Koalitionsvereinbarungen: Ein Sportentwicklungsplan und mehr Transparenz
Berlin, 24. November. Nun also ist es raus, was uns mit der neuen Regierung erwartet. Das Koalitionspapier unter dem Titel „ Mehr Fortschritt wagen- Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ beschreibt auf 177 Seiten in welche Richtung die Republik nun gesteuert wird. Dem Sport haben die Koalitionäre von SPD, Grünen und FDP eine Seite gewidmet. Die ganz großen Überraschungen blieben aus. Und es tun sich Fragen auf.
„Ganzheitlich“ soll der Sport betrachtet werden: So kann man den „Entwicklungsplan Sport“, den die Koalitionspartner in dem Papier vorstellen, wohl interpretieren: Dieser sieht vor, die Investitionsoffensive für fehlende und sanierungsbedürftige Sportstätten von Kommunen und Vereinen unter Beachtung von Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und Inklusion auszuweiten. Besonders Schwimmbäder sollen bei der Förderung stärker berücksichtigt werden: Schließlich ist der seit Jahrzehnten andauernde Aufschrei, dass immer weniger Kinder schwimmen können, in letzter Zeit sehr laut geworden. Und deshalb ist die Politik hier gefordert. Die Pandemie und deren Folgen für den Breitensport haben die Koalitionäre besonders im Blick. Was soviel heißt: Hilfen werden gewährt werden, während und nach Corona.
Nur ein Anhängsel
Sport im Kanzleramt. Sportministerium. Sport- und Kultur unter einem Dach. Spekulationen machten die Runde nicht nur in den Mitgliedsorganisationen, dass der Sport nicht mehr im Bundesinnenministerium angedockt werden könnte. Weil er da nur ein „Anhängsel“ sei. Ähnlich wie die Kultur, so hoffte mancher, wäre der Sport an höchster Stelle gut aufgehoben. Das war wohl mal wieder Selbstüberschätzung über die Bedeutung des organisierten Sports in der Republik.
Also alter Platz, aber neue Sportministerin. So ist vermutlich Christine Lambrecht (SPD), die als Chefin des Innenressorts im Gespräch ist, die künftige Ansprechpartnerin für den Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seine Mitgliedsorganisationen, wenn es um Sportbelange geht, die den Bund betreffen. Hauptsächlich den Spitzensport. Hier sollen eine „unabhängige Instanz zur Mittelvergabe sowie ein Transparenzportal“ eingerichtet werden, heißt es in dem Papier. Moment? Was heißt das? Wer soll die unabhängige Instanz sein? Innerhalb oder außerhalb des Ministeriums? Heißt das: Auslagerung nun doch der Spitzensporttruppe? Ist sie dann die letzte und entscheidende Instanz? Wie ist sie besetzt? Die nebulöse Formulierung läßt zu wünschen übrig und bietet viel Interpretationsspielraum
Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass mit den Nachbarn in Österreich in Sachen Spitzensport in letzter Zeit im BMI ein reger Austausch herrscht. Die Österreicher haben sich über ihre Bundes-Sportförderung so ihre Gedanken gemacht, die nun in der Bundes-Sport GmbH mündeten. Über so ein Modell denkt man im BMI, und auch der scheidende parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer offensichtlich intensiv nach. Nicht mehr Britannien, nicht mehr die Niederlande sind nun Vorbild, sondern Tu Felix Austria. Also scheinen sich einige hinter den Kulissen schon ein genaues Bild gemacht zu haben, wie das mit dem deutschen Spitzensport künftig laufen soll. Da der DOSB mit sich selbst beschäftigt ist, kann man gespannt sein, was aus der „unabhängigen Instanz“ dann wohl so wird. Und was die neue Regierung wirklich vor hat.
Auch das Potenzialanalyse-System (PotAS) soll evaluiert und mit dem Ziel von mehr Effektivität und Entbürokratisierung weiter entwickelt werden. Damit könnte die Sportförderung für alle besser nachvollziehbar, aber auch kontrollierbarer werden.
Mehr Mitwirkungsrechte
Die AthletInnen erwartet nicht nur bessere Rahmenbedingungen, sondern auch eine Stärkung ihrer Mitwirkungsrechte durch die dauerhafte Finanzierung des Vereins Athleten Deutschland e.V. Auch mit ihrem Konzept für ein unabhängiges Zentrum für Safe Sport findet Athleten Deutschland Gehör. Die Athletenorganisations hat es in wenigen Monaten erarbeitet und viel gesamtgesellschaftliche Anerkennung dafür bekommen. Die neue Bundesregierung will den Aufbau unterstützen und damit gegen Gewalt aller Art im Sport vorgehen.
Zusätzlich soll ein Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport aufgelegt werden. Die Koalition will die Datei „Gewalttäter Sport“ im Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz reformieren und die Koordinationsstelle Fanprojekte stärken.
Sportgroßveranstaltungen unter UN-Leitlinien
Ein Strategiepapier für Sportgroßveranstaltungen, an dem das BMI seit 2019 arbeitet, federführend der parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer und sein DOSB-Pendant, der Noch-Vizepräsident für Personal und Finanzen im DOSB, Kaweh Niroomand gearbeitet hatten, war in einer Anhörung im Sportausschuss des deutschen Bundestages vorgestellt worden. Und wurde heftig kritisiert, nicht zuletzt weil viele Fragen zum Thema Nachhaltigkeit, aber auch zu Compliance, nicht beantwortet wurden. Das soll nun alles anders werden. Die künftigen Regierungsparteien kündigen an: „Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen sollen strikt an die Beachtung der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte und Nachhaltigkeit geknüpft sein.“ Auch dazu gäbe es die eine oder andere konkrete Nachfrage. Und aus Fehlern der Vergangenheit haben zumindest offensichtlich die PolitikerInnen gelernt: Bewerbungen für Olympische und Paralympische Spiele nur mit rechtzeitiger Beteiligung von Bürger und Bürgerinnen.
Öffentlich tagen
Bleibt abzuwarten, wie was durch- und umgesetzt wird. Etwa wenn es um Klimafragen geht: Auch da müssen Sportverbände und vor allem viele Sportarten auf den Prüfstand. Auf den ersten Blick scheint sich die Ampelkoalition in der Sportpolitik in die richtige Richtung zu bewegen. Die Frage ist, wie lange sie der der Sport-Lobby widersteht, wenn die mit Forderungen auf sie zustürmt.
Vielleicht wird die Öffentlichkeit ja in Zukunft mehr mitbekommen, wie Politik in Sachen Sport agiert – etwa im Sportausschuss des Deutschen Bundestages. Die Koalitionsfraktionen wollen die Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages reformieren. Unter anderem sollen dann auch Ausschüsse öffentlich tagen und Sitzungen in Echtzeit übertragen werden sowie Protokolle veröffentlicht werden, die nicht unter die Geheimhaltung fallen.
Hier der Auszug zum Sport aus den Koalitionsvereinbarungen:
Sport lebt vom Ehrenamt, stärkt den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ist Mittler für demokratische Werte. Wir erarbeiten unter breiter Beteiligung einen „Entwicklungsplan Sport“ und weiten die Offensive für Investitionen in Sportstätten von Kommunen und Vereinen unter Beachtung von Nachhaltigkeit, Barrierefreiheit und Inklusion aus und berücksichtigen insbesondere Schwimmbäder stärker. Bei der Sportförderung berücksichtigen wir den besonderen Bedarf von Behindertensport. Wir fördern den Neustart des Breitensports nach Corona weiter.
Die Sportförderung des Bundes knüpfen wir an die Einhaltung von Förderrichtlinien mit Zielvorgaben, Vorgaben zu Transparenz, Good Governance und die Qualifikation von Leistungssportpersonal. In der Spitzensportförderung richten wir eine unabhängige Instanz zur Mittelvergabe sowie ein Transparenzportal ein. Das Potenzialanalysesystem (PotAS) evaluieren wir und entwickeln es mit dem Ziel von mehr Effektivität und Entbürokratisierung weiter. Wir schaffen bessere Rahmenbedingungen für den Spitzensport. Die Mitwirkungsrechte der Athletinnen und Athleten stärken wir durch die dauerhafte Finanzierung der Vereinigung Athleten Deutschland e.V.
Um den Kampf gegen physische, psychische und insbesondere sexualisierte Gewalt im Sport zu verbessern, unterstützen wir den Aufbau eines unabhängigen Zentrums für Safe Sport. Wir legen ein Bundesprogramm gegen Rechtsextremismus und Menschenfeindlichkeit im Sport auf.
Dopingprävention fördern wir stärker, verbessern die internationale Zusammenarbeit und arbeiten die Dopingvergangenheit Deutschlands mit Forschungsprojekten auf. Das Nationale Konzept Sport und Sicherheit wird weiterentwickelt. Die Datei „Gewalttäter Sport“ wird in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit, Löschfristen, Transparenz und Datenschutz reformiert.
Zur Unterstützung der Fankultur wird die Koordinationsstelle Fanprojekte gestärkt.
Vergabe und Ausrichtung von internationalen Sportgroßveranstaltungen sollen strikt an die Beachtung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte und Nachhaltigkeit geknüpft sein. Wir werden die Special Olympics 2023 in Berlin und die Fußball-Europameisterschaft der Männer 2024 sowie zukünftige Bewerbungen für Sportgroßveranstaltungen aus Deutschland wie Olympische und Paralympische Spiele unterstützen, die von diesen Grundsätzen getragen sind und die Bevölkerung rechtzeitig einbeziehen.