…will der neue Präsident des LSB Berlin, Thomas Härtel sein
Berlin, 21. Januar.- Sport und Politik sind die Metiers, in denen er sich richtig gut auskennt. Kein Wunder – in beiden Bereichen war Thomas Härtel, der neue Präsident des Landessportbundes Berlin beruflich und ehrenamtlich in den letzten Jahrzehnten unterwegs. Der 67-jährige gebürtige Berliner Diplom-Pädagoge war auch Staatssekretär im Berliner Senat und dort unter anderem für Sport zuständig. Nach der Abgeordnetenhauswahl 2011 wurde SPD-Mann Härtel vom neuen CDU-Innensenator Frank Henkel in den einstweiligen Ruhestand versetzt, was diesen aber erst recht richtig in Schwung brachte. Härtel wechselte als Vizepräsident des Deutschen Behindertensportverbandes 2013 (bis 2017) und 2015 als Vizepräsident für Sportinfrastruktur im LSB nicht die Seiten, sondern die Perspektive. Auch in seinem neuen Amt sind aus seiner Sicht Perspektivwechsel wichtig: Wenn man wisse, wie der andere tickt, dann sei das in Entscheidungsprozessen von Vorteil. Gesprächspartner erleben Härtel als jemanden, für den Sport eine echte Passion ist – nicht nur, wenn er selbst als leidenschaftlicher Läufer unterwegs ist. Er setzt sich mit dem Sujet begeistert, sachkundig, (selbst-) kritisch und mit viel Humor auseinander.
Herr Härtel, vor knapp zwei Monaten wechselten Sie vom Stuhl des Vizepräsidenten Sportentwicklung auf den des Präsidenten des Landessportbundes Berlin. Was ist nun anders?
Härtel: Ich hatte ja schon von meinem Amtsvorgänger Klaus Böger „präsidiale“ Aufgaben übernommen. Insofern hat sich nicht so viel geändert. Natürlich habe ich mit dem Präsidentenamt nun eine andere Verantwortung. Das Präsidium hat sich neu formiert, und will den einen oder anderen neuen Schwerpunkt setzen.
Wir sind gerade in Abstimmung mit Vereinen und Verbänden des Berliner Sports die Ausschüsse neu zu besetzen. Wir wechseln momentan immer mal wieder die Perspektive, während wir uns aufstellen.
Stichwort Perspektive: Sie haben den Sport aus mehreren Blickwinkeln kennengelernt und mitgestaltet. Mal abgesehen davon, dass Sie ein begeisterter Läufer mit Hang zu vielen anderen Sportarten sind, waren Sie im Berliner Senat als Staatssekretär auch für Sport zuständig und später in mehreren Sportfunktionärs-Ämtern tätig. Muss man heute mehr Politiker als Funktionär an einer führenden Stelle im Sport sein?
Härtel: Ein politischer Mensch zu sein, ist sicher nicht hinderlich in so einer Position. Wenn man für den Sport etwas erreichen möchte, muss man wissen, an welchen entscheidenden Stellen man Türen öffnen kann bzw. Türen offenhalten muss. Der organisierte Sport lebt ja von öffentlichen Mitteln und benötigt eine verlässliche finanzielle Grundlage, um seine Aufgaben und Dienstleistungen für die Gesellschaft erfüllen zu können. Das ist ja auch die Erwartungshaltung der Politik. Dafür sind ständiger Austausch und Kooperation zwischen den Organisationen des Sports und dem Landessportbund Voraussetzung. Und wenn ich als Präsident eine Art Scharnier zwischen politisch verantwortlicher Verwaltung und einer demokratischen Organisation des Sports sein kann, dann ist das hilfreich. Wenn man weiß, wie ein Verein tickt und Politik funktioniert, dann ist das schon von Vorteil.
In letzter Zeit verstärkt sich der Eindruck – vor allem durch die Protagonisten des Deutschen Olympischen Sportbundes –, dass es Sportverantwortlichen oft an sportpolitischem Verständnis und auch Kenntnis fehlt. Sachargumente werden – zumindest öffentlich – ebenso wenig ausgetauscht wie inhaltliche Debatten geführt. Die Hauptschlagzeilen drehen sich um immer mehr Geld und Streit, darüber wer das Sagen hat. Sie beklagen eine fehlende Diskussionskultur im Sport.
Härtel: Wie wollen Sie Unterstützung in der Öffentlichkeit, bei BürgerInnen erreichen, wenn ständig der Eindruck vermittelt wird, es werde nur um Geld gestritten und nicht um Inhalte? Wir brauchen eine offene, transparente sachliche Debattenkultur im Sport – und zwar über die originären Aufgaben und die gesellschaftliche Rolle des Sports: Das ist einerseits der Breitensport in allen seinen Facetten und anderseits der Leistungssport. Wir müssen uns da mehr und vor allem auch anders positionieren.
Was meinen Sie damit?
Härtel: Ein Beispiel: Ich war für den Deutschen Behindertensportverband bei der Anhörung zum Bundesteilhabegesetz. Und musste schnell feststellen, dass die Behindertenverbände den Sport überhaupt nicht auf dem Schirm hatten. Da muss ich mich auch selbstkritisch fragen: Was haben wir tatsächlich unternommen, um von Anfang an bei solchen wichtigen gesellschaftlichen Prozessen mit unserem Know-how, unseren Ideen und Erwartungen dabei zu sein? Offensichtlich zu wenig. Das gilt für das Präventionsgesetz genauso, wo der Sport in den ersten Entwürfen auch nicht vorkam. Da ist mir bewusst geworden, dass wir als Sport wenig verfolgen, was auf den unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen passiert, auch was an Protest abläuft. Wir sind da zu selten am Ball, dabei könnten wir sehr viel mehr einbringen.
Aber Sport ist ja im politischen Alltag auch eher im Abseits.
Härtel: Der Sport muss sich einbringen, mitdenken, aber auch mitgedacht werden. Wir haben demnächst beim Regierenden Bürgermeister Michael Müller ein Gespräch, wo ich genau die Forderung vortragen werde: Der Sport muss auch von der Politik ressortübergreifend mitgenommen und mitgedacht werden.
Was erwarten Sie denn da ?
Härtel: Der Sport selbst muss sich seiner gesellschaftspolitischen Rolle noch mehr bewusst werden. Wir haben – zuletzt bei den Geflüchteten – bewiesen, dass wir die Aufgaben, die auf uns zukommen, lösen können und Sport oft in vielfacher Hinsicht ein sozial integrierendes Bindeglied ist. Aber als Vereine und Verbände müssen wir auch flexibler werden.
Berlin ist eine wachsende Stadt – und ein großes Thema ist momentan der Wohnungsbau und die Stadtentwicklung. Was kann der Sport da beitragen? Wie können wir eine bewegte Stadt schaffen? Welche Angebote müssen wir für Ältere, Kinder, Jugendliche, Familien, und auch für Menschen haben, die nicht im Verein sein wollen? Wir können doch davon auch profitieren, wenn wir nicht Organisierte erreichen.
Als Dienstleister LSB müssen wir dafür sorgen, dass die Voraussetzungen für Vereine und Verbände dann stimmig sind, dass diese sich ganz auf Entwicklungen und inhaltliche Arbeit konzentrieren können, um richtig aufgestellt zu sein.
Manchmal wissen aber die Vereine gar nicht, was der LSB alles für sie tun könnte. Da scheint ein Defizit.
Härtel: Stimmt. Deshalb müssen wir die Kommunikationsprozesse verstärken und noch deutlicher machen, was wir an Unterstützung anbieten können. Und wir müssen dafür auch vermehrt werben .
Die Politik muss den Sport mitnehmen und mitdenken, sagen Sie. In Berlin läuft das derzeit doch gut: Es gibt finanzielle Sicherheit und viel Sympathie für den Sport. Oder?
Härtel: Die jahrelange gute Zusammenarbeit wirkt sich natürlich positiv aus – und die Bedeutung des Sports für die Stadt ist den meisten PolitikerInnen schon bewusst. Besonders wenn es um Leistungsport geht, dann ist die Anerkennung sehr groß: Olympiasieger, sportliche Spitzenleistungen, Großveranstaltungen, da mangelt es nicht an Unterstützung. Aber auf breitensportlicher Ebene muss man oft schon noch kämpfen.
Deshalb ist es ja besonders wichtig, dass der Sport in einer wachsenden Stadt von Anfang an mit an den Planungstischen sitzt. In den nächsten zehn, zwölf Jahren werden etwa 60 neue Schulen und somit auch Sporthallen gebaut. Während einer Veranstaltung zum Thema „Schule und Verein“ haben wir erfahren, dass es ein Gremium für Schulneubauten gibt. Nach Intervention meinerseits sitzen wir nun auch in dieser Runde. Der Sport, sprich die Vereine, nutzen ja auch nach dem Unterricht die Hallen. Alle reden von Partizipation, und wenn die dann stattfinden sollte, stellt man fest: Wir sind mal wieder nicht dabei. Der Sport ist leider nicht so im Blick z.B. der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, wie er sein sollte.
Warum nicht? Alte Denke oder Ignoranz? In Metropolen wie New York erobert der Mensch zu Fuß oder auf dem Fahrrad mit Hilfe von Stadtplanern Zentren wie den Times Square zurück…
Härtel: Man könnte mit neuen Bauvorhaben auch Signale setzen: Wohnquartiere mit kleinen Grünanlagen, Rad– und Laufwegen, die Menschen zur Bewegung animieren und dadurch auch für Lebensqualität sorgen, das ist doch erstrebenswert. Beim LSB kommen viele Anregungen aus Gemeinde- und Familienzentren oder Jugendclubs, wie man diese zu Multifunktionsräumen, die auch für Sport treiben geeignet sind, kostengünstig umbauen könnte. Das ist doch eine Chance für Stadtquartiere. Und eine bewegte Stadt. Sport wäre auch ein Faktor in Sachen Nachbarschaft: Menschen generationsübergreifend zusammenbringen und vielleicht aus der Einsamkeit holen.
Hier müssen alle Beteiligten flexibler werden und neue Wege einschlagen – und eine neue Balance finden. Darüber müssen wir sportintern, aber auch mit der Politik diskutieren.
Berlin versteht sich als Sportstadt – und die meisten denken sofort an Großveranstaltungen und Profivereine. Weniger an die grüne Stadt, in der man auch in Parks und auf Gewässern viel für sich und seine Gesundheit tun kann. Wie kriegen sie denn noch mehr Menschen auf Trab…
Härtel: Wie kommen wir vor allem an die Menschen ran, die Bewegung ganz dringend bräuchten? Ideen gibt es viele, einige sind bereits umgesetzt. Etwa Sport im Park, wo beispielsweise in Reinickendorf ein Verein in den Sommermonaten regelmäßig Sport anbietet. Da ist den engagierten ÜbungsleiterInnen schon gelungen, Bewegungsmuffel zu aktiven Sporttreibenden zu machen.
Sie haben in Ihrem Editorial in der LSB-Zeitschrift „Sport in Berlin“ geschrieben, Sport braucht Platz, Sport braucht Breite. Sport braucht Kraft. Er braucht aber auch den Wettbewerb und Spitzenleistung. Wobei wir nun beim Leistungssport wären, wo der Berliner Sport ja auch sehr gut aufgestellt ist. Auf nationaler Ebene nimmt der Spitzen- und Leistungssport überproportional Raum ein. Noch mehr seit den Reformbemühungen, die der DOSB mit dem Bundesinnenministerium angeleiert hat. Wie stehen Sie zum Leistungssport und der Reform?
Härtel: Es ist unsere Aufgabe, Leistungssport zu unterstützen. Das wollen wir auch. Natürlich kostet Leistungssport Geld. Deshalb: Die Leistungssportreform des DOSB ist richtig. Und sie war auch überfällig. Dass die öffentlichen Zuwendungsgeber von den Spitzenverbänden ein klares leistungssportliches Konzept fordern, was erstaunlicherweise nicht alle hatten, ist ebenso richtig. Als Verband muss man sich nicht nur mit den eigenen Strukturen und Inhalten auseinandersetzen, sondern etwa im Bezug auf die Nutzung von Trainingsstätten fragen, ob die richtigen Schwerpunkte gesetzt wurden. Beschäftigt man sich mit dem gesamten Stützpunktsystem mal genauer, dann stellt sich schnell heraus, dass das nicht unbedingt alles gut und koordiniert läuft. Da ist es die Aufgabe auch der Landessportbünde, die unter anderem für die Nachwuchsarbeit zuständig sind, zu überlegen, wie man die öffentlichen Mittel effizienter einsetzen kann. Denn die SpitzensportlerInnen kommen aus Vereinen und Verbänden – das wurde in der Reformumsetzung ganz aus den Augen verloren.
Die nicht unbedingt erfreulichen Diskussionen bei der Umsetzung und vor allem um die Finanzierung der Reform wurden öffentlich ja nur zwischen Bund und DOSB geführt. Erst bei der letzten Sportministerkonferenz kamen dann mit der Bund-Länder-Vereinbarung auch die Länder wieder offiziell ins Spiel. Dass man nun nach dem Verursacherprinzip agieren will – also jeder zahlt das, wofür er zuständig ist -, ist ja nicht falsch. Nur es muss dann klar sein, wer denn für was nun wirklich zuständig ist. Da gab es in der Vergangenheit einige Überraschungsmomente. Verlässlichkeit und Transparenz sind gefragt – und keine heimat- oder lokalpolitischen Possen.
Sie haben eben die Stützpunkte angesprochen, wo die Länder ja viel Geld reinpacken. Kann ein Landessportbund nicht besser beurteilen wie der DOSB, was für den Spitzensport und für AthletInnen/TrainerInnen in dieser Region am besten ist?
Härtel: Der DOSB ist die Spitzenorganisation des Sports und sieht sich deshalb übergreifend in der Verantwortung für den Leistungssport seiner Verbände – und eben als der Ansprechpartner für das BMI. Die handelnden Personen an der Spitze des DOSB waren diejenigen, die den Spitzensport nur aus Sicht des DOSB gesehen haben. Und sie waren völlig überrascht, dass andere Mitgliedsorganisation vieles anders sahen. Etwa bei der Trägerschaft von Olympiastützpunkten. Da wurde deutlich, dass der DOSB die Region nicht im Blick hat – das muss er aber, wenn er eine Reform umsetzen will…
Es gibt einige Punkte, die der DOSB offenbar nicht auf dem Schirm hat. Zumindest lassen Entscheidungen darauf schließen. Etwa, wenn Sportarten regional sehr verankert sind, gute Nachwuchsarbeit haben und dann überraschend aus „sportfachlichen Gründen“ ein Stützpunkt gestrichen wird – da hat das Thema Zentralisierung für ziemlichen Wirbel gesorgt.Oder ist die Beobachtung falsch?
Härtel: Eine Reform hat natürlich Folgen wie neue Strukturen zu schaffen, Schwerpunkte zu verlagern – oder zu zentralisieren, wenn man Teams oder Mannschaften erfolgreich fördern will. Eine gewisse Konzentration der Kräfte ist auch sinnvoll. Aber das muss mit allen Beteiligten besprochen und abgestimmt werden. Da geht es nicht nur um die Veränderung von Lebensumständen etwa der AthletInnen, sondern auch darum, welche Funktion und Aufgabenbereiche hat wer – etwa Landes- und Bundestrainer. Es geht um die Einbindung von Vereins-oder Heimtrainer, Kooperation und Kompetenzen. Die Rollenverteilungen müssen klar sein. Aber diese Kommunikation gibt es häufig nicht.
Das ist ja ein Kernpunkt der Kritik: Der informelle Austausch funktioniert sportintern sehr schlecht, was ja auch jüngst der Entwurf zur Verbesserung der Trainersituation zeigte. Eineinhalb Jahre fummelte eine AG an dem DOSB-Konzept,in der Vertreter aller Beteiligten saßen. Aber die Infos an diejenigen, die das umsetzen und dann auch mit bezahlen sollen – die Mitgliedsorganisationen -, gab es erst unmittelbar vor der DOSB-Mitgliedersammlung, wo sie dem Papier zustimmen sollten. Dass die sauer waren und ablehnten, wundert nicht.
Härtel: Auch das hätte man alles vermeiden können, wenn die Kommunikationsprozesse stimmen würden. Ich komme noch mal auf die Debattenkultur zurück. Wir haben im Sport viele Sitzungen, Gremien, Tagungen, Fortbildungen. Aber wer ist denn bei den Entscheidungsprozessen wirklich dabei, mischt sich ein und stellt die richtigen Fragen? Als Ehrenamtler kann ich ja nicht überall dabei sein, deshalb muss ich schon mal als Verantwortlicher intern, im eigenen Laden, dafür sorgen, dass Fakten- und Meinungsaustausch funktionieren. Und dann muss der Informationsfluss zwischen Mitgliedsorganisationen und Dachverband gewährleistet sein. Wenn der DOSB mit dem BMI im Rahmen der Spitzensportreform Sachverhalte diskutiert, die die Landessportbünde betreffen, dann müssen die ja nicht immer mit am Tisch sitzen – was allerdings gut wäre – aber das mindeste ist doch, dass sie zeitnah informiert werden.
Warum lassen Landessportbünde so mit sich umgehen? Während des Reformprozesses waren die LSB scheinbar willenlos und nahmen widerstandslos alles hin, obwohl bei vielen Entscheidungen abzusehen war, dass es Konflikte geben würde.
Härtel: Die Landessportbünde haben an manchen Stellen viel zu spät reagiert.
Aber warum?
Härtel: Ich mache auch das an mangelnden Kommunikationsstrukturen fest. Sie können ja in Sitzungen nur mitdiskutieren, wenn Sie entsprechend informiert und auch interessiert sind. Und wer stellt in einem großen Gremium dann kritische Fragen? Es ist doch tausendmal besser, wenn einer eine Frage stellt, als wenn keiner eine Frage stellt. Hauptsache es kommt eine Diskussion zustande. Aber da sind viele zurückhaltend. Auch da muss man über Rolle und Aufgaben von ehrenamtlichen FunktionärInnen nachdenken.
Apropos nachdenken: Berliner LSB-Präsidenten kommen natürlich nicht um die Frage herum: Wie stehen Sie zu einer Bewerbung um Olympische Spiele? Gerade wurde wieder ein Korruptionsskandal bekannt: Gegen den OK-Chef der Spiele in Tokio 2020 ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen Bestechung. Abgesehen davon sind auch in Tokio die Kosten explodiert, so dass man sich gezwungen sieht, den Rotstift anzusetzen. Das Image des Internationalen Olympischen Komitees und seiner Protagonisten ist im Keller. Kann man sich zurzeit wirklich ernsthaft – egal ob als Funktionär oder Politiker, mit einer Bewerbung um Spiele befassen?
Härtel: Ja, wenn die Bedingungen stimmen. Aber die stimmen ja nicht – trotz der Agenda 2020, deren Umsetzung nicht erkennbar ist. Fälle wie der jüngste in Tokio machen einfach jede vernünftige Bewerbung kaputt. Sie werden dafür keine Partner – weder innerhalb des Sports, wo es ja auch Kritik am IOC gibt – noch außerhalb finden. Da muss sich im IOC noch sehr viel ändern – nicht nur in der Struktur, sondern auch an den Personen. Da müssen erst mal Vertrauen und Glaubwürdigkeit zurückgewonnen werden.
Reicht es da, wenn das IOC verspricht, sich zu bessern, und dass die Zukunft nachhaltigen Spielen gehört?
Härtel: Was versteht das IOC unter nachhaltigen Spielen? Es reicht nicht, ökologische oder infrastrukturelle Probleme im Blick zu haben, die dann schnell vergessen sind, wenn Schneisen für Pisten in Naturschutzgebieten oder teuere VIP-Busspuren für Funktionäre gebaut werden. Wie kann man heute als potenzieller Gastgeber um Spiele werben, wo auch der Sport selbst, nicht nur sein Funktionärsumfeld, seine Schattenseiten wie Doping hat? Obwohl die Menschen nach wie vor von den Wettbewerben und der Atmosphäre der Spiele begeistert sind, sind sie gleichzeitig doch abgeschreckt von den Skandalen. Da wird es schwierig, BürgerInnen für eine Bewerbung zu gewinnen und mitzunehmen. Wenn man – trotz aller Bedenken – mit dem Gedanken einer Bewerbung spielt – dann muss man die Voraussetzungen dafür jetzt schaffen. Es macht doch keinen Sinn, sich zu bewerben, wenn die Infrastruktur nicht stimmt, wenn wir marode Sportstätten haben. Man muss auf die Spiele dann hinarbeiten – etwa mit einem Sportentwicklungsplan, der die Vielfalt des Sports in den Blick nimmt und unterschiedliche gesellschaftliche Akteure mit einbezieht.
Das derzeit einzige überzeugende Argument, sich in Deutschland für Spiele zu bewerben, wäre für viele ein symbolisches: Das Jahr 2036 – 100 Jahre nach den Nazi-Spielen in Berlin. Das wäre nicht nur ein später Triumph für die Opfer des Regimes, sondern auch ein deutliches Zeichen an die ewig Unverbesserlichen, die ja momentan wieder aus ihren Löchern kriechen, dass sie im Deutschland von heute und morgen keine Chance mehr haben.
Härtel: Es wäre eine Gelegenheit, auch über die eigentlichen Werte der Olympischen Idee nachzudenken: Etwa Sport als Beitrag zur Völkerverständigung und als Transformator für viele andere zivilgesellschaftliche Werte von einer Stadt aus, wo ein Schreckensregime der Welt noch mit Hilfe des Sports ein freundliches Gesicht vorgaukelte. Es wäre eine gute Botschaft, wenn man, ähnlich wie 2006 bei der Fußball-WM, den Menschen weltweit das gute und nachhaltige Gefühl erneut vermitteln könnte, dass sie zu Gast bei Freunden sind.