Sport und Politik – eine oft fragwürdige Beziehung

Von internationalen Vorgaben und nationalen Problemlagen

Dem Sport ist zu aller Zeit aus gutem Grund immer die größte Bedeutung beigemessen worden: er unterhält die Massen; und vor allem die Diktatoren wissen, warum sie immer und in jedem Fall für den Sport sind.“ So ernüchternd real schätzte der Schriftsteller Thomas Bernhard den Spitzensport und das Geschehen rundherum Anfang der 80er Jahre ein. Wie würde der Kommentar des Österreichers, der 1989 starb, wohl angesichts der Skandale, der Betrügereien und Korruptionsvorfälle, des Dopingmorasts auf nationalem und internationalem Sportparkett heute ausfallen?

Das Verhältnis zwischen Politik und Sport hat sich in den letzten Jahren verändert. Der ökonomische, mediale und politische Aufstieg der Olympischen Bewegung schien bisher unaufhaltsam. Mit der wachsenden Bedeutung gewinnbringender sportlicher Großereignisse stieg besonders das Interesse von PolitikerInnen, die mit Hilfe des Sports innen- und außenpolitisch ihr Image aufpolieren wollen. Mit steigender Nachfrage wuchs auch das Prestige der SportfunktionärInnen. Und ihre Anspruchshaltung: Das Internationale Olympische Komitee (IOC) beispielsweise diktiert schamlos potenziellen Olympia-Bewerbern Forderungen wie etwa finanzielle Vorteile durch Steuerbefreiung. Es schreibt Hotelkapazitäten und die Anzahl der Zuschauerplätze vor und entscheidet, welche Sponsoren zugelassen sind. Große Sportverbände wie die FIFA agieren ähnlich.

Größenwahn und Sportruinen

Politik ließ das zu, ja machte bei diesem Geschäftsgebaren mit, wollte sie doch mit den olympischen Ringen im eigenen Land punkten. Und manchmal mit Brot und Spielen von anderen Problemen ablenken. Was bei dem Größenwahn von Funktionären und Politikern herauskam, ist weltweit zu begutachten: Ob in Südafrika, Athen, Sotschi oder Peking – Stadien- und Sportstätten-Ruinen. Trotz Agenda 2020, mit der der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach dem Gigantismus Einhalt gebieten wollte, zeigt das Beispiel Tokio wieder, dass ein Bewerber finanziell schon ins Schleudern geraten kann, bevor die olympische Flamme lodert, auch wenn er noch so gut kalkuliert hat. In der japanischen Hauptstadt werden 2020 die Spiele ausgetragen, die mit „kurzen Wegen“ geworben hatten. Nun kämpft das reiche Industrieland, das trotz des Reaktorunglücks in Fukushima 2013 den Zuschlag bekam, mit den Kosten. Und muss erkennen, dass es momentan ratsam ist, die Finger von Spielen mit derzeitigem Anforderungsprofil zu lassen.

Versprechen der Funktionärskaste vertrauen mittlerweile Politiker, aber vor allem BürgerInnen nicht mehr. Wie auch, angesichts der Skandale, die besonders in den letzten beiden Jahren am Fließband geliefert wurden. Boston, Hamburg, Oslo – um nur drei abspringende Bewerberstädte zu nennen – mussten Olympia-Träume begraben, weil die Bevölkerung nicht bereit war, für ein Riesenspektakel immens viel Steuergeld auszugeben.

Nicht die vorderste Priorität

Rom zog kürzlich seine Bewerbung zurück, weil man sich „Spiele schlicht nicht leisten kann. Rom ist hochverschuldet“, begründete Bürgermeisterin Virginia Raggi den Ausstieg. Und verwies auf Turin, Gastgeber der Winterspiele von 2006, das noch heute unter „den Kosten für Olympia leide“.

In vielen Ländern müssen sich Politik und Gesellschaft mit großen Problemen wie einer desolaten Wirtschaft, daraus resultierender Arbeitslosigkeit besonders auch unter Jugendlichen, Rassismus, Nationalismus oder dem Flüchtlingsthema auseinandersetzen. Da rutscht der Sport in der Prioritätenliste nach hinten“, sagt der Politologe Ingo Peters vom renommierten Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin. Der Fachmann für Außenpolitik und bekennender „Sportinteressent“ beobachtet mit Erstaunen, was da auf der Welt-, aber auch auf der heimatlichen Sportbühne für skurrile Stücke in den letzten Jahrzehnten und besonders in letzter Zeit aufgeführt werden.

Sportfunktionäre behaupten noch immer, Sport habe nichts mit Politik zu tun. Sie nehmen Politik aber dann für sich in Anspruch, wenn sie ihnen nützt: Der ehemalige IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch und eine Reihe IOC-Mitglieder waren und sind der Meinung, das IOC habe den Friedensnobelpreis verdient wegen seines Engagements für Menschenrechte und Völkerverständigung. Und Bach ist ebenso auf der Spur seines Mentors Samaranch unterwegs. Gerne hält er vor der UN pathetische Friedensreden und lullt damit die Zuhörer ein. Oder versucht mit Aktionen wie einem Flüchtlings-Team, das unter olympischer Flagge in Rio startet, in den Kreis hoher Diplomaten aufgenommen zu werden und für positive Schlagzeilen zu sorgen, während das IOC-Schiff zwischen Skandal-Inseln manövriert und vergeblich versucht, wieder in ruhige Gewässer zu gelangen.

Farbe bekennen

Unpolitisch erklärt sich der Sport, wenn er Farbe bekennen muss. Streit um politische Meinungsäußerungen von Athleten bei Olympischen Spielen hat Tradition: Als 1968 in Mexiko-Stadt die beiden schwarzen 200-Meter-Läufer Tommy Smith und John Carlos bei der Siegerehrung mit gestreckter Faust gegen die Diskriminierung der Afro-Amerikaner in den USA demonstrierten, wurden sie nach Hause geschickt und mussten die Medaillen abgeben. Das IOC bezog sich auf die Regel 51 der Olympischen Charta .Diese untersagt „jegliche Demonstration oder politische, religiöse oder rassistische Propaganda“ in olympischen Sportstätten oder im olympischen Dorf. Freie Meinungsäußerung des „mündigen Athleten“ unerwünscht. Diskussionen um Menschenrechte oder Diskriminierung von Minderheiten sind seit Jahrzehnten Thema im Sport, der sich meistens ambivalent verhält: Südafrika wurde wegen seiner Apartheidpolitik offiziell von der olympischen Familie ausgeschlossen. Aber: Sun City lockte mit exklusiven und gut dotiertenTennis- und Golfturnieren, zu denen SportlerInnen fuhren – ohne Sanktionen befürchten zu müssen. In Peking 2008 war Kritik an der Menschenrechtspolitik im gastgebenden China und dem benachbarten Tibet ebenso „unerwünscht“, und teilweise wurde Teams ein Maulkorb verpasst.

Gerne verdrängt der Sport politische Missstände und Verfehlungen. Vor allem, weil er nun häufig den Schulterschluss mit Regimen und deren Führern suchen muss. Denn demokratische Staaten wollen bei dem dopingverseuchten, finanziell überzüchteten Zirkus Olympia nicht mehr mitmachen.

Die Winterspiele in Sotschi waren die Spiele des russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin, der dem Sport und seinem Männerfreund Thomas Bach alle Wünsche erfüllte. Bei den Spielen in Brasilien konnte sich der Ober-Olympier nun für das „Entgegenkommen“ revanchieren, als die Russen mit ihrem systemimmanenten Doping aufgeflogen waren. Das IOC und sein Chef lavierten erfolgreich, und Putin konnte sein Gesicht wahren. Bach wehrte sich nach der IOC-Entscheidung, nicht das gesamte russische Team ausgeschlossen zu haben, gegen den Vorwurf, von Moskau beeinflusst worden zu sein. „Wir können keinen Staatschef oder Minister bestrafen.“ Höchstens mit Missachtung. Aber die kann und will man sich im großen Geschäft Sport schon gar nicht leisten.

Plötzlich Widerstand

Ja, die Leichtigkeit des Seins ist dahin: Das bekommen nun auch deutsche SportfunktionärInnen zu spüren, die sich in den letzten Jahrzehnten nicht besonders anstrengen oder gar rechtfertigen mussten, um für den (Spitzen-)Sport beim jeweiligen Bundesinnenminister oder den Ländern Geld locker zu machen. Sie stoßen zu ihrer Überraschung plötzlich auf Widerstand und Einmischung. Nicht erst seit es um die Spitzensportreform geht, drängt sich die Frage auf, wer eigentlich im deutschen Sport mittlerweile das Sagen hat.

Dass es derzeit nicht der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) allein ist, wird besonders beim Reformentwurf deutlich. Der wird als gemeinsames Papier von Bundesinnenministerium (BMI) und DOSB verkauft, zeigt aber deutlich die Handschrift des Ministeriums. Das traut dem DOSB-Führungspersonal offensichtlich schon lange nicht mehr zu, den Spitzensport in die Erfolgsspur zu bringen. Schließlich war der DOSB nach der Fusion von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee (NOK) angetreten, den Spitzensport in glänzende Sphären zu führen. Und scheiterte kläglich zuletzt vor den Spielen in London 2012 mit seinen Ambitionen, eine erfolgreiche Medaillenschmiede maßzuschneidern.

Danach reichte es dem BMI und seinen zuständigen Beamten offensichtlich mit den dilettantischen Versuchsreihen. Dass ein anderer sportpolitischer Wind weht, zeigte sich bereits beim Antidoping-Gesetz. Auch da übernahm die Politik das Kommando.

Einst ein launiges Miteinander

Politik und Sport, das war Jahrzehnte lang in der Bundesrepublik und später im vereinten Deutschland ein launiges Miteinander, bei dem nur selten schlechte Stimmung aufkam. Man kungelte gerne Entscheidungen im Vier-Augengespräch aus, die auch mal, nachdem sie an die Öffentlichkeit gedrungen waren, wieder eingesammelt wurden. Aber Funktionäre und Politiker hatten sich lieb.

Das hat sich geändert. Da holt DOSB- Präsident Alfons Hörmann bei der Mitgliederversammlung nach dem gescheiterten Olympiareferendum in Hamburg zum verbalen Rundumschlag gegen die Bundeskanzlerin, den Finanz- und den anwesenden Bundesinnenminister aus, weil er sich von der Politik in seinen Olympia-Ambitionen zu wenig unterstützt fühlt. Ist das der neue Umgangston, weil man glaubt, sich das herausnehmen zu können? Oder Selbstüberschätzung, die irrige Annahme, man wäre auf Augenhöhe? „Die globale Bedeutungszuweisung des Sports macht Fehleinschätzungen der eigenen Position schon möglich“, sagt Peters und verweist darauf, dass dem Sport ja auch viele Sonderrechte zugebilligt werden. Etwa eine eigene Gerichtsbarkeit. „ Der Sport ist da so etwas wie der Staat im Staate“, sagt der Politologe. Und das verzogene Hätschelkind möchte immer mehr.

Funktionäre, die die Macht haben, große Sportfeste zu organisieren und interessante Management-Aufgaben wahrnehmen, sehen sich da schnell in der Rolle von Vorstandsvorsitzenden großer Unternehmen, denen sie gerne nicht nur in Firmenphilosophie und Compliance nacheifern. Was sich nach den jüngsten Skandalen in den Konzernen nun auch nicht gerade als erstrebenswertesVorbild anbietet.

Die Symbiose Politik und Sport klappt meistens – die gegenseitige, so harmlos scheinende Nähe entpuppt sich als nutzbringender Klüngel der führenden Zirkel. Peters beschreibt das als „optische Kumpanei“, die auch deshalb funktioniert, weil Politiker und Funktionäre eigentlich sehr ähnlich gestrickt sind, mit „Macher-Mentalität, Chuzpe und Selbstgefälligkeit“ ausgestattet.

Im Trend

Vielleicht hat sich gerade deshalb zwischen Bundesminister und DOSB-Präsident so etwas wie eine Männerfreundschaft entwickelt, wie sie zwischen Funktionären und Politikern mittlerweile im Trend liegen. Eine Beziehungskiste, die sich dann auch schon mal bewährt, wenn ein zu forscher BMI-Beamter offensichtlich die Kreise des DOSB stört und nach einem Anruf von Hörmann vom Minister höchstpersönlich zurückgepfiffen wird. Das Reformpapier kommt beiden zupass: der Minister rechtfertigt damit, dass Steuermittel nicht für aussichtslose Olympiareisekader ausgegeben werden. Der Präsident kann endlich seine Träume vom Medaillen-Unternehmen DOSB realisieren. Zwei Macher,die sagen, wo es lang geht.

Glauben beide zumindest. Denn: Man muss sich schon fragen, wo die Reform-Macher, die nun seit Anfang 2015 an dem Papier gearbeitet haben, in letzter Zeit waren. Sie haben anscheinend nicht mitbekommen, was sich in der Sportwelt so abgespielt hat und wie kritisch die gesellschaftliche Stimmungslage gegenüber dem Spitzensport ist. Oder war ihnen das egal?

Dem Spitzensport verschrieben

Man fühlt sich in die 80er Jahre versetzt, als Spitzensport und Nationen in Zeiten des sportlichen Ost-West-Wettrüstens sich nur über Medaillen definierten. Denn das erklärte und einzige Ziel dieses Reformentwurfes sind Medaillen. Das sei in dem Beratergremium, dem Hörmann und de Maizière vorstanden, einstimmig beschlossen worden. Was nun zunächst nicht verwundert: Schließlich hat sich der DOSB in den letzten zehn Jahren als Spitzensport-Organisation verstanden und weniger als Dachorganisation eines „Sports für alle“. Und deshalb verwundert es auch nicht, dass die Frage gar nicht gestellt wird, ob das Sammeln von Edelmetall heute als Rechtfertigung für die Finanzierung von Spitzensport durch Steuergelder noch taugt. Ebenso wenig wie die Frage, ob die Gesellschaft diesen Spitzensport noch will, zumal doch vieles an das inhumane Sportsystem der DDR erinnert. Keine Frage, ob der Leistungsdruck durch die Medaillen-Vorgaben nicht auch wieder den Griff in die pharmazeutische Trickkiste provoziert, weil man sonst gegen internationale Konkurrenz in vielen Sportarten null Chancen hat.

Mit Apfelmus

Klarheit, Wahrheit und Glaubwürdigkeit sind Lieblingswörter von Hörmann und de Maizière. Doch wie steht es damit, wenn Podiumsplätze als Maß aller Dinge gefordert werden – und zwar ohne Doping? Schon seit längerem versteift sich der Minister auf mehr Medaillen. „Deutschland muss nicht mit Medaillen beweisen, dass es ein wirtschaftlich leistungsstarkes Land ist“, sagt dagegen der Soziologe und Philosoph Gunter Gebauer. „Wir haben andere Parameter.“ Auch der Politologe Peters findet „diese Art des Belohnungssystems mehr als überholt und absurd“.

Absurd wird dann auch ein Anti-Doping-Gesetz,wenn man gleichzeitig Edelmetall – wieder besseren Wissens – nur mit Hilfe von Apfelmus einfordert. Absurd wird auch, wenn Wissenschaftler im Auftrag von Politik und Sport flächendeckendes Doping in der DDR aufarbeiten sollen. Oder wenn in Freiburg eine Kommission die unrühmliche Rolle von Sportmedizinern in Sachen Doping untersucht, wenn aus deren Ergebnissen nicht die richtigen Schlüsse gezogen werden.

Wie müssen sich Athleten fühlen, wenn sie schwarz auf weiß lesen, dass Anstrengung und persönliche Bestleistungen sich nur dann lohnen, wenn am Ende auch eine Medaille um ihren Hals hängt? Das Beste geben reicht nicht mehr, um sich den Traum Olympia erfüllen zu können. Und was denken wohl Doping-Opfer, wenn sie sich mit dem Papier beschäftigen? „Medaillen nicht um jeden Preis“, versichert der Minister, der den Preis aber nun selbst festgelegt hat.

Sportdeutschland wabert

Einer gesellschaftspolitischen Diskussion gehen Politiker und Funktionäre schon seit langem aus gutem Grund aus dem Weg. Nicht nur, weil sie in letzter Zeit erfahren mussten, dass BürgerInnen sich nicht nur in Referenden gegen Olympiabewerbungen dem Spitzensport gegenüber kritisch zeigen. Sondern, weil ihnen die Argumente zur Rechtfertigung der Förderung des Spitzensports ausgehen. Denn: Vorbild-, Repräsentations- und Identifikationsfunktion fallen ersatzlos weg in dem verlotterten globalen Spitzensportbetrieb.

Wir sind nicht verpflichtet, Spitzensport zu fördern“ sagt de Maizière. Und Kritiker antworten ihm: Dann soll man es doch lassen. Und sie fordern eine gesellschaftspolitische Diskussion zum Thema Sport und Spitzensport. Der in jeder Hinsicht schrumpfende Scheinriese DOSB, der stolz auf seine 27 Millionen Mitglieder verweist und sich als größte Personenvereinigung der Republik gerne selbst feiert, hat eben diese Mehrheit vernachlässigt. Gesellschaftspolitisch mischt der DOSB nicht mehr mit wie früher, wo sich bei sportrelevanten Themen wie Gesundheit, Bildung, Familie, Umwelt, Schulsport oder Sportstätten der Präsident höchstselbst lautstark und kompetent in die öffentliche Tagespolitik einbrachte.

Sportdeutschland“ wabert und labert durch jede Rede eines offensichtlich völlig überforderten Alfons Hörmann, hat aber keine Stimme mehr. Wer eine Spitzensportreform konzipiert, der muss sich zum Beispiel auch für die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit Ganztagsschulen und Vereins- und Nachwuchssport sowie Schulsport überhaupt massiv einsetzen. Oder Ursachenforschung betreiben, warum viele Verbände mit sinkenden Mitgliederzahlen zu kämpfen haben, andere dagegen einen Boom erleben. Und warum deshalb vielleicht nicht überall Talente zu finden sind. Das Motto „Ohne Breite keine Spitze“ wäre auch eine Leitthese für das Reformpapier gewesen.

Kein leichter Weg

Sportpolitik findet ja nicht nur im Bund statt, sondern in Ländern und Kommunen. „Dort werden Entscheidungen getroffen, die für Sport treibende BürgerInnen wichtig sind“ sagt Peters. Und damit wäre der DOSB auch da angekommen, wofür seine Vorgänger-Organisation Deutscher Sportbund 1950 in Hannover gegründet wurde: Sich besonders um die Gesundheit der Bevölkerung und speziell auch um den Schulsport zu kümmern.

Kritik würde nicht ausbleiben, das war de Maizière und Hörmann bewusst. Schon bei der Vorstellung des Entwurfs vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestags war klar: Das wird kein leichter Weg für das Duo. Apropos Sportausschuss: An seiner Daseinsberechtigung scheiden sich seit langem die Geister. Auch diesmal gab es Kritik. Denn die Parlamentarier, von denen eine Reihe aus der Koalition per Amt auch fest im Sport verankert sind, schauten viel zu lange tatenlos dem Reformtreiben zu, rafften sich aber dann doch auf, mit einer Anhörung eine gesellschaftspolitische Debatte anzuleiern Aber auch da spielen spezielle Interessenlagen eine Rolle, ob man politisch unbefangen agiert. Oder nur eine Pflichtübung veranstaltet.

Sportwissenschaft kritisiert

Dass eine Spitzensportreform ohne gesellschaftspolitische Verankerung aus vielen Gründen nicht möglich sein kann, das machte die Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS) beim Festakt zu ihrem 40-jährigen Bestehen deutlich. Vorsitzender Kuno Hottenrott und Festredner Elk Franke sparten nicht mit Kritik. „Die neue potentialorientierte Fördersystematik …, die allein auf den Attributen Erfolg und Perspektive basiert, negiert wesentliche gesellschaftliche Attribute des Sports und den Transfer für Gesundheit und Fitness“, sagte Hottenrott, der sich explizit gegen die Konzentration nur auf medaillenträchtige Sportarten aussprach. Werte wie Fairness, Respekt, Solidarität, aber auch Glaubwürdigkeit sollten neben Leistungswillen, Fleiß und Durchhaltevermögen im Fokus stehen.

Und Sportphilosoph Franke beklagte, dass die leistungssportliche Praxis oft erwarte, dass Forschungsgelder nach dem Muster von Cash & Carry auch immer zu Medaillen führen müssten. Es gebe viele „Übersetzungsprobleme“ zwischen Wissenschaftlern und Praktikern“, stellte er fest. Sicher wissend, dass in den Verbänden die intensivere Verankerung der Wissenschaft in dem Reformentwurf auf wenig Gegenliebe stößt.

Die Aufgabe der Sportwissenschaft sieht Franke darin, Grenzen zu markieren, Stopp-Regeln zu entwickeln, einen Beitrag zum Nachhaltigkeitsdenken im gegenwartsbetrieben Sportbetrieb zu liefern. Es gelte eine Sportlandschaft zu gestalten „die wir mit gutem Gewissen auch noch unseren Kindern und Enkelkindern empfehlen können.“

Da könnte sicher auch ein Politologe für Sport weiterhelfen. Doch die sind Mangelware. Derzeit gibt es – so das Rechercheergebnis – nur einen „echten“ ausgewiesenen Lehrstuhl für Politik und Sport an der Sporthochschule Köln. „Das ist oft eine Frage der Kapazität und der inhaltlichen Ausrichtung. Politik und Sport wäre für viele interessant gerade jetzt. Aber das ist ein Luxus, den man sich leisten können muss“, sagt Peters. Es gebe aber ja Soziologen oder Philosophen, die sich mit der Thematik bestens auskennen. „In den letzten Jahren sind nachweislich geisteswissenschaftliche Projekte an Hochschulen und Instituten immer mehr zurückgefahren worden“, bestätigen Experten. Sportökonomie und Sportmanagement seien gefragt. Das wirkt schizophren: Einerseits wird Sportpolitik immer wichtiger, aber nur wenige beschäftigen sich systematisch damit.

Politisch unsensibel und an der Klientel vorbei regiert, unkommunikativ und beratungsresistent. So beschreibt ein Sportverbandsvertreter seine Eindrücke der letzten Monate, während die Reform als „geheime Kommandosache“ behandelt wurde. Nun erfahren also die Macher vielfach Gegenwind, der sich von von Seiten der Mitgliedsorganisationen noch wie ein laues Lüftchen anfühlt. Es könnte sich aber bis zur Mitgliederversammlung im Dezember zu einer Sturmbö entwickeln. Man wolle, um es mit Kanzler Willy Brandt zu sagen, „mehr Demokratie wagen“. Die Zeiten des Diktats von oben und des „An-der-Basis-vorbei-Regierens“ seien vorbei.

Diesen Beitrag und ähnliche zu dem Themenfeld finden Sie in der neuerschienenen  Zeitschrift “Olympisches Feuer”  ( Nummer 3) der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG).