Herr Bach, zeigen Sie endlich Empathie!

IOC manövriert sich mit dem Festhalten an den Olympischen Spielen ins Abseits der Weltgemeinschaft

Berlin, 21.März. Was gibt es da noch groß abzuwarten, Herr Bach? Zeigen Sie endlich Empathie und Realitätssinn! Das Corona-Virus hält die Welt in Geiselhaft und schwebt wie ein Damoklesschwert über der Menschheit. Und der Präsident Thomas Bach und sein Internationales Olympisches Komitee (IOC), wollen offensichtlich koste es was es wolle die Olympischen Spiele in Tokio just in time durchziehen. Warum?

Wenn es dem Komitee-Präsidenten und seinen KollegInnen wie sie bei allen Gelegenheiten phrasenreich kundtun, wirklich um die AthletInnen ginge, und diese im Mittelpunkt der Spiele und sonstiger IOC-Bemühungen stehen sollen, dann hätten seine Verantwortlichen ohne Zögern und Zaudern schon lange das Handtuch werfen müssen. Warum tun sie es nicht? Weil der Tanz um das Goldene Kalb Mammon und Macht wichtiger ist als alles andere. 1,3 Milliarden Euro für die Fernsehrechte vom Medienkonzern Discovery sind für das IOC das durchschlagende Argument. Und sicher gibt es da noch die eine oder andere verbindliche Zusage an die gastgebenden Japaner, die man nun zurücknehmen muss.

Zweifelhafte Entscheidungen

Das IOC hat in den letzten Jahren mit skurrilen und sehr zweifelhaften Entscheidungen – denkt man allein an den Umgang mit Doping oder Korruption – daran gearbeitet, seinen Ruf zu ruinieren. Und nun ist es dabei, sich endgültig aus der gesellschaftlichen Solidargemeinschaft zu verabschieden und den letzten verbliebenen Rest an Respekt zu verlieren.

Ausgerechnet die Organisation, die sich gerne als Fairplayer und Teamplayer, Friedensstifter und Brückenbauer zwischen den Völkern verkauft, drückt sich vor einer verantwortungsvollen Entscheidung, die Spiele abzusagen. Bach ist derzeit im Interview-Modus, wo er sich nur in Phrasen verliert und klare Antworten schuldig bleibt.

Bei seinen peinlichen Fernsehauftritten versucht er die Verantwortung für eine Entscheidung auf andere zu schieben: Die Weltgesundheitsorganisation WHO etwa, oder das Gastgeberland. Man sei in ständigem Austausch mit Experten, Verbänden und AthletInnen. Würde das IOC auf sie hören, wäre schon längst die Absage da. Stattdessen: Beim Entzünden des Olympischen Feuers in Olympia sind mal wieder Selbstüberschätzung und Pathos angesagt. Der griechische NOK-Präsident Spyros Kapralos versteigt sich bei der Minizeremonie im Panathinaikon Stadion zu dem Satz „Wir hoffen, dass das Olympische Feuer das Virus auslöscht.“ Und mit einem Lächeln redet sich Bach in einen olympischen Begeisterungsrausch. „Wir wissen zwar nicht, wie lang der Tunnel sein wird, in dem wir uns ja alle befinden, aber wir möchten, dass die olympische Flamme ein Licht am Ende dieses Tunnels ist“, twitterte Bach später. Bach mit Tunnelblick.

Taktieren

Derweil unterstützt der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), der gleichzeitig noch im Stich-Wahlkampf um das Landratsamt im Oberallgäu gefordert ist, wieder einmal das Taktieren seines DOSB-Amtsvorgängers Bach. Abwarten. Verantwortungsvolles Handeln. Man müsse ja sehen, dass die Athleten hart für diesen Lebenstraum Olympia gearbeitet hätten, sagt er.

Die SportlerInnen wollen sich einen Lebenstraum erfüllen. Wie viele andere, die nun gezwungen sind, ihre Träume erst mal ad acta zu legen, und auf bessere Zeiten zu warten. Aktive, die etwa von den Boykotten 1984 betroffen waren, wissen, wie es sich anfühlt, um harte Arbeit und Medaillenchancen gebracht zu werden. Aber hier geht es nicht um politische Lagerspielchen, sondern um ein Virus, das Leben bedroht. Und die meisten der aktiven AthletInnen, Ex-SportlerInnen, (Sport)PolitikerInnen sehen die Bedrohung und plädieren für Verzicht.

Und was wären das für Spiele? Ein verzerrter Wettbewerb wegen ungleicher Vorbereitungsmöglichkeiten, fehlender Dopingkontrollen (die wurden teilweise ausgesetzt) und immer die Angst, ob das Menetekel Corona wirklich verschwunden ist.

Über Grenzen

Heitere, unbeschwerte Spiele? Die japanischen Gastgeber wollten diese als eine Art Traumabewältigung, nachdem sie von Naturgewalten wie Tsunami, Erdbeben und einem Reaktorunglück mit verstrahlten Folgen heimgesucht wurden. Und nun sollen die Spiele, für die das Land auch finanziell weit über die gesteckten Grenzen ging, abgesagt werden? Ja! Auch Premierminister Abe wird seinen BürgerInnen irgendwie erklären müssen, warum der Corona-Virus ausgerechnet vor dem Land der aufgehenden Sonne halt machen sollte.

Was ist eigentlich mit den Nationalen Olympischen Komitees und Verbänden? Glauben die im Ernst, dass ihre Regierungen, die jetzt Grenzen dicht machen, bürgerliche Freiheiten einschränken, Ausgangssperren verhängen, sie nach Tokio lassen, wenn die Situation sich nicht ändert? Sie haben schon zu viele Probleme, um sich noch weitere aufzuhalsen. Selbst für Regimes, die mit Menschen sonst nicht zimperlich umgehen, wird das schwer zu erklären, ohne Gesichtsverlust. Also will das IOC, der (Spitzen)-Sport, mal wieder Staat im Staate spielen und seine eigenen Regeln aufstellen? Keine Regierung, die ernst genommen werden will, kann dem Sport da wieder eine Ausnahmerolle zugestehen. 

Solidarischer Breitensport

Der Breitensport und dessen Protagonisten Landessportbünde und Vereine haben sich – nicht nur in Deutschland – ohne Diskussion solidarisch verhalten, tragen Entscheidungen wie Platzsperren, Spielverbote etc. klaglos mit. Und selbst Profiverbände haben weltweit schnell verstanden, worum es geht. Auch wenn sich, wie zum Beispiel hierzulande, zunächst der Profifußball ziemlich schwer getan hat, den Spielbetrieb abzusagen und Manager wie der Dortmunder Hans-Joachim Watzke oder der Kölner Horst Heldt sich ziemlich im Ton vergriffen haben.

Und der Deutsche Olympische Sportbund? Hörmann versucht sich als sportlicher Krisenmanager – und redet Bach das Wort. Aber: Es sind keine Zeiten für Kuschelkurs. Wie wäre es, wenn der DOSB und seine olympischen Verbände sich klar positionieren und für sich zu der Entscheidung kommen: „Es sind zwar Olympische Spiele, aber wir fahren diesmal nicht hin, weil wir Verantwortung und Fürsorgepflicht ernst nehmen und nicht wieder nur darüber schwafeln.“

Warum kein klares Bekenntnis?

Was hatte Hörmann in der ARD-Sportschau nochmal gesagt? „Das sportliche Ereignis an sich ist sekundär, es geht ums Überleben der Menschheit, nicht um einzelne Gold-, Silber- und Bronzemedaillen.“ So what? Wenn das so ist, warum dann nicht das klare Bekenntnis für eine Absage der Spiele, die am 24. Juli beginnen sollen. Sportpolitische Führungsqualität und Haltung sind gefragt: In so einer Situation ist der DOSB-Präsident nicht seinem Vorgänger im Präsidentenamt Thomas Bach Loyalität schuldig, sondern den AthletInnen.

Der Sport lebe nicht auf einer Insel der Seligen, hat einst NOK-Chef Willi Daume angesichts der Boykottfrage gesagt. Man müsse sich manchmal Gegebenheiten fügen, auch wenn sie einem nicht gefallen. Nun ist so eine Gegebenheit. Bach und sein IOC sollten sich bewusst sein, dass Sport noch für viele die schönste Nebensache der Welt ist. Aber eben eine Nebensache. Und in einer Situation wie der jetzigen, die die Welt aus den Angeln hebt, erst recht. Und je länger das IOC die Absage/Verschiebung der Spiele hinauszögert, um so mehr gerät es ins Abseits der Weltgemeinschaft. Auch wenn das IOC, das offenbar realitätsfremd unter einer Glasglocke sitzt, das bisher nicht begriffen hat: Das Phänomen Olympische Spiele, mit dem man so gerne hausieren geht, hat sich längst entzaubert. Die Corona-Krise könnte das IOC auch als Chance für einen Neuanfang begreifen.Denn auch die Sportwelt, besonders die olympische, wird danach eine andere sein.