Wannsee-Gespräch mit LSB-Präsident Härtel über Bundesmilliarde, Stilfragen, Olympisches und Sport am Bau
Berlin, 27. Oktober. Mit dem Präsidenten des Landessportbundes Berlin, Thomas Härtel, über Sport zu diskutieren, ist kurzweilig, und man geht nicht selten mit neuen Ideen nach Hause. Sport ist eine Passion des 74-Jährigen. Er schreibt ihm eine Rolle als verbindende Kraft zu – vor allem gesellschaftspolitisch gerade jetzt, wo die Zeitenwende sich weiter in eine eher pessimistische Richtung entwickelt und der Zusammenhalt in der Republik immer weiter auseinanderdriftet. Auch der organisierte Sport, den Härtel seit Jahrzehnten begleitet und gestaltet, ist nun seit längerem im Krisen-Modus. So treffen an einem herrlichen Oktobertag beim „Wannsee-Gespräch“ zwei aufeinander, die im Sport viel Positives sehen, aber auch mit Kritik nicht sparen.
Einstieg ins Gespräch: die Gesamtgemengelage des organisierten Sports. Die Analyse ist deprimierend. Baustellen – vor allem Langzeit-Baustellen – gibt es en masse seit Jahrzehnten. Der organisierte Sport tut sich nicht nur mit einer System-Rundumerneuerung schwer. Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), gerne als großer träger Tanker beschrieben, schlingert seit langem zwischen Modernität und Tradition, Anspruchshaltung und Umsetzungsvermögen ohne klares Ziel, das er ansteuern will, durch die nationale und internationale Sportwelt.
Von der Weltspitze abgehängt
Der deutsche Spitzensport ist seit mindestens zwei Dekaden von der Weltspitze abgehängt. Immer mehr Geld wurde und wird in dieses dahin modernde Sportfass gebuttert – die Erfolge, die in erster Linie Medaillen heißen, bleiben aus. Also Steuergeld versenkt – wofür? Dazu: Fehlschläge bei den Reformbemühungen, Dauerbrenner Sanierungsstau bei Sportanlagen und Schwimmbädern. What the hell ist da los?
Nun setzt die deutsche Sportgemeinde alle Hoffnung und größte Erwartungen auf das Staatsministerium für Sport und Ehrenamt. Das haben sie ja vehement gefordert. Nun ist es da, angedockt am Kanzleramt, und die MitarbeiterInnen – zumindest die, die schon vom Bundesinnenministerium ins Kanzleramt umgezogen sind, haben schon mal eine besonders schöne Aussicht auf den Reichstag. Aber wie entwickelt sich das Ganze? Ist die erste deutsche Sportministerin Christiane Schenderlein den Erwartungen gerecht geworden?
Überraschung aus der Kabinettbildungs-Tüte
Thomas Härtel, der selbst als Landes-Staatssekretär 12 Jahre zunächst unter seinem LSB-Vorgänger Klaus Böger, dem Senator für Bildung, Jugend und Sport, und dann bei Innensenator Eckhard Körting, als der für Sport zuständig war, ein politisches Amt innehatte, weiß, wie das mit Forderungen und Ansprüchen ist. Noch dazu, wenn da eine Kommunikationswissenschaftlerin als Überraschungsfee aus der Kabinettbildungs-Tüte gezogen wird, die keiner im Netzwerk Sport, geschweige denn in der Sport-Blase kennt? „Natürlich haben alle erstmal im Abgeordnetenbuch des Bundestages nachgeschlagen, um wen es sich da handelt, als Frau Schenderlein vorgestellt wurde. Die Ministerin, das ist nicht nur mein Eindruck, hat in den letzten Monaten viele Gespräche geführt, Veranstaltungen besucht, um sich einen Über- und Einblick zu verschaffen.
Und sie ist eine Zuhörende, die sich auch vor Ort Sorgen und Probleme angehört hat. Der Start für sie war insofern nicht leicht, da sich ja die beiden Etats für 2025 und 2026 überlagerten – wie soll man da auf Wünsche und Forderungen eingehen, wenn noch nichts klar ist? Aber die Ministerin hatte dann doch Positives zu melden: Die Ehrenamtspauschale wird von 840 auf 960 Euro erhöht, ebenso die Übungsleiterpauschale um zehn Prozent. Nicht nur die Anhebung der Pauschalen, sondern auch eine Reihe steuerrechtlicher Änderungen werden die Buchhaltung von Vereinen und Verbänden entlasten und unbürokratischer machen.“
Verwirrung um Bundesmilliarde
Jetzt gibt es Aufregung wegen der Bundesmilliarde für den Sport, die es ja nun gar nicht gibt, wie nicht nur die Grünen sagen. Für die Legislatur sollte jährlich aus dem 500-Milliarden-Sondervermögen eine Milliarde für Sport zur Verfügung gestellt werden. Viele im Sport sprechen von Fake News. Der DOSB dagegen und auch manche Medien haben sie groß gefeiert. Was ist denn nun Sache?
Thomas Härtel kommt bei solchen unübersichtlichen Sachverhalten seine politische Vergangenheit zugute. Und er kommt als fachkundiger Erklärer in Fahrt. Schließlich saß er schon auf beiden Seiten von Verhandlungstischen und weiß, wie da die Leute ticken. „Es gab und gibt eine Reihe von Irritationen. Der Wunsch des Sports wurde nicht so erfüllt, wie er sich das vorgestellt hat. Sie haben es schon angesprochen: Aus vier Milliarden im Koalitionsvertrag wurde eine Milliarde auf vier Jahre verteilt. Nun sind für diesen Haushalt etwa 330 Millionen für den Sport eingestellt. Wann und in welcher Höhe die Mittel kommen, und wie transparent das Verteilersystem ist – das ist noch unklar. Da wird es notwendigerweise eine Bund-Ländervereinbarung geben, die das Prozedere klärt.“
Wie kommt man an die Kohle?
Von Klärung scheint man weit weg zu sein, denn ein weiteres Tohuwabohu sorgt für Ärger und Aufregung: Wie kommt man denn eigentlich an die Kohle? „Sie haben Recht, es herrscht große Verwirrung. Denn wer ist denn für welche Anträge zuständig, und wie wird was beantragt? Es scheint wohl so zu sein, dass für einen Teil das Bundeskanzleramt, für den anderen das Bundesbauministerium zuständig ist.Und dann geht noch alles über den Haushaltsausschuss des Bundestages.“,sagt Härtel. So weit, so unklar.
Wenn wir nun schon beim Geld sind – was ist mit den 100 Milliarden aus dem Sondervermögen für das Klimapaket, das ja mit einem Gesetz unterlegt ist? Und da ist der Sport auch explizit als Aufgabenfeld genannt. „Ja, auch dafür müssen erst einmal Kriterien festgelegt werden. In Berlin hat die Landesregierung entschieden, dass man mit diesen Mitteln insbesondere die Berliner Bäderlandschaft entwickeln will – das sind wirkliche Zukunftsinvestitionen, die ich begrüße“, so der LSB-Präsident.
Schwerpunktsetzung
Bei den Milliarden wird einem schwindelig. Härtel mahnt deshalb auch: „Da schwirren riesige Summen durch den Raum, manche verteilen das Geld schon, bevor sie es haben. In der jetzigen wirtschaftlichen Situation ist es wirklich vonnöten, die Mittel zukunftsorientiert einzusetzen. Dazu braucht es eine klare, transparente und pragmatische Herangehensweise und eine Schwerpunktsetzung. Der Konflikt auch im Sport wird sein, dass Landessportbünde, Sportbezirke vor Ort und Vereine, die eigene Sportstätten haben, eine zu hohe finanzielle Erwartungshaltung haben, was sie vom großen Kuchen abbekommen. Am Ende werden die Stücke dann doch sehr klein ausfallen. Rechnen Sie doch mal die 100 Milliarden für die Länder und Kommunen runter, dann werden etwa 7000 Euro pro Kommune rauskommen. Da machen Sie mal große Sprünge. Aber mit oder ohne Bundesmilliarde: Auf keinen Fall darf – ich nenne es mal kleinteilige Sanierung – etwa Turnhallen-Fenstern, Böden, Lichtanlagen etc. – auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben werden. Das muss weitergehen auch aus den normalen Haushaltsmitteln. Da darf man die Kommunen nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Denn dann wären kleinere Vereine, die einen hohen Bedarf haben, selbst noch Eigenanteile erbringen, am Ende die Gelackmeierten“, erklärt Härtel. „Wir als Landessportbünde müssen damit zurechtkommen und uns entsprechend einbringen.“
Kommunikations-Defizit
Man merkt schon, dass das mit der Kommunikation im Sport immer noch nicht wirklich klappt. Aber offensichtlich auch zwischen Sport und Politik nicht. Und mit der Öffentlichkeit. „Da werden Erwartungen geweckt, die nicht erfüllt werden können. Aber es wird dann auch nicht erklärt und deutlich gemacht, dass und was anders kommt als versprochen.“ Der DOSB kann sich aus Sicht des Berliners nicht einfach zurücklehnen und zuschauen, was denn nun so passiert. „Die Dachorganisation muss da öffentlich kommunikativ unterstützen, in dem sie immer wieder und jeden Tag auf die gesellschaftliche Bedeutung des Sports hinweist.“
Diplom-Pädagoge Härtel ist ja – nicht zuletzt aus seiner Erfahrung als politischer Beamter – schon lange ein Verfechter ressortübergreifender Betrachtung, Beachtung und Behandlung des Sports. Das Sportministerium sollte, wenn es nach ihm ginge, eine Art Koordinierungsstelle sein oder werden, die immer wieder den Sport als wichtigen Player allen betroffenen Ministerien bei Entscheidungen in Erinnerung bringt. Und von wo auch neue Vorschläge und Projekte kommen. „Da werden wir mal am Ende der Legislatur sehen, ob das gelungen ist.“
Sport im oder um den Bau
Thomas Härtel wäre nicht Thomas Härtel, hätte er da nicht schon eine Idee. Etwa zum Thema bewegte, gesunde Stadt. Da gibt es in Berlin eine Vorschrift, die man auch für den Sport bundesweit zuschneiden könnte. „Wenn hier ein Unternehmen auf öffentlichem Gelände eine Baumaßnahme in Angriff nimmt, dann ist es verpflichtet, einen gewissen Betrag für „Kunst am Bau“ zurückzulegen. Das ist eine Auflage, die man in Berlin einführte, um die Kultur zu fördern. Ob einem die Kunstwerke dann gefallen, ist eine andere Sache. Nun könnten ja Sportministerium und Bauministerium ein Stadtentwicklungs-Konzept erarbeiten, wo eben neben Wohnungen oder Büros auch ein Obolus für Sport und Bewegungsprojekte mit eingeplant werden.“ Sport im Bau oder Sport rund um den Bau? Warum eigentlich nicht?
Baustellen in Arbeit
Aber derzeit sind Sportministerium und DOSB mit anderen Baustellen beschäftigt: Bei dem Gespräch lag der neue oder, besser gesagt, überarbeite Referenten-Entwurf des Sportfördergesetzes noch nicht vor. Der ist seit Donnerstag (23. Oktober) aus der Regierungs-Pipeline geploppt. Und schon gibt es Ärger. Dabei geht es jetzt erstmal um Stilfragen und gar nicht um Inhalte. Der DOSB war und ist vermutlich noch angefressen, was seiner knappen Aussage, auf ZDF-Heute online nachzulesen ist: „Dem DOSB ist der neue Referentenentwurf heute um 14.15 Uhr zugegangen. Wir werden eine erste Kommentierung vornehmen, wenn wir ausreichend Zeit hatten, ihn sorgfältig zu prüfen und inhaltlich zu bewerten.“
Auch Thomas Härtel hat Probleme mit dem Stil, wie der Entwurf den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hat. „Offensichtlich auf einem Weg, der einem fairen Umgang mit der größten gesellschaftlichen Organisation – und das ist nun mal der DOSB – keineswegs gerecht wird und auch das Parlament brüskiert, das ebenfalls erst über die Presse informiert wurde. Ein Umgang, der mehr als zu denken gibt. Und mein erster Eindruck: Der DOSB sitzt hier am Katzentisch. Kein guter Auftakt!“ Mal sehen, wie es weitergeht.
Münchner mit Olympia-Ja
Und dann ist da noch die Olympiabewerbung. Und seit Sonntag (26. Oktober) ist zumindest klar, dass die Münchner und Münchnerinnen sich für Olympische Spiele 2036, 2040, 2044 bewerben wollen: Rund 460 000 (42 Prozent) der knapp 1,3 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme pro Olympia ab: 66,4 Prozent stimmten dafür, in den Bewerbungsprozess einzutreten. Ein in dieser Höhe von niemanden erwartetes Pro-Votum hat selbst die bayerischen Olympia-Granden überrascht.Und auch die anderen Kandidaten Berlin, Hamburg und Rhein-Ruhr, die brav gratulierten, sind wohl leicht geschockt von dem klaren Ergebnis. War’s das jetzt für die anderen? Aus der Landeshauptstadt lässt der bayerische Ministerpräsident Markus Söder keinen Zweifel dran, dass er sich schon im Anstieg auf den Olymp befindet und von niemandem mehr ausgebremst werden will – und auch nicht vom Zeitplan oder vom Prozedere. „Jetzt fluten wir den DOSB mit unseren Argumenten“, zitiert ihn die dpa. Ob die lauten MP-Töne den DOSB zum Umdenken und Umschwenken bringen werden? Warten wir’s ab.
Überraschungs-Ei
„Bei Olympia bin ich raus!“ Ein Satz, der einem immer wieder vor den Latz geknallt wird, kommt man auf die Bewerbungsversuche zu sprechen. Das Gebaren des Internationalen Olympischen Komitees, aber auch das horrende Geld, das Spiele kosten, und immer mehr das Thema Sicherheit sind Themen, die Bürger und Bürgerinnen für eine Olympiabewerbung nicht begeistern können.
Hat sich das nun geändert? Und wie sehen die Mitbewerber das ganze: Resignation oder gar Rückzug? Ganz im Gegenteil, wobei: Die Statements, die man liest, klingen schon nach „sich selbst Mut“ machen. Natürlich nachgefragt nach diesem Münchener Überraschungs-Ei bei Thomas Härtel.
„Das deutliche Ja der Münchnerinnen und Münchner zu einer Bewerbung ihrer Stadt für Olympische und Paralympische Spiele ist ein klares Ja für den Sport in Deutschland. Eine Bewerbung Deutschlands ist unabhängig von der Entscheidung des DOSB für einen der vier Bewerber. Die Spiele – so sehen es alle Konzepte vor – sollen nicht nur ein kurzes Sommermärchen sein, sondern die Sportförderung in Deutschland auf ein neues Niveau heben: Für eine bessere Sportinfrastruktur, für mehr Sportangebote in der Schule, mehr Unterstützung des ehrenamtlichen Engagements unserer Trainer und Trainerinnen und natürlich auch für bessere und nachhaltige Förderung des Leistungssports. Das klare Ja aus München ist ein deutliches Signal an Sport und Politik – wir wollen die Spiele, und wir wollen sie für den gesamten Sport. Das gilt für München, wie in Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Berlin. Dafür sein ist alles – gemeinsam ein Ziel.“
Diplomatie ist in diesem Fall alles. Der LSB-Präsident gibt zu verstehen, dass man weiter im Rennen bleiben will. Um es mit Herrmann Hesse zu sagen: „ Siegen ist nicht alles, aber nicht aufgeben ist alles.“ Oder – warten wir mal ab, was als nächstes kommt – im Sport kommt es häufig eben anders als man denkt.