Problemfälle bleiben im DOSB sitzen

Kandidatenkarussell und Krisenmanagement

Berlin, 18.Juni. Alfons Hörmann geht. – Problem gelöst? Mitnichten. Der angekündigte Rückzug des Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist nur eine Teillösung für den Problemberg, den die DOSB-Führungsgremien noch zu bewältigen haben. Einen Abgang mit Stil hat der 60-Jährige verpasst, aber immerhin – er räumt den Stuhl. Ob aus Einsicht oder Überzeugungsarbeit eines wohlmeinenden Umfeldes, wird er für sich behalten. Einsicht und Verständnis gehen aber offensichtlich denen im Sport ab, die nun glauben -kaum hat der König seine Abdankung angekündigt – nun sofort schon wieder eine Personaldebatte anzetteln zu müssen.

Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes Berlin, hält davon nichts: „Wir brauchen doch erst mal eine offene, transparente Debatte über die Probleme, die wir haben und die im Ethikbericht ja nachzulesen sind, bevor nun schon wieder über neue Präsidentenanwärter diskutiert wird.“ Auch sein hessischer Kollege Rolf Müller sieht das so: „Man muss jetzt erst einmal in einem geeigneten Gremium die Probleme aufarbeiten. Dann braucht es ein Anforderungsprofil, was der neue Präsident oder die neue Präsidentin mitbringen müssen.“

In Stellung bringen

Auch andere im Sport zeigen wenig Verständnis dafür, dass sich potentielle Nachfolger jetzt selbst positionieren oder von andern in Stellung bringen lassen. Basketball-Präsident Ingo Weiß, gleichzeitig Sprecher der Spitzenverbände, dessen Name zusammen mit dem von Vizepräsident Andreas Silbersack, dem Triathlon-Präsidenten Martin Engelhardt und dem Tischtennis-Weltpräsidenten Thomas Weikert kursieren, winkt ab. Aber seine Aussage gegenüber dpa läßt Interpretationsspielraum:„ Ich sehe mein Lebensziel nicht darin, DOSB-Präsident zu werden.“ Unter dem Aspekt eines Neuanfangs sind zumindest das Noch-Präsidiumsmitglied Silbersack wie das Ex-Präsidiumsmitglied Weiß (14 Jahre saß er am Präsidententisch) keine wirklich akzeptablen Vorschläge. Denn die massivenVorwürfe von MitarbeiterInnen in dem anonymen Brief vom 6. Mai betrafen ja nicht allein den Präsidenten, sondern auch Präsidium und Vorstand.

Damen-Kränzchen

Bisher übernahm nur noch Vizepräsident  Kaweh Nirooman Verantwortung und zog die Konsequenzen – er wird nicht mehr antreten. Das Dreier-Vize-Damenkränzchen am Präsidiumstisch Uschi Schmitz, Petra Tzschoppe und Gudrun Doll-Tepper, kleben offensichtlich fest an ihren Stühlen. Sie müssen noch überlegen, was zu tun ist. Frage: Was gibt es da noch zu überlegen? Auch sie sahen taten- und wortlos zu – und fuhren gemeinsam mit den Männern den DOSB vor die Wand. Und wenn ihnen das nicht reicht, sich zurückzuziehen, dann sollten sie nochmal in den Bericht der Ethikkommission schauen. Da heißt es: „Es ist auch zu konstatieren, dass die Beziehungen des Präsidenten/Präsidiums/Vorstands zu Teilen der Spitzenverbände, zum Internationalen Olympischen Komitee, zum Bundesministerium des Inneren und zu wichtigen Teilen der Medien dringend verbessert werden müssen. Teilweise fehlt es hier an Grundvertrauen.“ Und einige Absätze weiter: „Es fehlt offensichtlich wechselseitig an ausreichendem Vertrauen und an dem notwendigen Zutrauen an die Fähigkeiten der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Es gibt zu viel Selbstbespiegelung, Demotivation und Gerüchte, Unzufriedenheit und Unklarheiten. Das ist ein Zustand, der auch mit dem Führungsverhalten von Präsidium und Vorstand zusammenhängen muss. Dies müssen sich Präsidium und Vorstand vorwerfen lassen.“ Also meine Damen – nehmen auch Sie ihren Hut! Hier gibt es keinen Gender-Bonus.

Zweifel an geordnetem Übergang

Es ist mehr als zu bezweifeln, dass das mit dem „geordneten Übergang“ klappen wird, den der DOSB am Mittwoch im Rahmen der Rückzugserklärung Hörmanns zugesagt hat. Wie soll das gehen mit einem völlig derangierten Führungspersonal, dem niemand mehr Vertrauen entgegen bringt? Wer setzt sich mit Menschen an einen Tisch, denen man misstraut, um Probleme zu besprechen? Deshalb ist das amtierende Präsidium samt Vorstand als Problemlöser ungeeignet.

Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker will nun einen Change of Culture einleiten. Mit externen Beratern. Das sei aber der falsche Weg, sagt Härtel. „Was sollen jetzt da externe Berater? Man muss sich doch erst mal selbst den Problemen stellen, reflektieren, was da völlig schief läuft und mit seinen MitarbeiterInnen, dem Betriebsrat, dem Ombudsmann ins Gespräch kommen, und ein Verfahren finden, wie man Schwierigkeiten auf- und Lösungen erarbeitet.“

Ammon als Koordinator

Jörg Ammon, Präsident des Bayerischen Landessportbundes (BLSV) und seit Samstag Sprecher der LSB, hat nun mit seinen Sprecher-KollegInnen Weiß und Barbara Oettinger (Verbände für besondere Aufgaben) für Montag eingeladen, um ein strukturiertes Vorgehen zu organisieren. Der Franke ist sich sicher: „ Wenn wir die inhaltlichen Festlegungen bis hin zu einer Vision haben, wohin sich der deutsche Sport entwickeln soll, finden wir auch den richtigen Kandidaten.“

Vielleicht ist Ammon gerade bei der Koordination eines Neuanfangs der Richtige: In seinem bayrischen Sport-Beritt fanden offensichtlich 24 Sportfachverbände nicht das, was sie gesucht haben und gründeten das Team Sport Bayern, das aber Mitglied im BLSV bleibt. Somit scheint er prädestiniert zu sein, Klammern da anzusetzen, wo die Spaltung des Sports sich besonders deutlich abzeichnet.

Härtel würde es begrüßen, wenn in dem Krisenbewältigungs-Gremium vielleicht auch externe Personen säßen, die sportaffin, aber nicht im System verankert sind, wenn ein inhaltliches und strukturelles Konzept sowie personelle Vorschläge erarbeitet werden.

Eine schwierige Aufgabe der neuen DOSB-Crew wird es sein, den deutschen Sport wieder zusammenzuführen, intern und extern Glaubwürdigkeit und Vertrauen wieder herzustellen.

Selten schlechter Start

Seit 2013 ist der Allgäuer Unternehmer Hörmann nun DOSB-Präsident, und es gab wohl unter seinen Vorgängern bei DSB und DOSB keinen, der so einen schlechten Start hatte und von Anfang an so umstritten war. Hörmann wird trotzdem als bemerkenswerter Präsident in die DOSB-Geschichte eingehen: Als der Mann, der mehr Geld – nämlich jährlich 300 Millionen – als jeder andere für den Spitzensport herausgeholt hat, als gescheiterter Erneuerer, der sich beim angekündigten Jahrhundertwerk des Sports – der Spitzensportreform – zusammen mit der Politik verhoben hat. Aber die Politik trotz unerledigter Aufgaben das Steuergeld weiter in die Sportkasse spülen ließ. Und mit ihm wird verbunden sein, dass der DOSB in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit abgerutscht ist. Auch 300 Millionen werden am Ende nicht den ideellen und Imageschaden des Sports aufwiegen.

Game over

Nach seinen virtuellen Auftritten am Samstag bei den Konferenzen der LSB und der Spitzenverbände scheint der  Sulzberger CSU-Mann wohl gemerkt zu haben, dass „game over“ ist. Nicht nur die stete Verteidigungs- und Abwiegelungslinie, mit der er bisher immer erfolgreich war, zog nicht mehr. Auch der Umgang mit dem Athletenvertreter Jonathan Koch und die bisher unbelegte Behauptung, der Verein Athleten Deutschland und der Sportausschuss des Deutschen Bundestages hätten Druck auf den Athleten ausgeübt, war wohl nun endgültig eine Nummer zu viel.

Tatsächlich den Druck erhöht hatten die Landessportbünde mit einer Reihe von Entscheidungen. Die LSB zeigten dem Führer des Dachverbandes, dass sie endlich eigene Wege gehen, weil sie sich vom DOSB nicht adäquat vertreten fühlen. Eine Geschäftsstelle der Konferenz der LSB mit einem hauptamtlichen Referenten in der Hauptstadt, die ständige Teilnahme des LSB-Sprechers bei der Sportminister- und Sportdirektorenkonferenz sind Konsequenzen daraus. Härtel spricht von einer „historischen Entscheidung“ – nicht nur, weil die Beschlüsse alle einstimmig fielen. Das sei längst überfällig gewesen, sagt der nordrhein-westfälische LSB-Präsident Stefan Klett.

Tiefer und langer Konflikt

Diese Beschlüsse zeigen auch, wie tief und wie lange doch der Konflikt zwischen LSB und DOSB schon besteht. Der DOSB hatte seit seiner Gründung 2006 schon eine Reihe von Krisen zu bewältigen. Das Krisenmanagement war von Anfang an grottenschlecht. Das Duo aus dem damaligen DOSB-Präsident Thomas Bach und seinem Generaldirektor versiebte ganz schnell den Neustart, musste sich nach kurzer Zeit von Kritikern vorwerfen lassen, dass sie im DOSB vor allem nur das Olympische im Blick hätten und auf dem besten Weg seien, den Sport zu spalten. Beide Macher glaubten, verkrustete Strukturen einer Sportlandschaft mit neuen Schwerpunktsetzungen knacken zu können.

Beim Ummodeln wurden vor allem unternehmerische Tools eingesetzt, die in einer Organisation, die hauptsächlich von Ehrenamtlichen getragen wird, früher oder später schief gehen mussten. Und Mitgliedsorganisationen und vor allem MitarbeiterInnen im eignen Haus wurden nicht wirklich mitgenommen. Das und die Vernachlässigung des Breitensports fallen der Führungscrew des DOSB nun schon zum wiederholten Mal heftig auf die Füsse.

Gewichtung verändern

Der Hesse Müller sagt, nicht nur die Vergangenheit, sondern auch die Gegenwart habe DOSB-Fehler und Schwächen deutlich gezeigt. In der Pandemie sei der Sport erst gar nicht vorgekommen, Kinder- und Jugendliche in Covid-Zeiten wurden zu spät und zunächst von andern thematisiert. Und auch Härtel beklagt, dass in vielen politischen Gremien der Sport gar nicht mit am Tisch saß. Ein noch schlimmeres Signal war, dass die Sportentwicklung als Vorstandsbereich nach dem Ausscheiden von Karin Fehres abgewickelt und bei der Vorstandsvorsitzenden angedockt wurde. Das brachte nicht nur die LSB auf die Palme.

Und so denken manche im Sport – nicht erst seit der Pandemie – darüber nach, ob man bei einem Neustart nicht einmal die Gewichtung der Bereiche überdenken sollte: Es stehen weit über 20 Millionen (27 Millionen Mitgliedschaften) BreitensportlerInnen in immer noch 90 000 (?) Vereinen rund 2000 SpitzensportlerInnen gegenüber.

Müsste da nicht die Mehrheit mehr bestimmen dürfen? Wegen der Fusion wurden 2006 die Stimmenpakete zugunsten der Spitzenverbände verändert – es war eine Vorgabe des IOC. Aber sowas müsse ja nicht in Stein gemeißelt sein, sagt Müller. Ein Blick in die DOSB-Satzung könnte manche der VordenkerInnen für einen DOSB-Neustart auf Ideen bringen.