Damit das Schiff nicht aus der Kurve fliegt

DOSB-Mitgliederversammlung verabschiedet ungewolltes Reform-Konzept und macht sich auf den Weg zum nächsten Meilenstein

Magdeburg/Berlin, 4.Dezember. Diese Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Magdeburg war schwer erträglich. Nicht weil dem umstrittenen Konzept der „Neustrukturierung des Leistungssports und der Sportförderung“ dann wie erwartet mit einer an Politbüro-Zeiten erinnernden Mehrheit, nämlich 98,6 Prozent, zugestimmt wurde. Nein – es war die Art, wie sich die von DOSB-Präsident Alfons Hörmann mehrfach zitierte „Sportfamilie“, die man gerne durch das passende italienische Wort an manchen Stellen ersetzen möchte, wieder einmal präsentierte. Wer sich über Intransparenz beschwert, wie das ja viele aus den Mitgliedsorganisationen in den letzten Monaten getan haben, der darf sich dann nicht als eingenordetes Stimmvolk öffentlich vorführen lassen.

Wenn das ein Meilenstein einer epochalen Leistungssportreform war, dann möchte der dem Sport verbundene Beobachter nicht wissen, wie der Weg zum nächsten Meilenstein wohl aussieht. Weiterer Streit steht ins Haus – da muss man kein Prophet sein.

Am Ende wird von diesem 4. Dezember 2016 vor allem in Erinnerung bleiben, was der Philosoph, Philologe und Schriftsteller Manfred Hinrich zu dem Thema einmal sagte: „Reform ist die jeweils neue Form des Abkassierens.“

Denn das ganze Reformgebaren reduziert sich mal wieder – zumindest öffentlich – nur auf die Diskussion ums Geld. Hans-Georg Engelke, Staatssekretär im Bundesinnenministerium, war schon klar, dass man vom ihm eine Zahl erwartete, als er für seinen Dienstherrn Thomas de Maizière als Ersatzspieler einsprang, wie er sich bezeichnete. Der Minister war wegen der Beerdigung des ehemaligen CDU-Generalsekretärs und Bundestags-Vizepräsidenten Peter Hinze nicht nach Magdeburg gekommen.

Engelke machte kein Weihnachtsgeschenk. Er zeigte auf nette Art klare Kante: „Es ist nicht so, dass der Bundesminister einen großen Geldtopf hat und nach Belieben daraus verteilen kann. Er ist dem Sport- und Haushaltsausschuss verantwortlich und dem Interesse des Steuerzahlers verpflichtet.“ Auch der Minister, der mit einer Videobotschaft zugeschaltet war, blieb seiner Linie treu: Erst die Reform, dann mehr Geld. Seit geraumer Zeit wabern zwei Zahlen durch die Landschaft: Der Sport soll 55 bzw. 65 Millionen Euro mehr an Mitteln in einem Bedarfs-Finanzplan errechnet haben.

Bleierne Schwere

Des Ministers Wunsch jedenfalls, es möge eine lebhafte Diskussion geben, erfüllte sich nicht. Eine bleierne Schwere lag über dem Saal, die angespannte, schlechte Stimmung zwischen der Führungscrew und den Mitgliedsorganisationen war fast greifbar, auch wenn einige den geselligen Abend am Tag vorher als Beweis bemühten, dass die gute Laune doch nicht unterzukriegen ist.

An Alfons Hörmann scheint die Kritik an seinen skurrilen Auftritten und Aussagen vor allem in den letzten Tagen und Wochen nicht spurlos vorbei gegangen zu sein. Mit verkniffenem, grauem Gesicht und gebeugten Schultern hielt er eine kraft- und saftlose schlechte Rede, sprang von Thema zu Thema. Aufbruch und Umbruchstimmung? Eher Katerstimmung.

Er beschwört den „Zusammenhalt im Sinne der großen Sportfamilie.“ Er spricht „von der umfangreichen partnerschaftlichen Arbeit“ im Zusammenhang mit der Reform. Da sei ja noch eine noch zweite Reform: „Anstoß 2016“. Er streift pflichtgemäß die derzeit hochgespülten Themen Inklusion und Integration. Dann ist er wieder bei der Aufgaben- und Effizienzanalyse, die deshalb in Auftrag gegeben wurde, weil es ein „weiter so“ nicht geben konnte. Er spricht von den erfreulichen Ergebnissen aus dieser Untersuchung: Dass man die Mitgliedsbeiträge bis 2020 nicht erhöhen müsse. Und dass es nun einen intensiveren Austausch mit der Deutschen Sportmarketing geben werde. Mit einem Strategiekonzept werde man 2017 in fünf Regionalkonferenzen gehen, „um es mit der Basis offen, transparent und nachvollziehbar weiter zu entwickeln.“

Gedankensprünge

Der Gedankensprung geht dann zu Olympia. Er lobt das dsj-Jugendlager (das man aus finanziellen Gründen noch vor kurzem abschaffen wollte) als Orientierung für die nächste Generation. Und schwelgt in einem „Gänsehaut-Moment“, als unter dem Tunnel des Maracana-Stadions beim Einzug der Mannschaften das deutsche Team die Nationalmannschaft anstimmte. Dann folgt Kritik an dem „inakzeptablen und verwerflichen Verhalten der russischen Athleten“ im Bezug auf Doping bei den Spielen. Und – Überraschung – Kritik am IOC, das doch zu viele russische Athleten starten ließ. „Ein schwer verdauliches Ereignis, das sich im Blick auf Pyeongchang nicht wiederholen darf.“ Lange hat Hörmann gebraucht, vom IOC und somit dessen Präsidenten Thomas Bach in dem Fall abzurücken.

Und schließlich landet Hörmann bei seinen Ausführungen wieder bei der Spitzensportreform. „Wir sind an einem Punkt, an dem die Konturen des Konzepts ganz klar sind und nachvollziehbar ist, wo die Reise hingeht. Die Leitplanken sind gesetzt. Details, ob wir die Spur wechseln oder in die Kurve gehen, werden wir dann im Einzelfall festlegen.“ Das Projekt sei über zwei Jahre in einer Intensität diskutiert worden, wie es noch nie der Fall gewesen sei. „Wir stehen am Start. Wir sind bereit, das Schiff auf Kurs zu halten.“ Und man kann nur hoffen, dass der DOSB nicht aus der Kurve fliegt. Was nun bei einem Schiff nicht gehen würde. Das könnte nur untergehen, vom Kurs abkommen oder den Steuermann verlieren, um das Schlimmste mal zu beschreiben.

Fehlerkultur

Wer auf eine Erklärung oder gar eine Entschuldigung zu den internen und externen „Missverständnissen“ erwartet, wird enttäuscht. Oder sollte das ein „Mea culpa“ sein, als er davon spricht, „eine Fehlerkultur zuzulassen“? Ist das Selbstkritik, wenn Hörmann formuliert: „Ich sage Ihnen zu, dass wir uns des Themas annehmen und uns allen gemeinsam selbstkritisch die Frage stellen: Wie schaffen wir es, Fehler zuzulassen und zu akzeptieren?“ Mag man das noch hören? Warum ringt er sich nicht zu einem Satz durch wie: „Ich habe Fehler gemacht, tut mir leid. Kommt hoffentlich nicht mehr vor.“ Der Wirtschaftsprofessor Hermann Simon schrieb einmal über das Gelingen einer Reform und diejenigen, die dieselbe gestalten wollen: „Die Reform beginnt an der Spitze. Die Treppe muss von oben nach unten gekehrt werden.“ Ein Satz, über den manche im DOSB mal nachdenken sollten.

Das Gros der Delegierten konnte sich auch nicht durchringen, in der Öffentlichkeit noch mal ihre Bedenken zur Reform vorzutragen. Am Donnerstag und Freitag hinter verschlossenen Türen hat es schon zwischendurch „geraucht“, sagen diejenigen, die dabei waren draußen in der Hotel-Lobby. Nicht nur wegen der Reform. Da wurde bis zuletzt an der Beschlussvorlage gebastelt, in die dann auf Druck der Mitgliedsorganisationen der Satz aufgenommen wurde: „Es macht zugleich deutlich, dass es einer Fortschreibung der Inhalte sowie einer Weiterentwicklung und Spezifizierung der Maßnahmen bedarf.“ Der Satz ist interessant. Man kann ihn als eine Art Ausstiegsklausel verstehen, falls es nicht so läuft, wie man das gerne hätte. Oder als Ausdruck des Misstrauens gegenüber dem DOSB – gebrannte Kinder scheuen das Feuer !? Vorstandsvorsitzender Michael Vesper wollte das aber in der anschließenden Pressekonferenz so nicht verstanden wissen.

Auch die Athleten wollten sich nicht mehr auf Versprechungen verlassen und bestanden auf folgendem Satz in dem Beschluss, dass „eine Einbindung der AthletInnen unter anderem in die Strukturgespräche“ zugesichert wird. Vesper: „Das hätten wir von uns aus auch noch getan.“

Rückenwind

Walther Tröger, ehemaliger NOK-Präsident und altgedienter Fahrensmann in Sachen Sportpolitik, sagte nach der Veranstaltung: „Das war das Beste, was man herausholen konnte.“ Das Beste für wen? Was ist eine Einigung über ein Konzept wert, das keiner will, jedenfalls nicht so? Hörmann verspürt nach dem Ergebnis Rückenwind. Aber das Drehmoment wird nicht lange auf sich warten lassen: Und schnell bläst ihm derselbe wieder ins Gesicht. Mal abgesehen von der Finanzierung oder den Olympiastützpunkten sind so viele Punkte strittig, und so viele Dinge unklar, was auch in den wenigen öffentlichen Stellungnahmen deutlich wurde.

Martin Engelhardt, Präsident der Deutschen Triathlon-Union, ist zwar für die Umsetzung der Reform, aber es sollte eine Reform sein, bei der man „keine Angst haben muss, dass der Sport seine Eigenständigkeit verliert. Ich möchte keinen Staatssport – den haben wir in Deutschland schon zwei Mal erlebt.” Er machte sich für ein Miteinander von Hauptamt und Ehrenamt stark. „Wir und viele andere kleine Verbände haben nicht die finanziellen Mittel, um uns voll zu professionalisieren. Es gibt viele Ehrenamtliche, die hoch kompetent sind. Und es ist wichtig, wie wir mit denen umgehen und sie mitnehmen auf dem Reformweg.“ Außerdem plädierte er für die beiden Zentralinstitute FES und IAT, deren Rolle im wissenschaftlichen Verbundsystem noch nicht klar ist.

Chancen verpasst

Auch an diesem Tag in Magdeburg war nichts zu hören von einer zu führenden gesamtgesellschaftlichen Diskussion, welchen (Spitzen-) Sport man in Deutschland haben und sich leisten will. Da hat der DOSB viele Chancen verpasst und Boden verloren, seiner einst doch wichtigen gesellschaftspolitischen Rolle und seinem Anspruch gerecht zu werden.

Norbert Lamb, Vizepräsident der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG), die vor allem versucht, olympische Werte und Fairplay hoch zu halten, erinnerte an die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck beim Empfang der Olympiamannschaft aus Rio in Frankfurt. „Diese Rede wäre als Grundlage für eine gesamtgesellschaftliche Diskussion über den Sport in Deutschland geeignet gewesen“, sagte er, und forderte, „sich nicht am sportlichen Wettrüsten“ zu beteiligen. Doch auch das verpuffte. Aber was soll man erwarten, wenn selbst der Vizepräsident Leistungssport Ole Bischof mit einem peinlichen „Cappuccino-Keks-Beispiel“ auch nur Forderungen nach mehr Geld stellte. Es wäre ein Gebot der Stunde gewesen, sich einmal – als ehemaliger Athlet – mit der Kernaussage der Reform: „Der Athlet steht im Mittelpunkt“ zu beschäftigen und sich für die SportlerInnen ins Zeug zu legen. Spätestens an diesem Punkt ist  ein Magenbitter nötig.

Wir sind uns selbst am nächsten

Die offene Abstimmung (warum eigentlich keine geheime?) war am Ende ein deutliches Bekenntnis nicht zur Reform. Sondern zu: „Wir sind uns selbst die nächsten“: Von den 439 Stimmberechtigten enthielten sich fünf, die DOG stimmte als einziges Mitglied dagegen. Die SPD-Bundestagsabgeordete Michaela Engelmaier verzichtete auf ihr Stimmrecht: Die sportpolitische Sprecherin, die gleichzeitig Vizepräsidentin im Deutschen Judobund und Landesverband Nordrhein-Westfalen ist, sagte: „Ich kann nicht über etwas abstimmen, bei dem noch so viel unklar ist. Weder aus sportlicher noch politischer Sicht.“ Auch André Hahn, sportpolitischer Sprecher der Linken, konnte nicht verstehen, wie „man angesichts einer so unklaren Beschlussvorlage so abstimmt. Solche Ergebnisse kommen mir sehr bekannt vor. So was hatten wir schon mal. Das will ich nicht mehr“, sagte der gebürtige Ost-Berliner.

DOSB lässt das gerne aus

Es ist übrigens bemerkenswert, dass Staatssekretär Engelke Themen ansprach, die der DOSB gerne auslässt. Etwa die internationalen Sport-Skandale, die auch nicht zuträglich sind für ein besseres Image des Sports insgesamt. BürgerInnen ist auf Dauer kaum zu vermitteln, warum sie sich für Spitzensport oder Olympische Spiele erwärmen und auch noch zahlen sollen, wenn Betrug, Korruption und Dopingvergehen an der Tagesordnung sind.

Auch die endlich zu leistende finanzielle Unterstützung der NADA oder der Dopingopfer des DDR-Sports durch den Sport sprach der BMI-Vertreter an. Und Good Governance, „woran der DOSB ja gerade arbeitet“. Wie man’s nimmt: Wie ernst und wie intensiv der DOSB Good Governance im eigenen Haus umsetzt, ist angesichts einer Reihe von Vorfällen und dem Umgang damit doch sehr fragwürdig. Gemäß dem Motto, was nicht sein darf, das nicht sein kann.

Farbklecks in der Tristesse

Das war’s dann. Die übrigen Weihnachtsmänner – die aus Schokolade, versteht sich -, die auf den Tischen einen bunten, ermutigenden Farbklecks in der Tristesse abgeben, werden eingesammelt. Vesper sagt, es sei die kürzeste Mitgliederversammlung der vergangenen zehn Jahre gewesen. Wen wundert’s? Schon unmittelbar nach der Abstimmung lichteten sich die Reihen: Weihnachtsmarkt, zweiter Advent. Es gibt gute Gründe, das Weite zu suchen. Nicht nur, weil man depressive Anwandlungen in dieser Gesellschaft bekommt.

Alfons Hörmann läuft mehrfach quer durch die Lobby. Was sucht er? Den Ausgang? Verbündete? Oder auch einen Magenbitter?

Apropos: „Du wirst befördert und versetzt nach Magdeburg. Life is bitter.“ Plakatwerbung unter einer Brücke am Berliner Alex. Auf den DOSB umgemodelt :„Reformbeschluss in Magdeburg. Und nix passiert trotz Magdeburg. Sport is life und life is manchmal bitter.“

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