DOSB- Mitgliederversammlung stimmt über Leistungssportreform ab/Kritik amPräsidenten
Berlin, 2.Dezember. Magdeburg ist der Ort, an dem der „horror vacui“ – die Angst vor der Leere – widerlegt wurde. Und zwar von einem berühmten Sohn der Stadt: Dem Politiker, Juristen, Astronomen und Physiker Otto von Guericke, der nicht nur wegen der Begründung der Vakuumtechnik in die Geschichtsbücher einging, sondern auch wegen einem seiner bekanntesten Experimente mit den Magdeburger Halbkugeln. Es ist reiner Zufall, dass im zehnten Jahr des Bestehens des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) dessen Mitgliederversammlung am 3. Dezember in der Stadt über die Bühne geht, wo jemand soviel über Materie und Leere und gegenseitige Wirkung nachdachte. Und experimentierte. Aber gibt es solche Zufälle?
Vielleicht haben höhere Mächte gedacht, sie müssten eingreifen bei dem schon länger anhaltenden Vakuum, das den DOSB umhüllt und durchdringt. Man muss nun nicht magische Fähigkeiten haben, um festzustellen, dass im DOSB seit der Fusion zwischen Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischen Komitee vor zehn Jahren etwas führungstechnisch ziemlich und gründlich schief läuft. Und das nicht nur auf dem Experimentierfeld im Frankfurter Haus des Sports, wo MitarbeiterInnen über mangelnde Information, und Kommunikation klagen, über Intransparenz und Stillosigkeit. Oder über die Gutsherrenart, mit der da „regiert“ wird. Auch das inhaltliche Vakuum wird kritisiert: Seit Jahren segle man so einfach dahin, ohne zu wissen, wo man letztendlich eigentlich hin will.
Der DOSB schwebt also in einem Vakuum zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Experiment beendet
Ein Experiment ist jetzt erst einmal abgeschlossen: die Leistungssportreform. Und in Magdeburg wird nun darüber befunden. Nach zweijähriger Arbeit und zähem Ringen zwischen dem Geldgeber Bundesinnenministerium und dem DOSB um die Oberhoheit über den Sport wird nun über das Konzept, oder Teile oder was auch immer abgestimmt. Auch wenn die Reform in Magdeburg im Fokus stehen wird, so ist an dieser Stelle zu diesem Thema vorerst einmal alles gesagt: Jetzt sind die Mitglieder an der Reihe, die hoffentlich gründlich darüber nachgedacht haben, welche Folgen ihr Votum nicht nur für die Entwicklung des deutschen Spitzensports, sondern für die gesamte Sportlandschaft haben wird.
Dass bei vielen Versuchsreihen im Dachverband in den letzten Jahren das rote Alarmlämpchen anging und unentwegt blinkte, ignorierten die Verantwortlichen. Im Sommer nun mussten sie aber reagieren.: Im „Aufgaben- und Effizienzanalyse-Bericht“ den der DOSB selbst bei den Unternehmensberatern Ernst & Young in Auftrag gegeben hatte, wurde ihm nun sozusagen – ausgerechnet auch noch vor den Spielen in Rio – schriftlich mitgeteilt, dass rote Lämpchen schon so ihren Sinn haben.
300 000 Euro
Strukturelle und finanzielle Defizite, Mängel an Strategie, Transparenz und Kommunikation wurden dem Dachverband – mal nur grob zusammengefasst – bestätigt. 300 000 Euro (das ist jedenfalls die Summe, die der DOSB auf Anfrage nannte) hat sich der klamme Verband die Untersuchung kosten lassen.
Ob es nun gezieltes Timing oder nur reiner Zufall war, dass ausgerechnet vor den Olympischen Spielen der Bericht fertig war, sei dahingestellt: Jedenfalls wurde er erst einmal beiseite gelegt, weil alle im Olympiastress waren. Und danach? Setzte man auf das Kurzzeitgedächtnis der Mitgliedsorganisationen? Eine ausführliche Diskussion hat jedenfalls bisher nicht stattgefunden. In den einzelnen Gremien wurde das Thema durch die alles beherrschende Leistungssportreform selbst bei Nachfragen ausgebremst. Wer möchte auch eigenes Versagen und Versäumnisse eingestehen? Etwa, dass ein Mitarbeiter Jahre lang Geld unterschlagen konnte, ohne das jemand etwas gemerkt hat? Da reicht auch nicht die Absolution durch die Rechnungsprüfer. Das Analyse-Ergebnis ist ernüchternd. Das ist schon aus der 39-seitigen Zusammenfassung abzulesen, die die Mitgliedsverbände bekamen.
Parallelwelt
Aber wer die Berichte des Präsidiums und des Vorstandes für die Mitgliederversammlung liest, der bekommt den Eindruck, es sei nahezu alles im grünen Bereich. Wer stänkert da, wenn das Fazit lautet: Alle waren fleißig und erfolgreich! Demnach müsste die Untersuchung in einer Parallelwelt DOSB ( vielleicht Sportdeutschland?) stattgefunden haben.
Es wäre also ein guter Grund, bei der Mitgliederversammlung auch über diese Baustelle des DOSB, die Aufgaben- und Effizienzanalyse, zu diskutieren, was auch als Tagungsordnungspunkt 13 „Anstoß 2016“ vorgesehen ist. „Wir haben nichts zu verheimlichen“, sagte DOSB-Präsident Alfons Hörmann auf Nachfrage, ob man denn auch mal den gesamten Bericht zu sehen bekomme. Was ja nun nicht der Fall ist. MitarbeiterInnen und ausgewählte JournalistInnen dürfen mal gucken. Selbst das BMI hat trotz mehrfacher Nachfrage bei Hörmann den Bericht, nach eigener Aussage, bisher nicht erhalten. Warum wohl?
Auf die Frage nach ersten Ergebnissen kam von der Pressestelle am 17. Juli 2016 folgende Antwort des Präsidenten zum Thema strategische Ausrichtung (die es ja laut Untersuchung eher nicht gibt): „Zum Thema Strategie wird eine Fortsetzung und Intensivierung des bislang eingeschlagenen strategischen Pfades empfohlen und vor allem, gezielt die wichtigen DOSB-nahen Institutionen wie DSM, Akademien, dsj und OSP in die Gesamtsteuerung einzubeziehen.“ Diesen Satz sollten die Delegierten vor der Abstimmung in Magdeburg noch mal ganz genau überdenken.
Nebelkerzen
Informationen und Wahrheit. Da haben einige Protagonisten im DOSB eine sehr eigene Auslegung: Salamitaktik – nur soviel rausrücken, wie man unbedingt muss. Wortreich Nebelkerzen werfen, bloss nix sagen. Am besten aussitzen. Und um Gottes willen: Bloß keine öffentliche Diskussion. Das ist mittlerweile die gängige Methode der DOSB-Informationspolitik.
Soviel zu mangelnder Kommunikation – egal mit wem. Nun ist diese Analyse auch im Zusammenhang mit der Leistungssportreform zu sehen: Denn wenn die Operative im DOSB nicht effizient und erfolgreich arbeitet, wie soll dann die Reform funktionieren? Es wäre die logische und transparente Folge, unter diesem Aspekt die schon zigfach geforderte Diskussion zu starten, in welche Richtung der deutsche (Spitzen-)Sport nun insgesamt gehen soll. Aber diese Diskussion will man nicht. Vor allem nicht, weil die Zustimmung zur „Neustrukturierung des Spitzensports und der Sportförderung“ für Alfons Hörmann überlebenswichtig ist. Also bleibt an diesem Schnittpunkt erstmal ein Vakuum.
Außer Spesen…
Fusions-Motto war: „Kräfte bündeln, mit einer Stimme sprechen.“ Die Operative sollte schlagkräftiger und kleiner werden und auf dem Banner, das zunächst von dem heutigem Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper hochgehalten wurde, stand dick und fett: Olympischer Spitzensport. Schon bei der protzigen Jubiläumsfeier hätte der DOSB sich eingestehen müssen, dass viele der angesteuerten Ziele, besonders das olympische, verfehlt wurden. Außer Spesen kaum was gewesen.
Als Hörmann vor drei Jahren kam, ließ er Vesper erst einmal gewähren. Das Verhältnis der beiden war von Anfang an wechselhaft. Zunächst demonstrierte man Harmonie, die aber nicht lange hielt: Denn zwei, die gerne sagen, wo es lang geht, geraten sich dabei schnell in die Haare. Aber wenn es nötig ist, rauft man sich wieder zusammen. Im März 2016, als Vespers umstrittene Vertragsverlängerung anstand, war das Miteinander wieder enger. Hörmann war gerade wegen einer arbeitsrechtlichen Auseinandersetzung mit seinem ehemaligen Arbeitgeber in schwere See geraten.
Neues Konstrukt
Klare Grenzen wurden zumindest auf dem Papier gezogen. 2014 wurde eine nicht unumstrittene Satzungs- und Strukturänderung beschlossen. Der DOSB leistet sich seitdem einen hauptamtlichen Vorstand mit einem gut dotierten Vorstandsvorsitzenden (Vesper). Das ehrenamtliche Präsidium thront als eine Art Aufsichtsrat über allem. So hatte sich das der Unternehmer Alfons Hörmann vorgestellt. „Ein Ehrenamt kann man heute nicht mehr zwischen 16 und 18.30 Uhr in so einer Organisation führen“, erklärte der damalige Pressesprecher Christian Klaue die Änderung. Außerdem habe man mit dem Konstrukt „eine Rechtsform geschaffen, bei der die Präsidiumsmitglieder aus der finanziellen Haftung entlassen sind“.
Doch die Arbeitsteilung klappt nicht so richtig: Mehr Effizienz, mehr Erfolgsmeldungen durch den neuen Vorstand? War früher aus bekannten Gründen der Vorstandsvorsitzende allgegenwärtig, geht jetzt ohne den Präsidenten nichts mehr. Vesper tritt kaum noch öffentlich in Erscheinung.
Was also hat die Veränderung gebracht?
Erst gefeiert
Ein anderes Alphamännchen: Alfons Hörmann, omnipräsent. Gepuschter Wunschnachfolger von Bach, präsentiert als unabhängiger Unternehmer und Sportsmann, gefeiert als bescheidener, erfolgreicher Ski-Funktionär. Das hat sich – vor allem in letzter Zeit – rapide geändert. Mittlerweile ist er umstritten – auch in den eigenen Reihen. Und selten ist ein DOSB-Präsident so angeschlagen gewesen wie Hörmann. Der nun natürlich in der Kritik an seiner Person und seinem Handeln eine Kampagne gegen ihn wittert. „Den Eindruck kann man gewinnen“, sagte er in einem Interview der „Stuttgarter Zeitung“.
Von wegen Kampagne: Hörmann hat es von Anfang an geschafft, sich selbst in die Bredouille zu bringen, weil er mit Halbwahrheiten und missverständlichen Aussagen viele Fragezeichen hinterließ. Bei seinem Amtsantritt 2013 eierte er wegen seiner Geldbuße, die das Kartellamt gegen ihn als ehemaliger Chef eines Dachziegelherstellers verhängte, herum, bevor er sagte, was Sache ist.
Nicht begriffen
Während die Mitgliedsorganisationen über diese persönlichen Fehler noch hinweg sahen, wuchs der Unmut wegen mancher unüberlegter Aussagen, etwa im Mai bei einer Veranstaltung bei der Sportakademie in Köln , wo er darüber sinnierte, wie man Ehrenamtliche am besten los werde. Der Unternehmer Hörmann ist zwar ehrenamtlicher Präsident, hat aber mit dem Ehrenamt nicht viel am Hut. Bis heute hat er nicht begriffen, dass er in so einem Konstrukt wie dem organisierten Sport mit vielen Eigenheiten, Fallstricken und Empfindlichkeiten nicht von oben bestimmen kann, was unten passieren soll. Nicht zuletzt deshalb wollte er wohl die Leistungssportreform als geheime Kommandosache durchziehen, damit ihm nicht zu viele reinquatschen und dazwischenfunken. Da braucht sich der Präsident nicht wundern, dass das Fußvolk in dem von ihm kreierten Sportdeutschland weder von der Art des Umgangs noch von dem Inhalt des Konzepts alles andere als begeistert ist.
Hörmann muss die Sportorganisationen hinter sich scharen, um die Reform durchzupauken. Dafür verspricht er dem Tennisbund dann schon mal eine Grundsicherung (die es im neuen Konzept so gar nicht mehr gibt). An der (großen) Zustimmung hängt sein Renommee, das er in letzter Zeit selbst in einer rasanten Talfahrt ziemlich ramponiert hat. Auch er hat mittlerweile eine Art, mit Menschen und der Wahrheit umzugehen, die zwischen Aussetzer und Ausraster einzuordnen ist. Bei der Mitgliederversammlung 2015 in Hannover beschimpfte er u.a die Kanzlerin, dass sie ihn nicht genügend bei der Olympiabewerbung unterstützt hätte.
Rücktritt in der Politik
Bei der letzten Sportministerkonferenz bekamen die Haushälter im Bundestag ihr Fett weg: Sie gewährten seine 16 Millionen Euro Anschubfinanzierung nicht, die Hörmann fest als als eine Art „unterstützende Maßnahme“ für ein Ja zur Reform verteilen wollte. Der Umgang mit Thomas Weikert, dem Vorsitzenden der Trainerakademie, ist ein Beispiel für die Hörmannsche Gutsherrenart. Und der Auftritt vor der Bundespressekonferenz, wo er von einer Umfrage von AthletInnen, die mit 95 % hinter der Leistungssportreform stünden, erzählte und aus einem Manifest von 12 Athleten zitierte, wäre in der Politik ein Grund für einen Rücktritt: denn es gab weder die Befragung noch das Manifest. Dazu sagt Hörmann heute: Wenn es da „unpräzise Formulierungen oder Missverständnisse“ gegeben habe, sei das keine Absicht gewesen.
Klarheit und Transparenz – zwei Lieblingswörter von Hörmann, wären in vielen Bereichen angesagt. Etwa auch wie ernst man es mit Good Governance meint. Eine Kollegin vom Deutschlandfunk und ein Kollege von der FAZ recherchieren seit geraumer Zeit, wie lax die DOSB-Crew sich an eigene Regeln hält. Und die Frage sei an dieser Stelle gestattet: Wo ist eigentlich das Restpräsidium? Wie steht es mit dessen Verantwortungsbewusstsein und der Solidarität, die gerade oft von den FunktionärInnen, die am Präsidiumstisch sitzen, gepredigt und eingefordert werden?
Dass der DOSB und somit der Sport nicht besonders gut in der Öffentlichkeit aufgestellt sind, das kann Hörmann in dem E&Y-Bericht nachlesen. Aber das sagen ihm mittlerweile auch Kollegen wie der Präsident des Leichtathletik-Verbandes, Clemens Prokop, gegenüber dem Sport-Informations-Dienst (sid). „Ich glaube, er hat seinem Ansehen schweren Schaden zugefügt.“ Oder Judo-Präsident Peter Frese: „Alfons Hörmann hat gerade einen schweren Stand, auch weil er unnötige Stockfehler begangen hat.“
In der Situation, wo der deutsche Sport in einem entscheidenden Umbruch ist, stellt sich nun in Magdeburg auch die Frage, ob der angeschlagene Mann an der DOSB-Spitze stark genug sein wird, sich und die Interessen der Mitgliedsorganisationen gegenüber der Politik durchzusetzen. Klarheit, Wahrheit, Glaubwürdigkeit, Vertrauen sind auf der Strecke geblieben. Führungsstärke wäre gefragt. Doch momentan fühlt man das Vakuum – die Kraft des Nichts.
Grünen-Brief an de Maizière
—- Für die Bundestagsfraktion der Grünen haben die Obfrau im Sportausschuss, Monika Lazar, und der sportpolitische Sprecher Özcan Mutlu einen Brief an Sportminister Thomas de Maizière geschrieben, in dem sie das Spitzensportkonzept in der derzeitigen Form ablehnen und Änderungsvorschläge machen. Nachstehend das Schreiben: