ja erwartet, dass dieser Plan ein „ganzheitliches Konzept“ wird- also von der Kita über Schule, Verein, Talentsichtung, Nachwuchsförderung, Spitzensport, Safe Sport, Freizeit- und Gesundheitssport und und und… – die DOSB-Mitgliederversammlung in Frankfurt hat das aber nicht so formuliert.

Härtel: Ja, das muss ich selbstkritisch sagen. Wir als Sport haben in dem Plan unsere Erwartungshaltung formuliert. Und da steht dann so ein Satz: „ Parallel dazu laufen die entsprechenden Diskussionen über Leistungssport, Safe Sport und Olympia.“ Unser Credo lautet aber: „Leistungssport geht nicht ohne Breitensport und umgekehrt.“ Und das wird mit so einem Satz konterkariert. Wir müssen alles zusammen denken. In dem Papier wurde kein Kontext hergestellt, etwa zur gesellschaftlichen Bedeutung des Safe Sport oder zur Rolle und gesellschaftlichen Bedeutung des Leistungssports. Die vielfältige Ausrichtung des Sports ist nicht erkennbar.

Den Sport ressortübergreifend denken und behandeln ist ja ein lang ersehnter Wunsch von Ihnen und vielen anderen Sportverantwortlichen. Warum klappte das auch diesmal nicht?

Härtel: Es muss um klare Aufgabenbeschreibungen gehen und erklärt werden, warum der Sport ressortübergreifend betrachtet und behandelt werden sollte.Diese Aussage hätte ich als Kernbotschaft vom Ministerium fundiert und mit klaren politischen Zielen erwartet. Es geht um nachhaltig angelegte Verantwortlichkeiten und transparente Strukturen und weniger um die Initiierung einer „auf Dauer angelegten Kampagne“, wie es in dem Entwurf des Ministeriums formuliert ist.

Ob Bildung, Gesundheit, Bau, Soziales – das sind Bereiche, die alle eine Sportaffinität haben. Ich bin ja froh, wenn Gesundheitsminister Karl Lauterbach sich mal zum Sport äußert. Aber wenn das BMI nun ein Papier vorlegt, bei dem man nicht einmal eine zwischenministerielle Abstimmung hinbekommen hat, bringt das gar nichts. Es gibt nur Hinweise in dem Entwurf, dass der Sport in anderen Ressorts durchaus eine Rolle spielt. Was soll der Sport mit so einer Aussage anfangen?

Es hat ja relativ schnell gegrummelt, als man in den AGs an den Tischen saß. Warum haben denn der DOSB und die LSBs nicht schon früher die Notbremse gezogen, wenn man gesehen hat, dass es nicht gut läuft? Kritik aus den AGs gab es, etwa, dass die BMI-Vertreter in den AGs Vorschläge mit dem Hinweis „nicht finanzierbar“ gleich abgeräumt haben.

Härtel: Ja, natürlich gab es die Hinweise. Der Ruf nach einer sofortigen Finanzierungsaussage geht jetzt aber doch ins Leere. Erstmal braucht es eine klare Botschaft, eine Grundlage, wohin der deutsche Sport mit seinen vielfältigen Facetten hinsteuern soll. Wenn darüber Einigkeit herrscht, dann wird über Schwerpunkte und eine gegebenenfalls erforderliche Finanzierung abgestimmt. Die bekomme ich ja nicht per Zuruf, nach einem gerade beschlossenen Haushalt. Viel wichtiger wäre, dass etwa das Bundesgesundheitsministerium selbstverständlich auch den größten Anbieter im Bereich der gesundheitlichen Prävention im Fokus hat und überlegt, welche Förderprogramme im Haus mit dem Angebot des Sports kompatibel sind.

Also Sport in der Politik mitdenken. Da hatte man ja nach Corona gedacht, das wäre nun so. Es gab ein großes Bohei um den Bewegungsgipfel, der vom DOSB gefordert wurde. In vielen Sonntagsreden beteuerten Politiker, dass man die Folgen des Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen durch Corona und die Bedeutung des Sports jetzt wirklich erkannt habe, aber die Konsequenzen, die man daraus ziehen wollte, sind ja in diesem Plan auch nicht zu erkennen.

Härtel: Nach Corona ist im Sport, in den Vereinen und Landessportbünden viel gemacht worden. Wir haben Mitgliederzuwachs, weil die Menschen selbst erkannt haben nach den langen Lockdowns, dass ihnen Bewegung gut tut. Und die finden sie jetzt in Vereinen.Und diese Angebote und Projekte finden sich nun als Sammelsurium in dem BMI-Papier wieder. Das hat doch alles nichts mit einem abgestimmten Entwicklungsplan zu tun. Das BMI hatte, wie schon gesagt, bisher immer nur den Leistungssport im Blick und den eigenen Etat.

Und es hat nicht die Bereitschaft erkennen lassen, sich mit den anderen Ministerien in einen Abstimmungsprozess zu begeben. Das liegt an der Einstellung und Denkweise der jeweils handelnden Personen. Da muss ich wieder selbstkritisch sagen: Auch wir haben im Sport eine Art Säulen-Denken: Leistungssport, Breitensport, Safe Sport, Olympisches. Das gehört alles zusammen und ist mit dem Prozess eines Entwicklungsplanes unmittelbar verknüpft.

Es ist ja nun leider keine neue Erfahrung, dass sich DOSB und BMI mit Konzepten oder Plänen schwer tun. Warum eigentlich?

Härtel: Hier hat offensichtlich die BMI-Abteilung Sport alles mögliche zum Thema Sport zusammentragen. Und so schreibt man ein Papier losgelöst von der übrigen Welt zusammen.  Heraus kommt dann eben ein Sammelsurium von Einzelprojekten, die in skurrile Zusammenhänge gestellt werden.

Das Papier wurde jetzt zurückgezogen. Wie wurde das begründet? Und wie geht es weiter?

Härtel: Es soll intern ein Entwurf gemacht werden, der erstmal zur Mitzeichnung den anderen Ministerien vorgelegt werden soll. Das ist ja auch richtig, die Ministerien müssen sich mal outen, wie sie zum Sport und einem ressortübergreifenden Ansatz stehen. Danach kann das BMI mit dem DOSB und den Arbeitsgruppen Schwerpunktthemen erarbeiten und ein vernünftiges Papier entwickeln.

Politiker und Sportfunktionäre reden gerne von der Sportnation Deutschland. Um dafür eine Philosophie zu entwickeln, die beinhaltet, zu einer Sportnation zu wachsen, was braucht es denn da in diesem Entwicklungsplan?

rtel: Immer die politische Bereitschaft – vor allem von der Spitze ganz oben – den Sport in seiner Vielfalt zu akzeptieren, ihn auch außerhalb von Festreden anzuerkennen. Das würde ich mir wünschen.

Es wird ja immer viel erzählt und versprochen bei Sportveranstaltungen. Und wenn man dann wieder im Ministerium sitzt, ist oft alles schnell vergessen. Es wäre spannend, mal eine Rede vom Bewegungsgipfel zu sezieren, um festzustellen, was von dem, was da angekündigt wurde, wirklich umgesetzt ist. Auch der DOSB beziehungsweise wir alle im Sport müssen endlich den Sport in Gänze denken.

Die Erwartungen in eine neue Sportpolitik waren nach dem Regierungswechsel groß. Die neuen Teams im DOSB und BMI enttäuschten aber, haben eine magere Bilanz bisher vorzuweisen. Was ist noch zu erwarten im Bezug auf Spitzensportreform, Sportfördergesetz oder mögliche Olympiabewerbung?

Härtel: Also erst möchte ich doch loben, dass das Restart-Programm positiv zu bewerten ist. Ansonsten gibt es viele Baustellen: Und Sportfunktionären und Sportpolitikern ist nur zu empfehlen: Üben, üben, üben…mit einem klaren Ziel vor Augen! Neben dem Sportentwicklungsplan fehlt nach wie vor der Entwurf des Sportfördergesetzes, das Voraussetzung für die  vielfältigen Herausforderungen im Sport ist. Mit der Sportagentur kommen wir nicht weiter, und jetzt stehen erstmal die Olympischen und Paralympische Spiele in Paris vor der Tür. Für eine mögliche Olympiabewerbung fehlt eine klare Aussage des Bundesinnenministeriums beziehungsweise der Bundesregierung, ob es den DOSB dabei unterstützt.

Uns läuft in jeder Hinsicht die Zeit davon. Meine Befürchtung ist, dass wir am Ende dieser Wahlperiode ohne konkrete Ergebnisse dastehen. 2025 sind Bundestagswahlen. Und alles, was bis Herbst nicht den Bundestag erreicht, wird nicht mehr entschieden. Die Quintessenz aus allem heißt: Ziel nicht erreicht! Ich bin auch persönlich sehr enttäuscht, und es bricht mir das Herz, dass ein von der SPD geführtes Ministerium nicht erkannt hat, was mit Sport als gesellschaftliches Thema in seiner ganzen Breite und Vielfalt erreicht werden könnte.