Amigos sind nicht immer Freunde

Gerhard Böhm ist zu unbequem / Der Abteilungsleiter Sport im BMI soll gehen / Ungereimtheiten um eine Personalie –

Berlin, 23. April. Für manche im deutschen Sport, aber vor allem für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seinen Präsidenten Alfons Hörmann galt und gilt er als Buhmann und Störenfried: Der Abteilungsleiter Sport im Bundesinnenministerium, Gerhard Böhm. Der soll nun angeblich gehen. Das habe der neue Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) in einer Staatssekretärrunde gefordert. Entsprechende Berichte wurden weder bestätigt noch dementiert. Darin heißt es auch, Hörmann wolle im Zusammenspiel mit Parteifreund Mayer den unbequemen Beamten Böhm loswerden. Seit Antritt des neuen Bundesinnenministers Horst Seehofer, bekanntlich auch CSU, waberten schon Gerüchte über die Ablösung.

Auf eine offizielle Anfrage bei der Pressestelle des BMI am Freitag, kam am Montag die sehr einsilbige, aber doch vieldeutige Antwort. „Ich bitte um Verständnis, dass wir zu internen Personalangelegenheiten grundsätzlich keine Stellung nehmen.“ Auch keine Antwort, was ein Personalwechsel für die Spitzensportreform bedeuten würde. Oder inwieweit der DOSB versucht, Einfluss zu nehmen.

Gerhard Böhm ist derzeit auf einer Auslandsreise in Israel. Das Gerücht, das viele seit langem kennen, ist seit vergangener Woche, als es in der FAZ unter dem Titel „Lange Leine für Hörmann“ nachzulesen war, zu einem Aufreger auf dem sportpolitischen Parkett und in den Verbänden geworden. Dass das Gerücht Realität werden könnte, möchte keiner glauben. Und wenn ja?

Amigo Connection

Es ist die Rede von einer BAC – einer Bayern-Amigo-Connection, die „auf Teufel komm’ raus“ nun jemanden los werden will, der DOSB-Präsident Hörmann schon lange lästig und ein rotes Tuch sei, heißt es. Da komme die Parteiverbundenheit gerade recht.

Dass das Verhältnis zwischen Sport und Politik seit langem zerrüttet ist, ist kein Geheimnis. Spätestens aber seit es um die Neustrukturierung des Spitzensports geht, sind sich beide Seiten immer öfter in die Haare geraten.

Die Partner aus Politik und Sport haben zwar dasselbe Ziel – einen erfolgreichen Spitzensport und mehr Medaillen -, aber über den Weg dahin und vor allem, wer den bestimmt und das Sagen hat, darüber liegen die Vorstellungen von BMI und Alfons Hörmann diametral auseinander. Schon von Anfang an war eigentlich klar: Der Sport will mehr Geld. Und er will alleine darüber entscheiden, wofür er es ausgeben will. Alles wie gehabt. Doch das wollte das Bundesinnenministerium (BMI) und die Abteilung Sport so nicht mehr mitmachen. Zu Beginn der Reform einigten sich die Partner aus Bund, Ländern und DOSB vor allem auf Transparenz, die man – nicht nur wegen der Aufforderung des Bundesrechnungshofs – den Bürgern und Bürgerinnen schuldig sei. Alfons Hörmann konnte nicht oft genug die Begriffe „Wahrheit, Klarheit, Transparenz“ wiederholen, die eine Art Leitplanken bei der Reform sein sollten.

Umsetzung hapert

Doch mit der Umsetzung haperte es. Zielvorgaben, Kontrolle, Evaluierung von externer Seite: Das war für Hörmann und manche andere im Sport eine Zumutung, Hineinreden in den Sport. Da fehle der Sachverstand, das können nur wir! Da pochte der Sport dann gerne auf seine Autonomie, von der er nichts mehr wissen will, wenn es schwierig wird.

Runderneuern wollte das BMI, vorneweg die beiden führenden Beamten Böhm und sein Stellvertreter  Ralf Göbel, nun endlich den dahinsiechenden Spitzensport mit dem DOSB, so wie es alle beschlossen hatten. Doch offensichtlich meinte das nur das BMI von Anfang an ernst. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und seine Sportabteilung fuhren da einen geradlinigen, wenn auch dem Sport nicht schmeckenden Kurs: Erst liefern, dann gibt es auch vermutlich mehr Geld. Die Reform wurde von Anfang an mit Gemaule und Genöle aus den Reihen des Sports begleitet, wo sich vor allem der DOSB-Präsident als irritierender Querschläger häufig hervortat. Der aber erstaunlicherweise immer an der Seite des Ministers betonte, zwischen ihn und de Maizière gehe kein Blatt. Bis zum nächsten präsidialen Zündeln.

Das BMI-Credo ist vielen im Sport auf den Geist gegangen. Vor allem, weil die Kommunikationsflüsse innerhalb des Sports Rinnsale waren. Und überhaupt: Jahrzehnte lang konnte man Geld verbraten, ohne dass irgend jemand besonders nachfragte. Warum sollte das neuerdings anders sein?

Man sei dem Steuerzahler verantwortlich, sagte der Minister immer wieder, wenn er aufgefordert wurde, mal schnell ein paar Millionen rüber zu schieben. Auch die Verhältnismäßigkeit gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppen müsse gewahrt bleiben. Seine Beamten hielten sich an die Vorgaben. Da Böhm und sein Team immer an vorderster Front agierten, war es logisch, dass der Mann aus dem Rheinland plötzlich zum personifizierten Feindbild wurde, der es wagte, dem Sport auch mal ein Nein entgegenzusetzen.

Und deshalb wundert es nicht, dass der DOSB-Präsident, so wird kolportiert, alles tut, um Böhm los zu werden. Er soll das sogar, so die Gerüchteküche, schriftlich beim Minister gefordert haben.

Seit acht Jahren, als er aus dem Kanzleramt ins Innenministerium wechselte, ist Böhm in Sachen Sport im Amt und hat sich nicht nur Feinde gemacht. Viele im Sport schätzen seine Sachkenntnis, die er sich im Laufe der Jahre angeeignet hat, und sagen, er sei ein Freund des Sports und der Athleten. Böhm weiß, dass er bei vielen „nur qua Amt“ auch gut Freund ist: „Es ist das Amt, das mich so attraktiv macht und wegen dem man mir hinterherläuft“, sagte er in Koblenz bei der DOSB-Mitgliederversammlung schmunzelnd. Am Nachmittag hatte ihn der Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig, in einer Brandrede unter Beifall der Fachverbandsvertreter heftig kritisiert. Dieselben, die begeistert geklatscht hatten, kreisten Stunden später am Abend beim Empfang um den Minister und Böhm wie die Geier, um ihnen dann im Vier-Augengespräch zu bekunden, dass man persönlich das ja eigentlich anders sieht. Schizophrenie als Charaktereigenschaft von Funktionären. Das eigne Hemd eben…

Inkompetent und arrogant

Was macht man da? Böhm antwortete am Tag darauf, angesprochen auf das Verhalten: „Ich kann mich nicht über das Recht hinwegsetzen. Das verstehen halt manche nicht.“

Dass er einige in der Sportführung für arrogant, inkompetent und nicht offen hält – das ist kein Geheimnis. Und einige Funktionäre keilen ebenso zurück. Und schäumen, wenn sie ihm das in ihren Augen größte Vergehen vorwerfen: Er habe schließlich finanzielle Versprechungen gemacht, die er beim Finanzminister Schäuble für den Etat nicht durchsetzen konnte. Bei Geld, das sie schon aufteilten, bevor sie es hatten und mit dem sie sich auch – wie bei der Reform – die Unterstützung ihrer Verbände erkaufen, verstehen die Sportoberen keinen Spaß. Vielleicht hat Böhm zu oft erkennen lassen, dass ihm bei den vielen Sitzungen und Gesprächen zu viele Dilettanten und Ignoranten mit am Tisch saßen. Vielleicht hat er sich auch manchmal unglücklich ausgedrückt, so dass Sportvertreter Rückschlüsse daraus zogen, die sie gerne gehabt hätten.

Der Sport fordert mittlerweile zu den 170 Millionen mindestens 100 Millionen Euro Aufschlag bis Tokio 2020, obwohl die Reform noch immer im Werden und nicht abgeschlossen ist. Geld und wieder Geld, das scheint das einzige zu sein, was Hörmann interessiert. Und dass er den Geldhahn bis zum Anschlag wieder aufdrehen möchte.

Minister de Maizière hat während des Reformprozess immer wieder darauf hingewiesen, dass die Finanzierung des Spitzensports durch den Bund ein Luxus sei, den man sich leiste. Und der Sport nicht nur fordern könne, sondern auch dafür etwas bringen müsse. Er sprach von einem merkwürdigen Autismus des Sports.

Bloß nicht auf die Finger schauen

Böhm und seine Abteilung stehen für Zielvorgaben und Kontrolle. Vor allem mit dem Auf-die-Finger-Schauen hat der Sport seine Probleme – und fühlt sich gegängelt. „Wir sind nicht mehr auf Augenhöhe“, sagte vor kurzem ein Verbandspräsident und fügte aber gleich an: „Daran haben unsere verhandelnden Protagonisten aber auch heftig mitgewirkt.“

Aber nur Böhm soll gehen. Neue Köpfe braucht – wer? Im neu zugeschnittenen Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat, sitzt ein neuer Minister und alter Bekannter: Horst Seehofer von der CSU, dessen Schwerpunkte nun nicht gerade auf dem Sport liegen. Sein Parlamentarischer Staatssekretär und Parteifreund Stephan Mayer, ehemals auch Mitglied im Sportausschuss, ist nun zuständig für den Sport. Dass er eher auf Linie von Parteifreund Alfons Hörmann liegt als auf dem bisherigen BMI-Kurs, ist keine Überraschung.

Doch was bedeutet eine Ablösung Böhms für die Reform: Alles für die Katz? Hörmann will, wie er schriftlich dem Minister mitteilte, die Reform überarbeiten. Das DOSB-Präsidium hat bereits Eckpunkte erstellt, die dann in einem „Gespräch im kleinsten Kreis“ mit dem Minister erörtert werden sollen.

In Verbänden und bei Sportfachleuten löst der eventuelle Personalwechsel hauptsächlich Kopfschütteln aus. Thomas Konietzko, Präsident des Deutschen Kanuverbandes, sagt: „Ich würde es sehr bedauern, wenn sich das Gerücht bewahrheitet. Wir haben natürlich alle zur Kenntnis genommen, dass es zwischen Sport und Politik gekracht hat, aber man kann Gerhard Böhm nicht vorwerfen, dass er individuelle Interessen verfolgt habe. Er hat die Strategie des BMI umgesetzt. Und natürlich ist da auch ein Korrektiv nötig, wenn es um Steuergeld geht“, sagt er, der sich aber auch einen starken DOSB wünscht. Die Reform sei der Weg dazu. „Wir brauchen ein Gerüst, an dem wir uns entlang hangeln können, um erfolgreich zu sein.“

Der ehemalige Leichathletik-Präsident Clemens Prokop würde es ebenfalls sehr bedauern, wenn sich das Gerücht um Böhm bestätigen würde. „In meiner langjährigen Arbeit als DLV-Präsident habe ich Herrn Böhm stets als innovativen und verlässlichen Partner des deutschen Sports erlebt. Durch sein Engagement konnte manche inhaltliche Schwäche des DOSB kompensiert werden. Als Mitglied des Organisationskomitees für die Europameisterschaften 2018 ist er für uns aufgrund seiner Erfahrung ein ausgesprochen wertvoller Ratgeber. Nach meiner Einschätzung würde das Ausscheiden von Herrn Böhm einen Verlust für die Sportentwicklung in Deutschland darstellen.“

Dieser Meinung sind eine Reihe von Sportvertretern. Auch diejenigen, die sich „schon mal ” über ihn geärgert haben. „Mit ihm kann man reden, auch wenn man nicht immer derselben Meinung ist“, sagt einer, der nicht offiziell eine Stellungnahme abgeben will. „Kann ich mir in der momentanen Situation nicht leisten, dann kriege ich vom DOSB wieder eine auf den Hut.“

Böhm für selbstverständliche Gleichbehandlung

Der streitbare Genosse Julius Friedhelm Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, scheut dagegen keine Stellungnahme: „Es wäre schade, wenn der Abteilungsleiter Sport gehen müsste. Aus Sicht des Behindertensportverbandes hat Gerhard Böhm sich konsequent für die selbstverständliche Gleichbehandlung von olympischem und paralympischem Sport eingesetzt. Deshalb zollen wir ihm Hochachtung.“ Behindertensport, das ist eine Herzensangelegenheit Böhms.

Unverständnis auch aus der Sportpolitik. Die Sportausschussvorsitzende Dagmar Freitag (SPD) sagt auf Anfrage: „Das Gerücht, dass der Abteilungsleiter Sport, Gerhard Böhm, sowie sein Stellvertreter Ralf Göbel aus ihren bisherigen Positionen abgezogen/versetzt werden sollen, läuft seit der Übernahme des BMI durch Minister Seehofer (CSU) durch die Flure. Meines Wissens geben die Betroffenen selbst verständlicher Weise keinerlei Kommentare hierzu ab. Somit bleibt es erst einmal ein Gerücht.“

Keinen Grund sieht Freitag für eine Ablösung. „Herr Böhm hat in den vergangenen Jahren aus meiner Sicht seine Abteilung konsequent und kenntnisreich aufgestellt. Für mich gibt es keinen einzigen nachvollziehbaren Grund – insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir mitten in der Umsetzung einer wirklich komplexen Reform sind –, hier personelle Änderungen vorzunehmen. Dass die Verantwortlichen im DOSB Schwierigkeiten mit der konsequenten Vorgehensweise seitens der Sportabteilung im BMI hatten, ist hinlänglich bekannt. Das aber kann und darf kein Grund sein, ausgewiesene Fachleute ihrer Position zu entheben.“

Viele Fragen gibt es da an Mayer und seine Rolle in diesem Spiel: Das ehemalige Sportausschussmitglied müsste eigentlich richtig einschätzen können, wie komplex das Reformkonstrukt ist und was so eine einschneidende Personalentscheidung bedeutet. Sachgründe für seine Ablöse-Forderung können es also nicht sein. Bei KollegInnen stößt er damit auf Unverständnis. Es habe einfach ein „Geschmäckle“, sagt einer. Und: „Das ist eine üble Grätsche, die weder mit Fair play geschweige denn mit inhaltlichen oder sachlichen Dingen zu tun hat.“ Böhm sei halt nicht pflegeleicht, aber ein exzellenter, loyaler Fachmann. „Wo kommen wir hin, wenn jetzt schon jeder Organisationsvertreter mitbestimmen will, wer im Ministerium eine Abteilung leitet? Und Politiker, die doch für eine sach- und bürgerorientierte Arbeit stehen sollten, sich dafür auch noch einspannen lassen, einen Mann los zu werden, der weiß, worüber er redet.“

Vertrauen bei den steuerzahlenden BürgerInnen in Politik und Sport schaffen solche Personalpossen nicht. Angesichts der internationalen und nationalen Negativ-Schlagzeilen über den (Spitzen)-Sport und seine Funktionäre ist die Öffentlichkeit ohnehin nicht gut auf Funktionäre zu sprechen. Und erst recht nicht, wenn dann auch noch Politiker ungeniert anrüchige Seilschaften stützen.