BMI/DOSB Grobkonzept: Neue Wege gehen

Wieder einmal sorgt ein Spitzensportpapier für Ärger und Frust bei den Betroffenen

Berlin, 23. November. Nun liegt also wieder ein Papier in Sachen Spitzensport auf dem Tisch, das das Bundesministerium des Innern und für Heimat (und Sport) am Dienstag einigen Journalisten vorstellte. Gleichzeitig hatte zu dem Thema der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Torsten Burmester, einen Gastbeitrag in der FAZ dazu veröffentlicht. Nicht nur Art und Zeitpunkt der Vorstellung des Spitzensportpapiers werfen dann doch auch einige Fragen auf. Wollte man die schlagzeilenträchtige, skandalöse Fußball-Weltmeisterschaft nutzen, um wegen der alten/neuen Spitzensportreform nicht zu viel Wirbel auszulösen?

Auch auf der Mitgliederversammlung am 3. Dezember in Baden-Baden ist sie kein expliziter Tagesordnungspunkt. Daher wird bei der lahmen Diskussionsfreude der Delegierten auch nicht zu erwarten sein, dass die VerbandspräsidentInnen nun mal öffentlich in die Bütt steigen und nachfragen, was Sache ist.

Alte Probleme

Denn was da unter dem Titel: „Neue Wege gehen – Grobkonzept von BMI und DOSB für den Spitzen- und Leistungssport“ vorgestellt wurde, zeigt nicht nur, dass man aus alten Fehlern nicht gelernt hat, sondern dass es mit der Transparenz und der Beteiligung, die versprochen wurde, nicht so weit her ist.

Seit etwa sechs Monaten brütet still und leise ein BMI/DOSB-Gremium an diesem Konzept. Dabei ist die „Unabhängige Sportagentur“, die nun ein Highlight in der neuen Vorlage ist und im Koalitionsvertrag als „unabhängige Instanz“ zur Förderung des Spitzensports vereinbart wurde, keine neue Idee: Die Vorgänger- Regierung hat daran schon gebastelt. Denn sie war im Lauf der Reformzeit zum Schluss gekommen: Der Sport kann es einfach nicht.

Idee der Athleten

Den Vorschlag eines Bundes-Sportfördergesetzes haben die „Grobkonzeptler“ vom Verein „Athleten Deutschland“ übernommen, der ihn in seinem Grundsatzpapier „Warum ist es uns das wert?“ vom 15. August unterbreitet hatte. Ansonsten wurde wieder Altes in neue Sätze geformt. Und Philosoph Hans Lenk wird zum wiederholten Mal in seinen Thesen bestätigt, die er vor Jahrzehnten genau zum Spitzensport und seiner Zukunft vorstellte: „Man hält für Denken, Planen, Handeln, was allenfalls mediensäuselndes Oberflächenkräuseln ist, tut aber so, als sei es ein Tornado, der wiederum kurzfristig den falschen Eindruck erweckt, jetzt endlich sei man zu den notwendigen und richtigen Konsequenzen bereit.“

Es fehlt nach wie vor an einer Fehleranalyse: Vor fast sieben Jahren wurde mit großem Brimborium die Spitzensportreform aus der Taufe gehoben, wo man schnell von potenzialorientierter Förderung der Besten und bestimmter Sportarten Abstand nehmen musste, weil der Widerstand der anderen, die durchs Raster fallen würden, zu groß war. Dennoch stimmten trotz wachsender Kritik alle der Reform zu, weil viel Geld versprochen wurde. Und auch floss. Die Reform, das zeigte sich schon nach kurzer Zeit, wurde ein Rohrkrepierer, weil sich an Struktur und System nichts änderte und BMI und DOSB um die Lufthoheit über „Sportdeutschland“ rangen.

Keine Weiterentwicklung

Zumindest ist in dem „Grobkonzept“ zu lesen: „Bei kritischer Betrachtung der bisherigen Umsetzung der Reform zeigt sich allerdings auch, dass die punktuellen Veränderungen von einzelnen Strukturelementen des Leistungssports bzw. der Spitzensportförderung allein keine tiefgreifenden Weiterentwicklungen ermöglicht. Daraus folgt, dass eine Trendumkehr für das Leistungssportsystem in Deutschland unter Beibehaltung des Status Quo kaum erzielt werden kann.“

Wie das zu ändern sei, beantworten die Verfasser auch: „Aus Sicht des DOSB und des BMI ist es daher zwingend notwendig, neue Wege für die Weiterentwicklung des Spitzen- und Leistungssports zu gehen: Dazu gehört eine ganzheitliche und umfassende Diskussion zur Frage der Ausgestaltung eines international wettbewerbsfähigen Leistungssportsystems.“

Und außerdem, so lassen die Autoren wissen: „Hinzutreten muss jedoch zwingend auch eine gemeinsam von Sport, Politik und Gesellschaft geführte Debatte zu den Zielstellungen des Leistungssports, welche die nationalen und internationalen Veränderungsprozesse aufgreift.“

Pferd von hinten aufgezäumt

Okay, wenn das so ist, dann müsste man ja nun erst einmal die Debatte führen, welchen Spitzensport man haben möchte. So wie die AthletInnen das fordern. Wenn man weiß, was man will, dann kann man Ziele ausformulieren. Nun diskutiert man erst wieder über Strukturen und Organisation – und zäumt das Pferd erneut von hinten auf, ohne zu wissen, ob der konstruierte Rahmen dann auch passt, um einen erfolgreichen Zieleinlauf zu haben.

Mit den getroffenen Vereinbarungen machen wir den Spitzensport in Deutschland zukunftsfest“, lässt sich die zuständige Ministerin zitieren, die derzeit mit ihrem Sport-Abteilungsleiter Steffen Rülke bei der Fußball-WM in Katar ist.

Wenn also schon Vereinbarungen getroffen sind, was bedeutet dann der Begriff des „Grobkonzepts“? Es ist ja schon eine Richtung vorgegeben worden.Wie ist es mit dem Beteiligungsprozess oder besser gesagt, dem Mitgestaltungsprozess vor allem von Athletinnen und Athleten, die ja im Mittelpunkt der Reform stehen sollen? Die  sagen selbstbewusst: „Eine Leistungssportreform kann nicht ohne die Mitbestimmung und Mitgestaltung der Athlet*innen gelingen. Die Forderung nach paritätischer Mitbestimmung bei allen Entscheidungsprozessen, die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Athlet*innen betreffen, haben wir gegenüber DOSB und BMI seit Frühsommer mehrfach erneuert.“ Die Einbindung war nicht so, wie sich die Athletenvertreter das wohl vorstellen. Sie kritisieren in einer Pressemitteilung den bisherigen Prozess als „in weiten Teilen undurchsichtig.“ Und weiter: „Die Kurzfristigkeit der derzeitigen Entwicklungen lässt unseres Erachtens keine sorgfältige Analyse und Bearbeitung der seit Jahren bestehenden Herausforderungen zu.“ Sie wie andere im Sport wurden am Mittwoch von dem Zeitpunkt der Präsentation des Grobkonzeptes überrumpelt: Die Verbände waren am Dienstag informiert worden, die Sportminister sollen gestern um 11.30 Uhr  eine Einladung zur Vorstellung am Abend (17.30Uhr) erhalten haben.

Burmester beschwichtigt

Vorstandschef Torsten Burmester beschwichtigt in einem DOSB-hauseigenen Interview den Unmut, den nicht nur die  AthletInnen haben, sondern der auch aus Vereinen und Landessportbünden zu hören ist. Auf die Frage: „Was ist aus ihrem Plan geworden, einen Pakt für den Sport zu schließen und erstmal die grundsätzliche Frage zu klären, welchen Leistungssport wir eigentlich haben wollen?“, antwortet er: „Diese Frage müssen wir und werden wir klären. Deshalb ist im Grobkonzept, das wir mit dem BMI erarbeitet haben, eine Strategie- und Zieldebatte verankert. Dazu werden wir im ersten Quartal 2023 einen Prozess initiieren, der ganzheitlich und differenziert die Ziele des Spitzensports betrachtet.“

Nun betrachten wir das angepeilte Sportfördergesetz. Damit möchte man den „rechtlichen Rahmen für die Errichtung und Ausgestaltung der Agentur schaffen, die ein „kohärentes Fördersystem leisten wird“, begründen die Autoren den Gesetzesvorschlag. „Dieses zeichnet sich unter anderem durch klare Zuständigkeiten, schlanke und verbindliche, vorrangig digital abzuwickelnde Prozesse aus“, heißt es weiter.

Und dass nun bloß keiner ins Grübeln oder gar in Stress gerät, dass ihm einiges, etwa an Macht oder Einfluss, abhanden kommen könnte, die Beruhigungspille in Satzform: „Die Autonomie des Sports als tragendes Prinzip bleibt unberührt.“

Definitionssache

Da ist nun wieder  die Definition von „Autonomie“ und „tragendes Prinzip“ gefragt: Etwa Entscheidungs- und Handlungsfreiheit, Selbstverwaltung und Unabhängigkeit. Mit Definitionen von Begriffen hatte man in den letzten Jahren zwischen Sport und Sport, und Sport und Politik nicht selten so seine Probleme.

Also: Was bedeutet für die Autonomie des Sports eine „Unabhängige Sportagentur“? „Auf Basis strategischer Vorgaben durch DOSB und BMI sowie auf Grundlage der Ergebnisse von Potas agiert die Agentur eigenverantwortlich und trifft die Förderentscheidungen eigenständig“, ist zu lesen. „Das Controlling der Förderentscheidungen liegt allein bei der Agentur und soll im Bedarfsfall mit Sanktionsmaßnahmen verknüpft werden können. Das strategische Controlling der Agentur übernehmen BMI und DOSB.“

Hellhörig dürften besonders die Verbände auch werden, wenn es heißt: „In einem ersten Schritt wird in die Sportagentur die Verbändeförderung überführt. Für die Entwicklung eines kohärenten Spitzensportfördersystems wollen wir weitere Förderbereiche, insbesondere das WVL (Wissenschaftliches Verbundsystem Leistungssport, Red.), mittelfristig in die Sportagentur integrieren. Bestehende Elemente der Verbändeförderung (z.B. Strukturgespräche, Förderkommission, WVL-Kommission) sollen verschlankt, weiterentwickelt und in geeigneter Weise in die Agentur überführt werden.“

Schwarzer Peter

Das heißt: Alles, was der DOSB bisher nicht hinbekommen hat, soll nun die Agentur hinbekommen. Wenn es schief geht, weiß man auch, wo der Schwarze Peter zu suchen ist. Und da ist dann die Frage nach der Unabhängigkeit dieser Agentur. Bisher war der DOSB ja in Doppelfunktion bei der Vergabe der Fördermittel an seine Mitgliedsorganisationen tätig: sowohl als Verteiler wie auch als Kontrolleur und somit in einem Interessenkonflikt, wie nicht nur der Bundesrechnungshof schon mal tadelte. Kann sich das ändern, wenn nun die Agentur allein unter Kontrolle von Staat und Sport ist? Der Fehler im System wäre damit nicht behoben.

Ob das Grobkonzept nun erstmal wieder zu einem Streitobjekt wird? Es gibt viel Klärungsbedarf. Und nicht nur die AthletInnen fühlen sich ausgeschlossen, sondern auch manche Verbände haben so ihre Probleme damit. Um jemanden zu zitieren, der sein Spitzensport-Waterloo schon hinter sich hat: „Wahrheit, Klarheit und Transparenz sind gefragt.“ Die Ministerin sagt: „Das BMI als Sportministerium und der DOSB werden die vereinbarten Maßnahmen nun zügig mit den Ländern und den weiteren Beteiligten abstimmen und in die Umsetzung gehen.“

Das haben schon andere versucht – und sind gescheitert.