Der brüchige Burgfrieden von Koblenz

DOSB: Minister fordert Teamgeist, tadelt die Diskussionskultur / Schimmelpfennigs Brandrede/ Verbände erklären sich

Koblenz/Berlin 4.Dezember.Einigkeit herrscht nur in der Uneinigkeit und im Sauersein auf den jeweils anderen. Gegenseitige Schuldzuweisungen einerseits – der Appell an Teamgeist, Gemeinsamkeit und Mannschaftsspiel anderseits: Bundesinnenminister Thomas de Maizière forderte bei der Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) in Koblenz alle Beteiligten auf, den Streit um die Leistungssportreform endlich beizulegen. Doch die Kontroverse zwischen Sport und Politik hat sich weiter verschärft. Der vermeintliche Burgfrieden, besonders auch innerhalb des Sports, selbst ist brüchig. Trotz einer gemeinsamen Erklärung von Spitzenverbänden und Landessportbünden, einer „Standortbestimmung zur Leistungssportreform“.

Das Drehbuch mit dem Titel „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ bekam schon bei seiner Vorstellung schlechte Kritiken, obwohl man im Ansatz viel Positives entdecken kann, wenn man denn das Skript, das als Konzept angelegt wurde, genau gelesen hat. Seit man den Drehort Magdeburg verlassen hat, wo die ersten Sequenzen mit einer unglaublichen Zustimmung (98,6 Prozent) der Co-Produzenten aus dem Sport aufgenommen wurden, folgte an verschiedenen Sets eine dilettantische Umsetzung: Man fühlt sich tatsächlich in dieser Leistungs-Sport-Gemengelage wie in einem schlechten Film mit dürftigen Gags und Pointen: Und dazu noch miserablen DarstellerInnen aus Sport, Ländern und Bund, die eher hinter als vor der Kamera zur Höchstform auflaufen.

Professionell

Minister Thomas de Maizière zeigt in Koblenz, dass er seinen Part professionell beherrscht. Wie gehabt: Verbindlich im Ton, hart und konsequent in der Sache. Deutliche Ansage „Solche großen Reformen gelingen nur gemeinsam. Es hilft nichts nur dagegen zu sein. Wir brauchen Teamgeist, wenn wir den Spitzensport verbessern wollen“, sagt er. Und fügt hinzu: „Nicht übereinander reden, sondern miteinander – das ist eine Erfolgsbedingung.“

Einer Meinung ist der DOSB-Präsident Alfons Hörmann auch an dieser Stelle mit dem Minister und betont dann etwas später, dass zwischen ihn und de Maizière kein Blatt Papier passt. Fest gemauert ist auch wieder in diesem Moment die von Hörmann gesuchte Harmonie. Obwohl die Gesichter der beiden bei dem Presse-Zwischenstopp, bevor der Minister die Veranstaltung verlässt, etwas anderes vermuten lassen.

Vorher hatte der Präsident in seinem Bericht gesagt: „ Wir sind an einem Punkt, an dem die Möglichkeiten des Sports enden. Ohne finanzielle Mittel geht nichts weiter.“ Der Sport habe seine Aufgaben erledigt. Ob das wirklich so ist, da gehen selbst innerhalb des Sports die Meinungen auseinander, trotz der Erklärung. Der Vizepräsident Leistungssport, Ole Bischof, versuchte per PowerPoint die gemachten Hausaufgaben  zu belegen. Doch auch er muss am Ende zugestehen, dass die Reform nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern besonders auch von den unmittelbar betroffenen TrainerInnen und AthletInnen mit Streitigkeiten und Kompetenzgerangel wahrgenommen wird. Es seien keine Fortschritte erkennbar, totale Verunsicherung und viel Frust hätten sich eingestellt.

Frust abgelassen

Seinen Frust abgelassen hat auch der Vorstand Leistungssport, Dirk Schimmelpfennig. Er sitzt zwischen allen Stühlen und hat die undankbare Aufgabe, die unterschiedlichsten Interessen, Problemlagen fachlich und sachlich unter einen Hut zu bringen, Probleme zu lösen und es allen recht zu machen. Das Pendant zu ihm im BMI ist der Abteilungsleiter Gerhard Böhm. Und eigentlich müssten sich die beiden nicht nur deshalb verstehen, sondern auch, weil sie  – auch wenn man es vielleicht zunächst nicht glauben mag – dasselbe erreichen wollen. Aber manchmal bringen sie sich gegenseitig in Rage, oft streuen andere Sand ins Getriebe und sorgen für schlechte Stimmung. Schimmelpfennig machte also am Freitag beim Treffen der Spitzenverbände aus seinem Herzen keine Mördergrube und soll dem BMI, vertreten durch Böhm, die Leviten „mit der besten Rede, die er je gehalten hat“, gelesen haben, wie  Teilnehmer berichten.

Das BMI behindere den Sport bei der Reform, die Fachleute des DOSB würden als inkompetent und unzuverlässig dargestellt. Außerdem spreche das BMI dem DOSB, der nach wie vor auf seine Autonomie poche, seine Richtlinienkompetenz und Fachaufsicht gegenüber den Verbänden ab, soll er gesagt haben. Schimmelpfennig ließ offensichtlich lange aufgestaute Emotionen raus. Mit großem Beifall sei er dafür bedacht worden,  berichten diejenigen, die anwesend waren. Dabei gibt es  – wenn nun die Erinnerung an viele Gespräche mit Verbandsvertretern nicht trügt – doch auch im eigenen Haus welche, die für die schlechte Stimmung verantwortlich sein sollen. Wie dem auch sei:  Eine Erklärung wurde verfasst. Da heißt es: „Die Verzögerungen und Unklarheiten in der Umsetzung der Reform führen zu einer erheblichen Verunsicherung bei Athleten, Trainern und Verbänden und gefährden damit massiv die Vorbereitung auf die Olympischen Spiele in Tokio 2020“.

Wobei nun allerdings schon im Frühjahr Verbands-Stimmen zu hören waren, dass die Reform frühestens 2021 greifen könnte.

Neun-Punkte-Programm

Wie groß die Unzufriedenheit mit der Reform-Umsetzung ist, die „nicht von den Spitzensportverbänden“ zu verantworten sei, zeigt das Neun-Punkte-Programm, dass die olympischen und nicht-olympischen Verbände zu Papier brachten. Darin wird für die AthletInnen „Klarheit hinsichtlich ihrer finanziellen Absicherung, der Stützpunktstruktur und professionellen Betreuung“ gefordert. Auch die „unhaltbare Beschäftigungssituation zahlreicher TrainerInnen im Leistungssport muss beseitigt werden“, heißt es weiter. Und: „Die für die Umsetzung der Leistungssportreform notwendigen Mittel müssen für die Verbände bereitgestellt werden.“

Und natürlich, so ist zu lesen, müssten die öffentlichen Fördermittel ab 2018 „deutlich“ angehoben werden. Schimmelpfennig hatte vor kurzem in Köln von zusätzlich 100 Millionen gesprochen, die gebraucht würden, um die Reform umzusetzen.

Der Minister hat auch in Koblenz seine Zusage erneuert, die Mittel „substanziell und nachhaltig“ aufzustocken. Doch momentan kann er nur weiter vertrösten: Zunächst war die Bundestagswahl ein Verzögerungsgrund, und nun wird das Reformvorhaben ausgebremst, weil sich die Regerungsbildung in die Länge zieht. Das bedeutet: Ohne Regierung kein Haushalt. Frühestens im Frühsommer komme man dann wohl erst zu Potte. De Maizière, der deutlich macht, dass er gerne sein eigener Nachfolger im Amt sein würde, zerstreut Ängste: Die finanzielle Zusage stehe, denn „solche Entwicklungen sind nie von einzelnen Personen abhängig“.

Boxenstopp

Dass man nun einen längeren Boxenstopp einlegen muss, hängt aber nicht nur am fehlenden Geld. Zu Beginn der Reform forderten BMI und der DOSB eine schnelle Umsetzung. Zwischenzeitlich musste man das Tempo herausnehmen, weil zu viele Probleme, die man vorher nicht bedacht hatte, zu klären waren. Der Minister sagte am 15. August, wo man sich nach neuerlichen Streitereien mal wieder zu einem Schulterschluss mit Ländern und DOSB genötigt sah: „Wir haben erkannt, dass es zeitlich zu ambitioniert war, die neue Bundesstützpunktstruktur zum 1. Januar 2018 umzusetzen. Daher haben wir uns auf ein weiteres Übergangsjahr geeinigt, um den Athletinnen und Athleten und ihren Trainerinnen und Trainern hinreichend Planungssicherheit für ihre persönliche Zukunft zu geben.“ Und Hörmann kommentierte „In intensiven Gesprächen haben DOSB und Spitzenverbände binnen weniger Monate eine neue sportfachliche Bewertung der potentiellen Bundesstützpunkte erarbeitet. Nun geht es um eine verantwortliche Umsetzung, bei der Sorgfalt vor Schnelligkeit geht.“

Geduld brauche man, sagt auch der Minister, nicht allein wegen der Regierungsfindung. Nur „kosmetische Lösungen“ und „notdürftige Reperaturen“ würden neue Baustellen entstehen lassen. „Solche grundlegenden Reformen werden nicht von Popcorn, Partyhüten und Konfettiregen begleitet.“

Deutlich kritisiert er auch die Art der Diskussionskultur: „Es wird zu sehr hinter dem Vorhang geredet, und manchmal wird vergessen, worum es eigentlich geht“, sagt er. „Dagegen sein ist immer leichter als für etwas zu sein. Aus der Summe von Gegenargumenten ergibt sich noch keine Lösung, keine Teamarbeit und kein Teamgeist.“ Die Adressaten sollten da mal in sich gehen.

Man möchte nur hoffen, dass der Minister mit seinem Appell durchdringt. Zweifel sind angebracht. Unmittelbar nachdem die Fachverbände die Muskeln spielen ließen, ihre Erklärung formuliert hatten und mit breiter Brust zum Empfang ins Koblenzer Schloss kamen, setzte der eine oder andere Verbandsvertreter schon mal wieder zu einem von Eigeninteresse gesteuerten Sololauf an.Was sagt das über die Stabilität der gemeinsamen Front, die schon wieder zu bröckeln scheint, bevor der Mörtel getrocknet ist? Obwohl man ja nun sogar mit 100 Prozent zugestimmt hat, alles gemeinsam zu machen.

Gestärkt und einig

Alfons Hörmann sieht sich nicht nur mit dem Minister einig, sondern gestärkt, wenn man ihn nun richtig verstanden hat. Und ist animiert, mit „Engagement und Herzblut“ so weiterzumachen wie bisher. Was wiederum einige schon befürchtet haben. Denn gerade Hörmann hat den Unmut seiner Mitgliedsorgansiationen auf sich gezogen, von denen viele ihn nach wie vor als einen Hauptverursacher der schlechten Stimmung zwischen BMI und Sport sehen.

Er sollte sich nicht zu sicher sein, dass die inszenierte Koblenzer Revue alle begeistert hat. Beziehungsweise, dass Ruhe einkehrt. Auch wenn die Sprecher der Spitzenverbände und Landessportbünde Siegfried Kaidel und Andreas Silbersack versprachen, dem Präsidenten Rückendeckung zu geben, der zur Zeit mit Schimmelpfennig „durch ein Stahlbad gehen und im Gewitter stehen“ muss. Rückendeckung kann ganz schnell zum Positionswechsel führen – nämlich mit dem Rücken an der Wand zu stehen.

Nun also einer von vielen Schulterschlüssen und Einigkeitsdemonstrationen. Harmonie statt Dissonanz sollten rüber kommen. Deshalb wurde dann auch ein weiteres kontroverses Thema erst einmal verschoben: Die Dauerdiskussion um den internen Sport-Verteilerschlüssel für die Finanzierung der Nationalen Anti-Dopingagentur. Die Verbände der Radfahrer, Triathleten und Leichtathleten sehen ihren Beitrag als zu hoch an, zogen aber ihren Antrag zurück, nachdem der DOSB nun zusagte, dass man in einer Arbeitsgruppe eine neue Regelung suchen werde. „Damit können wir erst einmal gut leben“, sagte Triathlon-Präsident Martin Engelhart.

Leitbild

Zwar war die Leistungssportreform wieder das dominierende Thema, aber auch über das neue Leitbild wurde abgestimmt. „Versprechen an die Gesellschaft, die Mitglieder und die „Welt des Leistungssports“ sind darin formuliert. Mit diesem Leitbild will man eine langfristige Strategie für die kommenden zehn Jahre namens DOSB 2028 entwickeln.

Damit diese sogenannten „Versprechen“ auch eingehalten werden, dafür soll nun Veronika Rücker sorgen, die ab 1. Januar 2018 neue Vorstandsvorsitzende des DOSB ist. Die sehr weich formulierten Inhalte wurden bei sechs Regionalkonferenzen mit Mitgliedern in ganz Deutschland im letzten Frühjahr zusammengetragen. Umgesetzt wurde das Projekt mit der DOSB-nahen Führungsakademie (deren Leiterin Rücker bisher war), und der Agentur Jung von Matt.

Mit dem Leitbild können sich auch gleich die beiden Verbände beschäftigen, die vom DOSB aufgenommen wurden, die Cheerleader und Kickboxer.

Die hatte der amtierende Vorstandsvorsitzende Michael Vesper in seiner Eigenschaft als Versammlungsleiter noch launig begrüßt, bevor der Präsident ihn dann mit einem DOSB-Ticket 2018 (nicht übertragbar und bei Verlust nicht zu ersetzen) eher unverbindlich in den Ruhestand schickte. Per Video hatte IOC-Präsident Thomas Bach seinen ehemaligen Statthalter in Frankfurt mit einer Eloge beglückt. Viel Beifall am Ende. Und man macht sich so seine Gedanken über die Sportfamilie: Über Fouls und Fair Play, über Ehrlichkeit, Intrigen und Verlogenheit. Wie das alles zusammenpasst. Und welche Risiken und Nebenwirkungen dies in sich birgt.