Winterspiele von Peking – eine spooky Show

Olympia-Bilanz: Die Kulturrevolution blieb aus/ Kotau eines devoten IOC

Berlin. 20. Februar. Die Olympischen Winterspiele in Peking 2022 sind mit viel Pathos und Kitsch zu Ende gegangen. Sie werden in die Annalen als die Spiele eingehen, bei denen der olympischen Bewegung nun endgültig das Licht ausgeknipst wurde. Die Spiele Coubertins, der einige Werte für unabdingbar hielt, um die olympische Idee glaubwürdig umzusetzen, sind definitiv verkommen zur politischen Propaganda-Plattform, verbunden mit ökonomischen, kommerziellen und medialen Lobbyinteressen. Und die Hoffnung, dass eine überzeugende Kurskorrektur eingeleitet wird, ist klein – auch wenn die nächsten Gastgeber der Sommerspiele Paris und der Winterspiele Mailand/Cortina d‘Ampezzo heißen. Der Kommerz, die mediale Vermarktung werden sicher nicht weniger. Und ob es mit der Nachhaltigkeit am Ende so laufen wird, wie erwünscht?

Was hatten der Fan oder der Beobachter nun von diesen Pekinger Spielen erwartet, nachdem er die Berichterstattung im Vorfeld verfolgte? Permanente Empörung über Menschenrechtsverletzungen, Überwachungen und die allgegenwärtigen Corona-Kontrollen? Tapfere Rebellen im Trainingsanzug? Offene Kritik von FunktionärInnen? Erhalten Sie sich Ihren Kinderglauben! Business as usual. Viele AthletInnen haben sich ihre Kritik für zuhause aufgehoben. Athleten Deutschland fasste seine altbekannte Kritik und Forderungen in einer Pressemitteilung nochmal zusammen.

Wer drei Wochen lang die Übertragungen aus dem Reich der Mitte verfolgte, der landete in einer spooky Show: Mal kurz weg von der Politik. Wie grotesk die Winterspiele mittlerweile sind, zeigt, dass SkiläuferInnen mit dem Naturprodukt Schnee gar nicht mehr zurecht kommen. Da werden Pisten, Loipen und Schanzen in ein Naturschutzgebiet getackert, und dann fallen entgegen der berechneten meteorologischen Annahmen nach 16 Jahren zum ersten Mal wieder die Flocken. Und das auf präparierte Pisten und Loipen, die AthletInnen und Organisation vor Probleme stellen – die einen, weil sie auf Naturschnee nicht mehr Rennen fahren können, die andern, weil sie das weiße Zeug von präparierten Pisten und Loipen schaffen müssen. Und dann kommt auch noch Wind, der in der Loipe LangläuferInnen und BiathletInnen das Leben schwer macht. Von den Skispringerinnen gar nicht zu reden, die mit Seiten- und Rückenwind zu kämpfen haben. Wetter-Anarchie auf Pisten, Loipen und Sprungschanzen! Da sind auch die Chinesen machtlos. Soviel zu Natur, Wintersport und Nachhaltigkeit!

Unter Neonlicht

Zurück zur Politik: Da wird die Olympia-Aufführung durchgezogen, unter Neonlicht, mit vielen liebenswerten, getrimmten Chinesen, die als Staffage allgegenwärtig in der Olympiablase für gute Laune sorgen sollen. Und das alles wirkt noch zynischer angesichts der Weltlage. Eine künstlich geschaffene Parallelwelt, in der Olympia als das Fest des Friedens und Fest der Völkerverständigung zelebriert wurde.

Was soll man noch über das Internationale Olympische Komitee (IOC) und seinen Leader Thomas Bach sagen? Den permanenten Kotau vor den Autokraten dieser Welt hat er zur Perfektion trainiert. Und der starke Mann der Volksrepublik China, Xi Jinping, wird es dem „Freund des chinesischen Volkes“ Bach danken – womit auch immer.

Der Russe Wladimir Putin scheint verstimmt. Die Einlassung des Deutschen zur 15-jährigen Eiskunstläuferin Kamila Walijewa und deren Trainerin Eteri Tutberidse, die er als „gefühlskalt“ bezeichnete, nimmt er offensichtlich übel. Er ließ seinen Pressesprecher Dimitri Sergejewitsch Peskow seine Verwunderung über die Aussagen von „Präsident Bach“ kundtun, der den Druck und den Umgang mit der Sportlerin überraschend klar kritisierte. Vor allem der Zusatz Bachs dürfte den Russen nicht gefallen haben: „Alles das vermittelt bei mir kein besonderes Vertrauen in dieses Umfeld von Kamila – weder in Bezug auf die Vergangenheit noch die Zukunft“, zitiert ihn der „Spiegel“.

16 gespenstische Tage

Bei der Abschlussfeier verbeugte Bach sich aber wieder demütig nach 16 gespenstischen Tagen vor den chinesischen Machthabern und dankte ihnen, das sie dem olympischen Geist „diese Bühne so hervorragend bereitet haben.“ Wer außer Thomas Bach hat diesen olympischen Geist wohl gesehen?

Einen Kulturwandel des IOC fordert Athleten Deutschland. Doch wer Aussagen einer OK-Sprecherin wie: die Taiwan-Politik der Chinesen sei weltweit anerkannt und die Berichte über die Uiguren-Lager seien eine Lüge, bei der gemeinsamen Pressekonferenz des Pekinger OK mit dem IOC so stehen läßt, und erst auf Nachfrage einen Tag später reagiert, muss sich nicht wundern, wenn es Kritik hagelt. Die sich noch nach der IOC-Aussage zu Recht verschärft, man habe „die Einigkeit darüber bekräftigt, dass wir unmissverständlich zur politischen Neutralität verpflichtet sind, wie es in der olympischen Charta festgehalten ist“. IOC-Reaktion also: bloß kein Rückgrat zeigen.

Noch immer positiv

Nochmal zu Kamila Walijewa. Die Eiskunstläuferin durfte trotz positivem Dopingtest, der vor den Spielen erfolgte, aber erst während ihres ersten Wettkampfes in Peking bekannt wurde, nach einem rechtlichen Hickhack und einem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs Cas im Einzel starten. An diesem Fall der 15-Jährigen wird deutlich, wieviel Heuchelei herrscht, wieviel Einfluss einzelne Mitgliedsländer auf das IOC haben. Empörung, weil Walijewa diesem Druck ausgesetzt war – sie sei ja noch ein Kind. Stimmt. Seit Jahrzehnten werden Kinder, die sicher  nicht allein durch Erdbeermarmelade Kraft und Ausdauer bekommen,  ins olympische Rennen geschickt, wenn Medaillen winken. Seit Jahrzehnten wird über Altersbeschränkungen und ein Mindestalter bei Olympischen Spielen diskutiert. Bisher konnte man sich weder in den Weltverbänden noch beim IOC wider besseres Wissen einigen. Nicht zuletzt weil IOC-Mitglieder wie Russland gegen eine Altersbegrenzung sind. Und der Fall Walijewa ist noch immer ein Dopingfall. Warum nochmal dürfen die Russen gerade nur unter neutraler Fahne ins Stadion einmarschieren? Und warum wird statt der russischen Nationalhymne bei Siegerehrungen Tschaikowskis Klavierkonzert Nummer 1 gespielt? 2024 in Paris wird Russland wieder mit Hymne und Flagge und ohne Sanktionen an den Start gehen. Kulturwandel? Fairer Wettstreit?

Augen zu

In Peking haben sich die Athleten und Athletinnen ihrem Schicksal ergeben – nach dem Motto: Augen zu und durch.  Die Stimmung, glaubt man den Anwesenden vor Ort, soll nicht so schlecht gewesen sein. Vor allem die Freiwilligen hätten sich bemüht, nicht nur für gute Laune zu sorgen, sondern auch bei Problemen zu helfen, so gut sie denn konnten. Auch die, die in Quarantäne saßen, wie Eric Frenzel, Nolan Seegert und Terence Weber etwa aus dem Team D, kamen – mal abgesehen von der psychischen Belastung – trotz der eingeengten Umstände halbwegs zurecht. Und die auf dem Flur tanzenden deutschen Langläuferinnen vermittelten zumindest einen Hauch olympischen Lebensgefühls in einer sonst sterilen Blase.

Der zweite Platz im Medaillenspiegel (27) hinter den dominierenden Norwegern sorgte auf den ersten Blick für  gute Laune.  Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit seinem Präsidenten Thomas Weikert und seinem zuständigen Vorstand für Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, hatten sich vor den Spielen nur vage ausgedrückt. Man wolle „in einem Korridor zwischen den Spielen in Sotschi 2014 und Pyeongchang einlaufen“. Hat geklappt, doch es kommt ein großes Aber, was vielleicht die Mail eines ausländischen Wintersportfreunds süffisant zum Ausdruck bringt: „Wir haben schon immer gewußt, dass man mit den Deutschen gut Schlitten fahren kann.“

Neun im Eiskanal

Von zehn Medaillen im Eiskanal gewannen die deutschen BobfahrerInnen, RodlerInnen und Skeletonis allein neun Goldene. Mehr als die Hälfte aller Medaillen sammelte der Bob- und Schlittenverband für Deutschland (BSD). Der kleine Verband – laut DOSB-Bestandserhebung von 2021 hat er 6111 Mitglieder – also BobfahrerInnen, RodlerInnen und Skeletonis – ist seit Jahrzehnten eine Medaillenbank und wird gefördert. Auf vier Bahnen können die AthletInnen in Deutschland  trainieren – in keinem Land haben Sportler solche Voraussetzungen. Und auch das Material, das vom FES entwickelt wird, ist weltweit Spitze.

Was sind diese Medaillen im internationalen Vergleich wert, wo eine Reihe von Ländern weder die Trainingsvoraussetzungen noch das Material hat? Ein verzerrter Wettbewerb, den sich die Deutschen eine Menge kosten lassen. Volkssport ist Bob- und Schlittenfahren in der Republik sicher nicht. Aber sie sind  die erfolgreichsten. Also Bob und Rodeln nach wie vor gut- vor allem zur Freude der FunktionärInnen

Der Deutsche Skiverband war mit einer Medaillenvorgabe von elf bis 15 nach Peking gereist – was zur Punktlandung wurde, denn der DSV holte insgesamt elf Medaillen mit seinen Skispringern, Langläuferinnen, Biathletinnen, Nordisch Kombinierten, Skicrossern und Alpinen. Man hätte sich insgeheim mehr gewünscht, aber auch vierte Plätze sind nicht zu verachten, wenn auch für die Sportlerinnen, die knapp das Podest verfehlen , das ein schwacher Trost sein dürfte.

Enttäuschend auf der ganzen Linie die Eissportler. Die Eishockey-Cracks blieben nach ihrem Silbererfolg vor vier Jahren in Südkorea ebenso wie die Snowboarder und Eiskunstläufer weit hinter den Erwartungen. Und die Eisschnellläufer hängen meilenweit der Weltspitze hinterher. Dirk Schimmelpfennig  steht nun mit seinen Experten eine genaue Analyse der Ergebnisse bevor.

Nicht folgenlos

Schlechtes Abschneiden bleibt für die Verbände nicht folgenlos: Es geht um die Förderung. Und manche werden sich nun wieder an die Leistungssportreform erinnern. Und Ergebnisse der anstehenden  Potentialanalyse (Potas)  fürchten. Mittlerweile denkt man nicht nur in der Sportabteilung des Bundesinnenministeriums über sowas wie eine Bundes-Sport GmbH nach, wie sie Österreich 2018 eingeführt hat. Ob das mit der deutschen Sportsystem so problemlos übertragbar sein wird, zweifeln manche noch an. Aber es gibt wohl schon einen regen Austausch mit dem Nachbarland.

„Was für den Wintersport gilt, trifft auch auf die gesamte Breite des Sports in Deutschland und auf die Olympische Bewegung zu: Wir müssen die kommenden Monate und Jahre nutzen, um neue Kräfte zu sammeln, die Einheit von Breiten- und Spitzensport zu stärken, und unsere Gesellschaft endlich wieder in Bewegung bringen.“ Sagte bei der Abschluss-Pressekonferenz in Peking DOSB-Chef Weikert, der nicht zuletzt mit einem Blick auf den Medaillenspiegel und die Platzierungen erkannt hat, wo weitere Schwerpunkte der Arbeit liegen müssen, bevor man sich größere Ziel steckt.

Lieber Windmühle

Wie etwa als erste Priorität wieder Olympische Spiele nach Deutschland zu holen. Da ist er etwas vorsichtiger als zu Beginn seiner Amtszeit im Dezember geworden. Wohl auch angesichts der nun jüngsten Erfahrungen.  Die Pekinger Spiele haben das Vertrauen auch der (deutschen) Bürger und Bürgerinnen weder in die Sportfunktionärskaste noch in die Politik verbessert. Sportpolitisch waren diese Spiele ein Offenbarungseid, ein Fiasko für die Verantwortlichen in Bezug auf Glaubwürdigkeit. Und es waren verlorene Spiele mit der vertanen Chance einer Kulturrevolution. „Der Mann, der den Wind der Veränderung spürt, sollte keinen Windschutz, sondern eine Windmühle bauen.“ Eine Empfehlung des Vorsitzenden Mao Zedong an das IOC und seinen Vorsitzenden.