„Wir müssen den DOSB nicht völlig in Asche legen“

Neustart des Dachverbandes unter Zeitdruck und mit vielen Fragezeichen

Berlin, 16. August. Im Dezember bei der Mitgliederversammlung soll der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) neu durchstarten.Wie die Zukunft des Dachverbandes allerdings aussehen soll und wer ihn steuern wird, ist ungewisser denn je. Die Meinungen, wie der deutsche Sport sich nun aufstellen soll, gehen auseinander. Ein richtiger Plan ist nicht erkennbar, der Zeitdruck auf die Agierenden groß. Drei Arbeitsgemeinschaften (AG) mit VertreterInnen der Mitgliedsorganisationen versuchen sich an einem Konzept, wie es nach dem angekündigten Rückzug des Noch-Präsidenten Alfons Hörmann weitergehen soll. Dieser und die Führungsgremien waren in Erklärungs- und Verteidigungsnöte geraten, als Mitarbeiter in einem Brief schwere Vorwürfe wegen Führungsstil und Umgangsformen der DOSB-Verantwortlichen erhoben. Die Ethik-Kommission des DOSB hatte die Anschuldigungen untersucht und war zu dem Schluss gekommen, Neuwahlen als einen Lösungsansatz für die Probleme zu empfehlen.

Alles wird neu? Alles wird anders? Alles wird besser? Von wegen.Wer den deutschen Sport seine Strukturen und seine Protagonisten kennt, der ahnt, dass ein Neuanfang und Veränderungen eine kaum zu bewältigende Mammutaufgabe sind. Viele Beispiele aus der Vergangenheit – zuletzt die Leistungssportreform – zeigen, dass die meisten Runderneuerungsversuche in einer Bruchlandung endeten.Nun versuchen seit Juni die Sprecher der Verbände Ingo Weiss (Spitzenverbände), Jörg Ammon (Landessportverbände) und Barbara Oettinger (Verbände mit besonderen Aufgaben) den Neustart zu koordinieren. Die AGs Inhalt, Strukturen und Personal sollen den Stein des Weisen finden, der den DOSB, sein Führungspersonal und den gesamten Sport in jeder Hinsicht in die Erfolgsspur bringen wird. Knapp vier Monate haben sie Zeit, den neuen Kurs zumindest einzuleiten. Hinter dem stehen aber noch viele Fragezeichen.

„Wir müssen ja nun den DOSB nicht völlig in Asche legen, sondern wir wollen neue Leitplanken, eine Art Handreichung, erarbeiten. Es gibt eine klare Satzung, in der die Rollen klar definiert sind. Das Präsidium als Aufsichtsgremium und der Vorstand, der für das operative Geschäft steht“, sagt Jörg Ammon. „Wir haben ein gemeinsames Ziel, das heißt Sport für alle, und darauf arbeiten wir hin.“ In einem langen Gespräch mit dem Präsidenten des Bayerischen Landessportbundpräsidenten wird schon deutlich: Er weiß, dass der Sport insgesamt und der DOSB im besonderen in Ex- und Implosionsgefahr schwebt. Nicht nur die Mitarbeiterschaft im DOSB wehrte sich gegen Missachtung und Respektlosigkeit der Führungscrews, auch die Landessportbünde und die Nichtolympischen Verbände haben nach jahrelangem Gutsherren-Agieren von Hörmann & Co. die Nase voll. Ammon weiß, wie wichtig das Aufeinanderzugehen ist: In seinem eigenen Verband fanden 24 Spitzenverbände offensichtlich nicht das, was sie suchten, gründeten Team Sport Bayern, das aber dann doch Mitglied des BLSV bleibt. Somit scheint er prädestiniert zu sein, die Klammer dort anzusetzen, wo sich die Spaltung des Sports besonders deutlich abzeichnet, um ein Auseinanderbrechen des Sports: hier Spitzensport – dort Breitensport, zu verhindern ist.

Aber dafür bräuchte es eine klare Richtung, wo man hin will. Die ist nicht zu sehen.

Progressive Ideen

Die AG Inhalt hat die Sportentwicklung mit altbekannten Themen im Fokus: soziale Rolle des Sports und des Vereins, Kinder- und Jugendsport oder Klimaschutz. Die Vernachlässigung im Bereich Internationales ist ebenso Thema wie Digitalisierung. „Die Pandemie hat ja gezeigt, wie wichtig Digitalisierung ist. Da werden sicher viele entstandene Ideen weiter fortgesetzt“, sagt Ammon. Andere wollen aber erst einmal andere Dinge geklärt wissen: Etwa die miserable interne und externe Kommunikation des Präsidiums und Vorstandes. Das Auftreten, die Außenwirkung und die mangelnde politische Neutralität des noch amtierenden Präsidenten werden analysiert, um die richtigen Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Es gebe eine Reihe progressiver Ideen und gute Vorschläge, heißt es aus den Gremien. Dazu gehört auch, dass man nicht nur mit dem Bundesinnenministerium, das ja für Spitzensport zuständig ist, intensiven Kontakt pflegen sollte. Nicht umsonst haben die Landessportbünde eine Geschäftsstelle mit einem hauptamtlichen Referenten in der Hauptstadt eingerichtet – sie fühlten sich nicht adäquat vom DOSB vertreten. Denn: Gerade auch für die LSB ist es wichtig, in andere Ministerien – und das ist fast jedes – gute Verbindungen  zu haben, um entsprechende Lobbyarbeit zu leisten. Diese gebe es aber auf DOSB-Führungsebene so gut wie gar nicht. „Dass man zu Hearings etwa im Gesundheitsministerium, wo alle gesellschaftlich relevanten Bereiche vertreten sind, nicht auf der Einladungsliste stehe – und das zum wiederholten Mal – geht gar nicht“, beklagte schon vor längerer Zeit der Berliner LSB-Präsident Thomas Härtel.

Nicht nur externe Kritiker, sondern auch Verbandsmenschen – wenn auch von Tokio etwas ermattet – betrachten das, was gerade im und rund um den DOSB passiert argwöhnisch. Warum? Weil man wieder mal gar nix mitkriegt. Es ist wie immer – intransparent. Dem widerspricht Weiss: „Nein, wir gestalten das transparent und offen. Wenn jemand etwas wissen möchte, dann kann er fragen.“ Das ist aber wohl eher an die MedienverterterInnen gerichtet, die in den letzten Jahren in Sachen transparente Öffentlichkeitsarbeit des DOSB so ihre Probleme hatten.

Aber: Inwieweit sind AthletInnen, TrainerInnen auch die Wissenschaft in den Findungsprozess eingebunden. Will man das überhaupt? Denn: Bisher ist man bei der Zukunftsgestaltung wieder nur unter sich. Und manche im Sport wollen auch, dass das so bleibt. Und sich am besten auch nicht viel ändert. „Wenn schon nicht mehr, dann ist der Status quo für manche im Sport für die Ewigkeit manifestiert“, erklärt ein langgedienter Verbandsmann die Denke von KollegInnen. Ammon sagt aber: „Expertise von außen werden wir sicher einholen – der Austausch ist wichtig, und oft ist der Blick von außen ja für diejenigen drinnen sehr klärend.“

Bisher ist im Gros des deutschen Sports aber eine gesamtgesellschaftliche Diskussion auf wenig Gegenliebe gestoßen. Ausgerechnet Alfons Hörmann hat nun nach dem von Leistungssportanalysten kritisierten „historisch schlechten Ergebnis“ von Team D in Tokio diese nun mit der Frage entfacht, welchen Leistungsport man in Deutschland wolle und was dieser wert sei. Nun fällt dem DOSB und seinem noch amtierenden Präsidenten genau diese bislang verweigerte öffentliche Debatte über eine Gesamtausrichtung des deutschen Sports auf die Füße.

Noch nicht erklärt

Welchen konkreten Plan die Neureformer um die Sprechergruppe genau haben, ist unklar. Fest steht nur: Hörmann wird auf der Mitgliederversammlung 2021 als Präsident zurücktreten und vom DOSB Abschied nehmen. „Es ist klar, dass Alfons Hörmann nicht wieder antreten wird“, sagt Ingo Weiss und widerspricht Gerüchten, dass der Allgäuer sein „Comeback“ vorbereite. Neben Hörmann wird sich auch der Vizepräsident für Finanzen Kaweh Niroomand zurückziehen. „Die anderen Präsidiumsmitglieder haben sich noch nicht erklärt“, so Weiss. „Und von deren Verhalten hängt es ab, ob es die von der Ethik-Kommission empfohlene Neu- oder nur eine Nachwahl geben wird.“ Laut Weiss hat man mit einem hausinternen juristischen Gutachten die ungeklärten Rechts- und Satzungsfragen soweit abgeklärt. Er fügt ergänzend hinzu, dass es im nächsten Jahr dann Neuwahlen geben wird, „um im Rhythmus zu bleiben“.

Headhunter sucht Kandidaten?

Als Kandidaten sind nach wie vor Martin Engelhardt (Triathlon-Präsident) und Thomas Weikert (Präsident des Internationalen Tischtennisverbandes) im Gespräch. Andere Anwärter? Bisher Fehlanzeige. Weiss sagt „Wir können uns ja auch keinen backen.“ Zumindest wird es schwer werden, neben finanzieller und zeitlicher Unabhängigkeit das Anforderungsprofil zu erfüllen, das Ammon so beschreibt. „Der neue Präsident oder die neue Präsidentin muss den Sport nicht nur gestalten wollen, sondern ihn leben. Der deutsche Sport darf nicht zersplittern, sondern soll eben Sport für alle sein. Deshalb muss die neue Führungsperson Vertrauen nach innen und außen zurückgewinnen und offen kommunizieren.“

Einer Findungskommission stehen in den Mitgliedsorganisationen manche skeptisch gegenüber, vor allem im Blick auf den Punkt „Vertrauen zurückgewinnen“. Hört man sich um, sehen viele wieder ein Gemauschel, wenn eine kleine Gruppe sich da zum Königsmacher aufspielt. Auch von den Überlegungen, einen Headhunter einzuschalten, halten viele nichts. „Das wäre wirklich ein teueres Armutszeugnis und eine Bankrotterklärung, wenn wir es geschafft haben, dass das Amt des DOSB-Präsidenten für honorige Leute nicht mehr erstrebenswert ist“, klagt eine ehemalige Verbandspräsidentin.

Man solle doch mal Demokratie wagen, fordert ein Verbandspräsident. Nicht nur er hält den Vorschlag des Sprechers der Nichtolympischen Verbände (NOV) Oliver Stegemann für eine gute Idee: Mehere KandidatInnen, die ihren Hut in den Ring werfen, Wahlkampf machen und dann von der Mitgliederversammlung gewählt werden. Also: Wer wäre bereit, dem DOSB-Präsidentenamt die Ehre zu erweisen? Die Einladung geht besonders auch an Athleten und Athletinnen aus ihren Reihen, einen Kandidaten ins Rennen zu schicken.