DOSB – wo soll es eigentlich hingehen?

Neu: Reaktion der Dachorganistaion auf Brief an die Ethikkommission / Ärger wegen der Besetzungscouch

Berlin, 5. Mai. Das neue Präsidium des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) ist nun seit gut einem halben Jahr im Amt. Von Neustart oder Aufbruchsstimmung nach der vorzeitigen Ablösung des umstrittenen und untragbar gewordenen Präsidiums rund um Alfons Hörmann im letzten Dezember auf der Mitgliederversammlung in Weimar – war und ist nichts zu spüren. Doch eines hat sich geändert: Der Umgangston habe sich entschieden gewandelt – man gehe respektvoll und freundlich miteinander um, freuen sich nicht nur MitarbeiterInnen im Haus des Sports.

Aber aus dem fahruntüchtigen Tanker DOSB ist immer noch kein elegantes, manövriersicheres, schnelles Segelschiff geworden. Der olle Kahn scheint inhaltlich und richtungsmäßig trotz (fast) neuer Besatzung vor sich hin zu dümpeln. Für viele im und um den Sport ist immer noch nicht zu erkennen, wo die Reise hingehen soll. Die Ruhe, die nicht nur der Vorstandsvorsitzende Torsten Burmester ausstrahlt, beunruhigt viele im Sport.

Dunkle Wolken

Die Harmonie im deutschen Sport, die öffentlich zur Schau getragen wird, scheint es so doch nicht zu geben. Es ziehen immer wieder dunkle Wolken auf. Kritik häuft sich: Die Sportdirektoren der Verbände wussten sich offenbar nicht anders zu helfen, als sich schriftlich an den DOSB zu wenden, weil man in Sachen Spitzensport und Spitzensportreform auf der Stelle trete. Dass der Brief öffentlich wurde, hat der DOSB-Führung nicht gefallen. Auch mehrere Gespräche mit der Sprechergruppe brachten die Beteiligten irgendwie nicht wirklich weiter. Entscheidend ist immer noch die Frage: Wer ist denn nun federführend, der Geldgeber Bundesinnenministerium (BMI) oder der sportfachlich zuständige DOSB? Die alte Streitfrage steht nach wie vor im Raum: Wer steuert den Leistungssport? Noch immer sind die Verbände, so deren Klage, zu wenig in Entscheidungsprozesse eingebunden, die Kommunikation lässt weiter zu wünschen übrig. Und die Rollen der vielen Partner, die im Leistungssportsystem mitmischen, ist unklar, führt zu Missverständnissen, vermehrter Bürokratie und Doppelarbeit. Eine Analyse, was da so alles schief läuft, könnte  man auch beim Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) bekommen. Und Verbesserungsvorschläge.

Hoffnungen enttäuscht

Auf Seiten des DOSB ist Dirk Schimmelpfennig der verantwortliche Vorstand. Viele setzten Hoffnungen zu Beginn der Reform auf ihn, als er 2015 zum DOSB kam, da er als Aktiver, Bundestrainer und Sportdirektor im Deutschen Tischtennisbund (DTTB) den Sport aus allen Perspektiven kennt. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Schimmelpfennig geriet nach und nach bei seiner Mammutaufgabe, die Spitzensportreform umzusetzen, ins Kreuzfeuer der Kritiker und in die kommunikativen und inhaltlichen Problemzonen des früheren Präsidenten Alfons Hörmann. Aus denen habe er sich bisher nicht erkennbar befreit, sagen Menschen, die mit ihm zu tun haben. Und so stieß es auf großes Unverständnis, dass sein Vertrag, der Ende des Jahres ausläuft, vorzeitig verlängert werden sollte.

Denn: Noch immer ist ja auch nicht geklärt, welche Rolle beispielsweise der Leistungssport-Vorstand Schimmelpfennig – ebenso wie der Finanz-Vorstand Thomas Arnold – im letzten Präsidium gespielt hat. Die Kommission aus der ehemaligen Schwimmpräsidentin und Rechtsanwältin Christa Thiel und dem ehemaligen Richter am Bundesgerichtshof (BGH) Clemens Basdorf, die die neue DOSB-Führung berief, und die die Vorgänge der acht Jahre Hörmann-Präsidentschaft aufklären soll, ist mitten drin in der Arbeit.

Rücker Idealbesetzung

Aufklärung der Vorfälle heißt, es geht um mehr als nur den anonymen Brief, der das Ende der Hörmann-Regentschaft einläutete – das war ein Versprechen des neuen DOSB-Präsidiums. Doch wie groß der Aufklärungswille am Ende wirklich sein wird, bleibt abzuwarten. Es kam schon merkwürdig rüber, wenn man von Neuanfang spricht, dass zwei Vizepräsidentinnen der alten Truppe in ihren Gremien-Ämtern bleiben durften. Was am liebsten keiner mitkriegen sollte. Man wolle ihnen ja nun nicht alles wegnehmen. Ein Hauch von Mitleid mit Menschen, die nicht loslassen können. Abzuwarten ist auch, wie interessiert die Verbände an der Aufarbeitung sind: Dem Deutschen Tennisbund (DTB) scheint sie herzlich egal zu sein. Er hat die ehemalige DOSB-Vorstandsvorsitzende Veronika Rücker als Sportdirektorin ab 1. Juli verpflichtet. Man erinnere sich: Rücker war die rechte und linke Hand von Alfons Hörmann. Infolge u.a. der Anschuldigungen gegen Karin Fehres, ihre ehemalige Vorstandskollegin, musste sie gehen. Ihre Rolle wird auch von der Zweier-Kommission untersucht. Dass der DTB, der von Rücker als Idealbesetzung spricht, mit der Verpflichtung nicht bis zum Abschlussbericht des Untersuchungsduos hat warten können, spricht für sich. Und nicht für den Tennisbund.

Datenschutz

Vor Wochen war schon aus den immer gut informierten Kreisen zu hören, dass die Vorfälle im DOSB noch schlimmer seien, als man sich vorstellen konnte, und dem deutschen Sport alles um die Ohren fliegen könnte, wenn, ja, wenn was? Wenn man alles offen legt? Schon jetzt wird mal die Allzweck-Verhinderungs-Waffe für Transparenz und Offenheit hervorgekramt, die da heißt: Datenschutz.

Vorstandsvorsitzender Burmester sagte vor kurzem in einem Gespräch mit sportspitze: „Ich möchte mich nicht so viel mit der Vergangenheit beschäftigen.“ Aber: Er und das Präsidium müssen den sportpolitischen Willen haben, Aufklärung mit allen Nebenwirkungen zu wollen und Transparenz herzustellen, will man Glaubwürdigkeit und öffentliches Ansehen zurückgewinnen. Außerdem ist man das den Betroffenen schuldig, die unter den Hörmann-Aktionen zu leiden hatten.

Immer dieselbe Personalagentur

Transparenz. Die war auch versprochen worden, wenn es um die Verpflichtung neuen Personals geht. Das Theater rund um die Präsidentenwahl – verursacht von einem Ex-Bundespräsidenten und Königsmachern aus den Verbänden wie u.a. den mittlerweile vom DFB abgewählten Vizepräsident Rainer Koch, der gerne den CSU-Mann Stephan Mayer im Amt gesehen hätte, sorgte für Zoff im und außerhalb des Sports. Weil man auch da glaubte, der Sport habe mal wieder Sonderrechte, und es gelten beispielsweise keine gesetzlichen Karenz-Regelungen.

Jetzt ist wieder die Besetzungscouch des DOSB Thema. Schon vor Monaten wurde von Klüngel, Vetternwirtschaft, Parteibuchgeschacher und Amigo-Seilschaften im Zusammenhang mit neuen Personalien geredet. Es geht um die Verpflichtung einer Personalagentur, die nicht nur bei der Präsidentenwahl den DOSB unterstützen sollte. Dieselbe Agentur sei auch ausgewählt – und zwar von der AG Personal im Rahmen der Vorbereitung für den DOSB-Neustart, in der auch Burmester saß, als es um den Posten des Vorstandsvorsitzenden ging, heißt es  in einem neuen anonymen Brief. Diese Position – er war Wunschkandidat von Thomas Weikert – hat Burmester bekanntlich bekommen. Und es sei auch genau der Personalberater schon zwei Jahre vorher tätig gewesen als Burmester beim Deutschen Behindertensportverband eingestellt wurde, so  die Verfasser.    

 

Mal wieder ein anonymer Brief

Genau das wurde in dem neuerlichen anonymen Schreiben – diesmal an die Ethikkommission unter Leitung von Ex-Minister Thomas de Maizière gerichtet – behauptet, thematisiert und zur Anzeige gebracht. Unterschrieben haben „Besorgte Mitarbeiter von Mitgliedsorganisationen“. Sie sehen Verstöße gegen die Compliance-Regelungen des Verbandes. „Sowohl das Vergabeverfahren als auch der Auswahlprozess für die Position des Vorstandsvorsitzenden und für die Position des Vorstandsmitgliedes Breitensport/Sportentwicklung ist mit den Compliance-Maßstäben, die aktuell für alle Organisationen und auch für unsere Dachorganisation gelten, nicht zu verbinden. Dieses Verfahren erweckt vielmehr den Eindruck von Vetternwirtschaft, und „eine Hand wäscht die andere“. Für den Vorstand Sportentwicklung wurde Michaela Röhrbein verpflichtet. Auch sie, die beim Deutschen Turnerbund tätig war, galt im Vorfeld als ausgemachte Favoritin. Der DOSB hat schon bei früherer Kritik an diesem Prozedere darauf verwiesen, dass das Verfahren transparent und nachvollziehbar gewesen sei.
In einem Telefonat verweist die  DOSB-Pressesprecherin Eva Werthmann in diesem Zusammenhang auf das folgende Statement gegenüber einer Agentur, das der DOSB letzte Woche herausgegeben hat. „Die unabhängige Ethikkommission des DOSB untersucht, ob Gremien oder Personen gegen die Grundsätze   Einer guten Verbandsführung verstoßen haben. Laut Satzung des DOSB gehört die Bestellung  von Mitgliedern des Vorstandes  zu den Aufgaben des DOSB-Präsidiums.Das neugewählte Präsidium ist bei der Erfüllung dieser Aufgabe unter Einbindung der Sprecher*innen der Verbände Gruppen der Maxime gefolgt, den Verband zeitnah fachlich kompetent aufzustellen und wieder Sprechfunk handlungsfähig zu machen. Das dafür gewählte Verfahren war zu jedem Zeitpunkt  nachvollziehbar und transparent. Eine rasche und sorgfältige Prüfung der im Schreiben erhobenen Vorwürfe durch die Ethikkommission ist auch im Interesse unseres Verbandes.“

Nach sechs Monaten, so scheint es, sind alte Querelen auch neue Querelen, der DOSB immer noch nicht befriedet.

Kein Programm

Und inhaltlich? Der Arbeitsalltag wurde auch im Sport nach Corona nun durch den Ukrainekrieg etwas durcheinander gebracht. Verdienstvoll hat man beim DOSB zusammen mit den Landessportbünden einen Fonds eingerichtet, sich um ukrainische SportlerInnen gekümmert. Diese Hilfe scheint gut organisiert.

Also zu den eigentlichen Aufgaben. Es wird viel geredet im Sport. Viele Schlagwörter wirbeln durch die Gegend. Aber ein Programm mit Schwerpunktsetzung gibt es nicht. Ist jedenfalls nicht öffentlich bekannt. Und nicht zu erkennen. Oder doch? Da kommt nun wieder der Koalitionsvertrag der Bundesregierung ins Spiel, an dem sich der Sport mangels (noch) eigener Programmatik offensichtlich entlang hangelt. Burmester erklärt: „Wir – Sport und Politik – müssen ins Gespräch kommen und gemeinsam diesen Vertrag ausgestalten.“

Nun, nach sechs Monaten: Auf die Ausgestaltung warten alle. Also Sport-Entwicklungsplan? Immer noch eine unbekannte Größe. Die „unabhängige Instanz zur Mittelvergabe“ ist ebenso ein Buch mit sieben Siegeln wie die Spitzensport GmbH, die seit geraumer Zeit durch die Lande geistert, ohne dass jemand erklärt, was da am Ende herauskommen soll. Der Vorstandsvorsitzende, der weiß, wie politisches Strippenziehen funktioniert, erklärt, auch er wisse nichts Genaues.

Konkreter ist die Sache um das Zentrum für Safe Sport – aber da hat die Vorarbeit ja auch der Verein Athleten Deutschland schon geleistet. Zusammen mit der Sportjugend.

Den Deutschen Beine machen

Und konkrete Vorstellungen, den Deutschen Beine zu machen, sprich: sie wieder in Bewegung zu bringen, gibt es auch. DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze wird nicht müde, die Ideen zu präsentieren. Denn: Nicht nur die Folgen von Corona müssen bewältigt werden. Schon vor Corona bewegten sich Erwachsene und Kinder in Deutschland zu wenig. Übergewicht ist eine Folge.  2019 brachten 54 Prozent der Erwachsenen zu viele Kilos auf die Waage und lagen damit über dem EU-Durchschnitt. Und auch immer mehr junge Menschen sind zu dick.

Deshalb: Ein Bewegungsgipfel muss her. Und zwar noch in diesem Jahr. DOSB-Präsident Thomas Weikert, unterstützt vom dsj-Vorsitzenden Stefan Raid und dem Fußball-Präsidenten Bernd Neuendorf, fordern den von der Politik ein. Doch da muss die Dachorganisation wohl erst mal in Vorlage gehen und ein überzeugendes Konzept vorlegen. Das der DOSB seit seiner Gründung 2006 schuldig geblieben ist. Denn seit damals galten das Interesse und die Unterstützung dem „Olympischen“, und der Breitensport führte ein Schattendasein.

SportministerInnen wollen mitgestalten

Also flugs in die Puschen kommen, bevor andere übernehmen. Denn derzeit drängt sich der Eindruck auf, dass die SportministerInnen den deutschen Sport nicht nur neu für sich entdeckt haben, sondern auch übernehmen wollen: Auf der Ministerkonferenz in Hamburg waren sie einig: Sie wollen die Sportpolitik in Deutschland aktiver gestalten. Was immer das am Ende auch heißen mag – Corona hat der Politik jedenfalls noch mal deutlich vor Augen geführt, dass man für eine „bewegte und gesunde Gesellschaft“ die entsprechenden Rahmenbedingungen herstellen muss.

Welcher Sport?

Mittlerweile ist sowohl im Sport wie in der Politik die Rede von einer dringend notwendigen Ausrichtung des deutschen Sports im gesamtgesellschaftlichen Kontext. Soll heißen: Wir müssen erst mal wissen, welchen Sport wir in dieser Republik haben wollen. Um diese Diskussion hat man sich bisher gedrückt: Der Bund, weil ihm für die Förderung mit Steuermittel an manchen Stellen nun die letzten Argumente (etwa Vorbildfunktion des Spitzensports) ausgehen. Und der Sport, weil er sich dann ehrlich machen muss: Staatlich geförderter Spitzensport, der erfolgreich sein soll und im modernen Gladiatorengeschäft mithalten will, wird nicht nach Gießkannenprinzip und Vielfaltansprüchen funktionieren. Für Medaillen wird man sich – so sah es die Reform ursprünglich mal vor – auf bestimmte Sportarten konzentrieren müssen. Wer aber gleichzeitig die Sportvielfalt erhalten will, muss den Verbänden, die aus dem Spitzenbereich raus müssen, den nichtolympischen Sport und den Breitensport mit den olympischen Sportarten in seiner Bedeutung und Mitbestimmung gleichstellen. Und auch finanziell entsprechend ausrüsten.

Dafür braucht es aber zunächst eine gesellschaftliche Diskussion. Die ein mutiger, dynamischer und kreativer DOSB jetzt unverzüglich anstoßen muss – mit Konzepten und Ideen. Denn: „Wer zu spät kommt, den bestraft…“