Mitgliederversammlung in Saarbrücken/Personell und inhaltlich zu viel aus dem Ruder gelaufen
Berlin, 4. Dezember 2024. „Ich will Mannschaftskapitän mit Transparenz, Offenheit und hoffentlich vielen wichtigen Weichenstellungen sein.“ Das sagte Thomas Weikert, als er am 4. Dezember 2021 in Weimar als Nachfolger des umstrittenen Alfons Hörmann zum Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) gewählt wurde.
Wir erinnern uns: Ein anonymer Brief aus der Belegschaft löste ein Beben in Hörmanns „Sportdeutschland“ aus. Miserable Kommunikation und ein unterirdisches Krisen-Management führten am Ende zum Amtsverzicht des Bayern und spülten Weikert an die Spitze. Der wollte alles besser machen – und erlebt nun vor der Mitgliederversammlung am kommenden Samstag in Saarbrücken sein Waterloo, teils selbst, teils den bundespolitischen Turbulenzen geschuldet.
In keinem der Prestige-Objekte ist der DOSB sichtbar wirklich weitergekommen: Kein Sportfördergesetz, kein Sport-Entwicklungsplan, eine lahme, un-ambitioniert wirkende Olympia-Performance. Und auch beim Safe Sport Code die Frage, wie der denn bis in den kleinsten Verein umgesetzt werden soll. Gesellschaftspolitisch fällt der DOSB mit einem Vakuum auf. Zu allem Ungemach ist dem präsidialen Limburger Anwalt nach Vizepräsident Oliver Stegemann auch noch der Vorstandsvorsitzende, sein einstiger Best-Buddy Torsten Burmester abhanden gekommen. Nun ist der seit Dienstag nach einer außerordentlichen Präsidiumssitzung endgültig von seinem Vorstands-Amt „abberufen“ worden.
Und nicht nur da werden Anwälte beim DOSB auf der Matte stehen: Auch die Stadt Hannover will die 80 000 Euro vom Dachverband für die Bewerbung um die World Games zurück. „Mit Blick auf das Eingeständnis des DOSB, dass das Verfahren unsauber war, erwarte ich eine Rückerstattung der Kosten für die Bewerbung“, wird Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung zitiert. Der DOSB steckt also weiter in der Krisen-Endlosschleife. Und sein Präsident samt Präsidium mit ihm.
In eineinhalb Jahren, im Mai 2026, feiert der DOSB sein 20-jähriges Bestehen. „Wenn es ihn bis dahin noch gibt.“ Nicht nur von Zynikern ist dieser Satz immer wieder zu hören. Streit, Diskussionen und Scheitern prägen das Bild des DOSB auch 2024. Wer sich im deutschen Sport umhört, der erfährt viel über Enttäuschung und Ratlosigkeit, aber auch Verärgerung und Wut. Man darf nun gespannt sein, ob auf der Mitgliederversammlung die Delegierten mit kritischen Wortmeldungen Luft ablassen, mit der sie sich hinter den Kulissen so vollgepumpt haben. Es ist wie immer: Gemault wird „unter Drei“, nur die wenigsten sagen es offen.
Was ist nun die Kritik? Fangen wir beim Personal an: Torsten Burmester, der Favorit Weikerts für das Amt des Vorstandsvorsitzenden, mit viel Vorschuss-Lorbeeren bedacht, sollte mit seiner politischen Erfahrung und seinem Netzwerk den DOSB in einen Neuanfang führen. Schon nach einiger Zeit kamen Zweifel auf, ob der Mann der Richtige ist. Vielleicht hatte er nun selbst das Gefühl, dass Sportverbandspolitik etwas anderes ist als Parteipolitik. Und nichts für ihn. Nun hat er sich also umorientiert. Für viele überraschend, für seine Partei-Blase und manche im Sport eher nicht. Vor kurzem hatte er noch den DOSB-Vertrag verlängert, doch seine berufliche Planung lief offensichtlich zweigleisig. Der Wahl-Kölner und SPD-Mann bereitete seine Kandidatur für das Oberbürgermeister-Amt vor. Und es klappte! Was seinen angeblich ahnungslosen DOSB-Arbeitgeber erst sprachlos machte, zur Schnappatmung führte und mit dem Versuch eines Krisenmanagements endete.
Vorgeführt
Krisenmanagement und DOSB vertragen sich nicht – eigentlich eine bekannte Erkenntnis. Eine Pressemitteilung sorgte für mehr Verwirrung als Aufklärung: Ist er nun gefeuert oder nicht? Auch Burmester, den die DOSB-Erklärung just während der Pressekonferenz zur Kandidatenkür erreichte, reagierte – zumindest für Beobachter – überrascht. Stellte aber fest, dass er immer in der zweiten Reihe stand. Und jetzt mal in die erste wollte.
„Wenn ein Vorstandsvorsitzender in der größten Personenvereinigung der Republik nicht in der ersten Reihe steht, dann sollte man sich im deutschen Sport fragen, ob es nicht gut ist, dass Herr Burmester sich nun für die OB-Kandidatur entschieden hat“, sagt ein erboster Verbandsvertreter. Nicht nur er ist sauer. Und ergänzt: Die Frage, wer da wen vorgeführt hat, sei ja eindeutig beantwortet.
Was wirklich passiert ist? Müßig, es herausfinden zu wollen, denn die Aussagen der Beteiligten gehen diametral auseinander. Ein gutes Bild jedenfalls gibt keiner von ihnen ab. Anwälte werden das klären, und diese Beziehungskiste wird sich nicht in Freundschaft trennen.
Es war nicht der einzige Abgang aus der Führungsetage in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise: Vizepräsident Oliver Stegemann trat nach dem Ärger rund um die World Games zurück, wo offensichtlich nicht nur intern, sondern auch extern ein Kommunikationsdebakel zu großen Verwerfungen und zu finanziellen Rückforderungen Hannovers an den DOSB führte, der wie Pressesprecherin Eva Werthmann sagt, keinen Anlass sehe, „die Kosten der Bewerbung zurückzuerstatten“.
Aus dem Ruder gelaufen
Dem Mannschaftskapitän Thomas Weikert ist da einiges aus dem Ruder gelaufen. In entscheidenden Momenten, so stellt es sich für Beobachter dar, war er offensichtlich nicht auf Ballhöhe. Seine bisherige Amtszeit könnte unter dem Titel „Der unsichtbare Präsident“ laufen. „Er glänzt vor allem durch Nichtanwesenheit da, wo es wichtig wäre“, ist eine Kritik. So hätte er bei den Verhandlungen um das Sportfördergesetz, das ja für den Sport zukunftsweisend ist und eine große sportpolitische Bedeutung hat, dies durch seine interne und öffentliche Präsenz im Laufe des Prozesses immer wieder unterstreichen müssen.
Unzufriedenheit nicht nur bei den potenziellen Kandidaten für eine Olympiabewerbung: Prominentester Kritiker des DOSB ist wohl der bayerische Ministerpräsident Markus Söder. Phantasielos bis phlegmatisch wird der DOSB-Einsatz noch am freundlichsten beschrieben. Nicht nur deshalb, so wabert es in der Gerüchteküche, habe es einige heftige Attacken verbunden mit Rücktrittsforderungen, aus Spitzenverbänden und LSBs gegen Weikert gegeben.
Nicht im Griff
Aber ist der Präsident nun der Alleinschuldige? Sicher nicht. Hat er seinen Laden, sprich Präsidium und Hauptamt, nicht im Griff? Offensichtlich nicht. Kritikpunkte sind, dass sowohl die interne wie externe Kommunikation chaotisch, die sportpolitische Repräsentation dürftig sei. Kann der deutsche Sport es sich schon wieder leisten, einen Präsidenten vorzeitig in den Ruhestand zu drängen? Was sagt das über den organisierten Sport, seine Führungsmenschen aus, wo das Image der Funktionärsgilde ohnehin schon schlecht genug ist. Wer will sich denn freiwillig in dieses nicht ungefährliche Funktionärsbecken begeben? „Da müsste ich schon sehr verzweifelt sein“, sagte vor kurzem ein Mensch, der sicher geeignet wäre, aber nicht willens. Verbandspolitik kann auch sehr tückisch sein – je nachdem, wem man in die Quere kommt.
Mal kurz zurück in die Vergangenheit: Es ist keine Nostalgie und Schönrederei, wenn man konstatiert, dass im Deutschen Sportbund (DSB) und im Nationalen Olympischen Komitee von Deutschland (NOK) nahezu alle Präsidenten (sport-) politische Köpfe waren, der eine mehr, der andere weniger. Aber sie alle zeigten Flagge, wenn es darauf ankam, und haben es als ihre Aufgabe angesehen, den Sport auch gesamtgesellschaftlich zu betrachten und ihm eine starke Stimme zu geben, die auch gehört wird.
Fusion veränderte alles
Das hat sich 2006 mit der Fusion von DSB und NOK verändert. Und manche fragen sich mittlerweile ernsthaft, ob diese Neuformation nicht ein großer Fehler war. Wirtschaftsanwalt und (damals noch) FDP-Mitglied Thomas Bach, großer Fusion- Fan und erster DOSB-Präsident, verstand sich als Manager und Reformer des modernen deutschen und olympischen Spitzensports. Das Amt war ja auch als strategisches Sprungbrett für seine spätere IOC-Präsidentschaft gedacht. Sein damaliger Vorstandsvorsitzender Michael Vesper war für die politischen Drähte zuständig und die interne Umstrukturierung der Dachorganisation. Das Duo Bach/ Vesper kam soweit gut miteinander klar, weil beide ihre sich selbst maßgeschneiderten Rollen einnahmen und keiner dem anderen in die Quere kam. Am Ende der Bachschen Amtszeit gab es zwar eine neue Organisation, doch das Anlanden an neuen Ufern gelang den Beiden nicht.
Shit happens
Mit Alfons Hörmann kam ein Mann, der vorher als Skipräsident ein entschiedener Gegner dieser Fusion war. Der Unternehmer, der die verkrusteten Sport-Strukturen als das Problem für eine Runderneuerung des Sports erkannte, scheiterte am Ende vor allem an sich selbst. Als Geldbeschaffer mit entsprechender parteipolitischer Unterstützung war der Oberallgäuer unschlagbar. Seine größten internen Kritiker verstummten, wenn und weil die Kohle rüberkam. Dass er sich dann mit seiner Landratskandidatur und schließlich mit seiner Gutsherrenart in die Bredouille brachte, ist aus seiner Sicht mit „shit happens“ sicher gut beschrieben.
Thomas Weikert wollte alles anders, besser machen als sein Vorgänger, der immer erklärte, dass er für „Wahrheit, Klarheit, Transparenz“ stehe. Weikert sagt ähnliches – und handelt anders. Auch er schafft es nicht, den DOSB-Tanker wieder manövrierfähig zu machen, damit er nicht noch schneller sinkt.
Um mal den Gelehrten Albert Einstein zu bemühen: „Es ist dumm, immer dasselbe zu tun und ein anderes Ergebnis zu erwarten.“ Seit 1987 – immerhin seit 37 Jahren – gibt es immer wieder neue Versuche, vor allem den deutschen Spitzensport zu reformieren und zu Erfolgen zu führen.
Aber der deutsche Sport war in seiner Gesamtheit nie bereit, sich wirklich grundsätzlich zu ändern. Das Hätschelkind der deutschen Politik brauchte sich nie groß anzustrengen, um mit Geld aus dem steuerlichen Füllhorn bedacht zu werden. Im Lauf der Jahre hat er sich als eine Art einarmiger Bandit erwiesen, eine Geldschluckmaschine ohne nennenswerte Ausschüttung.
Immer dieselben Diskussionen
Seit rund 14 Jahren hat die Abteilung Sport im Bundesinnenministerium (BMI) erkannt, dass immer mehr Geld in die Sportförderung zu buttern, kein Mittel ist, um den deutschen Spitzensport wieder nach vorne zu bringen. Reformbemühungen enden – auch jetzt wieder – im Streit. Immer wieder dieselben Probleme, immer wieder dieselben Lösungsansätze. Die meisten im Sport wollen den Status quo beibehalten – bloß nichts ändern. Und die Politik lässt sich immer wieder auf dasselbe Spiel und dieselben Diskussionen ein. Alle arbeiten an einem Sportfördergesetz – und am Ende nörgelt der Sport herum. Was wollen BMI und DOSB eigentlich?
Es ist eine Binsenweisheit, dass alles mit allem irgendwie zusammenhängt. So auch im Sport. Wer einerseits im modernen Hochleistungssport mithalten will, eine potenzial- und erfolgsorientierte Förderung in einem Sportfördergesetz festschreibt, aber gleichzeitig doch wieder das Gießkannenprinzip anwendet,weil er Vielfalt fördern will, der hat– wie schon in den letzten Jahren – die alten Probleme des deutschen Sportsystems weiter und immer noch an der Backe. Wer mehr Medaillen will – und darauf läuft es ja hinaus –, der muss den Mut haben, endlich zu sagen, was Sache ist – nämlich: Wir müssen uns auf die erfolgversprechenden Sportarten konzentrieren. Der DOSB muss sich da mit seinen Mitgliedsverbänden auseinandersetzen, ob er diesen Sport will. Und auch der Staat muss sich endlich bekennen, in welche Richtung man steuern und wofür man bezahlen will. Alles andere ist Kokolores und bringt niemanden weiter. Ziel und Richtung – sonst kann man sich Arbeit und Ressourcen sparen, weil man weiter auf der Stelle tritt.
Ernstzunehmender Player
Die Vielfalt bleibt ja – egal wo man hinsteuert – im deutschen Sport erhalten. Der Breitensport umfasst diese Vielfalt, und die Vereine bieten sie Tag für Tag an. Gerade hier kann der Sport seine gesellschaftspolitische Verantwortung zeigen, sich als ernstzunehmender Player einbringen, in dem er sich mit Präsenz, Kompetenz und Glaubwürdigkeit für die Gemeinschaft über den Sport hinaus engagiert. Dass er das kann, hat er schon oft gezeigt.
Aber muss der Sport überall dabei sein? Nein. Das wäre eine inhaltliche wie auch eine zeitliche Überforderung. Und führte im letzten Jahr zu der Frage, ob ein DOSB-Präsident nicht eine höhere Aufwandsentschädigung bekommen sollte, die berufliche finanzielle Ausfälle ausgleichen sollte. Die Überforderung und ein fehlendes sportpolitisches Gespür des Führungsteams werden gerade an diesem Beispiel deutlich: Man fertigte einen Antrag als Vorlage an und wollte das ganze ohne große Diskussion durchwinken. Aber was für Folgen hätte das für den gesamten organisierten Sport, der ja auf dem Ehrenamt basiert? Nicht darüber nachgedacht? Wird schon keiner merken? In jeder Hinsicht eine sportpolitische Fehlentscheidung, die bis zu Neuwahlen erstmal vertagt ist. Und es zeigt einmal mehr: Nur im eigenen Saft schmoren, bekommt dem deutschen Sport auf Dauer nicht.
Toxische Beziehung
Der deutsche Sport hört schon immer gerne auf seine eigene Meinung. Und Sportführer sind eher beratungsresistent, es sei denn, es geht um ihr Image und Geldbeschaffung. Wissenschaftlicher Rat und organisierter Sport – auch das war lange und ist noch immer an manchen Stellen im Sport eine toxische Beziehung. Es gab Zeiten, da wurden teuere wissenschaftliche Studien von Sportverantwortlichen entgegengenommen und verschwanden dann mit dem Satz „Das braucht kein Mensch“ ungelesen in Schubladen.
Alle reden über Sportpolitik und ihre Bedeutung, aber keiner weiß eigentlich so richtig, worüber er redet. Politische Beratung wäre bei manchem Spitzenfunktionär ganz sicher angebracht. Und der witzig gemeinte „Sportpolitische Führerschein für Funktionäre“ ist gar nicht so abwegig bei näherer Betrachtung. Worüber reden wir gerade? Ist das innerverbandliche Sportpolitik? Oder ein Ballwechsel zwischen Sport und Politik auf kommunaler, föderaler, nationaler oder internationaler Ebene? Wie funktionieren denn nun parlamentarische Abläufe oder Gesetzgebungsverfahren? Wer sich auf Olympia-Bewerbungs-Reisen begibt, der sollte schon geopolitische Zusammenhänge kennen, sollte wissen, das manch gutgemeinte, aber schlecht gemachte Symbolpolitik (etwa die berühmte Armbinde bei der Fußball-WM in Katar) Folgen für den deutschen Sport und seine internationalen Bemühungen haben kann. Aufklärung täte an vielen Stellen gut.
Hobby-Führungspersönlichkeiten
Mit Hobby-Führungspersönlichkeiten, so muss man immer mehr feststellen, wird also der Dachverband, der sich als die größte Bürgerbewegung der Republik mit 28.764.951 Mitgliedschaften feiert, auf Dauer nicht gut aufgestellt sein. Immer mehr Herausforderungen und Aufgaben müssen auch im Sport gestemmt werden – sportfachlich oder unter Klima- und sozialen Aspekten. Und ebenso hausgemachte Permanent-Krisen.
Es braucht also führende (sport) politische Köpfe, die authentisch den Sport repräsentieren sich nicht nur als Lobbyisten verstehen, sondern sich als kreative Ideengeber und Reformer erweisen. Aber woher sollen die kommen? Ein Führungs-Ehrenamt in der momentanen Konstellation muss man sich auch leisten können und wollen… Thomas Weikert stellte sich in Weimar als der Mann vor, „der Anzug trägt und Trikot denkt“. Das reicht offensichtlich nicht mehr. Die Mitgliederversammlung in Saarbrücken wird ein Signal dafür sein, auf welchen Weg und mit welchem Personal sich der DOSB in Richtung Geburtstagsjahr begibt: Werden die Delegierten sprach- und leidenschaftslos wieder alles hinnehmen? Oder wird doch öffentlich mal Klartext mit der Crew geredet, um gemeinsam den sinkenden DOSB-Tanker zu stabilisieren.
Um dann irgendwie doch noch zu neuen Ufern zu gelangen.