Hohe Erwartungen an den neuen DOSB-Präsident Weikert / Kein Neustart-Ruck
Berlin, 5. Dezember. Tag des Ehrenamtes: Der ist am heutigen Sonntag. Und der soll die Millionen Ehrenamtlichen in dieser Republik würdigen, ohne deren Engagement und Zeit in Deutschland vieles schlechter oder gar nicht laufen würde. Am Samstag wurde in Weimar das höchste Ehrenamt im deutschen Sport vergeben – ein Ehrenamt, das derzeit ziemlich ramponiert ist. Thomas Weikert ist nun der erste Sport-Repräsentant der Republik. Und ist mit 60 Jahren zu einem Hoffnungsträger für einen Neuanfang im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) geworden. Mit einer großen Mehrheit von 361 Stimmen entsprechend 86,6 Prozent votierte die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für den Mann aus Limburg. Für seine Mitbewerberin, die Fechtpräsidentin Claudia Bokel, die in der Wahlkampfphase abgetaucht und wegen Corona nur per Video zugeschaltet war, gab es 56 Stimmen.
Ehrenämter sind durch manche derjenigen, die sie bekleiden, im nationalen und internationalen Sport in Verruf geraten. Stichwörter: Selbstbedienungsladen, Korruption, Manipulation, Bereicherung, Eigeninteressen und Eitelkeiten. Manchmal werden Ehrenämter auch zu Schleudersitzen, denn es gibt Verbände, die allzu buntem Funktionärstreiben Einhalt gebieten, wenn auch selten. In deutschen Landen sorgten besonders in den letzten Monaten Führungskräfte nicht nur des DOSB durch ihr Verhalten und ihre Vorgehensweise für weitere Image-Blessuren an ehrenamtlichen Titeln und hauptamtlichen Stellen.
Nun sind mit Thomas Weikert und seiner Mitbewerberin Claudia Bokel zwei ins Rennen um ein Ehrenamt gegangen, denen es in erster Linie um die Sache geht, die Mannschaftsgeist vor persönliche Durchsetzungswillen setzen – die also ein Gegenbeispiel für eine teilweise verkommene Funktionärskaste sind.
Trikot denken
Drei Männer und der unsichtbare Dritte prägten diesen vielbeschworenen Neustart in Weimar: Natürlich erst mal Thomas Weikert, der Teamplayer. Wer ihn als Bundesligaspieler in kurzer Hose verschwitzt an der Platte unter anderem für den TTC Elz punkten sah, der weiß, was er in seiner Vorstellungsrede mit dem Satz meinte: „Man kann Anzug tragen, aber Trikot denken.“
Weikert gilt als Mann des Ausgleichs, manchen ist er manchmal zu harmoniesüchtig. Vielleicht liegt es daran, dass er als Familienanwalt zu viel mit Streitereien zu tun hat – und er für alle Seiten den besten Kompromiss sucht. Falls es den überhaupt gibt. Aber warum tut man sich dieses Amt in einem Laden wie dem DOSB an? Vielleicht weil er der geborene Funktionär ist? Mit seiner ruhigen, sachlichen Art, zeigt er sich auch in Weimar ziel- und teamorientiert. Markige Sprüche sind sein Ding nicht, und es besteht keine Gefahr, dass er wie sein Vorgänger emotional in die Luft geht, wenn ihm etwas gegen den Strich geht.
Der gebürtige Hadamarer hat nun die Rolle des internen und externen Versöhners, des Aufklärers, des Machers und Anpackers. Und den Part, wieder Vertrauen herzustellen. Dafür hat er nun zwölf Monate Zeit. Und bis dahin muss Weikert auch mit der neuen Regierung geklärt haben, welchen Sport diese Republik will – und wo die Fahrt des auf Grund gelaufenen DOSB-Tankers denn nun hingehen soll. Erst dann kann man mit einer neuen Kursberechnung und Zielen operieren.
Kirche im Dorf lassen
Der erfahrene Funktionär Weikert weiß, dass die Autonomie des Sports, die er bei seiner Rede in Weimar im Umgang mit der Politik herausstellte, begrenzt ist. Trotzdem sagt er der designierten grünen Außenministerin Annalena Baerbock, was er von ihrem Boykottvorschlag der Olympischen Spiele in Peking hält: Sie solle mal die Kirche im Dorf lassen. Aber: Er wird nicht alles im Sport mitmachen, was Geld und Image bringt – das ist jedenfalls seine Einlassung. Für ihn gilt: Werte des Sports als Richtschnur für eigenes Handeln. Und dazu gehört auch, sich für Menschenrechte stark zu machen. An dieser Aussage wird er sich – gegebenenfalls schon vor den Winterspielen – messen lassen müssen.
Dem Sport eine starke Stimme im politischen Berlin geben, Vielfalt in Einheit demonstrieren, klare gemeinsame Ziele für eine bessere Zukunft vorgeben, einen modernen, glaubwürdigen DOSB mit einem Zentrum für Safe Sport aufbauen – das sind seine vier Punkte, die er als Programm-Vorgabe vorstellte. Er weiß, dass er das nicht alleine schaffen wird und sagt: „Ich will Mannschaftskapitän eines starken Teams mit Transparenz, Offenheit und hoffentlich vielen richtigen Weichenstellungen sein.“
2018 schon im Gespräch
Schon 2018 war Weikert als DOSB-Chef im Gespräch, als eine Reihe von Spitzenverbänden sich mehr und mehr über Alfons Hörmann, seinen Umgangston und Auftreten beklagten. Weikert wollte damals wegen seiner internationalen Verpflichtungen nicht antreten. Triathlon-Präsident Martin Engelhardt übernahm damals den Part des Gegenkandidaten. Die Revolte scheiterte, weil man schlecht vorbereitet war. Hörmann machte weiter – trotz Zusage sich zu bessern – wie bisher. In Gutsherrenart.
Alfons Hörmann, umstritten wie kein Präsident zuvor, stolperte nun drei Jahre später über die Vorwürfe aus dem vielzitierten anonymen Brief vom Mai, wo sich Mitarbeiter über ihn, Präsidium und Vorstand, deren Umgangston und Respektlosigkeit beklagten. Und von einer „Kultur der Angst“ schrieben. Nach acht Jahren im Amt verzichtete er, nachdem die Ethikkommission Neuwahlen empfahl, und unter dem Druck der Mitgliedsverbände und der Öffentlichkeit.
Die Krise steigerte sich, nachdem ein anwaltlicher Drohbrief im Auftrag von ihm und Vorstandsvorsitzender Veronika Rücker an das Ex-Vorstandsmitglied Karin Fehres bekannt wurde. Sie wurde als Urheberin des anonymen Schreibens auf Grund eines angeblichen Sprachgutachtens verdächtigt, und ihr wurde mit Strafanzeige und Zivilklage gedroht, wenn sie sich nicht als Autorin oute. Fehres wies die Anschuldigungen als haltlos zurück.
Hörmann und Rücker fehlten
Weder Hörmann noch Rücker waren in Weimar anwesend. Sie ließen sich wegen Krankheit „und auf Anraten ihres Arztes“ entschuldigen. So begrüßte Kaweh Niroomand, bisher Schatzmeister im Präsidium, Plenum und Gäste. „Nicht nur unter Pandemievorzeichen ist momentan alles anders als normal.“ Und ringt sich zu dem Satz durch: „Ja, auch wir im Präsidium haben zweifellos Fehler gemacht.“ Abschieds- oder Dankesapplaus blieb dem abwesenden Führungsduo verwehrt.
Hörmann war trotzdem allgegenwärtig. Als unsichtbarerer Dritter schwebte er irgendwie durch die Messeräume. Vor der Mitgliederversammlung hatte er an alle seine „Untertanen“ einen moderaten Abschiedsbrief geschrieben – seine Sicht der Dinge im Rechtfertigungsmodus. Und gleichzeitig schlägt er dann in seinem Heimatblatt, der „Allgäuer Zeitung“ in einem Interview um sich. Wie schon vor einigen Wochen vorher in einem dpa-Interview, wo er von unter anderm von „Machenschaften“ gesprochen hatte, erzählte er jetzt: „Wir haben zwischenzeitlich ein sehr klares Bild dazu, und es liegen uns auch umfangreiche Hinweise und Belege dafür vor, dass es sch um einen ganz gezielten Umsturz an der gesamten Spitze des DOSB handelte.“ Beweise blieb er wieder einmal schuldig. Aber er setzt noch eins drauf: „Wir haben nicht glauben wollen, welche Mechanismen in einem labilen System greifen, und wie stil- und charakterlos an zahlreichen Stellen agiert und miteinander umgegangen wurde.“
Sagt der Mann, der zusammen mit seiner Vorstandsvorsitzenden, der ehemaligen Mitarbeiterin Fehres‘ per Anwalt drohte. Weikert reagierte auf die Störfeuer aus dem Oberallgäu am Abend im ZDF-Sportstudio so: „Ich kann das nicht nachvollziehen und auch nicht verstehen. Ich denke, da hat Herr Hörmann ein wenig überzogen… Ich weiß nicht, wie er darauf kommt.“
Der neue Präsident wird mit seinem Vorgänger auch deshalb schnell das Gespräch suchen müssen. Hörmanns Verschwörungstheorien machen nämlich den Anfang im DOSB nicht unbedingt leichter. Und irgendwann muss man auch merken, wenn man verloren hat.
Gewinner dagegen ist der zweite Mann in Weimar, der ein DOSB-Kapitel schreibt: Oliver Stegemann, Präsident der Nichtolympischen Verbände (NOV) wurde ins Präsidium gewählt. So dürfen die NOV nun weg vom Katzentisch, an den sie lange verbannt worden waren, und an der präsidialen Tafelrunde sitzen.
Gesellschaftspolitisch war der DOSB in den letzten Jahren kaum noch wahrzunehmen. Besonders deutlich wurde das nun in Pandemiezeiten, wo die größte Personenvereinigung des Landes politisch hinten runterfiel. Das wird sich sicher ändern, wenn man nun sieht, wer in Weikerts Team noch Platz genommen hat: Ein junges Frauen-Power-Trio. Die ehemalige paralympische Athletin Verena Bentele sorgt auch für eine Premiere: Sie ist die erste Behindertensportlerin, die ins DOSB-Präsidium einzieht. Kerstin Holze, Vorstandsvorsitzende der Stiftung Kinderturnen mit Verbandserfahrung, hat viele Themen auf dem Schirm, die in letzter Zeit vernachlässigt wurden. Und die ehemalige Bahnradsportlerin Miriam Welte, die für die Landessportbünde antrat, wird sich nun im Perspektivwechsel zwischen Spitzen- und Breitensport üben müssen.
Mayer polarisiert
Einen Seitenwechsel hat Stephan Mayer vollzogen: Er sass bisher auf dem Stuhl der Zuwendungsgebers und nimmt nun Platz auf dem Sessel des Zuwendungsempfängers. Nur 257 Stimmen bekam der Bayer, was wohl auch zeigt, dass der CSU-Mann polarisiert. In Düsseldorf war er als Bewerber um das Präsidentenamt ausgewählt worden, verzichtete dann, um den Sport an anderer Stelle zu dienen. Überraschung: Als Kandidat von Teamsport Deutschland, unterstützt von Turnpräsident Alfons Hölzl und DFB-Vize Rainer Koch.
Mayer ist aber ein Vize unter Vorbehalt: Denn der Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Altötting wartet auf eine Freigabe der Bundesregierung für das Amt. Die muss er nach dem Bundesministergesetz haben. Bis Mittwoch ist er noch parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium, wo er für Sport zuständig war. Ein Gremium entscheidet darüber, ob es eine Empfehlung für eine vorzeitige Befreiung gibt. Das passiert vermutlich im Januar. Mayer sieht im Blick auf seine ehrenamtliche, unentgeltliche DOSB-Tätigkeit kein Problem. Thomas Härtel, Präsident des Landessportbunds Berlin, dagegen schon: „Ich stelle mir die Frage, ob das der richtige Zeitpunkt ist, aus der unmittelbaren Verantwortung aus der Politik für den Sport in den Sport selbst zu wechseln.“ Er halte Mayer für das Amt geeignet, aber er halte auch viel von Compliance-Regeln und deshalb den Zeitpunkt für nicht angemessen. Mayer konterte, er brauche keine „Abkühlungsphase.“ Aber vielleicht gibt es doch bald wieder ein hausgemachtes Problem im DOSB.
Verzicht und Rücktritte
Nicht nur die Personalie Mayer sorgte für Aufregung. Hinter den Kulissen rumste es heftig. Stefan Klett, Präsident des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen, zog nach Diskussionen seine Bewerbung zurück, das LSB-Sprechergremium rund um Jörg Ammon verzichtete auf seine Kandidatur wegen Ärger um IT-Geschäfte in seinem Bayerischen Landessportverband. Die drei ehemaligen Vize-Präsidentinnen Gudrun Doll-Tepper, Petra Tzschoppe und Uschi Schmitz wurden nicht wieder gewählt – sie hatten teilweise einen larmoyanten peinlichen Auftritt – ohne Bedauern, ohne Entschuldigung.
Das Parlament des deutschen Sports, die Mitgliederversammlung, nahm das am Samstag mal wieder alles nahezu lautlos hin. Keine Aufbruchstimmung. Die Lethargie des Plenums – und das hatte nun nichts mit dem Pandemie-bedingten Ablauf zu tun – hält an. Es kommt dann in Bewegung, wenn es in die Kaffeepause geht. Der Schritt zurück in den Saal in Slowmotion bringt auch die Versammlungsleiterin, die ehemalige DOSB-Vize- und Schwimmpräsidentin Christa Thiel, mehrfach an den Rand einer Schnappatmung. Kein Neustart-Ruck geht durch die Delegierten-Reihen.
Neue Vorstandsposten
Entscheidungen stehen an. Das Präsidium sucht ein/e neue Vorstandsvorsitzende/n. Ein aussichtsreicher Anwärter soll Torsten Burmeister vom Behindertensportverband sein. Wie es um den Job der anderen Vorstandsmitglieder steht, wird nach den Winterspielen
entschieden. An die Aufarbeitung der Vorfälle im Haus des Sports wird sich bald eine Anwaltskanzlei machen, die dann sicher bis zur nächsten Mitgliederversammlung 2022 in Baden-Baden herausfinden soll, was auf den Führungsetagen des DOSB unter der Präsidentschaft Alfons Hörmanns wirklich gelaufen ist.
„Wir werden einander viel verzeihen müssen“, hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu Beginn der Pandemie gesagt. Das gilt sicher auch für den deutschen Sport. Thomas de Maizière, Vorsitzender der DOSB-Ethikkommission, verwies auf die Arbeit des Gremiums, das „viel zu tun, nach meinem Geschmack zu viel zu tun hatte“. Er machte aus seinem Unmut über die letzten Ereignisse kein Hehl, sondern richtete neun Wünsche an Dachverband und Mitgliedsorganisationen. Einer lautete „Reden wir nicht zu oft von der großen Sportfamilie, überhöhen wir das nicht so oft, sondern verhalten wir uns lieber normal.“ Ein frommer Wunsch, denn Normalität ist manchem im Sport abhanden gekommen.
Die Sportfamilie – eine Inszenierung einer heilen Welt, die Empathie vorgaukeln soll im kommerziellen kalten Weltsport-Konzern. In der Sport-Blase lebt man in einer Parallelwelt, wo man leicht einen Realitätsverlust erleidet. Was Anwürfe und Verhalten auch an diesem Wochenende belegten.
Thomas Weikert, der neue Präsident des DOSB. Kaum gewählt, schon schwer gefordert. Zwei Fulltimejobs zunächst für ein Jahr. Er hat es so gewollt. Und das auch noch freiwillig.
Die gewählten Präsidiumsmitglieder:
Miriam Welte,
Verena Bentele,
Stephan Mayer,
Kerstin Holze,
Oliver Stegemann
Außerdem sind Fabienne Königstein für die DOSB-Athletenkommission, Stefan Raid als Erster Vorsitzender der Deutschen Sportjugend, Britta Heidemann als Mitglied der IOC-Athletenkommission Präsidiumsmitglieder.