Der DOSB funkt weiter SOS

Mitgliederversammlung: Gelungene digitale Premiere

Berlin/Frankfurt, 5./6. Dezember. Die 17. Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) war ein Erfolg – zumindest in digitaler Hinsicht. Ohne große Pannen spulten Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker und Hauptstadtbüroleiter Christian Sachs zusammen mit ihrem Präsidenten Alfons Hörmann das Treffen ab. Irritierend zu Beginn allerdings, dass sieben Minuten ein Film lief, den man aus rechtlichen Gründen aber nicht sehen konnte. Inhaltliche Überraschungen blieben aus – die Pandemie, die daraus resultierenden Folgen waren das prägende Thema. Und wurde nochmal in aller Dramatik dargestellt, untermalt von Zahlen aus eigenen Befragungen.

Eigentlich wollten sich diesmal die Delegierten in München treffen, wo die Sportfamilie zusammen mit den Bayern das 75-jährige Bestehen des dortigen Landessportverbandes feiern wollte. Aber aus bekannten Gründen war man nun nicht face to face together, sondern nur online.

Kompass

Auf die Werte des Sports und die gesellschaftliche Bedeutung wurde in den letzten Wochen im Zusammenhang mit Corona und den bestehenden Einschränkungen immer wieder verwiesen. Kein Wunder also, dass Hörmann bei seiner Begrüßung aus dem Frankfurter Haus des Sports die Werte zum Thema machte. Denn in stürmischen Zeiten bräuchte man „einen unbestechlichen Kompass“, sagte der Allgäuer. Und: „Die Werte des Sports zeichnen uns aus, für diese stehen wir ein und werden sie schützen.“ Man trete weiterhin für Solidarität, Demokratie und Vielfalt ein und stelle sich gegen Rassismus, Antisemitismus und Extremismus.

Werte des Sports – immer wieder werden sie mit Füßen getreten. Und außer in Sonntagsreden folgt häufig nichts. Diesmal ist es etwas anders. Sexualisierte und andere Gewalt erschüttert den Sport seit Jahrzehnten wellenartig immer wieder. Auch hier passierte außer den üblichen Empörungsritualen zunächst relativ wenig. Vor allem die deutsche Sportjugend hatte sich auch in der Vergangenheit dieses Themas immer wieder angenommen. Nun nach den Missbrauchsskandalen, der me-too-Bewegung war es unumgänglich.

Narben

Jetzt sitzt auch der Sport am Aufarbeitungs-Tisch, um sich der Verantwortung zu stellen. Hörmann entschuldigte sich „stellvertretend für den Sport in aller Form“. Rund 100 AthletInnen haben sich bisher gemeldet. Und es wird wohl noch viele geben, die von seelischen und körperlichen Narben berichten können, die ihnen im System Sport zugefügt wurden.

Die Mitgliederversammlung hat das „DOSB-Stufenmodell“ zur Prävention und zum Schutz von sexualisierter Gewalt verabschiedet. Die Mitgliedsorganisationen verpflichten sich, dieses bis zum 31. Dezember 2024 umzusetzen. Auch der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Stephan Mayer, der in Vertretung des zuständigen Ministers Horst Seehofer aus München zugeschaltet war, betonte, wie wichtig es ist, dieses Thema anzugehen und auf keinen Fall aus den Augen zu verlieren. Aber noch immer gibt es Verbände, die sich – aus welchen Gründen auch immer – bisher damit noch nicht auseinandergesetzt haben. Jedenfalls ist Präventionsarbeit jetzt ein Muss und ein Förderkriterium. Dass es dringend notwendig ist, sich mit physischer und psychischer Gewalt im Sport zu beschäftigen, zeigen die jüngsten Vorfälle in Chemnitz am Bundesstützpunkt, wo  Turnerinnen nach Aussagen Betroffener mentalen Erniedrigungen, aber auch psychischer Gewalt im Rahmen des Trainings durch eine Trainerin ausgesetzt gewesen seien. Der Deutsche Turnerbund hatte schon einmal interveniert. Offensichtlich ohne dass sich etwas geändert hat. Und wieder wird ermittelt. Auch der DOSB, so Veronika Rücker, wird sich in die Untersuchungen einschalten und sie auf den Olympiastützpunkt ausweiten. Man müsste wohl auch strukturelle und systemische Fragen klären.

Ratlos

Der Sport funkt weiter SOS, aber… Etwas ratlos nimmt man die Ausführungen des DOSB-Präsidenten im Zusammenhang mit der Pandemie zur Kenntnis: Man erwartet Konkretes, bekommt aber nichts Griffiges. „Wir befinden uns aktuell in einer sehr schwierigen Phase. Die Schwierigkeiten sind größer als beim ersten Lockdown“, sagt er. Gegenfrage: Welcher gesellschaftlichen Gruppierung geht es da viel anders? „Erneut tragen wir den Beschluss von Bund und Ländern grundsätzlich mit, trotz der negativen Effekte für den Sport. Es fällt uns nicht leicht.“ Anmerkung: Auch die allermeisten anderen zeigen sich solidarisch – und auch denen fällt es nicht leicht.

Hörmann verweist auf das umfassende Hygienekonzept. „Der Sport ist kein wesentlicher Infektionstreiber“, betont er und fordert die Politik auf: „Deshalb agieren Sie mit Augenmaß, erkennen Sie und diskutieren Sie mit uns, wie der Sport ein Teil der Lösung sein kann“. Die Infektionszahlen sind weiter auf hohem Niveau, mittlerweile können Ansteckungsketten nicht mehr verfolgt werden – wie sicher kann der Sport da sein? Die Einschläge kommen immer näher. Beispiel: Vor wenigen Tagen machten beim Saisonauftakt in Finnland infizierte BiathletInnen Schlagzeilen.

Kein Schwarzmaler

Alfons Hörmann möchte kein Schwarzmaler sein, redet aber fast immerzu von einer „existenziell gefährdende Situation“. Er verweist darauf, dass 90 Prozent der Verbände davon ausgingen, dass sie ihre Angebote einschränken müssen. Vorschlag: Verbesserte Qualität statt wachsender Quantität wäre eine Überlegung für einen Nachcorona-Ansatz. Sinkende Mitgliederzahlen werden wie ein Menetekel an die Wand gemalt. Zur ehrlichen Analyse gehört aber, dass es jedes Jahr Austritte gibt. Also: Sind die zu erwartenden Austritte nun wirklich alle coronabedingt? Transparenz und Ehrlichkeit wären nicht nur da von Nöten.

Keine Rechnung

Obwohl man noch gar nicht weiß, wie am Ende die Rechnung aussieht, wenn man in die neue Normalität eintaucht – der Schulterschluss zwischen Politik und Sport klappt wie immer. Und man zeigt sich generös. Stefan Mayer war dann am Samstag so etwas wie der Nikolaus, der mit schönen Millionen-Geschenken, die die Haushälter letzte Woche bei der Bereinigungssitzung eingepackt haben, die Delegierten aus der Depri-Stimmung geholt haben dürfte.

Mayer erfreute gut gelaunt vor einem Weihnachtsstern mit frohen Botschaften die Sportfamilie. „Wir tun alles dafür, dem Sport sehr engagiert unter die Arme zu greifen, wenn es darum geht, mit der Pandemie zurechtzukommen.“ Und das glaubt man ihm aufs Wort. 291 Millionen Euro werden es an staatlichen Fördermitteln sein, wenn das Parlament kommende Woche zustimmt. Und wer würde zweifeln? 279 Millionen hatte der Bund für 2020 geplant. Wenn man noch die Corona-Hilfen dazu rechnet, stellt der Bund für den Sport insgesamt etwa 600 Millionen zur Verfügung. Falls nun schon wieder jemand etwas gefunden haben könnte, das aus der Steuerbörse bezahlt werden soll – da zieht Mayer nun den Stecker aus der blinkenden Euro-Kasse. Um es mit Kanzlerin Angela Merkel zu sagen: „Auch die Coronahilfen sind endlich.“ Mayer formuliert das so: „Der Bund kann allerdings nicht jeden materiellen Verlust kompensieren“.

Wird man sehen, wenn wieder gemäkelt wird. Die Hilferufe jedenfalls wurden gehört, aber waren sie auch wirklich nötig? Mal abgesehen davon, dass man sich mal wieder über zu viel Bürokratie beschwerte, haben beispielsweise bisher, so Mayer, 377 Profivereine bisher Anträge gestellt, von denen bisher 314 positiv beschieden und 18 abgelehnt wurden. Von den 200 zur Verfügung stehenden Millionen sind das 75 Millionen. Irgendwie passt das nicht zu Alarmsignalen aus Führungsetagen.

Mehr Geld

Aber der Geldbeutel bleibt offen. Auch für anderes: Horst Seehofer hatte letztes Jahr mit dem Goldenen Plan zur Sanierung und Modernisierung die Sportfamilie überrascht. „Wir haben das versprochen und Wort gehalten“, sagt Mayer zufrieden in die Kamera. Für 2021 sind 150 Millionen bewilligt worden, bis 2024 sollen noch 490 Millionen dazu kommen.

Ja, die Geldmaschinerie überrollt dann doch wieder die Werte. Spätestens wenn es um die Zwischenberichte über die „Marketingarchitektur“ und die Strategie zu Sportgroßveranstaltungen geht. Beim Marketing blieb hängen, dass die Olympischen Ringe mehr auf den DOSB, Team D und auf Sportdeutschland unter anderem auf Straßenschildern hinweisen sollen, um die Marken bekannter zu machen. Oder so ähnlich.

Strategiespiele

Eine Strategie für Sportgroßveranstaltungen, ein weiterer Tagesordnungspunkt, soll wohl den Nimbus der Deutschen als Veranstaltungsweltmeister irgendwie aufpolieren. Der hat nämlich zum Beispiel unter den vielen olympischen Bewerbungspleiten Kratzer abbekommen. Lange grübelte der DOSB eher erfolglos über einen Weg zu großen Events. Nun brütet man zusammen mit der eigens geschaffenen Abteilung im BMI, den Ländern und Kommunen sowie Vertretern aus Mitgliedsorganisationen darüber. Und will im nächsten Jahr etwas vorlegen. Der DOSB-Vizepräsident Finanzen und Geschäftsführer der Berlin Volleys Kaweh Niroomand, der sich da einbringt, sagt: „Der deutsche Sport braucht keine Nachhilfe, wie Sportveranstaltungen durchgeführt werden, sondern wir wollen das, was gut gemacht wurde, verbessern und mit der Politik zu einem positiven Ziel führen. Und Mayer, auch Mitglied in dem Kompetenz-Kreis, ergänzt. „Es ist nichts so gut, dass man es nicht besser machen könnte.“Der CSU-Politiker spricht von einer Art Roadmap. Oder Instrumentenkasten, der auch mehr Transparenz herstellen soll, den man erarbeitet. Event-Strategien in der neuen Normalität? Man darf gespannt sein.

Viele Fragen blieben heute offen. Deshalb halten wir es mit dem französischen Philosophen Gabriel Marcel: „Hoffnung ist eine schöne Erinnerung an die Zukunft.“