Zwischen Sport treiben und Sport engagieren

LSB Berlin: Erfolgreiche Arbeit und Rekord-Mitgliedschaften

Berlin, 23. März. Während etwa Kirchen oder Parteien in der Republik über Mitglieder-Rückgänge und finanzielle Einbußen klagen, scheint der organisierte Sport zu boomen: Zumindest lassen diesen Rückschluss die ersten jährlichen Bestandserhebungen von Landessportbünden zu. So meldet der Landessportbund Berlin 781.295 Mitgliedschaften – eine Steigerungsrate von 7,08 Prozent. Oder: 51.673 Menschen sind dieses Jahr in einen der 2400 Berliner Hauptstadt-Vereine eingetreten. Fast 100.000 sind in den zwei Nach-Corona-Jahren Mitglied geworden. Während andere noch am Rechnen sind, meldet zum Beispiel auch der LSB Hessen zum Stichtag 1. Januar 2024 so viele Mitgliedschaften wie nie zuvor: 2.214.093 – im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 3,59 Prozent (76.746 Mitglieder) in dem Flächenland.

Was also sagen die Zahlen aus? Jedenfalls schon mal: Der deutsche Verein lebt und ist gefragter denn je. Und: Die Unkenrufe führender deutscher Sportfunktionäre schon wenige Wochen nach  Beginn der Pandemie, der deutsche Vereins-Sport sei dem Untergang geweiht, wenn nicht stante pede Geld rübergeschoben werde, war eben nur lautes Gequake im Chor der Schlange stehenden Möchtegern-Krisengewinnler.

Rekorde: Beim LSB, der in diesem Jahr auch sein 75jähriges Bestehen feiert,   herrscht deshalb gute Stimmung, aber man behält Bodenhaftung. LSB-Präsident Thomas Härtel, der auch während er Corona-Krise Vertrauen in Vereine und Vereinsmitglieder setzte, freut sich über die positive Entwicklung in seinem Verband. Und mancher im LSB hofft, dass man im nächsten Jahr die 800.000 Mitgliedschaften erreicht.

Woran liegt also nun der Erfolg, der in nüchternen Zahlen so aussieht?

20,15 Prozent aller BerlinerInnen sind im Sportverein“, sagt LSB-Sportdirektor Friedhard Teuffel. 45.813 Kinder bis sechs Jahre (Zuwachs von 7,3 Prozent), 189.279 Jugendliche bis 18 Jahre (5,2 Prozent mehr) und 106.248 junge Menschen (Zuwachs 19 Prozent) bei den 19- bis 26-Jährigen sind nun Vereinsmitglieder.

Frauen steigern sich

Obwohl mehr Männer und männliche Jugendliche (28.377) den Weg in die Vereine gefunden haben, sind die Frauen und weiblichen Jugendlichen gut dabei: Sie steigerten sich gegenüber dem Vorjahr von 6,13 Prozent auf 8,59 Prozent (22.799).

Fußball ist auch in der Hauptstadt der größte Verband: 12,06 Prozent Zuwachs ( 230.733 Mitgliedschaften) vor dem Berliner Turn-und Freizeitsport-Bund mit 101.410 Mitgliedschaften (plus 7,44 Prozent) und dem Deutschen Alpenverein (31.267).

Weitere Analyse

Monate lang erstellten, ordneten und sortierten der LSB-Abteilungsleiter Finanzen, Jens Krüger und Enrico Buchholz, Referatsleiter Verbands- und Vereinsservice, zusammen mit zwei weiteren Mitarbeitern die Zahlen. „An weiteren Analyse arbeiten wir noch“, sagt Krüger.

Etwa daran, wie sich der Zuzug nach Berlin oder die Rolle als Universitätsstadt in der Mitgliederstatistik auswirken. Oder wie viele Geflüchtete aus der Ukraine in einen Verein eingetreten sind.

Es ist nicht übertrieben, wenn Präsident Härtel sagt: „Die Berliner Sportvereine sind für viele Menschen ein essenzieller Teil ihres sozialen Lebens. Dort geht es um Gemeinschaft, um menschliches Miteinander. Natürlich auch um Leistung, Gesundheit und vor allem Lebensfreude.“

Mehrwert erkannt

Im größten Landessportbund der Republik, dem LSB Nordrhein-Westfalen, dessen Mitgliederzahl mit fünf Millionen seit Jahren sehr stabil ist (die neueste Erhebung liegt wegen eines neu eingeführten Online-Programmes noch nicht vor), antwortet Vorstandsvorsitzender Christoph Niessen auf die Frage, ob die Menschen die Arbeit der LSB nicht nur sportfachlich, sondern auch gesamtgesellschaftlich würdigen und mit ihren Angeboten den Zusammenhalt stärken so: „Rein subjektiv kann ich sagen, dass ich den gesellschaftspolitischen Mehrwert der Sportvereine von vielen Menschen gewürdigt oder wenigstens erkannt sehe. Das gilt insbesondere für Eltern, die ihre Kinder in Sportvereine schicken.“ Es folgt ein aber: „Probleme sehe ich eher beim mangelnden Verständnis vieler Menschen dafür, dass die von Sportvereinen erbrachten Leistungen trotz Ehrenamt und staatlicher Förderung auch Geld kosten. Die Zahlungsbereitschaft der Menschen für Sportvereinsangebote ist – vom organisierten Sport durchaus selbst verschuldet – leider deutlich zu gering, bei gleichzeitig überbordenden Ansprüchen an Umfang und Qualität des Vereinsangebotes.“

Ändert sich das eventuell gerade? Es liegt vielleicht an Krisenzeiten, der Unsicherheit sowie Ängsten, die viele Menschen begleiten, dass sie plötzlich im Verein etwas suchen, was ihnen ansonsten im Alltag abhanden gekommen ist: Der Teamgeist, das ‚Einer für alle, alle für einen.‘ Der Spruch war für manche einer aus der sportlichen Mottenkiste, aber auf einmal entdecken sie einen Sinn darin – Sport als sozialer und empathischer Krisenmanager. Ob Jugendliche oder SeniorInnen – die meisten sehen in ihrem regelmäßigen Vereinsbesuch viel mehr als nur in Bewegung zu bleiben. Man entdeckt vermeintlich verstaubte Werte wieder.

Sensibel für Inklusion

Ich freue mich sehr, dass wir diese Zuwächse nach Corona aufweisen können. Der positive Trend aus dem Vorjahr setzt sich in den ersten drei Monaten dieses Jahres fort“, sagt Öczan Mutlu, Präsident des Behinderten- und Rehabilitations-Sportverbandes Berlin. Besonders freut sich der ehemalige Sprecher der Grünen-Fraktion im Bundestags-Sportausschuss, dass sein Verband besonders für Jugendliche und Senioren attraktiv ist. Von den 1.500 neuen Mitgliedern ist die Hälfte aus der Altersgruppe unter 18 und die andere Hälfte über 60 – Generationenzusammenführung der anderen Art. Mutlu begründet das so: „Die Sensibilität der Jugendlichen für Inklusion ist spürbar gewachsen, und der Rehasport sowie Gesundheitssport bei älteren Bevölkerungsgruppen gefragt.“

Unverzichtbar

In Berlin jedenfalls hat es der LSB seit Jahrzehnten geschafft, sich nicht nur sportfachlich, sondern auch gesamtgesellschaftlich unverzichtbar und erfolgreich in die Stadtgesellschaft einzubringen. Die Balance zwischen Sport treiben und sich als Sport zu engagieren ist gelungen, was viele Beispiele zeigen. Wie auch bei der Pressekonferenz VertreterInnen zweier Projekte belegen: Die Berlin Tiger Basketballer aus Kreuzberg können sich vor Mitgliedern kaum retten: Wer eintreten will, muss auf eine lange Warteliste.

Was sagt uns das? Nicht nur dass der Weltmeister-Titel der Basketballer und die Erfolge der Basketballerinnen manches Kind zum Korb treibt, sondern dass Vorsitzender Maximilian Schmidtke und Sportwart Philip Aigner offensichtlich Superarbeit leisten und originelle Angebote kreieren. Und auch der Verein „Sportkinder Berlin e.V“ versucht Jungen und Mädchen in verschiedenen Bezirken und Kiezen über den Sport zu erreichen und nicht nur körperlich zu motivieren gemäß ihrem Motto: „Bildung braucht Bewegung.“ Dass Lucia und Sabrina da engagiert bei der Sache sind, wird in ihren begeisterten Schilderungen über ihre Arbeit mehr als deutlich.

Fördervertrag gibt Planungssicherheit

Der Berliner Senat weiß, was er am Landessportbund hat – mal mehr, mal weniger. Die Wertschätzung heute wird auch daran deutlich, dass man nun mit dem Senat einen Fördervertrag unterschrieben hat. „Die Vereine und Verbände und ihre Mitglieder beweisen tagtäglich, was sie leisten können. Dementsprechend wichtig ist die Förderung des Sports. Die Unterstützung des Senats ist ein Grundpfeiler dafür und die neue Fördervereinbarung, die uns auf sechs Jahre mit einem Sockelbeitrag von elf Millionen Euro (insgesamt 66 Mio. Euro, d. Red.) Planungssicherheit gibt, ein starkes Signal für den Sport“ sagt LSB-Direktor Teuffel. Und Härtel ergänzt: „Planungssicherheit erleichtert uns die Arbeit.“

Workshop mit dem Regierenden

Trotz allem Positiven. Da gibt es dann doch die negativen Dauerbrenner: Marode und zu wenig Sportstätten, Ärger um Hallen-Belegungszeiten. Digitalisierung wäre das Zauberwort. „Es fehlt eine klare überbezirkliche Planung im Bereich Sportstätten“, sagt Härtel über ein altes Problem – und hofft auf den ersten Schritt zur (Ver-) Besserung bei einem Workshop mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegner und Sportsenatorin Iris Spranger.