PotAS-Kommission: Vorsitzender Granacher erläutert Attribute und Ablauf / 151 Fragen an die Sportverbände
Berlin/Potsdam, 12. März. Nach Startproblemen, einem Stabwechsel an der Spitze, hektischen und arbeitsreichen Wochen nun Vollzugsmeldung: Das Potenzialanalysesystem – kurz PotAS -, Kernstück der Spitzen- und Leistungssportreform, ist startbereit. Und jetzt sind die Sportfachverbände in den Startblöcken. Die PotAS- Kommission hat den ersten „Meilenstein“ auf dem Weg zu einer besseren Förderung des deutschen Spitzensports schon mal erreicht, wie ihr Vorsitzender Urs Granacher bei einer Pressekonferenz im Auditorium seiner Heimat-Universität Potsdam sagte: 16 Hauptattribute und 53 Unterattribute hat die Kommission in einem engen Zeitfenster und unter einigem Druck von innen und außen erarbeitet. Dazu 151 Fragen. Damit sollen so präzise und objektiv wie möglich erfolgversprechende Aussagen gefunden werden, aus denen sich dann die Zugehörigkeit des Sportlers/Verbandes zur jeweiligen Fördergruppe ergibt: Das Exzellenzcluster, das Potenzialcluster und das Entwicklungscluster. PotAS, von vielen vor allem im Sport immer noch kritisch und skeptisch gesehen, soll langfristig dem deutschen Spitzensport einen Medaillenregen bescheren.
Ab Donnerstag sind die Sportdirektoren in den Verbänden die ersten, die mit einem personalisierten Zugang zum Daten-Management das Formular aufrufen können – um dann andere Verbandsstellen mit einzubinden und um die 151 Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten. (Siehe hier: www.potas.de)
Hört sich erst mal einfach an, ist aber nicht so. Reinhardt Wendt war über 30 Jahre als „Sportchef“ der Deutschen Reiterlichen Vereinigung und des Deutschen Olympiade-Komitees für Reiterei erfolgreich tätig. Und ist ausgewiesener Kenner der Vereins- und Verbandslandschaft. Er weiß, wie man Hindernisse elegant und effektiv nimmt, um ans Ziel zu kommen. Hürden müssen nun die Verbände nehmen, sagt Wendt, der auch stellvertretender Vorsitzender der PotAS-Kommission ist. „Die Verbände sollen sich keinen Illusionen hingeben, dass es damit getan ist, die Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten.“ Denn es müsse schließlich alles belegt werden. „Jedes Ja hat ein zusätzliches Dokument zur Folge.“ Wendt weiß, wovon er spricht: In manchen Verbänden werden oft Vereinbarungen oder Konzepte nicht zu Papier gebracht. Mündliche Absprachen reichen vielen. Doch nun muss alles dokumentiert werden. Ist eigentlich logisch, wenn alles transparent und nachvollziehbar sein soll.
Schon immer so
Stößt aber in Verbänden nicht überall auf Gegenliebe. Es gilt immer noch das Motto: Haben wir schon immer so gemacht. Warum soll man das jetzt schriftlich machen. Der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) prägte, so wird kolportiert, für Menschen (vor allem Beamte aus dem BMI), die gerne und immer alles schwarz auf weiß haben wollen, den Begriff „Papier-Raschler“.
So ist das aber nun mal: Wer viel Geld, vor allem vom Steuerzahler, haben will, der muss auch begründen und belegen, wofür er das braucht. Und Geldgeber – wie etwa der Bund – müssen rechtfertigen und belegen können, dass sie die Mittel sinnvoll ausgeben. Der Sport und seine Protagonisten müssen sich da seit geraumer Zeit ein wenig umgewöhnen, was dem einen oder anderen immer noch schwerfällt.
Selbst analysiert
Jahrzehntelang analysierte sich der Sport selbst vor und nach Großereignissen, verfasste entsprechende Rechtfertigungen nach schlechtem Abschneiden und daraus resultierende neue Erfolgs- und Leistungskriterien. Jahrzehntelang einigte man sich nach getanen Rechenspielchen der zuständigen Leistungssportkoordinatoren und der Verbände mit der Abteilung Sport im Bundesinnenministerium – manchmal nach kurzem öffentlichem Gezänk – immer harmonisch auf eine Summe X, die sich hauptsächlich der Sport so zurecht gerechnet hatte. Fragte der Geldgeber Politik dann doch eindringlicher nach, pochte der Sport auf seine Fachkompetenz und Autonomie.
Tempi passati. Vor allem der Bundesrechnungshof achtet ganz besonders darauf, dass genau hingeschaut wird, wo wieviel Steuergeld im Sport ausgegeben wird. Denn: Vertrauen ist nix, Kontrolle alles. Nicht ohne Grund mahnten die Rechnungsprüfer, dass es nicht angeht, dass der DOSB, der die Interessen der Verbände vertritt, diese auch kontrolliert. Ein klassischer Interessenkonflikt
Auch deshalb gibt es nun PotAS. Transparenter, gerechter, so das BMI, solle es zugehen. Soweit das bei so unterschiedlichen Sportarten und Disziplinen überhaupt geht. Deshalb sieht Wendt PotAS als die Möglichkeit, trotz aller Unterschiede für die Verbände doch Messlatten zu schaffen, an denen man sich einnorden und orientieren kann. Dass der eine oder andere die Latte reißen oder „durchtauchen“ kann, sei wohl nicht auszuschließen. Aber – das System sieht ja bisher vor, dass sich Verbände wieder an der Messlatte hoch hangeln können, falls sie im letzten Cluster landen..
Dirk Schimmelpfennig, Direktor Leistungssport des DOSB, sieht in PotAS mittlerweile so etwas wie ein „Qualitätsmanagement“. Verbände können hier „Stärken erkennen und an ihren Schwächen arbeiten.“
Als Chance
PotAS begreifen nicht alle als Chance. Es wird nach wie vor gemäkelt. Und es gibt immer noch diese (zu Anfang gewollten?) Medaillen-Vorhersage- und Schmiede-Missverständnisse, denen lange nicht widersprochen wurde: PotAS als Bastel-Computerprogramm für OlympiasiegerInnen und Edelmetall. Granacher ist als Aufklärer unterwegs. Schon vor dem Sportausschuss des Deutschen Bundestages vor zwei Wochen betonte er, dass es um die Optimierung der Rahmenbedingungen innerhalb der Verbände ginge. Und um nichts anderes. Verstanden haben PotAS aber immer noch nicht alle, wie bei Gesprächen schnell festzustellen ist.
Ralf Göbel aus der Sportabteilung des BMI ließ auch diesmal keinen Zweifel aufkommen, dass man Steuergeld nicht einfach ins Nirwana streuen könne. „Der Bund hat außer der Außenrepräsentanz keinen Grund, Spitzensport zu fördern. Deshalb muss man schon darauf achten, auf welchem Platz man stehen muss. Es wird Verbände geben, bei denen die Unterstützung nicht mehr so aussehen wird wie vorher.“ Keine Überraschung, denn das ist seit Beginn der Leistungssportreform das BMI-Credo. Der scheidende Bundesinnenminister Thomas de Maizière betonte immer wieder, dass, wer mehr Geld, wolle auch die entsprechende Leistung – sprich Medaillen – abliefern muss. Und er antwortete denen, die mit nichts zufrieden sind, dass Spitzensportförderung ein Luxus- und kein Muss-Projekt einer Bundesregierung sei. Dennoch: Verbände ohne große Erfolgsaussichten werden weiter eine Grundförderung erhalten. Auch das wiederholte Göbel bei der Pk.
Bei dieser Pressekonferenz waren Verbandsvertreter von olympischen und nichtolympischen Verbänden anwesend. Und ihre Fragen – die meisten jedenfalls – zielten immer wieder auf mehr Geld. Schimmelpfennig sagt, man habe „Bedarfe angemeldet“, die sich auf die Verbandsgespräche, auf Kalkulationen (etwa Stützpunkte) oder Schätzungen (z.B. bei der Sportstättenförderung) bezögen. Eine Summe wollte er nicht nennen. Da wabern aber schon einige Zahlen durch die Landschaft. Schon vor und während der Winterspiele in Pyeongchang ließ der DOSB-Präsident sich in Interviews mit der einen oder anderen Zahl zitieren. Ein Aufschlag von 60 bis 120 Millionen zu den jährlich 170 Millionen Euro des Bundes müsse es schon sein.
Summen und Reform
Summen, die auf den ersten Blick aber nichts mit der Spitzensportreform zu tun haben können. Denn – mal davon abgesehen, dass die Reform frühestens 2024/2028 greifen wird – müssen doch erst einmal die „Vorarbeiten“ wie Clustereinteilung und Strukturgespräche erledigt sein und dann die Förderkommission in Aktion treten. Dann erst ist doch wirklich klar, was man an Förderung braucht.
Wo also ist die Logik, wenn man jetzt schon Geld fordert, ohne das erste Produkt fertig zu haben? Und weitere Frage: Wozu braucht man dann noch ein Computer-Programm, ein halbes Duzend Experten am Bundesinstitut für Sportwissenschaft in Bonn und die PotAS-Kommission, die jährlich mit 600 000 Euro zu Buche schlagen?
Der Bund als Geldgeber will neben Erfolg Transparenz, Gleichbehandlung usw. und hofft nun, dass PotAS die entsprechenden Parameter liefern wird. Und auch deshalb ist der „begründete Mittelaufwuchs“ ein Begriff, den DOSB und Verbände ganz schnell verinnerlichen müssen.
Ab Donnerstag können die Sportverantwortlichen mit den Fragebögen und entsprechenden Belegen schon die ersten Schritte auf diesem Weg der Verinnerlichung gehen. Bis 22. Mai haben sie dafür Zeit. Es folgen am 1./2. Juni in München die Anhörungsverfahren der Verbände. Am 15. Juli soll die Stunde der Wahrheit sein: Die Clusterung für die Wintersportverbände soll vorliegen.
Reinhardt Wendt, der sich sein Rentnerdasein in Warendorf ganz anders und nicht so hektisch und arbeitsintensiv vorgestellt hat, sieht nun also die Verbände in der Pflicht. „Das wird sicher nicht einfach für manche.“ Verweigern geht nicht, sonst ist man weg vom finanziellen Topf.
Bei allem Mühen und Bemühen um einen neuen Erfolgskurs bleibt dennoch Skepsis: Bringt PotAS am Ende wirklich den Spitzensport so nach vorne wie gewünscht? Bleiben nicht zu viele Unwägbarkeiten und unkalkulierbare Risiken? Langjährige Erfahrungswerte zeigen: Wenn Wissenschaft auf Verbands-Praxis traf, endeten Erneuerungsversuche nicht selten als Sysiphos-Projekt. Also zwei Schritte vor und vier zurück. Oder im Status quo und unvollendet. Und in der Schublade.