Von Gegenwind und Wahrnehmung

Heftige Experten-Kritik am Spitzensportentwurf von DOSB und BMI bei der Sportausschuss-Anhörung im Bundestag

Berlin, 19. Oktober – Selten waren sich Experten so einig wie bei der Anhörung des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, wo es um die Reform des deutschen Spitzensports ging. Heftige Kritik an dem vorliegenden Entwurf wurde schon in den Eingangsstatements deutlich, die sich vor allem gegen die Fixierung auf Medaillen und das neue Potenzialanalysesystem PotAs richtet.

Zum ersten Mal nach zwei Jahren Hinterzimmerdiplomatie gab es nun eine  öffentliche Diskussion zur Reform. Ausgerechnet im Sportausschuss, der sonst lieber unter sich bleibt. Auf Gegenwind haben sie sich mittlerweile schon eingestellt, die Protagonisten von Bundesinnenministerium (BMI) und Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB). Doch mit der Wahrnehmung und Annahme von Kritik von innen und außen, da tut sich so manch einer schwer. DOSB-Präsident Alfons Hörmann musste von BMI-Abteilungsleiter Gerhard Böhm daran erinnert werden, dass es „sich um einen gemeinsamen Entwurf von BMI und DOSB“ handele. Denn Hörmann versucht bei manchen Kritikpunkten auf Distanz zu gehen, nach dem Motto, man habe sich dem BMI bei dem einen oder anderen Detail gefügt. Beispiel: „Erfolge vorherzusagen, das sei natürlich nicht hundertprozentig möglich“, relativierte er das umstrittene PotAs-Modell.

Was meint er gerade?

Schon den Fachverbänden, die sich am Montag und Dienstag in Frankfurt trafen, um über die Reform zu diskutieren, habe der DOSB-Chef – so erzählen Teilnehmer -, kritische Punkte damit erklärt, dass das BMI das so gewollt habe. Keiner fragte aber, warum er sich da nicht gewehrt habe, wenn ihm BMI-Vorschläge nicht gefallen.

Man weiß nicht so genau, welche Meinung Hörman gerade vertritt.  Ohne mit der Wimper zu zucken lässt er da Aussagen von gestern zum Geschwätz von heute werden. Bei der Anhörung nickt er nicht nur bei den Ausführungen des Sportphilosophen Gunter Gebauer von der FU Berlin immer wieder zustimmend (?) oder nur einfach, weil er sich bei dessen ersten Sätzen bestätigt fühlte. „In einem Punkt kann man dem neuen Förderkonzept voll und ganz zustimmen: Der/die AthletIn soll im Mittelpunkt stehen.“ Das war es aber dann schon fast an Zustimmung. Gebauer war mit den anderen Experten einig, dass man auch darüber nachdenken kann, Fördergelder anders zu verteilen, die „Organisation des deutschen Leistungssports insgesamt zu straffen und zu professionalisieren“. Aber: „Die Reform ist einäugig auf Medaillen ausgerichtet. Das finde ich betrüblich. Für eine Kulturnation ist nicht die schiere Zahl der Medaillen von Wert, sondern es sind die SportlerInnen, die solche Sportarten überzeugend vertreten.Wenn man eine Menge von Medaillen zum obersten Ziel der Sportpolitik macht, landet man in unangenehmer Nachbarschaft“, sagte Gebauer.

Ähnliche Kritik hatte vorher schon Adrian Bürgi vom Bundesamt für Sport aus der Schweiz geübt. „Das Ziel, durch die Neustrukturierung die Erfolgsvoraussetzungen des Spitzensports zu verbessern, ist klar formuliert. Zielstellungen mit Bezug zu gesellschaftlichen Anliegen (Vorbildfunktion, Lebensschule für Kinder und Erwachsene usw.) oder volkswirtschaftliche Aspekten (Sportveranstaltungen, Tourismusförderung) fehlen allerdings. Diese könnten Neuausrichtungen gegebenenfalls breiter abstützen und politisch breiter legitimieren.“

Kein Gedöns

Gesellschaftliche Einbindung schien die Reform-Macher bei ihrer konzeptionellen Zielvorgabe nicht zu interessieren – kein Gedöns, Medaillen sind angesagt. Auch den Generalsekretär des Deutschen Leichtathletikverbandes (DLV), Frank Hensel, stört das Alleinstellungsmerkmal für Erfolg, das da heißt „Medaille“. „Es ist unbestritten, dass Erfolge im Spitzensport gewollt sind, zuallererst von den Athleten. Die Frage ist aber: Wie definieren wir Erfolg? Ausschließlich über mehr Medaillen, das ist aus unserer Sicht nicht ausreichend:“

Hensel forderte AthletInnen und TrainerInnen auch unter gesellschaftlichen Herausforderungen und Anforderungen im Fokus zu haben. Ausbildung und Studium sowie Arbeitsplatzbeschaffung und Sicherung sind schon lange Forderungen, die der Sport nur bedingt erfüllt. Doch heute müsse man sich auch um so etwas wie Altersversorgung von SportlerInnen kümmern.

Was kommt nach dem Sport?

Die Kanutin Franziska Weber wäre glücklich, wenn sie wüsste, wie es mit ihr nach der Sport-Karriere weiter geht. Die Laufbahn der Olympiasiegerin von London 2012, ist für den deutschen Sport typisch und untypisch zugleich: Planung und Karriere beruhten auf Glück und dem Prinzip Zufall. Sie hatte das Glück, die richtigen Trainer, Kümmerer, das passende Umfeld zu haben. Das hätte auch anders kommen können. Die Studentin hat Angst vor dem Leben nach dem Sport: „Da weiß ich nicht, was auf mich zukommt.“

Das weiß sie auch nicht in Bezug auf PotAs. Mit 20 Attributen und 59 Unterattributen sollen Sportarten und Disziplinen auf ihre Erfolgsaussichten bewertet werden. „Ich sehe da mathematische Probleme. Beste Variable für zukünftigen Erfolg ist aktueller Erfolg“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Maennig von der Uni Hamburg, selbst 1988 Ruder-Olympiasieger. „Alle Studien, die es aus der Sportwissenschaft und Sportökonomie gibt, zeigen, dass 75 Prozent des Erfolges der nächsten Olympiade über den Erfolg in dieser Olympiade erklärt werden können.“

Maennig kam sehr gut vorbereitet in die Anhörung und sorgte für Staunen mit seiner These, dass es nicht verkehrt sei, wenn man manche Verbände finanziell an die kurze Leine nehme. Denn wenn man „suboptimale Strukturen“ weiter finanziere, ändere sich nichts. Würde man aber kreativer Mittel einsetzen müssen, weil man weniger hat, so könnte das zu einem Umdenken und auf Erfolgskurs führen. Sein Papier hat schon imVorfeld auch bei Fachverbänden für Diskussionen gesorgt.

Zuhören und Fragen

Bei einer Anhörung sind Fragen und Zuhören Voraussetzungen und, zugegeben, auch anstrengende Herausforderungen. Nicht zuletzt wegen des Zeitlimits der einzelnen Fraktionen beim Frage- und Antwortspiel. Für Parlamentarier dürfte das eigentlich kein Problem sein – Alltag. Doch bei einigen Sportausschussmitgliedern hatte man schon den Eindruck, dass sie schlecht vorbereitet waren. Eigentlich sollte es auch um eine gesellschaftspolitische Diskussion gehen, wie die Gremiums-Vorsitzende Dagmar Freitag angekündigt hatte.

Aber diese Debatte flammte nur spärlich auf. Manche zu erwartende Fragen wurden gar nicht gestellt, andere dagegen mehrfach. Nicht nur Michael Teuber, erfolgreicher Radsportler und vielfacher Goldmedaillengewinner bei Paralympics, der ein flammendes Plädoyer für die Gleichstellung und Inklusion des paralympischen Sports hielt und kritisierte, dass dies im Reformentwurf nicht vorkomme, musste sich mehrfach wiederholen. Aber man kann es ja nicht oft genug sagen, dass der paralympische Sport in die Spitzenverbände integriert werden möchte – ähnlich wie in England. Und dass er der eigentliche Vertreter olympischer Werte sei, wie Teuber anmerkte. Teubers Thema, nebenbei bemerkt, stößt momentan bei den meisten Fachverbänden nicht unbedingt auf Gegenliebe. Man habe jetzt erst mal andere Probleme zu lösen, ist eine Standardantwort aus Verbänden.

Schulterschluss

Da kommt man nun wieder zu Wahrnehmung, Deutung oder Nutzen von Situationen. Was wird Alfons Hörmann den Fachverbänden von dieser Anhörung berichten? „Einen solchen Schulterschluss über zig Arbeitsgruppen hinweg hat es zu Zeiten des DOSB noch nicht gegeben“, sagte er nach dem Frankfurter Treffen laut dpa. Und auch der Sprecher der Spitzensportverbände Siegfried Kaidel übernimmt den „Schulterschluss“. Hörmann habe um Unterstützung gebeten, um seine Forderungen (welche waren das doch gleich?) beim BMI durchzusetzen. Teilnehmer an den diversen Sitzungen beklagen, dass sich der Widerstand in Grenzen hielt, weil wieder viel „geschwafelt und eingelullt wurde“, aber man bei vielen Fragen damit vertröstet wurde, es sei ja nur ein Entwurf und es müsse noch „nachjustiert“ werden (Hörmann). „In vielen Bereichen ist klar, dass nach wie vor überhaupt nichts klar ist“, sagt ein Teilnehmer. Und bisher 150 Änderungsvorschläge zu dem Entwurf sagen mehr als alle Zitate Hörmanns, der offensichtlich von der Abstimmung über die Reform am 3. Dezember bei der Mitgliederversammlung abrückt. „Wir versuchen, bis zur Mitgliederversammlung in Magdeburg Klarheit zu schaffen.“ Sagte er am Dienstag in Frankfurt. Und ähnliches am Mittwoch bei der Anhörung.

Welche Schlüsse und eventuell Konsequenzen wird die Anhörung haben? Eine Schnellschuss-Reform sei mit den Parlamentariern nicht zu machen. Das hatte André Hahn von den Linken schon nach der Vorstellung des Entwurfs im Sportausschuss vor zwei Wochen gesagt. Das bekräftigten nun auch Matthias Schmidt (SPD) und auch Özan Mutlu (Grüne). Sie fordern ihr Mitspracherecht ein.

Dagegen wäre es DOSB-Präsident und BMI – darin sind sie sich wenigstens einig -wohl am liebsten alles möglichst schnell durchzuziehen. Je mehr Zeit man sich läßt, um so mehr Fragen werden gestellt. Und vielleicht lassen sich dann doch noch einige unsichere Kantonisten mit rebellischer Ader unter den Verbänden nicht mehr so leicht einnorden. Und deshalb versucht man mehr Geld als unterstützende Maßnahme zu bekommen, eine sogenannte Anschubfinanzierung. 15 Millionen zusätzlich zu den 160 Millionen sollen schon schriftlich für das nächste Jahr gefordert worden sein. Mittel, um sich Ruhe in den eigenen Reihen zu erkaufen? Das wird den Parlamentariern sicher nicht gefallen. Aber wie sagte schon der US-amerikanische Satiriker Ambrose Gwinnett Bierce, genannt Bitter Pierce: „Reform ist eine Sache, die hauptsächlich die Reformer befriedigt.“