Abschiedsbrief an den organisierten Sport …

… und das eine oder andere in eigener Sache

Liebe Leser und Leserinnen,

geschätzte Freunde und Freundinnen im Sport,

selbsternannte Feinde und Feindinnen im Abseits,

Abschiede mit Gedöns sind eigentlich mein Ding nicht. Aber diesmal geht es nicht anders. Es gibt einiges zu klären. Ich glaube, ich bin das den vielen Menschen, die das ausmachen, was „der Sport“ ist, schuldig – den vielen Ehrenamtlichen und Mitgliedern in den Vereinen und den AthletInnen. Aber auch KollegInnen und integren FunktionärInnen.

Nach 46 Jahren Journalismus, davon 44 hauptsächlich im Sportjournalismus, die ich nicht missen möchte, weil ich meinen Traumberuf ausüben konnte, viele großartige Menschen auf dem Platz und am Spielfeldrand kennenlernen durfte, die Vorbild und Inspiration waren, ist heute mein letzter offizieller Arbeitstag – mit einem Blick zurück – manchmal im Zorn, aber auch mit einem Blick nach vorn mit leiser Hoffnung. Man sehe mir nach, dass es an manchen Stellen sehr persönlich wird.

Internationaler Spitzensport und Großsportevents

Wenn JournalistInnen über Sport berichten, so meist über Spitzensport. Und dieser Spitzensport und ich, wir haben uns entfremdet. Und die Distanz zu einigen, die diesen Spitzensport verantworten, ist mittlerweile eine nahezu unüberbrückbare Kluft geworden. Warum? Weil diese Facette des Sports sich auch von sich selbst und vor allem von seinen Werten entfremdet hat. Weil es nur noch ums Geschäft geht, an dem manche korrupte und machtverliebte FunktionärInnen sich in unverschämter Weise bereichern. Weil offensichtlich Fairplay nur noch eine Worthülse ist. Weil man gesamtgesellschaftliche Probleme meist ausblendet und nur wahrnimmt, wenn man dazu gedrängt wird. Weil man Krisen und politische Missstände nur mit Symbolpolitik angeht, die man dann wie eine Monstranz vor sich herträgt und großmäulig sein Engagement vor Kameras kund tut. Um das zu wissen, hätte es nicht auch noch die Fußball-WM in Katar gebraucht.

Großereignisse wie eine WM oder Olympische Spiele als völkerverbindende, integrative, respektvolle und friedensstiftende Plattform zu sehen, ist zynisch. Der Sport kann sicher die Probleme nicht lösen, an denen schon die Politik scheitert, aber zumindest sollte er seine eigenen Werte und Vorgaben einhalten, die er doch gerne mit großem Pathos vorträgt, – und für sie einstehen. Vor allem die internationalen Organisationen und Verbände, die in ihrer Parallelwelt oft über den Dingen schweben, ignorieren gerne, was in der Welt da draußen so los ist. Die Akteure wirken aus der Zeit gefallen, obwohl sie andererseits den hochmodernen Spitzensport mit Hightech auf allen Gebieten puschen und performen.

Wachstum bei Muskeln und Einnahmen

Die Seele ist dem großen Sport abhanden gekommen. Höher, weiter, schneller – auf allen Sportebenen und mit welchen Mitteln ist egal, Wachstum bei den Muskeln und Wachstum bei den Einnahmen ist nach wie vor die Maxime. Die Welt verändert sich gerade in dramatischer Weise – viele Sportgremien eher nicht.

Sport und Politik hätten nichts miteinander zu tun, behaupten Sportführer immer noch gerne, wenn es gerade zum eigenen Image passt. Aber dann doch, wenn man sich selbst als Friedensstifter in Szene setzen kann. IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch sah sich schon als Friedensnobelpreisträger. Nach-Nachfolger Thomas Bach würde der Titel UN-Präsident des Weltsports sicher gut gefallen. Dass ausgerechnet Fifa-Präsident Gianni Infantino jüngst vor der UN, den Hütern der Menschenrechte, über den Schutz der Integrität des Sports und die Gefahren durch Korruption sprechen durfte, ist da schon ein Treppenwitz und zeigt, dass auch PolitikerInnen nicht genau hinschauen, was im Sport eigentlich los ist, und wen sie sich da einladen.

Kulturen nicht kompatibel

Genau hinschauen will man oft nicht, etwa wenn man als selbst erklärte wichtige Sportorganisation internationale Events vergibt. Mit Autokraten hat beispielsweise das IOC die wenigsten Scherereien: Menschenrechte, Umweltschutz oder Klimakrise –  kein Problem. Für die Olympischen Ringe wird alles platt gemacht. Der Kater kommt dann, wenn man erkennen muss, dass da selbstbewusste Kulturen aufeinander prallen,die nicht kompatibel sind. Und die Erkenntnis, sich im Vorfeld vielleicht nicht nur um Gewinnmaximierung, sondern mit Eigenheiten der Partner gegenüber am Tisch zu beschäftigen, kommt dann erst, wenn Ärger ins Haus steht.

Der deutsche Sportführer Willi Daume verwies in solchen Zusammenhängen immer darauf, dass der Sport „keine Insel der Seligen“ sei. Das negieren Verantwortliche im Sport, aber auch in der Politik immer noch:  Nun fällt diese Verweigerung den SportfunktionärInnen und den PolitikerInnen permanent auf die Füße.

Seehofers Sport-Spaß

Stopp: Was soll das Genöle zum Abschied? Hier einer, der es wissen muss. Der ehemalige Bundesinnenminister Horst Seehofer, bekennender Handballer, für den der Spaß, nicht Medaillen das wichtigste am Sport ist, wie er sagt – und in diesem Zusammenhang auch gleich damit mal die eigene Spitzensportreform ad absurdum führte, drückte es in einem sehr ehrlichen Moment so aus: „Sport ist was Schönes. Und ich als Minister will auch mal was Schönes haben.“ Und so hat es die Politik dem organisierten Sport bisher immer besonders leicht gemacht, seine Wünsche zu erfüllen. Man gibt dem bettelnden und nervendem Hätschelkind DOSB und seiner Verbandsfamilie mal wieder Geld, damit Ruhe ist.

Nur selten bestand in den letzten Jahrzehnten die Gefahr, dass sich die reichen Onkel und Tanten aus dem Parlament verweigerten – schließlich strahlt olympischer Glanz auch auf die Geldgeber. Und Sportengagement ist immer gut für das Image im eigenen Wahlkreis. Da das Parlament ja ein Querschnitt der deutschen Gesellschaft sein soll, gibt es  auch dort immer Sportfans. Mittlerweile hat man aber häufig den Eindruck, dass etwa im Sport- und Haushaltsausschuss mehr lobbyierende Fans als distanzierte, kontrollierende und sachorientierte VolksvertreterInnen sitzen. Was sich leider manchmal auch an mangelhafter Sportpolitik festmachen lässt. Und das ist seit Jahrzehnten so.

AthletInnen, Verein Athleten Deutschland

Ein Novum dagegen: AthletInnen organisieren sich weltweit, sind sportpolitische Vordenker und leisten inhaltliche Arbeit wie der Verein Athleten Deutschland. Die SportlerInnen haben erkannt, dass sich intern wie extern in der internationalen wie nationalen Sport-Welt eine Menge ändern muss. Es werden immer mehr, die nicht mehr alles mitmachen wollen – wobei in Sachen Solidarisierung untereinander sicher noch viel Luft nach oben ist. Nicht nur aus Eigeninteresse sehen sie dringenden Handlungsbedarf. Schließlich haben sie es auszubaden, wenn Politik plötzlich das Spielgeschehen bestimmt und sich die Verbände eher um das eigene Wohl und das der Gastgeber als um Bedingungen und Befindlichkeiten der SportlerInnen kümmern. Ohne sie und ihre Leistungen gäbe es aber keine Großsport-Events. Und auch deshalb wollen sie mehr Mitsprache und Mitgestaltung, mehr Geld vom Einnahme-Kuchen.

Kein Status quo

Oft hat man auch den Eindruck, dass die Führungsgeneration und die neue Athletengeneration keine gemeinsame Kommunikationsebene haben – nicht zuletzt, weil die jungen SportlerInnen nicht in dem verkrusteten System verwoben sind wie ihre Verbandspitze, die sich häufig immer noch gegen Veränderungen wehrt. Aber, das stellte nun auch das BMI in seinem letzten Spitzensportpapier mal wieder fest: Man kommt nicht vorwärts, wenn man den Status quo beibehalten wird. Die Zeit arbeitet für die AthletInnen – ob man das nun will oder nicht.

Wie der moderne (Spitzen)-sport in Deutschland aussehen soll, das versucht der Dachverband seit Jahrzehnten herauszufinden. Reform jagt Reform, Konzept jagt Konzept – am Ende dreht man sich im Kreis. Und der Eindruck verstärkte sich gerade in den letzten Tagen wieder, dass der DOSB sich in diesem „Überbrückungs-Jahr“ bis zu den regulären Präsidiumswahlen mit eigenen, eventuell kontroversen, Vorschlägen zurückhielt: Man hangelte sich eher vorsichtig am Koalitionspapier entlang.

Einer echten und ehrlichen gesellschaftlichen Debatte, welchen Sport man will, weichen die Verantwortlichen nach wie vor aus. Und machen wieder den dritten Schritt vor dem ersten. Es türmt sich ein großer Aufgabenberg, mit hausgemachten Problemfeldern und Zukunftsfragen, etwa welche Sportarten in der Klimakrise überleben können. Und da sind noch Ukrainekrieg, Corona- und Energiekrise, die auch den Sport vor Herausforderungen stellen.

Olympia-Blaupause

Und was macht der DOSB? Er kommt mit einer Blaupause für eine Olympiabewerbung um die Ecke. Leute, auch wenn ihr in einer Schublade eine Studie vom September 2021 unter Verschluss habt, wie zu lesen ist, die besagt, dass 60 bis 67 Prozent der Bevölkerung für Spiele in Deutschland sind – das Timing ist falsch. Von einer Roadmap und einem langsamen Herangehen an Olympia war im Sommer noch die Rede, nun hat man aber offensichtlich einen Gang zugelegt. Kaum ist das eisige Verhältnis des DOSB zum IOC aufgetaut, wird schon wieder geträumt. Übrigens: Gibt es eigentlich mittlerweile eine Analyse, warum man mit den vergangenen Bewerbungen baden gegangen ist? Was soll das werden? Glaubt ihr wirklich, in nächster Zeit haben die BürgerInnen mit Olympia viel im Sinn? Lasst euch nicht von den launig sommerlich leichten Münchener  Championships verleiten- die waren auf einem anderen, recht schönen Level. Und lasst euch auch nicht von Beratungsagenturen in einen olympischen Hype quatschen.  Wo bleibt die Sensibilität für die Stimmungslage im Land?

Zumindest auf Breitensportebene scheint man eher die Kurve zu bekommen: Beteiligte, Betroffene und Verantwortliche wollen sich beim Bewegungsgipfel, am 13. Dezember,  den das Bundesinnen- und das Bundesgesundheitsministerium in Berlin in der Max-Schmeling-Halle ausrichten, gedanklich auf Trab bringen. Mal sehen, ob man wirklich gemeinsam in Bewegung kommt….

In eigener Sache: Bannstrahl, Verdächtigungen und interne Ermittlungen

Nun muss ich persönlich werden. Seit der Fusion des Deutschen Sportbundes (DSB) mit dem Nationalen Olympischen Komitee von Deutschland (NOK) 2006 zum Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) hat sich vieles verändert, ist einiges in Schieflage geraten.

Auch zwischen den Sportverantwortlichen und mir. Bis 2013 hatte ich stets ein vertrauensvolles und von gegenseitigem Respekt getragenes Verhältnis zur Sportführung – bei allen gegensätzlichen Meinungen und auch mancher Auseinandersetzung, die aber im Gespräch geklärt wurden und nicht über Anwaltskanzleien, die Drohkulissen aufbauten.

Präsident Thomas Bach und sein General Michael Vesper hatten den Fokus ihrer Arbeit auf das „O“ gelegt – das Olympische. Und Vesper sollte den DOSB entbürokratisieren, schlanker machen und erfolgreicher. So weit, so gut. Schon damals gab es viel Unruhe im Haus des Sports unter den MitarbeiterInnen. Bach war 2013 zum IOC-Präsidenten gewählt worden, sein Wunschkandidat aus dem Allgäu übernahm das Ruder und setzte zunächst den Kurs im Sinne seines Patrons fort.

Die Entwicklungen im DOSB beobachteten die wenigen sportpolitischen JournalistInnen mit großem Interesse – und hinterfragten mehr und mehr. Mit dem Beitrag „Ein Fall für Zwei oder die Suche nach neuen Ufern“ auf meinem Blog (https://sportspitze.de/2016/03/22/ein-fall-fuer-zwei-oder-die-suche-nach-neuen-ufern/) im März 2016 und in der Zeitschrift „Olympisches Feuer“ zum zehnjährigen Bestehen des DOSB traf mich der Bannstrahl des Dachverbandes: Eine kritische Analyse war unerwünscht. Von da an wehte mir häufig eisiger Wind aus der Otto-Fleck-Schneise entgegen.

Selbst Menschen, die ich seit Jahrzehnten kannte, mit denen ich immer vertrauensvoll zusammenarbeitete, gingen mir bei öffentlichen Veranstaltungen des DOSB aus dem Weg. Und einige, von denen man dachte, sie seien gute Bekannte oder gar Freunde, diffamierten mich und meine Beiträge in internen Gremien als „wichtigtuerisch.“ Obwohl sie es besser wussten…

Das ging soweit, dass DOSB-MitarbeiterInnen, die ich anrief, um auf kurzem Weg – wie bisher üblich – eine Sachfrage zu klären, mich an die Pressestelle verwiesen – das sei nun die neue Vorgabe. Nur wenige ignorierten die Anweisung und kündigten mir nicht die Zusammenarbeit. Und auch Michael Vesper zeigte sich – man mag nun zum ihm stehen, wie man will – immer gesprächsoffen, auch wenn er grade mal wieder heftige Kritik auf sich zog. Er hat Nehmerqualitäten.

Seine Nachfolgerin eher weniger. Ihr schien auch das Gespür zu fehlen, was geht und was nicht. Je mehr man das Verhalten des gesamten Präsidiums und Vorstandes beobachtete, fragte man sich: Was geht da ab? Haben die Leute kein Rückgrat? Gegen KritikerInnen wurde intern Stimmung gemacht – etwa in einer Mail an die Vorstandsvorsitzende, die irrtümlich auch bei mir landete.  Als ich die las, dachte ich, schlimmer kann‘s nicht werden. Doch. Es kam schlimmer.

Alle in einem Boot

Kritische sportpolitische JournalistInnen waren und sind dem Funktionärswesen ein Gräuel. Dabei gehen die meisten KollegInnen  einfach ihrer Arbeit nach, der eine etwas kantiger und robuster, andere eher verbindlicher und leiser. Gegenseitiges Vertrauen und Verlässlichkeit sind die Basis für die Arbeit aller Beteiligten. Es gibt sie, die FunktionärInnen, die sachorientiert, aufgeschlossen und kritikfähig – auch gegen sich selbst sind. Aber es gibt eben auch die polternden Gutsherren.

Und die hätten gerne, dass SportjournalistInnen mit in dem Boot sitzen, wo sie den Takt vorgeben. Manche lassen sich darauf ein, sind auch in das Lager der Kampfduzer gewechselt. Und haben da wohl eine sehr eigene Berufsauffassung.

PR-Abteilung

Eine völlig verdrehte Vorstellung von Journalismus, Informationsfluss und Auskunftspflicht haben in dieser Republik mittlerweile Unternehmen, aber auch Ministerien und eben der DOSB und ihre Presseabteilungen, die zu PR-Etagen mutiert sind, in denen eine Drei-Zeilen-Meldung -zigmal umgedreht, wenn möglich auch noch mit dem Juristen abgestimmt werden muss – selbst wenn es nur um die Frage nach der Länge einer Banane geht –, um bloß keine Verantwortung zu übernehmen. Für aktuelle BerichterstatterInnen ein täglicher Albtraum. Auf kaum noch subtile Art werden so JournalistInnen an ihrer Berufsausübung behindert.

Es ist ein Witz, wenn Zitate, die live im Fernsehen gegeben wurden, bei schriftlicher Wiedergabe nochmal mit der Pressestelle abgestimmt werden müssen. Es ist ein Witz, wenn man aufgefordert wird von „Kommunikationschefs“, ganze Artikel vor der Veröffentlichung vorzulegen. Es ist ein Witz, wenn Anfragen zu Sachverhalten von Anwälten statt von der Pressestelle beantwortet werden, weil die Fragen zu kritisch sind und man sich schon die Tendenz des Beitrags vorstellen könne. Es ist ein Witz, wenn Interviews oder Antworten nur pflegeleichten MedienvertreterInnen gegeben werden. Nein, kein Witz – es ist eine Zumutung. Und es sind Eingriffe in freie Berichterstattung.

Keine Schere im Kopf

Ich habe nie in meinem Berufsleben die Schere im Kopf gehabt. Ich habe für viele Medien gearbeitet – besonders lange und gerne für die gute alte „Frankfurter Rundschau“, und habe nie mit Anwälten zu tun gehabt. Doch wenn dann plötzlich Anwaltsschreiben mit einer Frist von zwei Tagen mich als Freiberuflerin ohne juristische Abteilung oder die entsprechende Versicherung im Hintergrund erreichen, dann ist der Druck riesig, zumal ich mit meinem kleinen, werbefreien, unabhängigen sportpolitischen Blog kein Geld verdiene und der Anlass der Klage – so jedenfalls sagen seriöse Medienrechtler – grundlos ist.

Ich war und bin eine kritische, manchmal vielleicht sehr harte Begleiterin des deutschen Sports – aber habe nie unter die Gürtellinie gezielt, habe mich immer um Fairness bemüht, die andere mir gegenüber nicht gewahrt haben. Und so wurde mir in letzter Zeit meine Passion ziemlich verhagelt und die Freude genommen.

Der Sport bin ich

Denn wenn ein Sonnenkönig das Sagen hat, dann gilt: „Der Staat bin ich“, in diesem Fall: „Der Sport bin ich.“ Und Widerspruch hat Folgen. Und so hielten die meisten im Hofstaat um ihn herum  zu oft die Klappe, um nicht Gefahr zu laufen, vom Bann getroffen zu werden, auch wenn noch so krude Dinge passierten. Der Absolutismus als Staatslehre war in „Sportdeutschland“ eingezogen.

Dann flatterte im Mai 2021 nicht nur dem DOSB, sondern auch einigen Kollegen, ein anonymer Brief in den Computer, der auch bei mir landete. Sie erinnern sich: Dem Sonnenkönig und seinen Hofschranzen wurde vorgehalten, dass man in seinem Reich eine „Kultur der Angst“ pflege, sein Führungs- und Umgangsstil gegenüber MitarbeiterInnen u.a. respektlos sei.

Anstatt sich nun mit diesen Vorwürfen zu beschäftigen – es gab übrigens vorher schon einmal ein ähnliches Schreiben an den Betriebsrat, das man aber nicht ernst nahm – setzten die Verantwortlichen alle Hebel in Bewegung, um den oder die Urheber des Schreibens zu entlarven. Und so bastelte man sich eine Liste mit möglichen Verdächtigen – die Zahl schwankte in der Gerüchteküche zwischen acht und 30 Personen. Und startete eine „interne forensische Untersuchung“, unterstützt von teueren Anwälten und Sprachgutachtern.

Profil alte weiße Frau

Und wen wundert‘s? Auch ich landete auf der „RAF-Liste“ des Sports. Warum? Eventuell,  weil  ich auch ins Profil passte, das ein sogenannter Sprachgutachter ermittelte: Einzelperson, eher extern, eher älter, eher weiblich mit deutscher Muttersprache. Schon an dieser Stelle hätte der Wahnsinn ein Ende haben müssen – aber nein, es wurde sogar noch ein zweiter Gutachter verpflichtet. Und man fragt sich schon, wie es um die Seriosität einer Wissenschaft steht, wenn diese vorgibt, anhand von öffentlichen Pressetexten gerichtsverwertbar feststellen zu können, ob ein Mann oder eine Frau sie geschrieben hat.

Die Art der Verwendung von Gedankenstrichen und Doppelpunkten reichte aber dann doch nicht, um mich dingfest zu machen. Das Führungs-Duo ließ aber nicht locker, die infame und streckenweise skurrile Verfolgung weiter zu treiben.

Ich wüsste vermutlich bis heute nicht, dass gegen mich ermittelt wurde, hätte ich nicht einen Anruf bekommen, dass auch ich im Visier sei. Wie irrwitzig das ist, hätte selbst den treibenden Kräften in ihrer Paranoia auffallen müssen: Warum sollte ich einen anonymen Brief schreiben, wenn ohnehin all meine Kritik in meinen Artikeln öffentlich ist und jeder das auf meinem Blog lesen konnte? Deshalb bleibt nur der Schluss, dass man mit völlig haltlosen und schamlosen Unterstellungen mein Renommee treffen und eine unliebsame Kritikerin mundtot machen wollte. 

Würde ich mit denselben Mitteln arbeiten wie die ehemaligen Führungskräfte, würde ich Klage wegen Rufschädigung und Verleumdung einreichen.

Ich habe durch Datenabfrage beim DOSB und weiterer Recherche noch einiges Unschöne herausgefunden, was ich aber aus Quellenschutz nicht veröffentlichen kann. Meinen Unmut und meine Erwartungen habe ich aber gegenüber der amtierenden Führungscrew formuliert. Der Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester hat mir geantwortet. Es war ein netter Brief von einem netten Menschen.

Kittet aber nichts: Die persönliche Betroffenheit und eine gewisse Bitternis bleiben ebenso wie der Vertrauensverlust gegenüber deutschen SportfunktionärInnen…..

Und noch ein Wort an die anonymen BriefeschreiberInnen: Bei allem Verständnis für die Situation, die offensichtlich für manchen im Haus des Sports unerträglich war, sollte man doch am Ende den Mut haben, zu dem zu stehen, was man beklagt und was man ändern will. Zumal, wenn man Unbeteiligte durch weiteres Schweigen in Misskredit und Schwierigkeiten bringt.

Mittlerweile ist es ja im deutschen Sport zum Trend geworden, anonyme Briefe durch die Gegend zu schicken. Leute, das ist kein Running Gag – und als Knaller verbraucht. Außerdem ist es schäbig, auf diese Weise alte Rechnungen begleichen zu wollen. Was wird alles im Sport über Teamplayer und Fairness gelabert. Haltet euch dran: Zeigt Haltung und kritisiert offen, wenn euch was nicht passt, aber versteckt euch nicht hinter der Maske des gutmeinenden und besorgten Mitmenschen.

Fragezeichen hinter dem Aufklärungsbericht

Torsten Burmester hat mir in einem langen Gespräch in Berlin u.a. zum Thema Aufklärung der Vorfälle im DOSB gesagt, er möchte nicht in die Vergangenheit, sondern vorwärts schauen. Ich habe das damals so verstanden, dass man sich nicht dem Vorwurf aussetzen wollte, sich in die Aufklärung einzumischen, oder gar irgendwas zurecht biegen zu wollen. Nach allem, was ich jetzt weiß, bin ich enttäuscht, wie das vom DOSB gehandhabt wird. Und von dem, was das Aufklärungsduo Clemens Basdorf/ Christa Thiel nach langen Monaten Arbeit mit nervigem Zusammenklauben von Unterlagen, von denen niemand weiß, ob sie vollständig vorlagen, zu Papier brachte. Um nicht falsch verstanden zu werden: Es geht weder um Rachegelüste oder Schuldzuweisungen, sondern man hätte sich mehr Transparenz gewünscht, um das Ausmaß des Skandals wirklich einordnen zu können. Die beiden Juristen bescheinigen dem einstigen Führungstandem, dass „kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten vorliegt“. Aber es hat 700 000 Euro für Anwälte, Gutachter und Berater ausgegeben, um einem – ja was? – einem Gespenst mit Tarnkappe hinterher zu jagen. Es gibt viel Widersprüchliches und Unverständliches, viel zu viele geschwärzte Zeilen in dem Bericht. Und es fehlt die Aufforderung an das ehemalige Führungs-Paar, sich öffentlich zu entschuldigen – nicht nur bei denen, die es so nachdrücklich verdächtigt hat.

Ich bin übrigens nicht alleine davon überzeugt, würde alles offengelegt, was da vor sich ging, würde nicht nur einzelnen, die darin verwickelt waren und noch im DOSB /Sport tätig sind, sondern der Dachorganisation insgesamt der Hut um die Ohren fliegen.

Die Vorgänge im DOSB im vergangenen Jahr sind gegenüber allen Mitgliedern im organisierten Sport und dem Engagement aller Ehrenamtlichen ein Tiefschlag. Wer möchte schon in einem Bereich seine Freizeit für das Ehrenamt opfern, wenn sich die oberste Verbandspitze so geriert? Vorleben, was man von den anderen verlangt, ist das oberste Gebot, will man Menschen für ehrenamtliche Arbeit behalten und gewinnen. Und da reicht ein Integritätstest des Spitzenpersonals alleine nicht.

In Krisenzeiten kann der Sport wirklich ein gesellschaftlicher Stabilisator sein: Das hat er, das haben besonders die Vereine, die nun auch der DOSB wieder entdeckt, oft bewiesen. Ohne zu übertreiben: Vereine sind da, wenn es darauf ankommt, laufen dann zur Hochform auf. Für sie sind Mit- und Füreinander, der Teamgeist nicht nur hohle Phrasen, sondern gelebte Solidarität. Und so ist es gut, dass der Breitensport, der in den letzten Jahren stiefmütterlich behandelt wurde, im DOSB eine Renaissance erlebt. Man besinnt sich nicht nur auf die wahren Stärken, sondern auch auf seine Wurzeln: Der DSB  wurde 1950 gegründet, um Kinder und Jugendliche in Bewegung zu bringen, die Volksgesundheit zu erhalten und „Sport für alle“ anzubieten.

Die größte Freude für mich als Übungsleiterin ist, wenn kleine Kinder in der großen Turnhalle quietschvergnügt ihrem Bewegungsdrang nachgeben – mutig den tapsigen Eisbären durch das Kasten-Labyrinth verfolgen, um den tolpatschigen Pinguin, der vom Trampolin-Eis ins blaue Matten-Wasser springen möchte, vor ihm zu retten.

Oder, wenn SeniorInnen in der gemeinsamen Gymnastikstunde  merken: Sie sind nicht allein, sie haben jemanden, der ihnen nicht nur Bälle zuwirft, sondern sich auch hinterher Zeit für einen Plausch nimmt, und sie aus  der Einsamkeit herausholt. Wenigstens einmal in der Woche. Für sie ist es das, was Sport eigentlich sein sollte: die herrlichste Nebensache der Welt auf die man sich freut.

Das mag sentimental sein, aber das ist das Gefühl, was die meisten, die mit Sport groß geworden sind, ähnlich empfinden.

Bundespräsident Richard von Weizsäcker, selbst aktiver Sportler, bezeichnete einst Vereine und ihre ehrenamtlichen Leistungen als das „Grüne am Baum einer freiheitlichen Demokratie“.

Ich würde gerne mit dem Gefühl gehen, dass dieses Grün und dieser Baum und damit das Kulturgut Sport gepflegt werden. Und, dass  Vertrauen und Fairness, Transparenz und Wahrheit auf den Führungsetagen des deutschen Sports tatsächlich wieder einen hohen Stellenwert einnehmen.

Am Ende nun: Ein „Danke sehr“ Ihnen/ Euch allen, die mich einen langen Weg begleitet haben, wohl gesonnen und kritisch konstruktiv, die meinen kleinen Blog geschätzt und zehn Jahre so fleißig gelesen haben – ich werde ab und an sicher dort mal wieder sichtbar sein.

Das warˋs – ich  bin dann mal weg….

Ihre Bianka Schreiber-Rietig