Über Schlittenfahren aller Art und das Goldfieber

Halbzeit bei den Winterspielen in Pyeongchang / Beobachtungen einer Daheimgebliebenen

Berlin 16. / 17.Februar. Eine Woche Olympia ist rum – und an vielen ist das Spektakel bisher irgendwie vorbeigerauscht. Während offensichtlich im Deutschen Haus in Pyeongchang FunktionärInnen, Delegationsmitglieder, SportlerInnen und Gäste aus dem Feiern nicht herauskommen, herrscht hier in der Heimat eher etwas wie gefällige, zur Kenntnis nehmende Nüchternheit, obwohl vor allem auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten und das eine oder andere Presseerzeugnis sich alle erdenkliche Mühe geben, Goldstimmung zu erzeugen. Gerade die Fernsehmenschen konterkarieren sich mit ihrer teilweise distanzlosen Fan-Berichterstattung selbst: Kritische Dopingbetrachtung und -nachfrage spielen nahezu keine Rolle mehr, wenn die Medaille eingefahren ist.

Der Medaillen-Spiegel lässt nicht unbedingt die Nation zu Hause jubeln, wohl aber die deutsche Sportfamilie. Dank der bisher neun Goldmedaillen, zu denen Skispringer, Eiskunstläufer, Nordisch Kombinierer, aber überwiegend Rodler und Biathleten beigetragen haben.

Wenn man die Wettbewerbe der SchlittenfahrerInnen verfolgt, dann verstärkt sich wie all die Jahre vorher der Eindruck: Da fahren die Deutschen hauptsächlich gegen sich selbst. Die Konkurrenz ist überschaubar. Weltweit wird Rodeln von rund einem Dutzend Nationen ernsthaft betrieben.

Die Mitgliederzahlen im Deutschen Bob- und Schlittensport-Verband dümpeln seit Jahren immer so knapp an der 7000-er Marke entlang. 2017 werden 6961 Mitglieder in der Statistik des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) verzeichnet. RodlerInnen sind seit Jahrzehnten im deutschen Sport eine Medaillenbank. Und damit wird den Kritikern, die über die vier teuer zu unterhaltenden Bob- und Rodelbahnen für einige wenige SpitzensportlerInnen klagen, ganz schnell der Wind aus den Segeln genommen, wenn sie argumentieren, dass Aufwand und Unterhalt in keiner Relation zur Nutzung stünden. Genutzt werden die Bahnen auch von ausländischen Trainingsteams, in deren Ländern Rodeln oder Bob fahren exotische Sportarten sind.

Um vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) in die olympische Familie aufgenommen zu werden, muss die Sportart in 75 Ländern und auf vier Kontinenten bei den Männern und in 40 Ländern auf drei Kontinenten bei den Frauen vertreten sein. Wenn man die Starterliste sieht, fragt man sich, ob diese Kriterien tatsächlich eingehalten werden. Okay: Nix mit miesmachen. Die Aktiven, ob im Einzel, Doppel oder Mix – sollen sich freuen… Über den Wert solcher Wettbewerbe darf man aber doch nachdenken.

Euphorie auch beim Biathlon, wo Laura Dahlmeier schon nach dem ersten Rennen als neue Ski-Königin gefeiert wurde. Und Bundestrainer Gerald Hönig immer wieder erklärt, was seine Vorzeigeathletin so auszeichnet, was in gewisser Weise dann auch sehr nachdenklich macht.

Nachts und einsam

Andreas (Wellinger) allein auf der Schanze. Für schweineteures Geld hat das IOC die Fernsehrechte verkauft. Und nun müssen die Athleten bis tief in die Nacht ran – beste Sendezeiten etwa in den USA. Da sitzen dann die armen Skispringer oben auf dem Bakken und frieren sich einen ab, die Langläufer drehen nächtliche Runden – vor kaum einem Zuschauer. (Viele, die zuschauen wollten, müssen ihren Schnellzug nach Seoul bekommen, Und der fährt kurz vor Mitternacht). Und die anderen, die vor Ort sind und da wohnen? Haben an vielen Sportarten kein Interesse, weil sie mit Wintersport wenig anfangen können. Ski, Rodel? Verständnislose Blicke der asiatischen Zuschauer. Es sind hier keine gewachsenen Sportarten. Sie werden auch keine große Popularität erlangen. Von wegen Markt erschließen, wie das IOC es versprochen hat.

Der Athlet, die Athletin stehen im Mittelpunkt – und für sie müsse alles optimal sein, betont IOC-Präsident Thomas Bach immer. Bei der Vergabe der Fernsehrechte hat man aber mal wieder nicht an die AthletInnen gedacht, sondern deren Bedürfnisse zugunsten der Interessen der Geldgeber geopfert.

Wind gibt`s da schon immer

Und wer sich jetzt von den Funktionären und Machern darüber beklagt, dass der Wind nicht nur die Alpinen-Wettbewerbe verweht, der hätte mal vor der Vergabe nachfragen sollen, wie das so im Winter ist. Wind gibt`s da schon immer. Und auch, dass der Schnee selten meterhoch liegt, war bekannt. Die weiße Pracht wird mit hohem Energieaufwand und Ressourcenverbrauch mit Schneekanonen herbeigezaubert, um Loipen und Pisten wettbewerbsgerecht zu präparieren.

Wenigstens ist es kalt genug, um Kunstschnee herzustellen. Und dass der auch liegenbleibt und man nicht Angst haben muss, dass  das zu Schneeflocken mutierte Steuergeld auch noch den Hang hinunterfließt, weil es Plusgrade hat.

Und nun endlich mal was Positives: Das Organisationskomitee in Pyeongchang, so die Botschaften aus Südkorea, habe alles getan, um beste technische und organisatorische Voraussetzungen zu schaffen, und habe diese im Griff. Für das Wetter könne man nichts. Und die Menschen wären sehr freundlich, höflich und zuvorkommend.

Im Deutschen Haus scheint man sich auch gut zu amüsieren und feiert die Medaillengewinner gebührend, auch wenn sie mit dem deutschen Liedgut nicht viel anfangen können, wie die eingebürgerten Eiskunstlaufstars Aljona Savchenko / Bruno Massot – sie gebürtige Ukrainerin, er gebürtiger Franzose. Aber sie sind ein Beispiel dafür, dass Multikulti auch im deutschen Spitzen-Sport willkommen ist – vor allem, wenn er medaillenträchtig ist.

Also aus Sicht des deutschen Sports ist alles paletti. Eigentlich läuft es rund. Auch hohe Politiker, über deren Fernbleiben man sich in Rio so echauffierte, sind gleich doppelt vertreten:

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab sich die Ehre. Und der scheidende, aber immer noch geschäftsführende Bundesinnenminister Thomas de Maizière hielt sein Versprechen, nach Südkorea zu kommen.

Zündeln

Alles schick? Von wegen. DOSB-Präsident Alfons Hörmann wird mal wieder zum Stimmungskiller. Und sorgt mit einer Aussage für Verärgerung. In einer dpa-Meldung, die im Wust der Jubelarien zu verschwinden drohte, zündelt der DOSB-Boss mal wieder: „DOSB- Präsident Alfons Hörmann schlägt Alarm. Die langwierige Bildung einer Bundesregierung wird für die deutschen Sportverbände finanziell bedrohlich. ‚Zahlreiche Verbände sitzen mehr und mehr auf heißen Kohlen. Die ersten Verbände kommen langsam in den Bereich ihrer Existenzfähigkeit“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. Die Überweisung der Fördermittel des Bundes für 2018 würden ‚wohl erst im dritten Quartal fließen, eventuell erst im vierten‘.“ Ende der Meldung.

Nicht nur beim Bundesinnenministerium ( BMI) wunderte man sich über diese Aussage. Denn: Im Zusammenhang mit der Umsetzung der Leistungssportreform, die parallel zum normalen Sportbetrieb läuft, wurde zwischen BMI und DOSB vereinbart, dass die normale Förderung – auch unter erschwerten Bedingungen – weiterläuft. Also wieso spricht der DOSB-Chef von Existenzbedrohung? Nachfrage beim BMI. „Bis zur Konstituierung der Bundesregierung und des Beschlusses des Bundeshaushaltes 2018 gelten die Regelungen zur sogenannten vorläufigen Haushaltsführung, Das bedeutet, dass während der vorläufigen Haushaltsführung nach Artikel 111 Absatz 1 GG Ausgaben (Fördermittel) nur insoweit geleistet werden dürfen, als sie nötig sind, um beispielsweise rechtlich begründete Verpflichtungen des Bundes zu erfüllen. Den Bundessportfachverbänden können unter Berücksichtigung haushaltsrechtlicher und zuwendungsrechtlicher Gegebenheiten aus diesem Grund weiterhin u.a. Zuwendungen der Grundförderung der Jahresplanung und des Leistungssportpersonals ausgezahlt werden.“ Das heißt also: Der Normalbetrieb ist gewährleistet.

Besondere Regelungen

Für projektbezogene Fördermittel, gilt eine andere Regelung. Im Rahmen der vorläufigen Haushaltsführung heißt das, „dass bis zum Inkrafttreten des Bundeshaushaltes 2018 die zur Verfügung stehenden Mittel begrenzt sind und besondere durch das Bundesfinanzministerium (BMF) erlassene haushaltsrechtliche Regelungen gelten“, so das BMI weiter. Und: „Aufgrund des durch das BMF für diesen Förderbereich bereitgestellten Verfügungsrahmens konnte den Bundessportfachverbänden bereits ein Teilbetrag für das Jahr 2018 in Aussicht gestellten Projektmittel zur Verfügung gestellt werden.“ Für außerordentliche Maßnahmen – zum Beispiel ein Trainingslager – wären das 45 Prozent. Alfons Hörmann müsste das wissen, weil alle Verbände und der DOSB seitens des BMI über die besondere Situation schriftlich und mündlich informiert wurden.

Der Fall, den Hörmann offensichtlich als Anlass für seinen Alarm sah und den er dann verallgemeinerte, bezog sich auf einen der fünf neuen olympischen Verbände, die in Tokio an den Start gehen. Für die gibt es allerdings eine Sonderregelung. „Da diese Verbände zum Beispiel noch strukturelle Veränderungen brauchen, haben wir da eine Sonderregelung getroffen.“ Das sei aber auch kommuniziert worden. Und man müsse natürlich die Mittel auch beantragen“, heißt es aus dem BMI auf Nachfrage. Das ist aber offenbar nicht passiert. Auch Hörmann hat offensichtlich versäumt, mal nachzufragen, was wirklich Sache ist.

Aber Goldfieber kann offenbar nicht nur ein beglückendes Delirium auslösen, sondern animiert auch zum Stimmungsmachen nach dem Motto: Der arme Sport kriegt kein Geld. Obwohl er eine Medaille nach der anderen sammelt, lässt ihn die Politik mal wieder im Regen stehen.

Und der Eindruck, dass da wieder einer mit der Politik Schlitten fahren wollte, ist sicher nicht falsch. Aber in Pyeongchang sollte der DOSB-Präsident dann den Profi-Rodlern doch das Schlittenfahren überlassen.

Was sagt uns das: Es ist auch im olympischen Trubel empfehlenswert, sich aufs Zuschauen und Feiern zu konzentrieren, als aus der Ferne Knaller zu zünden, die als Rohrkrepierer enden.