Die Wundertüte und das Unwohlsein

Für die meisten Verbände ist die Zustimmung zur Spitzensportreform von DOSB und BMI alternativlos – obwohl…

Berlin, 30.November. Unwohlsein und Bauchweh grassieren: Sie sind momentan offensichtlich eine weit verbreitete Erscheinung bei den Mitgliedsorganisationen des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). So kurz vor der Mitgliederversammlung am kommenden Samstag in Magdeburg dämmert es nun doch vielen, dass sie eine „Wundertüte“ bekommen werden, wenn sie dem Konzept für die „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ zustimmen. Wundertüte insofern, wie ein Fachverbandsvertreter beschreibt, „weil wir uns wundern werden, was dann doch alles passieren und gegen die Verbände laufen wird“. Das sei so, wie wenn man einen Blankoscheck unterschreibt, und darauf vertraut, dass der Empfänger einen nicht übers Ohr haut.

Zumal die Sportorganisationen ja mit Vertrauen und Transparenz sowie mangelnder Kommunikation auf Seiten des DOSB während dieses Reformprozesses so ihre negativen Erfahrungen gemacht haben. Viele sportpolitische Insider sind dennoch überzeugt, dass am Samstag ein Ja zu der Reform abgegeben wird.

Mindestens Status quo

Vermutlich wird es so sein. FunktionärInnen haben persönliche und verbandspolitische Interessen, die sie nicht aufs Spiel setzen wollen, weil das FunktionärInnenleben ja einen gewissen Status mit sich bringt. Und deshalb ist es erste FunktionärInnenpflicht – schlicht gesehen -, den sachlichen Status quo wenn schon nicht zu verbessern, so doch wenigstens zu erhalten. Schon allein aus diesem Grund sei ein „Ja“ alternativlos.

Außerdem hat es die DOSB-Führungscrew – die Präsidenten Thomas Bach und sein Nachfolger Alfons Hörmann im Doppel mit dem Generaldirektor und jetzigen Vorstandsvorsitzenden Michael Vesper – gut verstanden, mit Zuckerbrot und Peitsche ihre Art von Demokratieverständnis in den Verbänden eindrucksvoll umzusetzen, so dass selbst potenzielle Rebellen gezähmt sind und auch öffentlich kuschen.

Nun rafften sich die Generalsekretäre der Spitzenverbände zu einer Stellungnahme auf, die sie am 18. November in Frankfurt beschlossen hatten und an die DOSB-Führung schickten. Und der Präsident greift nach jedem Halm, der ihn und seine Reform unterstützen könnte. Ob das Statement nun wirklich Unterstützung ist, sei dahingestellt. In letzter Zeit bastelt sich Hörmann häufig eine sehr eigene Wahrnehmung. Und so interpretiert er dieses Schreiben als „Unterstützung und den damit gegebenen Rückenwind“ für die Reform, sieht das Papier gar als „Leitfaden für die weiteren Gespräche in Magdeburg und darüber hinaus. Und im abschließenden Satz haben Sie gemeinsam klar und offen formuliert, worauf es nun ankommt…“, schreibt er in einer Antwort.

Ja, auch die Generalsekretäre fordern in diesem letzten Satz wieder mehr Geld. – Mehr finanzielle Mittel – das ist der einfachste Problemlöser, den der Präsident gerne einsetzt: Als Beruhigungspille, als Zustimmungs-Entscheidungshilfe oder als Druckmittel. Und auch deshalb hofft Hörmann, dass man in Magdeburg die entsprechenden Beschlüsse – also seine – fasst. Wer das Statement aber genau liest, der findet Kritik. Was wohl heißt: Auch die Generalsekretäre haben Bauchschmerzen bei dem „Ja“ zur Reform.

Hier der Wortlaut:

Statement der Konferenz der Generalsekretäre zur

Neustrukturierung des Spitzensports und der Spitzensportförderung

Die Generalsekretäre der Deutschen Spitzensportverbände sehen die Zielstellung der geplanten Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung in Deutschland weiterhin positiv.

Die Generalsekretäre der Spitzenfachverbände begrüßen ausdrücklich die Veränderungen/Anpassungen im Eckpunktepapier zur Neustrukturierung des Spitzensports, die auf Basis der Diskussion mit den Spitzenverbänden am 18.10.2016 und weiteren Gremien des Sports diskutiert wurden.

Das Ziel einer Optimierung des leistungssportlichen Erfolgs im internationalen Maßstab wird zusammen mit der vorgenommenen Einschränkung „Kein Erfolg um jeden Preis“ mitgetragen. Es bedarf aber noch einer ergänzenden Aussage, dass die Legitimation des Spitzensports sich nicht in der Funktion der gesamtstaatlichen Repräsentation erschöpft.

Zur Zeit fehlt noch bei den Diskussionen rund um die Spitzensportreform die klare politische Grundsatzaussage, welche Rolle der Spitzensport gesellschaftspolitisch einnehmen soll und welche übergeordnete Zielsetzung der weiteren strategischen Ausrichtung des organisierten Sports bei einer verbindenden Betrachtung von Spitzensport und der Sportbewegung an und für sich zugrunde liegt – es ist schlicht zu erarbeiten welche Grundannahmen die Klammer bilden. In Form einer Präambel sollte u.E. hierauf hingewiesen werden. Es fehlt das klare Bekenntnis des BMI zu einer Förderung und Weiterentwicklung der Vielfalt des Spitzensports als gesamtgesellschaftspolitische Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland.

Die Generalsekretäre begrüßen insbesondere die Formulierungen zu Strukturen und zur Hauptamtlichkeit in den Verbänden bezüglich der Steuerung des Spitzensports. Sie begrüßen die geplante Verbesserung der Steuerungsfunktion des DOSB, die Veränderungen im Zusammenhang mit der PotAS, sowie die Wahrnehmung des Vorsitz innerhalb der Strukturgespräche durch einen Vertreter des DOSB.

Im vorgeschlagenen Verfahren zur Ermittlung von Förderentscheidungen unterstützen die Generalsekretäre die angestrebte Stärke der Rolle des DOSB und fordern, diese konsequent umzusetzen.

Die Generalsekretäre erwarten eine deutliche Verstärkung und Professionalisierung des hauptberuflichen Leistungssportpersonals in den Spitzenverbänden und Bundesstützpunkten und deren Finanzierung durch die zusätzlichen Mittel.

Der Erfolg des organisierten Sports in Deutschland beruht in weiten Teilen auf seiner Vielfalt. Diese darf durch eine Reform der Spitzensportförderung, die ohnehin nur einen kleinen Ausschnitt des organisierten Sports darstellt, nicht gefährdet werden. Deshalb wäre die Bildung eines Sportarten-/Disziplinen-Clusters, das grundsätzlich keine Bundesförderung mehr erhalten soll, ein Paradigmenwechsel in der deutschen Spitzensportförderung. Eine Fortsetzung dieser Logik bis an die Basis darf nicht keinesfalls erfolgen.

Deshalb sind auch die Ausführungen zur Förderung innerhalb der Dritten Gruppe der Clusterung der Spitzensportförderung mit der Zusicherung einer grundsätzlichen Förderung notwendig, da sie die notwendige Breite der Förderung im Spitzensport und die Verringerung der Gefahr von Insolvenzen der Spitzenverbände absichert. Sie sollte sprachlich deshalb positiv als Basis-Cluster bezeichnet werden.

Hierzu müssen länderübergreifende Gespräche zur Sicherstellung eines  einheitlichen Nachwuchsförderkonzeptes/ einer einheitlichen Nachwuchsförderungsstruktur in Abstimmung mit der Spitzensportförderung auf Bundes- und Landesebene bei gleichzeitiger Anerkenntnis der Priorität zentraler Strategien vor föderal geprägten Strukturen geführt werden.

Die angedachten Ansätze in den bisher offenen Themenstellungen zum wissenschaftlichen Verbundsystem und dessen Koordination werden ausdrücklich begrüßt. Hierbei sehen die Generalsekretäre den Vorteil in einer Zusammenführung des Wissensmanagement, insbesondere des Wissenstransfers.

Für die Umsetzung der Reform ist baldmöglichst ein detaillierter Zeitplan mit einer Umsetzungskonzeption und einem Finanzierungskonzept aufzustellen, damit Planungssicherheit für die Spitzensportverbände hergestellt wird.

Weiterhin sehen die Generalsekretäre einen gewissen Differenzierungsbedarf im Bereich der Potentialanalyse PotAS, da das Eckpunktepapier und die Attribute für PotAS eine deutliche Schwerpunktsetzung auf Individualsportarten aufweist. Für Teamsportarten/Sportspiele bedarf es nach Auffassung der Generalsekretäre noch einer systematischen Anpassung der Attribute unter Einbeziehung von Fachkräften aus den Teamsport-Fachverbänden.

Bei der angedachten Ausrichtung der Kaderstrukturen und Rahmentrainingskonzeptionen, die schon in einzelnen Wintersportverbänden sehr erfolgreich umgesetzt sind, gibt es aus den Reihen der Wintersportverbände uneingeschränkte Zustimmung. Bei den Rahmentrainingskonzeptionen, so die Meinung der Konferenz der Generalsekretäre, sollte allerdings ausreichend Spielraum und Flexibilität möglich sein, um den Sportfachverbänden eine individuelle Anpassung, bezogen auf den Athleten und eine alters- und leistungsspezifische Einordnung im internationalen Vergleich, ermöglicht werden. Für die Kaderstrukturen sind am Weltstandard orientierte Kaderkriterien die Voraussetzung.

Die nichtolympischen Verbände im DOSB (NOV) mit den Zielwettkämpfen World Games und Weltmeisterschaften sind im derzeitigen Eckpunktepapier zur Leistungssportreform nur unzureichend abgebildet, obwohl es sich um ein Gesamtheitskonzept für die Vielfalt des Deutschen Sports handeln soll. Die NOV können sich durchaus vorstellen, sich mit ihrem Fördersystem der potential-orientierten Förderung in angepasster Form für die Zukunft anzuschließen. Dies erhält aufgrund der Agenda 2020 des IOC mit den permanent wechselnden temporär-olympischen Sportarten eine besondere Bedeutung. Auch hier gilt es, eine Basis-Förderung für die NOV zu sichern.

Bei der Umsetzung in eine neue Fördersystematik für den nichtolympischen Spitzensport fordern die NOVs die Unterstützung durch den DOSB.

Die Vollversammlung der Generalsekretäre betont nochmals ausdrücklich, dass es für eine erfolgreiche Umsetzung der Leistungssportreform zusätzlicher Mittel für eine Anschubfinanzierung bedarf.

Der Erfolg der Umsetzung einer Neustrukturierung der Spitzensportförderung ist unter Anderem abhängig vom Willen zur Veränderung bei den Spitzenverbänden und Landessportbünden und von langfristigen zusätzlichen Finanzierungen durch eine Erhöhung der Bundeszuwendungen.

Konferenz der Generalsekretäre der Spitzenverbände FFM 18.November 2016