Gewinner trotz Untergangsstimmung

DOSB-Mitgliederversammlung: Das Glück, SportlerInnen und Ehrenamtliche zu haben / Versuch einer Corona-Bilanz

Berlin, 4. Dezember. Die Tagesordnung lässt auf business as usual schließen – aber was sollte in Pandemiezeiten wie immer sein? Zumindest nicht die Art der Veranstaltung: Die Gremien und die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) werden an diesem Wochenende digital tagen – eine Premiere für die „Sportfamilie“ wie für viele andere, die ihre satzungsgemäßen Veranstaltungen abwickeln müssen. Sonst ist die Erwartungshaltung gering. Olympische Spiele verschoben. Leistungssportreform? Streitpunkte gibt es offensichtlich nicht – und wenn doch, dann werden sie hinter verschlossenen Türen ausgetragen. Auch an der unkritischen Haltung und mangelnder öffentlicher Diskussionskultur wird sich von der letzten Versammlung bis zu dieser kaum etwas geändert haben. Harmonie ist die Parole, die man dann auch schon mal untereinander per Rundschreiben abstimmt, wenn von außen kritische Fragen auftauchen. So wird das Covid-19-Virus dieses 17. Treffen dominieren, auch wenn es auf der Tagesordnung zunächst nicht zu finden ist.

Und somit kann man den Sport-Parteitag schwer einschätzen. Vielleicht etwas bilanzieren. Eigentlich hätte der DOSB dieses Jahr viel zu feiern gehabt: 70 Jahre Gründung des Deutschen Sportbundes (DSB) und der Deutschen Sportjugend, 50 Jahre Trimmy, 30 Jahre Einheit. Und da wären dann vielleicht auch noch einige Medaillen von OlympiasiegerInnen aus Tokio zu würdigen gewesen, wenn nicht …

Stillstand

Um es mit der Queen zu sagen: 2020 ist und war für die Welt ein „annus horribilis“. Ein Virus hat sie nahezu in Stillstand versetzt, Länder an ihre medizinischen und finanziellen Grenzen und vielen Menschen unendliches persönliches Leid bis hin zum Tod gebracht. Angesichts der Zahlen fällt es dann schwer, zur Tagesordnung überzugehen und teilweise viel Gejammer auf hohem Niveau von vielen Seiten zu hören.

Genöle kommt auch seit Beginn der Pandemie immer wieder aus dem Sport. Nicht von den Vereinen, nicht von vielen Verbänden. Aber von den Funktionärsetagen. DOSB-Präsident Alfons Hörmann warnt seit Beginn der Pandemie vor großen finanziellen Schäden, beruft sich dabei auf diverse Studien, die vor allem auf Eigenauskünfte in Form von Umfragen im Sport fußen. Und versetzt damit nicht nur sein „Sportdeutschland“ in tiefere Depressionen. Nicht nur der Vorsitzenden des Sportausschusses im deutschen Bundestag, Dagmar Freitag (SPD), fehlen da valide Zahlen. Dennoch: Auch diesmal lassen die PolitikerInnen den Sport nicht im Regen stehen – Bund wie Land unterstützt Spitzen- und Breitensport mit Rettungsschirmen und Hilfsprogrammen. Und im Bundeshaushalt für 2021 gibt es nun weitere Millionen-Finanzspritzen (siehe sportspitze vom 27. November).

Sonderrolle

Also muss der Sport keinesfalls in Depressionen und Ängste fallen. Nicht nur, weil er in erster Linie immer noch eine Freizeitbeschäftigung, eine Nebensache ist. Dass der Sport in diesem Land eine Sonderrolle hat, man den Lobbyisten desselben nicht auf die Füsse tritt und immer bei finanziellen Forderungen auch ohne oft erbrachte oder geforderte Gegenleistung nachgibt, zumal wenn dann Parteifreunde am Hebel in den zuständigen Ministerien sitzen, ist keine neue Erfahrung.

Und dieses Gebaren wird auch in dieser Pandemie mehr als deutlich: Was für Profifußballer sowieso anscheinend selbstverständlich ist, für andere Teamsportarten ermöglicht wird, gilt etwa für Kulturschaffende in Theaterensembles, Musikbands oder Chören nicht. Auch sie haben Hygienekonzepte, Luftfilter etc., aber offensichtlich keine Lobby. Und keine Fernsehgelder. Das stößt bei BürgerInnen, auch sportaffinen, immer öfter auf Unverständnis. Und fördert nicht gerade das Vertrauen in eine verantwortungsvolle (Spitzen-)Sport-Landschaft.

Oft kamen gerade aus dem Sport – nicht zuletzt bei den Forderungen im Zusammenhang mit der Leistungssportreform – Vorwürfe im Blick auf die Kultur, dass sie zu sehr subventioniert wird. Ist das mit dem Sport anders?

Kein Plan A oder B

DOSB-Präsident Hörmann wird sicher keinen Plan A, geschweige den einen Plan B vorlegen können – dazu ist die Lage nach wie vor zu unübersichtlich, aber man darf gespannt sein, ob er nur über Geld und Schadensprognosen redet oder auch inhaltliche Vorschläge zu bieten hat. Zeit zum Nachdenken hatte man ja nun in diesen Monaten der verordneten Auszeit und der Kurzarbeit im home office. Denn trotz Impfstoff und Hygienekonzepten – auch der Sport wird sich in Zukunft in einer neuen Normalität zurecht finden müssen. Wie sähe die aus?

Im Spitzensport? ! Wird es zum Beispiel überhaupt 2021 Olympische Spiele geben? Wie sehen die dann aus? Wenn sie ausfallen, welche Folgen hat das für den internationalen und nationalen Sport und die AthletInnen? Wie steht es um Großereignisse? Werden die rund um die Welt noch ausgetragen werden können? Kann es weiter ungebremstes Wachstum in Sachen Sportarten, Wettbewerbe und Events geben? Seit letztem Jahr ist im BMI eine Abteilung Sportgroßveranstaltungen installiert, in der man über Strategien für Bewerbungen und Ausrichtung nachdenkt. Da wird nun Corona und die Zeit danach sicher eine Rolle spielen.

Corona-Hilfe ist endlich

Auch was Profi-Teamsportarten angeht, gibt es viele Fragen an die Sport-Verantwortlichen. Die Corona-Unterstützung allgemein sei endlich, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einigen Tagen. Was dann? Nicht nur aus Gerechtigkeitsgründen ist die Frage zu stellen – die übrigens schon vor Corona immer wieder aufkam – ob professionelle Teams wie Basketballer, Handballer, Volleyballer oder Eishockeyteams, die ja mittelständische Unternehmen sind, auf Dauer vom Steuerzahler gepampert werden können.

Wer sich gedacht hat, dass man sich unter dem Tagesordnungspunkt „Marketingarchitektur“ mit sowas beschäftigt haben könnte, liegt falsch. DOSB-Antwort auf eine Anfrage, die diesmal die Pressestelle beantwortet und nicht aus einem Anwaltsbüro kommt: „Die aktuelle Markenlandschaft des DOSB ist komplex. Die Themen und Institutionen sind zu wenig bekannt und werden nicht mit dem DOSB in Verbindung gebracht. Darum strukturieren wir die Markenarchitektur neu, um eine bessere Verknüpfung herzustellen, um die Präsenz in der Fläche zu steigern, um Klarheit zu schaffen.“ Und weiter: „Der Fokus liegt dabei auf der Dachmarke DOSB; dem Team Deutschland sowie Sportdeutschland. Alle Aktivitäten des DOSB wie das Sportabzeichen, Sterne des Sports, Integration durch Sport, Eliteschulen des Sports werden entsprechend optimiert, um den Sport und auch die Olympische Bewegung in Deutschland zu stärken.“

Werben für den Sport

Überhaupt: Vermarkten, werben. Viele, die gerade keinen Vereinssport treiben können, haben sich selbst in Bewegung gesetzt – nicht selten online unterstützt von ihren VereinsübungsleiterInnen, die ebenso kreativ mit besonderen „Corona- Angeboten“ sind, wie die Mitglieder selbst. Dass in der pandemiegelähmten Republik kein Sport getrieben wird, ist nicht richtig, auch wenn Hallen und Plätze teilweise gesperrt und Fitnessstudios geschlossen sind: Je länger sie dauert, um so mehr sind ausgebremste Vereinsmitglieder, nichtorganisierte SportlerInnen aber auch bisher weniger Bewegungsfreudige auf Rädern, mit Walkingstöcken oder als Jogger unterwegs, was auch an den Umsätzen der Rad- und Sportklamottenindustrie festzustellen ist.

Nun malen viele das Gespenst von hohen Austrittszahlen aus Vereinen wegen Corona an die Wand. Ja, jedes Jahr treten zwischen fünf und 15 Prozent Mitglieder aus Vereinen aus. Aber normalerweise auch genauso viele wieder ein. Sicher werden manche ihre Mitgliedschaft kündigen, weil sie Angebote nicht nutzen können, oder weil sich ihre finanzielle Situation verschlechtert hat. Aber wankt das deutsche Sportvereinswesen,wie manche Verantwortliche orakeln, tatsächlich dem Untergang entgegen? Und sind überdurchschnittliche Austritte nur coronabedingt? Oder liegen die wirklichen Ursachen nicht schon in Vor-Pandemiezeiten? Es gibt eine Chance, nicht nur potenzielle Vereins-Aussteiger zu halten, sondern auch noch neue Mitglieder dazu zugewinnen.Warum und wie? Der Berliner LSB- Präsident Thomas Härtel meint: „Viele haben gerade in der Pandemie erkannt und selbst erfahren, was Sport in ihrem Leben für einen Platz einnimmt und auch für die Gesellschaft bedeutet. Und er ist ja mit vielen anderen Bereichen verquickt. Denken Sie nur allein an Schule – Sport – Verein.“ Eine bundesweite Kampagne wie einst die Trimmbewegung wäre jetzt wohl genau das richtige.

Bewegung und Freiheit

Denn Sport, Bewegung ist auch ein Stück Lebensqualität und Freiheit. Deshalb braucht es positive Signale in diese Richtung. Doch die kommen derzeit nicht aus dem DOSB. Dort ist man gerade mal wieder mit sich selbst beschäftigt. Organisationsstrukturen werden überprüft. Und manchen MitarbeiterInnen steht nun der Angstschweiß auf der Stirn. Könnte das Personalreduzierung, also Entlassungen bedeuten?Und eine Frage drängt sich in dem Zusammenhang auf: Wie steht es um die Finanzen des DOSB? Der Vertrag von Karin Fehres, Vorstand Sportentwicklung, wurde im Frühjahr nicht verlängert. Sie ist am 30. November nach 14 Jahren DOSB ausgeschieden und wird nun auf ihre Stelle bei der Stadt Frankfurt am Main zurückkehren, von der sie freigestellt war. Ob es überhaupt weiter einen Vorstand Sportentwicklung geben wird, ist bisher nicht klar. Vizepräsident Andreas Silbersack, zuständig für Sportentwicklung, sagte am Rande einer Veranstaltung in Berlin auf die Frage, wie es denn mit der Besetzung der Fehres-Stelle aussähe und ob man wirklich den Breitensport zur Abteilung degradieren wolle, man sei im Gespräch und am Arbeiten. Vom DOSB heißt es dazu auf Anfrage: „Die Sportentwicklung wird, nicht zuletzt durch die vielfältigen coronabedingten Auswirkungen auf die Vereine und Verbände, auch in den kommenden Jahren einen zentralen Schwerpunkt in der Arbeit des DOSB bilden. Der DOSB nutzt die Entwicklung, um einen umfassenden Organisationsentwicklungsprozess des Geschäftsbereichs Sportentwicklung durchzuführen. Aufgaben, Inhalte und Themen werden kritisch analysiert und optimiert, die Mitgliedsorganisationen sind in den Prozess einbezogen. Wenn alle Ergebnisse vorliegen , wird über die zukünftige strukturelle Aufstellung und damit auch über die Frage einer möglichen Nachbesetzung entschieden.“ Fazit: Alles offen… ein schlechtes Signal in diesen Zeiten.

Natürlich erwartet, wie gesagt, vom obersten Sportführer Hörmann und seinem DOSB- Gefolge derzeit niemand eine Patenlösungen für die Gegenwart, aber ein bißchen mehr als ein Hygiene-Konzept sollte es schon sein. Und eine Idee, was für den DOSB „neue Normalität“ heißt.

Alte und neue Probleme

Denn alte und neue Probleme gibt es viele. Eines Problems, das im Sport seit Jahrzehnten immer wieder wellenartig auftauchte, hat man sich angenommen – nicht zuletzt auf gesellschaftlichem Druck: Am Samstag soll ein Stufenmodell zur Prävention und zum Schutz vor sexualisierter Gewalt verabschiedet werden. Besonders die Deutsche Sportjugend hat sich hier intensiv eingebracht.

Apropos einbringen: Besonders erfreulich in diesen Zeiten, wo radikale sogenannte Querdenker und Coronaleugner einem unverantwortlich nahe und maskenlos auf die Pelle rücken, zeigen sich Ehrenamtliche unerschütterlich: Corona hält sie nicht von ihrem Engagement ab. Und erst recht nicht griesgrämige ZeitgenossInnen, die ihnen das Leben schwer machen, weil sie sich nicht an Regeln, Absperrungen geschweige denn Hygienevorschriften im ausgedünnten Sportbetrieb halten wollen. ÜbungsleiterInnen, Platzwarte und andere EhrenamtlerInnen sind auch so etwas wie HeldInnen.

Die Gewinner sind…

Zu GewinnerInnen wurden auch ohne Medaillen die AthletInnen. Und der Verein Athleten Deutschland, der sich nach drei Jahren Bestehen viel Anerkennung erarbeitet und über 1000 Mitglieder gewonnen hat. Mittlerweile ist der Verein das Sprachrohr der Aktiven, die aber immer noch mit einer Kommission im DOSB vertreten sind, der sie lange nicht ernst genommen hat. Und ihnen gerne Maulkörbe verpasste. Jetzt vertritt vor allem der Verein die Interessen der Aktiven.

GewinnerInnen sind die SportlerInnen, weil viele von ihnen viel früher als manche(r) FunktionärIn oder PolitikerIn erkannt haben, dass eine Olympiaverschiebung unumgänglich sein würde. Und viele haben die Entscheidung ohne großes Gemurre hingenommen. Oder haben selbst die Konsequenz gezogen, wie Fechter Max Hartung, und gleich verzichtet.  Wie es nun sportlich weitergeht, da steht ein dickes Fragezeichen. Trotz weniger Sponsoren-, Startgeld- und Prämieneinnahmen muss aber keiner von ihnen am Hungertuch nagen. Die Deutsche Sporthilfe greift den Kaderathleten hilfreich unter die Arme – und nun wurde auch ein jahrelang diskutiertes Thema im Sommer noch abgeräumt – die Altersversorgung, die auch der Steuerzahler übernommen hat.

Sprachrohr

Athleten Deutschland hat den SportlerInnen auch eine politische Stimme gegeben. In den letzten Monaten nahmen sie zu vielen gesellschaftlichen, aber auch sportpolitischen Themen Stellung, was in manchen internationalen und nationalen Verbänden mit Ärger zur Kenntnis genommen wird. Und sie zum Handeln zwingt. So gehen dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) mehr und mehr die Argumente bei der Verteidigung der Regel 50 aus, wo es um politische Meinungsäußerung der AthletInnen bei Olympischen Spielen geht. Gegen Rassismus und für Menschenrechte zeigen sie Haltung. Und tragen zur Demokratiebildung bei,die auch dem DOSB ein Anliegen ist .Zusammen mit der dsj und der Bundeszentrale für politische Bildung schnürte der am 1. August ein Maßnahmenpaket, das zum Jahresende schon wieder ausläuft. Dabei wäre Demokratieverständnis nicht nur extern, sondern auch intern für den DOSB ein durchaus diskussionswürdiges Thema.

Halten wir fest – auch der schreckliche Foulspieler Corona konnte in diesem Horror-Jahr nicht alle positiven Entwicklungen ausbremsen: Mündige, selbstbewusste und engagierte AthletInnen, Ehrenamtliche und Vereine waren für den Sport 2020 und dessen Werte hilfreicher als mancher schwarzmalende Funktionär.