SPD-Sportausschuss-Sprecherin über den deutschen Spitzensport, Bewegungsgipfel und Zielsetzungen
Berlin. 20. Mai. Sie hat sich in die Themen „hineingefuchst“, mit denen sie sich als SPD-Sprecherin des Sportausschusses im Deutschen Bundestag nun intensiv befassen muss. Das heißt: Sabine Poschmann ist angekommen in der Welt von Spitzensportreform, Sportgroßveranstaltungen, Anti-Doping-Kampf, Safe Sport, Zuständigkeitsgerangel zwischen Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB), Bundesinnenministerium und manchmal auch den Ländern. Also im alltäglichen ganz normalen Sportwahnsinn.Sabine Poschmann, seit neun Jahren Mitglied im Bundestag, löste nun ihr Versprechen ein, nach ihrer Einarbeitungszeit als „Novizin“ im Sportausschuss, in einem Wannsee-Gespräch über Erfahrungen, Eindrücke und Ziele zu berichten.
Derzeit wird viel über mangelnde Kommunikation und Debattenkultur in dieser Republik diskutiert. Auch im Sport fehlt es daran. Insofern ist der Treffpunkt, das Reichspräsidentenpalais, in dem jetzt die Parlamentarische Gesellschaft sitzt, ein guter Ort, um über Sport, Demokratieverständnis und Diskussionsfreude zu reflektieren, denn: In der Weimarer Republik war dies ein demokratisches Forum für politische Begegnungen und Debatten. Und an diesem Tag sind im Garten des Palais die Tische gut besetzt, und es wird intensiv kommuniziert.
Holpriger Start
Den Start im Sportausschuss hätte sich Sabine Poschmann sicher einfacher vorgestellt. Jedenfalls nicht so, dass man zuerst einmal als Gremium Schlagzeilen macht wegen des neuen Vorsitzenden, des SPD-Kollegen Frank Ullrich und seiner Vergangenheit, in der es um Dopingvorwürfe geht. Nicht nur diese Personal-Posse beeinträchtigte die eigentliche Arbeit, auch der Angriffskrieg der Russen gegen die Ukraine schlug ins Kontor. „Da wurde mir auch sehr deutlich, wieviel Sportpolitik mit Außenpolitik zu tun hat. Die Zusammenarbeit klappt sehr gut – und man lernt sehr viel dazu“, sagt die Dortmunderin.
Einlesen, sich umschauen, Gespräche suchen, netzwerken. „Viele Fach-KollegInnen auch aus den Ministerien waren am Anfang behilflich, und es wird wieder deutlich, dass Sport ein Ressort übergreifendes Thema ist.“ Die Ampelkoalitionäre haben in interpretationsbedürftigen Sportpassagen der Koalitionsvereinbarung doch deutlich gemacht, dass ihnen Sport für alle das wichtigste Anliegen ist. Denn Breitensport spielte seit der Fusion des Deutschen Sportbundes (DSB) und des Nationalen Olympischen Komitees von Deutschland (NOK) 2006 zum DOSB kaum mehr eine öffentliche Rolle. Um es auf den platten Nenner zu bringen: Ohne Breitensport kein Spitzensport.
Bewegungsgipfel
Nun fordern DOSB, DFB, dsj – es haben sich weitere Unterstützer angeschlossen – einen Bewegungsgipfel von der Bundesregierung. „Das unterstütze ich natürlich. Aber: Eine Forderung alleine reicht nicht, die muss dann schon vom Sport mit inhaltlichen Konzepten untermauert werden. Die Politik kann bei dann den Rahmenbedingungen und ganzheitlichen, Ressort übergreifenden Themen unterstützen.“ Also, wenn es um Bildung, Familie, Senioren, Klimafragen etc. geht. Gerade ist man beim DOSB dabei, Eckpunkte zu diesem Thema zu erstellen.
Das Schlagwort „Sport-Entwicklungsplan“ im Koalitionspapier sei eine Art „Bündelbegriff“, sagt Sabine Poschmann. „Wir haben nun nach Corona einen Restart vor. Was heißt das? Während der Pandemie wurden ja auch Probleme nochmal deutlicher, die der Sport schon vor Corona hatte.“ Etwa, dass mangels Nachwuchs oder wegsterbender Mitglieder Vereine aufgeben oder fusionieren müssen, dass Frauen in bestimmten Altersgruppen unterrepräsentiert sind, dass immer weniger bereit sind, sich für ein Ehrenamt zu engagieren.
Sportstätten, deren Sanierung auch unter dem Aspekt der Barrierefreiheit steht, sind ein Dauerbrenner in der Problemliste, die die Abgeordnete schon aus ihrem Wahlkreis kennt. Nicht nur Sporthallen, sondern auch Schwimmbäder brauchen vielerorts eine Runderneuerung. Insofern kommt der Haushalt für 2023, wo es am Donnerstagabend (19.Mai) in der Bereiningungssitzung noch einen Aufschlag von rund 500 Millionen (476 Millionen) Euro für die Sportstätteninfrastruktur und die Reanimation von Breiten- und Vereinssport genehmigt, gut an. „ Das ist schon ein ein starkes Signal“ freut sich Poschmann.
Transparent einsetzen
Aber die Mittel müssen auch sinnvoll und transparent eingesetzt werden, sagt die Betriebswirtin, die über manche Dinge, die sie nun im Sport kennengelernt hat, nur den Kopf schütteln kann. Womit wir über die Spitzensportreform diskutieren. „Ich frage mich, wieso nach sechs Jahren, wo sehr viel Steuergeld in die Reform geflossen ist, so wenig umgesetzt wurde?“
Vielleicht lag es am Streit um die Zuständigkeiten zwischen DOSB und BMI? Oder , dass der Sport – wie seit Jahrzehnten immer – einfach mit allem durchgekommen ist, weil auch die parlamentarische Kontrolle an dieser Stelle nicht gut funktionierte. Nicht zuletzt deshalb, weil – wie einmal ein Staatssekretär im Gespräch sagte: „Die Millionen, die da in den Sport fließen, sind ja im Vergleich zu anderen Bereichen Peanuts.“ Mag sein, aber es ist Steuergeld, mit dem der Sport gepampert wird.
Ziele definieren
Dass es so nicht weitergehen kann, das sehen wohl die meisten im Sportausschuss mittlerweile so. Man müsse sich doch über die Ziele klar sein – und die seien „schwammig oder gar nicht erkennbar“, sagt Poschmann, die schon länger fordert, dass endlich geklärt werden müsse, was für einen Sport man denn haben wolle. „Wir brauchen eine öffentliche Diskussion, und wir müssen alle Beteiligten und Betroffenen an einen Tisch holen, Athleten, DOSB, BMI, Länder und den Sportausschuss, um uns erst mal klar zu werden, was wir wollen. Und dann können wir weitere Schritte unternehmen.“
Was würde das in der praktischen Umsetzung heißen? Wollen wir uns auf Sportarten konzentrieren, die Medaillen versprechen, nur diese mit allen Konsequenzen fördern, um Erfolg zu haben. Auch auf Kosten der Vielfalt? Wollen wir Sport-Gladiatoren als Vorbilder?
Eine neuerliche Diskussion vor einigen Tagen im Sportausschuss machte deutlich, dass die Reform wenn nicht schon tot ist, so doch im Koma liegt. Neue Vorschläge der Dachorganisation sind die alten, wie in den Parlamentsnachrichten zu lesen ist: „Ein erfolgreicher Spitzensport setzt einen erfolgreichen Nachwuchsleistungssport voraus.“ Und bezieht sich auf die im November 2021 vom DOSB in Auftrag gegebene Deloitte-Analyse, die da lautet: Das Konzept zur Leistungssportreform und die derzeitige Spitzensportförderung wird von der Mehrheit der Beteiligten eher positiv gesehen, die Umsetzung wird aber noch in Teilen als unzureichend betrachtet.
Mit allen Konsequenzen?
Sabine Poschmann hat viele Fragen. „Wollen wir wirklich Spitzensport mit allen Konsequenzen? Welche Erfolge sollen es sein, welche Medaillenplätze steuern wir an – die ersten drei, unter die ersten zehn? Das ist doch alles nicht diskutiert worden. Es reicht nicht zu sagen: Wir wollen mehr Erfolge, Medaillen und natürlich sauberen Sport. Und natürlich darf das alles nicht auf Kosten der AthletInnen gehen. Das sind doch nur Allgemeinplätze.“ Der Verein Athleten Deutschland kritisiert das Konzept „als Potpourri an Maßnahmen“, deren Umsetzungsstand und Wirkungsgrad teilweise nicht bewertbar seien. Der Reform habe von Beginn an ein transparenter Maßnahmenplan gefehlt und ebenso habe es keine regelmäßige Berichterstattung zu den erfolgten Umsetzungsschritten gegeben. Diese Einschätzung teilt nicht nur Poschmann.
Noch eine Frage: Der Bund kommt ja immer häufiger in Rechtfertigungszwang, wenn er begründen muss, warum Spitzensport mit Steuermitteln gefördert wird: Repräsentanz und Vorbildfunktion sind die zwei Argumente, die übrig geblieben sind. Was sind Vorbilder? Taugt der Sport noch dazu? Die 53-Jährige aus dem Ruhrpott glaubt, dass auch heute noch viele Kinder – vor allem halt im Fußball – den Stars nacheifern. Ob wirklich alle SportlerInnen dafür noch taugen – da gibt es demnächst eine eigene Philosophie-Runde.
Effektivität und Effizienz
Das BMI jedenfalls stellte in seiner Stellungnahme zum Abwärtstrend bei Medaillen und Erfolgen kritisch fest, im bestehenden Sportfördersystem stelle sich die „essenzielle Frage, welche Effektivität (Grad der Zielerreichung) und welche Effizienz (Input-Output-Relation/Nutzen der eingesetzten Steuermittel) mit den vorhandenen institutionellen Ressourcen erreicht werden können und sollen“. Ziel müsse sein, ein professionelles Steuerungsmodell zur Spitzensportförderung zu erarbeiten. Da fällt einem die herumgeisternde Spitzensport-GmbH ein. Ist das der Lösungsvorschlag? Sabine Poschmann schüttelt den Kopf: „Nein, das ist nicht das Allheilmittel.“ Was ist dann mit der „Unabhängigen Instanz zur Vergabe der Fördermittel“, die im Koalitionsvertrag steht? „Bevor wir eine neue Institution schaffen müssen wir doch klar definieren, welche Aufgabe diese haben soll, ob sie eher für die Mittelvergabe zuständig ist, oder ob sie eine Kontrollstelle sein soll. Wir müssen wissen, wohin wir wollen. Wie gesagt: Alle an einen Tisch. Zielsetzung, Inhalte und Instrumente – etwa auch die Potas – anpassen und evaluieren. Und da muss jeder sein Teil dazu beitragen“, sagt Poschmann.
Auf der Stelle treten ist nicht ihr Ding, dafür ist sie zu sehr Kümmerin, wie Leute sagen, die sie gut kennen. Sich um Probleme zu kümmern, sie anzusprechen, das allein reicht nicht, das weiß Sabine Poschmann. „Wir müssen uns alle bewegen – in jeder Hinsicht, auf einander zugehen, miteinander reden, auch streiten, wenn es uns einer Lösung näher bringt.“ Sabine Poschmann will in der Sportpolitik etwas ändern mit Teamgeist und nicht mit Machtgerangel: Gelänge ihr das zusammen mit den Sportausschuss-KollegInnen im Zusammenspiel mit BMI und DOSB, dann wäre das tatsächlich auch eine Zeitenwende im deutschen Sport.