Spitzensportreform- da war doch was?

Stand der Umsetzung unklar/ BMI hat sich neu sortiert und mit DOSB Rollen geklärt/ Forderung nach  Transparenz 

 

 

Berlin, 14. Mai. – Spitzensportreform? Ja, da war doch was? Es ist erstaunlich ruhig geworden um die Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung. Kein öffentlicher Streit zwischen den MacherInnen aus dem Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat (BMI) und dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Keine lautstarken Forderungen von Seiten des Sports nach mehr Geld. Keine skurrilen Auftritte des DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann. Keine Kritik an MinisteriumsmitarbeiterInnen, die sich aus der Sicht der DOSB-Verantwortlichen und mancher Verbandsmenschen zu sehr in sportfachliche Angelegenheiten einmischen. Da lohnt es sich doch mal, bei den Teamplayern nach dem Stand der Dinge zu fragen.

Was also ist seit den Turbulenzen auch im letzten Jahr und der DOSB-Mitgliederversammlung in Düsseldorf im Dezember passiert? Offensichtlich wurde der Reset-Knopf gedrückt – alles auf Anfang, alle haben sich wieder lieb. Das heißt konkret: Im BMI wurde allzu aufmüpfiges Personal (auch unter Mitwirkung des DOSB) ausgetauscht. Oder es ist von selbst gegangen. Die Abteilung Sport im BMI wurde sozusagen neu sortiert. Und es scheint so, dass man sich mit dem Sport arrangiert, wozu wohl auch gehört: wenig an die Öffentlichkeit dringen zu lassen. Mehr oder weniger regelmäßig treffen sich nun BMI-Abteilungsleitung und hauptamtliche DOSB-Spitzensportverantwortliche.

Rollen geklärt

Jour Fixe ist das schöne Wort für die Meetings, auf denen Probleme gewälzt und Lösungen hinter verschlossenen Türen gesucht werden. Man habe eine gute Gesprächsebene gefunden, heißt es aus dem BMI. Bevor es dazu gekommen sei, seien aber die jeweiligen Rollen abgeklärt worden. Will sagen: Das BMI ist für Geld und Verhandlungen mit den Haushältern zuständig, der DOSB für das Sportfachliche. Was die Frage aufwirft: War das nicht vorher auch so? Aber Streit gab es ja besonders deshalb, weil der Sport den BMI-Vertretern – und manchmal selbst den eigenen Leuten – oftmals nicht plausibel erklären konnte, was er da nun gerade macht, und  wozu denn noch ein weiterer finanzieller Aufschlag nötig sein müsse. Und BMI -Vertreter auch manchmal die sportfachliche Kompetenz des DOSB in Frage stellten. Einfach gesagt: Es ging darum, wer das Sagen hat…..

Wie dem auch sei: Die Bemühungen um die Reformumsetzung dauern an, wie DOSB und BMI auf Anfrage versichern. „Die Spitzensportreform steht sowohl im Sport als auch in der Politik auf einer festen Basis. Wir haben keine Zweifel an der Notwendigkeit, die Reform umzusetzen“, heißt es aus dem Ministerium. Seit der Zustimmung der DOSB-Mitgliederversammlung habe man große Fortschritte gemacht. Gut gelaunt auch die Antwort aus dem DOSB: „Wir kommen mit der Umsetzung gut voran.“ Und aus Ministerium und Haus des Sports kommt nahezu die deckungsgleiche Antwortliste, woran man sich nun gerade abarbeite. Da werden das Wissenschaftliche Verbundsystem, die Zielvereinbarungen mit den Olympiastützpunkten und das Trainerkonzept aufgeführt. Der DOSB hat noch die finanzielle Förderung der nichtolympischen Fachverbände als Punkt dabei, dem BMI ist das Bekenntnis zur Gleichstellung von olympischem und paralympischem Sport wichtig.

Erledigt

Überraschend ist die Liste des DOSB, die er als erledigt abgehakt hat: „Konzentration der Bundeskader mit Nominierungen, Bundesstützpunktanerkennung, Konzentration und Steuerung der Olympiastützpunkte mit 13 Rechtsträgern, Einführung der neuen potenzialorientierten Fördersystematiken Wintersport und Sommersport, Vorbereitung auf regionale Zielvereinbarungsgespräche, Ausbau der Athletenförderung, Haushalte 2018 und 2019, Bund-Länder-Vereinbarung, Aufgaben- und Effizienzanalyse Geschäftsbereich Leistungssport im DOSB, erster Workshop BMI/DOSB, Einführung der Lotterie Sieger-Chance, erste Leistungssportkonferenz in Mainz 2018.“ Liest sich gut, aber schon die Formulierungen zeigen, dass man auch vorübergehend stillgelegte Baustellen als erledigt erklärt.

Wer sich bei Sport-Insidern und Experten aus Sportwissenschaft und Politik umhört, wird aus der Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung schnell wieder herausgerissen.

„Wir reden hier über eine Reform. Die wurde zwar zu Papier gebracht, aber auch diesmal – wie auch schon bei früheren Änderungsversuchen – findet sie nur auf dem Papier statt. Der Sport kriegt mehr Geld und murkst weiter wie gehabt vor sich hin. Das sind im Höchstfall Systemkorrekturen, meistens nur Kosmetik. Aber wer von Meilensteinen oder gar einer Reform spricht, macht sich lächerlich.“ So das Fazit von Gesprächen mit Betroffenen, Beobachtern, Beteiligten und Kritikern.

Aufgabenstellung

Mittlerweile gebe es mehr Fragen als Antworten, etwa dazu, was denn nun das Ziel der Reform sein soll, wenn es nicht, wie anfangs ausgegeben, ein Drittel mehr Medaillen ist. Man ist sich beispielsweise nicht einmal in der Begriffswahl etwa im BMI einig, was die PotAS-Kommission, einst das Kernstück der Reform,  eigentlich nun für eine Aufgabenstellung haben soll. Sie sollte ja auch  mit klaren Kriterien  für mehr Transparenz sorgen. Im Laufe des Prozesses wurde immer wieder versucht, auf die unabhängige Kommission von Seiten des DOSB Einfluß zu nehmen – was auch offensichtlich gelungen ist. Am Ende wurde sie zu einer Art Gremium für Qualitätsmanagement abgewertet. Die Kommission weiß bis heute nicht, welchen Einfluss ihre Analyse-Ergebnisse der Wintersportverbände bei deren Strukturgesprächen hatten. Wertschätzung und Kooperation sehen anders aus. Nun ist PotAS dabei, die Sommerverbände zu untersuchen. Die  Attribute wurden überarbeitet und bis Juni müssen die Verbände ihre Antworten abgeliefert haben. Es gibt mittlerweile eine externe Evaluierung, die teilweise die Arbeit der PotAS -Komission begutachtete.Die Kommission selbst wollte das. Über die Ergebnisse wurde Anfang Mai mit allen Beteiligten im BMI  diskutiert. Wie geht es also mit PotAS weiter?

Das BMI sagt dazu: „Die Aufgaben und Tätigkeiten der PotAS-Kommission sind eine Daueraufgabe.“ Und wie sieht die aus? „Die PotAS-Kommission hat weiterhin die Aufgabe, Leistungselemente (sog.) Attribute in den jeweiligen Disziplinen der Spitzenverbände nach objektiven, transparenten, sportwissenschaftlichen und sportfachlichen Kriterien, die für eine perspektivische Leistungserbringung (Ziel: in 4 bis 8 Jahren zum Podium) und zur Gewährleistung eines humanen Leistungssports relevant sind, zu bewerten.“ Minister Horst Seehofer sprach dagegen bei der Vorstellung des 14. Sportberichts der Bundesregierung davon, dass es ihm wichtig sei, „für die Athletinnen und Athleten optimale Bedingungen zu schaffen, um im internationalen Wettbewerb an der Spitze zu bestehen“. Das Ministerziel ist also nun wieder Erfolg (= Medaillen) und nicht Leistung.

Erklärungsnot

Dieses Ziel kommt nicht von ungefähr, denn die Politik gerät mehr und mehr in Erklärungsnot, warum sie Spitzensport mit Steuermitteln fördern soll. Noch immer wird die Vorbildfunktion der SportlerInnen aus der Mottenkiste geholt, die das Land sympathisch repräsentieren sollen. Angesichts von Doping, Korruption etc. sind das keine Gründe mehr, Spitzensport zu fördern. Auch die Akzeptanz bei den Bürgern und BürgerInnen, die auch als Mitglieder oder als Ehrenamtliche in Vereinen und Verbänden an der Basis arbeiten, ist kaum noch vorhanden, für Spitzensport immer mehr Geld auszugeben. Sie haben die Nase voll von zwielichtigen Geschäftemachern, die sich auf Kosten der Allgemeinheit die Taschen füllen, AthletInnen im Regen stehen lassen und hauptsächlich mit ihren Funktionärsämtern die eigene Karriere befördern.

Gerade weil man eine Rechtfertigung für das Geldausgeben in Sachen Spitzensport brauchte, erfand man ja nun die Reform. Man wollte nur dann Geld geben, wenn auch die gemeinsam beschlossenen Veränderungen – die übrigens auch von der Bundesregierung abgesegnet wurden – abgearbeitet sind.

Probleme vertagt

Nun gibt es Geld, obwohl die Aufgaben nicht gelöst und viele Probleme immer noch da sind – wenn auch vertagt. Beispiel Bundesstützpunkte: Es läuft alles wie bisher, weil der Minister den Streit um die Streichung von Stützpunkten zwischen Bund, Ländern und DOSB per Weisungskompetenz erst einmal beendete. Nun ist zwar scheinbar Ruhe im Laden, aber das Problem kommt früher oder später wieder auf die Tagungsordnung.

Detlev Pilger, sportpolitischer Sprecher der  SPD. im Sportausschuss des Deutschen Bundestages, sagt dazu: „Ein Kernstück der Reform ist die Reduzierung der Kaderzahlen und der Stützpunkte. Bei den Kaderzahlen ist der Sport schon weiter als bei den Stützpunkten. Derzeit fördern der Sport, die Länder und der Bund 204 Bundesstützpunkte in Deutschland. Im Interesse des Leistungssports müssen bei der Förderung von Stützpunkten die optimalen Trainingsbedingungen im Fokus stehen. Wenn diese Optimierung zu einzelnen Schließungen von Stützpunkten führt, entspricht es dem Inhalt der Reform, die der organisierte Sport im Dezember 2016 selbst verabschiedet hat.“

Apropos verabschiedet: Auch die Bund-Länder-Vereinbarung, die am 9. November 2018 bei der Sportministerkonferenz im Saarland verabschiedet wurde, hat ihre Tücken. „Da geht jetzt offensichtlich erst einigen in den Ländern das Licht auf, was sie da unterschrieben haben. Und was zum Beispiel Verursacherprinzip bedeutet“, sagt ein Insider. Ländervertreter stellen plötzlich fest, dass sie neu rechnen müssen. Dass beispielsweise die Einrichtung von Stützpunktleitern eine teuere Angelegenheit werden könnte, und auch bei der Förderung von Trainingsstätten könnten sich manche verrechnet haben und leer ausgehen. Da nützt es dann auch nicht, wenn plötzlich im Rahmen von Stützpunkten dem BMI rund 700 Trainingsstätten vorgelegt werden, die gefördert werden müssten – das macht dann doch stutzig, wenn jeder Bolzplatz auf dem Förderzettel erscheint.

Allein das sind zwei Punkte – neben einer Reihe anderer wie etwa die Nachwuchsförderung oder Talentfindung, über die bisher kaum jemand redet –  die genügend Sprengstoff bergen, um demnächst für neuen Ärger zu sorgen. Und den möchte man sicher vermeiden und lieber wieder -wie gehabt – gerne hinter verschlossenen Türen alles ausmauscheln. Auch die sieben Millionen, die die Deutsche Sporthilfe nun als eine Art Athleten-Gehalt denjenigen Aktiven auszahlen soll, die nicht bei Bund, Bundespolizei oder Zoll beschäftigt sind, sind irgendwie an vielen vorbei beschlossen worden, und werden wohl jetzt erst manchen im Sinne der gesellschaftlichen Gerechtigkeitsfrage beschäftigen.

Bedenkenträger

Mit solchen Bedenkenträgern kann der Unions-Obmann im Sportausschuss, Eberhard Gienger, sicher nichts anfangen. „Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist mit der Umsetzung der Reform des Spitzensports zufrieden, gerade vor dem Hintergrund der schwierigen Regierungsbildung.“ Und er betont, wie der Koalitionspartner Pilger, dass man bei allem, was man tue, den Athleten und die Athletin im Fokus habe.

Das haben die OppositionsvertreterInnen im Sportausschuss zwar auch, aber naturgemäß sehen sie manches anders – etwa, wenn es um die Information und Transparenz in Sachen Reform geht.

Obfrau Britta Dassler findet sich keineswegs ausreichend informiert. Die FDP-Politikerin bemängelt „zeitnahe Transparenz und Informationen. Wir bekommen auf Anfrage Informationen zu einzelnen Aspekten der Reform, aber wir brauchen regelmäßigere Updates darüber, wie die Gesamtreform vorangeht und welche Herausforderungen es noch gibt“, sagt sie. AthletInnen und TrainerInnen „hängen in der Luft, weil keiner weiß, wie es weitergeht. Es gibt immer noch viele Informationslücken. … Das BMI bemüht sich nicht um Transparenz bei der Reform. Besonders problematisch ist die weitere Informationsweitergabe für die Öffentlichkeit und die Betroffenen. Bei der Schließung und Zusammenlegung der Olympia- und Bundesstützpunkte wurden beispielsweise viele Träger nicht rechtzeitig informiert.“

Auch dem Grünen Erhard Grundl, Mitglied des Sportausschusses, ist der aktuelle Stand der Reform nicht bekannt. Lebenszeichen, dass es die Reform noch gibt, gebe es allerdings. „Immer dann, wenn die Haushaltsberatungen näher rücken, bringt sich der DOSB wieder ins Spiel und fordert mehr Geld. Das soll nach seiner Darstellung der weiteren Umsetzung der Reform dienen. Aus meiner Sicht ist weiterhin Kritik angebracht, denn anfangs hieß es doch: Erst die Reform, dann das Geld. Also stellt sich weiterhin die Frage, wofür Zusatzmillionen für Verbände und Stützpunkte konkret verwendet werden sollen.“ Bemerkenswert ist für Grundl auch, „wie schleppend die Umsetzung der meisten Inhalte vonstatten geht. Dass das Konzept Potentialanalyse jedoch vergleichsweise schnell angegangen wurde, zeigt die problematische Zielsetzung des DOSB: Ganz oben steht die Medailllenmaximierung und nicht die Förderung der Vielfalt im deutschen Sport“.

Der Grüne ärgert sich auch über mangende Transparenz, die sein Kollege Andre Hahn, Obmann der Linken, schon lange beklagt. „Von Transparenz sind sowohl BMI als auch DOSB meilenweit entfernt. Ein Beispiel: Im aktuell vorliegenden 14. Sportbericht der Bundesregierung werden die Förderzahlen für die Sportverbände für den Zeitraum von 2014 bis 2017 verschwiegen. Es gibt weiter keine Aufschlüsselung der Zuwendungen für einzelne Sportverbände und Stützpunkte, sondern es gibt lediglich Globalsummen. Ich fordere, endlich ein Transparenzportal einzurichten“, erklärt Grundl.

Pilger fühlt sich dagegen offensichtlich ausreichend informiert. Im Sportausschuss lasse man sich regelmäßig die „Mittelverwendung der beteiligten Akteuere darlegen“. Man sei als Parlamentarier natürlich dem sorgfältigen Umgang mit Steuermitteln verpflichtet. „Mit der Entscheidung, knapp 39 Millionen Euro mehr in den Haushalt 2019 zur Verfügung zu stellen, setzen wir ein klares Signal zur Unterstützung einer fairen Sports im Interesse der olympischen und paralympischen Athletinnen und Athleten.“

Völlig verändert

Kritiker halten dagegen: Mit solchen Sonntagsreden könne man wenig anfangen. Man müsse doch auch in der Politik erkennen, dass sich der Sport völlig verändert habe: „Es gibt mittlerweile immer mehr Profisport. Und da kann man nicht mit Schönheitskorrekturen versuchen, Strukturen aus dem vorigen Jahrhundert so zu ändern, dass man erfolgreich ist“, sagen eine Reihe von Sportökonomen.

Und verweisen auf das Beispiel Deutscher Fußball-Bund, das zukunftsweisend auch für andere Verbände werden könnte – eine tatsächliche Trennung der Profis und der Amateure. „In allen Verbänden, wo man Geld mit Profisport verdient – und da geht es nicht um die astronomischen Fußballsummen – muss man umdenken, wie das weitergehen soll“, sagen die Experten. Die Fusion des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) 2006 sei ein großer Fehler gewesen: Das sei keine Bündelung von Stärken gewesen, sondern eine Verdeckung von Schwächen des Systems.

Auch die Überlegung, bevor man die Reform startete, eine Spitzensport GmbH einzurichten, hätte aus Sicht der Experten vielleicht weitergeführt. Die wurde aber schnell verworfen – vor allem auch, weil der DOSB seine Felle davon schwimmen sah.

„Umdenken und Querdenken“ hatte vor einiger Zeit der Sportökonom und Soziologe Lutz Thieme gefordert. Einer seiner Kollegen formuliert es so: „Im deutschen Sport müssen die Verantwortlichen endlich dazu stehen, dass sie ein mittleres Unternehmen haben, das da Spitzensport heißt, mit dem alle Beteiligten Geld verdienen wollen.“ Und die SportpolitikerInnen und Haushälter müssen sich überlegen, welche Regeln in Zukunft gelten. Zum Beispiel muss man nicht nur in Sachen DFB darüber nachdenken ob dieser Verband noch die Vorteile der Gemeinnützigkeit bekommen sollte. Ein heißes Eisen, das bisher niemand anfassen möchte.

Reform hin oder her.