Der DOSB im olympischen Bummelzug

Heftige Kritik am Bewerbungsprozess/ LSB-Präsident Härtel fehlen Dynamik und Strategie

Berlin, 28. November 2024. Mit einer „gewissen wachsenden Unruhe“ beschreibt der Präsident des Landessportbundes (LSB) Berlin, Thomas Härtel, die Bemühungen rund um eine mögliche deutsche Olympiabewer­bung. Zur Beruhigung trägt die neueste Personal-Querele um den Vorstandsvorsitzenden im Deut­schen Olympischen Sportbund (DOSB), Torsten Burmester, der nun als Oberbürgermeister für die SPD in Köln kandidieren wird, da nicht gera­de bei.

Und auch die Gesamtgemengelage des deutschen organisierten Sports, die durch das Scheitern der Bundesregierung noch verschärft wurde, sorgt für Grabesstimmung. Nun will der DOSB bei der Mitgliederversammlung am 7. Dezember in Saarbrücken den Delegierten unter Tagesordnungs­punkt 14 einen Beschlussvorschlag vorlegen, der lautet: „Die Mitgliederversammlung beauftragt den Deutschen Olympischen Sportbund zu Beginn des Jahres 2025 beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) den „Continuous Dialogue“ (soweit es die politischen Rahmenbedingungen ermög­lichen) zu beantragen. Und somit das Interesse an der Ausrichtung der Olympischen und Pa­ralympischen Spiele zu unterstreichen.“

Weiter heißt es in der Vorlage: „Um in einen Continuous Dialogue einzutreten, ist der DOSB auf­gefordert, dem IOC ein offizielles Absichtsschreiben mit Angabe der interessierten Städte und Re­gionen vorzulegen. Durch die Zeichnung des MoU (Memorandum of Unterstanding, Red.) ha­ben Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Leipzig und München sowie die Bundesländer Bayern und Nordrhein-Westfalen ihr Interesse an der Ausrichtung bekundet. Für die Segelwettbewerbe haben die Städte Kiel und Rostock (Warnemünde) ihr Interesse beim DOSB hinterlegt.“ Soweit, so gut.

Oder auch nicht gut. Insider und Experten kritisieren das Vorgehen um die Bewerbung heftig. Man habe aus Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt. Vom olympischen „Bummelzug“ ist die Rede. „Gute Laune bekommt man bei diesem Herangehen nicht“, sagt Thomas Härtel, mit dem sportspitze.de unter anderem über die aktuelle Si­tuation im DOSB, die fehlende Strategie und Dynamik um eine Olympiabewerbung gesprochen hat.

Herr Härtel, aus aktuellem Anlass: Nach dem DOSB-Debakel rund um Alfons Hör­mann, ausgelöst durch einen anonymen Brief aus der Mitarbeiterschaft, glaubte ja keiner, dass der DOSB sich in Sachen hausgemachter Krisen noch steigern könnte, aber wie man sieht: Es geht.

Härtel: In der Situation, in der sich der deutsche Sport jetzt darstellt, einen Vorstandsvorsitzenden zu verlieren, ist schon dramatisch. Nicht zuletzt auch wegen des Bewerbungsprozesses um die Olympi­schen und Paralympischen Spiele. Ungünstiger hätte der Zeitpunkt, wo sich die Frage stellt: „Quo vadis DOSB?“, gar nicht sein können. Gerade jetzt wäre es dringend erforderlich, eine starke haupt­amtliche und ehrenamtliche Führung zu haben. Nachdem nun offensichtlich Präsidium und Haupt­amt auch nach eigener Einschätzung – Kritik extern und intern gibt es ja genug – festgestellt haben, dass der Prozess einer Olympiabewerbung nicht den Schwung und die Dynamik erreicht hat, wie man sich das vorstellte, wollte man das ja nun mit einer neuen Organisationsstruktur verbessern. Es gibt seit wenigen Wochen ein neues Gremium, das die Kommunikation und Kooperation zwischen Präsidium, Hauptamt und der Olympia-Stabsstelle verbessern sollte.

Noch ein Gremium? Warum? Was heißt das?

Härtel: Da muss man nun tatsächlich die Frage stellen: Warum kommt man jetzt zu dem Ergebnis, dass es klarere Strukturen braucht, klare Verantwortungen festgelegt werden müssen, etwa wer im Präsidium wofür zuständig ist. Das macht uns alle etwas unruhig, wie das bisher läuft.

In diesem Zusammenhang: War es ein Fehler, dass man die Ressort-Zuständigkeiten im Präsidium aufgab?

Härtel: Die Ressort-Zuständigkeiten muss man ja nicht so formal festlegen, das ist nicht unbedingt erforderlich. Aber man muss zu den jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkten, die man sich setzt – etwa Olympische und Paralympische Spiele – im Präsidium festlegen: Wer hat welche Verantwor­tung bei welchem Thema? Das ist dann auch Aufgabe der Geschäftsführung innerhalb des ehrenamtlichen Präsidiums, wie man damit umgeht.

Das heißt: Das Präsidium hat Richtlinienkompetenz, sagt den Hauptamtlichen, was sie machen sollen, die erledigen das operative Geschäft, das der oder die VizepräsidentIn überwacht, dem oder der dieser Schwer­punkt vom Präsidium zugewiesen ist.

Härtel: Ich möchte nochmal betonen: Es darf nicht um eine formale Zuteilung von Verantwortung und Aufgabe gehen ohne Effekt. Sondern die bestimmten Präsidiumsmitglieder müssen sich um ihren Auftrag kümmern. Und das heißt aber auch, sie haben nicht nur die Verantwortung, sondern sie haben auch ein Entscheidungsrecht, können dem Gegenüber auch verbindliche Zusagen machen. Und das selbstverständlich alles in Absprache mit dem Hauptamt.

Man muss auch erkennen, welche Bedeutung ein Thema hat, wer das vertreten soll. Beispiel Sport­fördergesetz. Bei dieser hohen politischen Bedeutung, das wegweisend für den Sport ist, liegt klar die Verantwortung beim Präsidenten – im Zusammenspiel mit dem zuständigen Vorstand und dem Vorstandsvorsitzenden. Schwerpunkt für den Präsidenten wäre natürlich auch Olympia.

Zuständigkeiten, sportpolitische Verhandlungen und Verantwortung sind das eine, Kommunikation das andere. Die Kommunikationsschwierigkeiten innerhalb des Sports sind ja nicht neu und sind bei der Entscheidung von Torsten Burmester, für ein politisches Amt zu kandidieren, wieder deutlich geworden.

Mangelnde Kommunikation, politisch und strategisch nicht auf Ballhöhe zu sein, sind Vorwürfe, die man auch rund um die Olympia-Ambitionen des DOSB vor allem von denen hört, die sich gerne be­werben oder mitbewerben wollen. Olympiabewerbung steht auf der Tagesordnung unter TOP 14 der Mitgliederversammlung. Aber wer die Vorlage sieht, fragt sich, wie soll man abstimmen, wenn da kein Konzept vorhanden ist. Worüber stimmt man ab? Dass man sich bewerben will? Hat man ja schon im letzten Jahr. Also worüber stimmt man ohne Konzept(e) ab?

Härtel: Die Mitgliedsorganisationen haben im letzten Jahr entschieden, dass Deutschland sich be­werben soll. Der DOSB-Plan war, so jedenfalls ist das verstanden worden, dass jetzt auf der Mit­gliederversammlung konkret benannt werden soll, mit wem man in den Continuous Dialogue geht. Das ist aber nicht geklärt. Jetzt soll das Ende nächsten Jahres geklärt werden. Oder vielleicht, wie DOSB-Präsident Thomas Weikert sagt, dann, wenn die neue Bundesregierung steht. Das ist doch verrückt, wir verlieren immer mehr Zeit. Und je länger wir diskutieren, um so mehr Bewerbungs-Varianten liegen auf dem Tisch, die sicher neue Debatten auslösen. Wer mit wem antritt, wer mit wem nicht antritt, wer nun doch lieber verzichtet. Keiner der potentiellen Teilnehmer an der nationalen Bewerbung weiß doch, wo es hingeht, wie er planen soll oder kann.

Und weiter gedacht: Wenn dann im nächsten Jahr mehrere gleichwertige Konzepte vorliegen – ge­hen wir dann mit mehreren Konzepten ins Rennen? Bleibt Zeit, die aussichtsreichsten zu wählen etc.? Das kann doch so nicht funktionieren. Der DOSB muss nun endlich den Mut haben, zu entschei­den, wer als Bewerber ins Rennen gehen soll. Und dann muss zeitnah ein Konzept stehen. Die Aus­rede, man müsse auf eine neue Bundesregierung warten, ist absurd: Der Sport muss doch erstmal sein Konzept erarbeiten, um dann für eine mögliche Bewerbung für 2036 oder 2040 gut vorbereitet zu sein. Je länger man herumlaviert, um so geringer werden die Chancen. Auch wenn der noch amtierende Bundeskanzler 2040 favorisiert, ist für den deutschen Sport 2036 nicht von vornherein vom Tisch, sondern das bleibt ein Thema, weil wir sehen müssen, wie man dieses Zeitfenster nutzt, um in diesen internationalen Dialogprozess mit hineinzukommen. Und dort zu bleiben. Deshalb arbeiten wir in Berlin auch auf 2036 hin.

Wie kann man auf etwas hinarbeiten, wo man nicht weiß, was denn nun gewollt ist?

Härtel: Gute Frage. Was stellt sich der DOSB nun vor, wie will er mit den potenziellen Bewerbern Gespräche führen? Mal abgesehen davon gab es ja auch einige Irritationen, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) verursachte. Da war die Rede von einem neuen Dialogverfahren. Das soll jetzt nicht nur auf der IOC-Vollversammlung in dem entsprechenden Ausschuss geklärt werden. Dann hieß es: regional ist denkbar – das ist nun wieder vom Tisch, weil man „One Village“ haben will – also ein olympisches Dorf, unabhängig von den Wassersportarten. Ist ja auch richtig so und im Sin­ne der AthletInnen. Also, wenn man sich nun regional bewerben will, dann braucht man da einen Anker – und das ist das olympische Dorf und ein Olympiastadion. Die Anker können ja dann nur Berlin oder München sein. Regionale Bewerbungen z.B. mit zwei olympischen Dörfern ohne ein vorhandenes Olympiastadion an zentraler Stelle können nicht erfolgreich sein. Lösungen, um es allen recht zu machen, wird es nicht geben. Wabernde Diskussionen wie jetzt setzen das falsche Si­gnal, verstärken sich und sorgen für Unmut, weil sich im DOSB keiner zu sagen traut: So Leute, wir haben hier eine sportfachliche Expertise – die müsste ja mittlerweile auf dem DOSB-Tisch liegen – und deshalb konzentrieren wir uns nun hier auf diese Standorte. Das wäre eine klare Botschaft an alle Beteiligten. Und man würde sich viel Arbeit und Ressourcen sparen.

Apropos Beteiligte. Der DOSB hat ja betont, dass er ohne Bürgervotum nicht ins olympische Ren­nen gehen will. Mittlerweile hört sich das bei manchem etwas anders an. Aussagen etwa von der Berliner In­nensenatorin Iris Spranger lassen sich da eher ablehnend interpretieren.

Härtel: Ohne Bürgerbeteiligung geht nichts. Wir sind ja schon auf der Suche nach Beteiligungsfor­maten. Rein rechtlich ist das in Berlin nicht so einfach, weil wir nach unserer Verfassung nicht die Möglichkeit haben, eine solche Bürgerbefragung aus der Regierungsebene auf den Weg zu bringen. Das geht nur über ein Volksbegehren von wem auch immer. Organisiert der Sport so ein Volksbegehren, dann wird es si­cher auch von den Olympiagegnern eines geben. Aber jetzt müssen wir uns erstmal klar darüber sein, wie wir konzeptionell und mit wem wir in den Wettbewerb gehen.

Die Bürgerbeteiligung wird auch noch aus einem anderen Grund zur Herausforderung: Wie kriegt man in den Bewerberstädten oder Bundesländern – die dann als Team antreten – eine gemeinsame Bürgerabstimmung hin? Und was passiert, wenn sich die Stadt X pro und die Stadt Y contra Spiele ausspricht? Das wird eine große Herausforderung nicht nur, um ein faires und gutes Abstimmungs­verfahren zu finden, sondern auch unter dem zeitlichen Aspekt.

Wenn man sich nicht nur in Berlin, sondern auch anderswo in der Republik mit Menschen über die Frage der Spiele in Deutschland unterhält, dann erlebt man hier ein sehr gespaltenes Echo. Selbst sportaffine Menschen sagen, es gäbe nicht nur im Land überhaupt, sondern auch im Sport erstmal andere Herausforderungen zu lösen. Sie verweisen auf Probleme ihres Sportalltags oder als Eltern: Marode Sportstätten, zu wenig Übungsleiter, Wartelisten beim Vereinssport und viele Kürzungen in den öffentlichen Haushalten. Auch der Berliner Senat hat sich mit seinem Sparflamme-Etat keine Freunde gemacht. Die von Kürzungen Betroffenen gehen auf die Barrikaden. Und dann eine Olympiabewerbung? Wie wollen Sie den Menschen verklickern, dass man in eine Bewerbung mit unsicherem Ausgang trotzdem investieren sollte?

Härtel: Natürlich sehe ich die finanziellen Zwänge. Und natürlich haben wir hier in Berlin einen hohen Sanierungsbedarf auch an Sportstätten. Wenn wir uns nicht für Olympische und Paralympische Spiele bewer­ben, glauben Sie, dann würden Sportstätten mit dem eingesparten Geld saniert? Nein, natürlich nicht. Umgekehrt ist es aber so: Bewerben wir uns für die Spiele, dann besteht zumindest die Hoffnung, dass man für den Sport etwas tut. Die Bewerbung könnte der Motor für eine nachhaltige Sanierung der Sportstätten sein. Ich kann mich nicht bewerben, wenn ich überall nur marode Sportplätze oder keine Bäder mehr habe, Hallenzeiten mangels Räumen fehlen.

Der LSB hat im Blick auf die Bewerbung eigene Sparvorschläge unterbreitet, die sind akzeptiert worden. Dabei helfen auch unsere Fördervereinbarungen, die wir mit dem Senat haben. Zum Beispiel hatte die neue Koalition bei der Sportanlagensanierung die Mittel von 18 Millionen auf 30 Millionen Euro er­höht. Nun wurden sechs Millionen gekürzt auf, 24 Millionen. Dafür soll es im nächsten Jahr keine weiteren Kürzungen geben. Das ist ein kleines Signal der Politik, trotz der finanziellen Herausforderungen, die wir im Bezug auf die Sanierung haben, sich für eine Bewerbung einzusetzen, die auch zu einer positiven Entwicklung der Stadt beiträgt.

Ein weiteres positives Zeichen setzte die Bildungsverwaltung, die bei „Berlin hat Talent“ oder „Ju­gend trainiert“ eben nicht gekürzt hat. Hier ist ein weiterer Grund für eine Olympiabewerbung: Kinder und Jugendliche, aber auch wir alle profitieren: Im Fahrtwind von Olympia kann man gesell­schaftspolitisch relevante Forderungen platzieren und erreichen. Frankreich hat es mit den Pariser Spielen vorgemacht. Beispiel: Die obligatorische dritte Sport-Schulstunde, die tägliche Bewegungsstunde in Schule und Kita. So hilft Olympia, ein Sportumfeld zu schaffen, das Menschen in Bewegung bringt oder hält – sowohl im Leis­tungssport, aber auch im Breitensport.

Da könnte man nun Studien bemühen, etwa wie nachhaltig Spiele nun wirklich auf die Gesellschaft wirken – die jüngste aus Kanada sagt, da redet man sich vieles schön – die Fakten sind andere. Fak­ten sind das, wofür der DOSB nun sorgen muss. Wie lange würde Berlin nun an den Olympia-Am­bitionen festhalten, wann würde der LSB Berlin sagen: Jetzt haben wir die Faxen dicke, wenn hier nichts rüberkommt, wir steigen aus?

Härtel: Im Sport braucht man Kondition, regelmäßiges Training, mehrere Anläufe und das notwendige Selbstbewusstsein. Aufgeben, so lange auch nur ein kleines Fünkchen Hoffnung besteht, kommt für mich nicht in Betracht.