Ja, aber: Weichgespülte Härte des IOC

Russlands NOK ausgeschlossen / „Saubere“ Sportler dürfen starten / Mutko lebenslang gesperrt

Lausanne/Berlin. 5. Dezember.- Wegen des Doping-Skandals hat das IOC Russlands Olympisches Komitee (ROC) von den den Winterspielen 2018 in Pyeongchang (9. bis 25. Februar) ausgeschlossen. Russische Sportler, die einen Nachweis bringen, „sauber zu sein“, dürfen unter Auflagen unter neutraler Fahne und ohne Hymne starten. Eine lebenslange Sperre wurde gegen den ehemaligen Sportminister und heutigen Chef des russischen Fußballverbandes, WM-Organisationschef und Vizepremierminister Witali Mutko in allen olympischen Funktionen ausgesprochen. Das ROC muss außerdem 15 Millionen Dollar „Strafe“ bezahlen. Zu diesen Entscheidungen hat sich nun also das Internationale Olympische Komitee durchgerungen. Ein Komplett-Ausschuss, den viele gefordert, aber wenige wirklich erwartet haben, blieb den Russen damit erspart.

Da haben das IOC und sein oberster Boss nun mit Abscheu und Empörung reagiert: Das russische NOK wird ausgeschlossen, der vermeintliche Drahtzieher Mutko gesperrt. Milde dagegen für die Athleten: Vier Jahre intensive Vorbereitung sollen nicht umsonst gewesen sein. Wer sauber geblieben ist, darf starten.

Es ist kein Königsweg, den das IOC da gefunden hat. Und auch keine weise Entscheidung. Es ist wieder mal eine typische Entscheidung von Bach und seinem IOC: Man laviert und taktiert sich durch, zeigt Inkonsequenz in der Konsequenz.

„Es war ein beispielloser Angriff auf die Integrität der Olympischen Bewegung und des Sports“, sagt Bach in der Pressenkonferenz. Und deshalb habe das 14-köpfige Exekutiv-Komitee „ausgewogene Sanktionen für die sytematische Manipulation ausgesprochen“.

Die man dann auch als Schlußstrich verstehen soll? Denn er sagt weiter: „Dies soll einen Strich unter die schädigende Episode ziehen und als Katalysator für einen von der WADA geleiteten effektiveren Anti-Doping-Kampf dienen.“

Episode

Das soll es dann gewesen sein: Einmal etwas heftiger auf den Tisch gehauen? Nach einer „schädigenden Episode“? Russland hatte von 2011 bis 2015 ein institutionelles Dopingsystem, in das, so jedenfalls ist das in den Berichten des Sonderermittleres der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA), Richard McLaren, nachzulesen, rund 1000 SportlerInnen involviert waren. Vier Jahre – 1000 Aktive – kann man das als Epiosde abtun?

Die „systematische Manipulation der Anti-Doping-Regeln und des Anti-Doping-Systems in Russland“ sei bestätigt worden, teilt das IOC mit. Wäre aber dann nicht ein Komplettausschluss der Russen für Pyeongchang die einzige und richtige Entscheidung gewesen? Statt weichgespülter Härte mit einer „Ja, aber“-Lösung?

Das flächendeckende Doping ist durch den McLaren-Report bewiesen, 25 Bob- und Skeletonfahrer, Langläufer und Biathleten wurden in den letzten Wochen als DoperInnen von Sotschi überführt und vom IOC gesperrt – weitere könnten folgen. Reicht das nicht für knallhartes Durchgreifen?

Halbherziges Vorgehen, ja manchmal unverständliche Milde gegenüber ertappten DopingsünderInnen im IOC hat das Problem in den letzten Jahren weiter verschärft. Nun versucht man einerseits die Russlandkritiker zu besänftigen und andererseits das Putin-Regime nicht gänzlich zu vergrätzen. Thomas Bach hat es sicher so gedeichselt, dass nicht alle Türen zum Kreml zugeschlagen wurden.

Signal

Aus Gründen der Glaubwürdigkeit und als vertrauensbildende Maßnahme gegenüber AthletInnen und Öffentlichkeit wäre eine knallharte Entscheidung das richtige Signal gewesen: Betrügen ist kein Kavaliersdelikt, und alle Betrüger – ob aus Politik, Funktionärsetagen, ob AthletInnen und deren begleitendes Umfeld – haben kein Pardon verdient.

Ein kompletter Ausschluss träfe natürlich auch SportlerInnen, die nicht gedopt haben.Leider sind Kollateralschäden manchmal nicht zu vermeiden: Diese AthletInnen sind nach dieser Entscheidung ohnehin im Dilemma, weil sie von vielen in Russland als VerräterInnen angesehen werden, wenn sie denn starten würden.

Die russischen Medien erklärten unmittelbar nach der IOC-Veröffentlichung ihren Landsleuten die Sanktionen mit kruden Verschwörungstheorien, in Talkrunden diskutiert man nun, wie man mit der Situation umgehen soll.

Ohne Flagge und Hymne – da sind sich die meisten Russen einig: Dann sollen die Athleten lieber zuhause bleiben. Putin hatte vor einigen Tagen von einer Demütigung gesprochen, wenn dies so entschieden würde und mit Boykott gedroht. In den letzten Tagen waren zwar verbindlichere Töne aus dem Kreml zu hören. Aber nun fühlen sich die meisten in der Opferrolle, und die Athleten, die die starten dürften, in einer Zwangslage. Die stolze Sportnation Russland sieht sich getroffen – nationalistische Töne bleiben nicht aus.

Selbst entscheiden

Ob sie nach Südkorea fahren werden, sollen am 12. Dezember die potenziellen Teilnehmer selbst entscheiden, schrieb die Nachrichtenagentur TASS . Eine „Olympische Versammlung“ der teilnehmenden AthletInnen, TrainerInnen und VerbandsvertreterInnen soll darüber befinden.

Möglicher Boykott? „Ein olympischer Boykott hat noch nie etwas gebracht. Ich sehe auch keinen Grund für einen Boykott durch russische Sportler, weil wir den sauberen Athleten erlauben zu starten.“ sagte Bach.

Ob in der Causa Russland überhaupt das letzte Wort gesprochen ist, wird sich zeigen: Die Russen können vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS Einspruch einlegen.

Was die Möglichkeit für eine weitere „Ja, aber“-Entscheidung bieten könnte. Man kann sich ziemlich sicher sein, dass Bach mit Putin dieses Vorgehen intensiv besprochen hat. Und selbst der Staatspräsident und „Freund des Sports“ dürfte erkannt haben, dass dem IOC diesmal nichts anderes übrig blieb, als Härte zu zeigen, um wenigstens etwas Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen. Und das Unternehmen IOC zumindest zunächst vor dem moralischen Total-Bankrott zu retten.