Sport, Kultur und ein Ministeriumsdach

Wannseegespräch: Erhard Grundl (Grüne) über alte Probleme und neue Ideen

Berlin,12./13.März. Anstatt Frühlingserwachen gab es in letzter Zeit für den deutschen (Spitzen-) Sport eher ein böses Erwachen. Der Grünen-Politiker Erhard Grundl, Mitglied des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, spricht von „katastrophal“, wenn er die Ereignisse der letzten Wochen zusammenfasst. Beim Wannseegespräch wegen der Pandemie auf Distanz zum Gewässer und zum Gesprächspartner geht es aber nicht nur um ein weiteres „Aus“ eines deutschen Olympia-Bewerbungsversuches, ein verunglücktes Strategiepapier („sehr enttäuschend“) für Sportgroßveranstaltungen, fordernde und sich vordrängelnde Funktionäre, eine Impfdiskussion und die Frage, ob aus den verschobenen Spielen von Tokio nicht die verlorenen Spiele werden. Sondern auch um neue Ideen.

Die Pandemie verlangt vor allem PolitikerInnen derzeit Höchstleistungen ab – sie hetzen von Krisensitzung zu Krisensitzung, von Bürgerbesänftigung zu Impffototermin. Manche wirken atemlos, andere gelassen. Zur letzteren Kategorie gehört Erhard Grundl, der diese Gelassenheit vermutlich seinen niederbayerischen Genen zu verdanken hat. Der bayerische Komiker Karl Valentin würde die Lageanalyse des deutschen Sports wohl mit seinem  philosophischen Satz beschreiben:  „Hoffentlich wird es nicht so schlimm, wie es schon ist.“ Die neuerliche olympische Bewerbungs-Pleite kommentiert der Politiker Grundl „als absolut katastrophal, vor allem die Art und Weise, wie das abgelaufen ist. Das war eine richtige Klatsche für den DOSB, den gesamten deutschen Sport und Armin Laschet. So kann man kein Vertrauen in der Öffentlichkeit wiederherstellen. Da würde man am liebsten den Reset-Knopf drücken.“

Die Anderen

In Krisenzeiten suchen Intelligente nach Lösungen, Idioten nach Schuldigen“ sagte der geniale Loriot. Also: Wer sollte den Knopf drücken, wenn die Verantwortlichen offensichtlich davon überzeugt sind, dass sie alles richtig gemacht haben und die anderen am Fiasko Schuld sind? Da der Sport – dort die Anderen. Diese Haltung ist einer Reihe von FunktionärInnen im Profisport, besonders im Fußball in Fleisch und Blut übergegangen: Fordern, provozieren, nölen – bis die Privilegien da sind. Und da ist nicht nur vom FC Bayern die Rede. „Ja, das sind schon problematische Aussagen, vom Auftreten gar nicht zu reden. Natürlich bringt man mit solchen Aktionen die Leute und besonders die Fans gegen sich auf. Das Image des Profisports wird durch diese „Lautsprecher“ sicher nicht gefördert. Aber die Menschen können das schon richtig einordnen. Im Bezug auf den Profifußball glaubt die Mär von den „elf Freunden“ auf dem Platz ja sowieso schon lange keiner mehr. Da wissen alle, dass es um Geschäft und Geld geht.“

A propos. Grundl ist auch Mitglied im Kulturausschuss. Frage also: Nun dürfen die Profis in Ballsportarten Turniere und Ligen spielen, Spitzensportler bei Wettbewerben antreten. Kulturschaffende sind nahezu alle mit einer Art Berufsverbot belegt, kaum Auftritte – und wenn, dann meist nur per Internet. Werden denn da die Sportprofis im Verhältnis zu den Kunstprofis nicht ungerecht behandelt?

Die Pandemie verstärkt in beiden Bereichen bestehendes Ungleichgewicht. Das Problem sehe ich auch weniger bei den Profis als mehr bei der Basis. Im Sport werden wir wahrscheinlich sehen, dass nach der Pandemie die Menschen in Scharen Sport treiben werden, allein um sich gesund zu halten. Da werden die Vereine wieder einen großen Zulauf bekommen“, sagt Grundl. „In der Kultur werden auch die großen Häuser, also Theater, Museen, Opernhäuser wieder gut besucht sein. Aber ob das kleine Kulturprojekt, die Soloselbstständige oder der Veranstaltungstechniker noch da sein werden oder sich aus finanziellen Zwängen anderen Dingen widmen mussten und somit quasi die kulturelle Basis wegbricht wird sich zeigen, beziehungsweise ist leider zu befürchten.“

Tokio mediales Ereignis

Die Zukunft war früher auch besser“, um nochmal den bayerischen Volksphilosophen Valentin zu bemühen. Wie sieht die Zukunft der Tokioter Spiele aus, Herr Grundl? „Ich denke, ja, sie werden stattfinden. Allerdings weitgehend ohne Zuschauer – als reines mediales Ereignis. Dies liegt aber vor allem daran, dass sich das IOC im letzten Jahr so schnell auf nur ein Jahr Verschiebung festgelegt hat, obwohl es absehbar war, dass die Pandemie nicht nach einem Jahr einfach vorbei sein wird. Jetzt müssen die Spiele nach IOC-Logik vor allem aus finanziellen Gründen wie auch immer durchgezogen werden.“

Am Mittwoch ist Thomas Bach nochmal für vier Jahre mit einem nahezu Politbüro-ähnlichen Ergebnis wieder zum Ober-Olympier gewählt worden. Die Huldigungen der IOC-Mitglieder – wie schon bei seiner Ankündigung, sich nochmal zur Wahl zu stellen -, waren peinlich für alle Beteiligten.

Das IOC ist ein Laden, der wirklich aus der Zeit gefallen ist. Auch Bachs Auftritt bei den Tagesthemen war wie aus einer anderen Welt. Er, der sich gerne als Friedenspolitiker und Friedenstifter feiern lässt – wenn es gerade in die Argumentationskette passt –, will an diesem Abend das IOC und den Sport als unpolitisch verkaufen und damit der Frage von Moderatorin Caren Miosga ausweichen, wie es denn etwa um die Verantwortung des IOC im Zusammenhang mit Menschenrechtsfragen bei den anstehenden Winterspielen in Peking steht. Dass er mit der Bestellung von chinesischem Impfstoff für das IOC einen Tag später  nun doch wieder politisch agiert….. Die eigenwillige Sicht von Politik und Sport des Thomas Bach überrascht Beobachter kaum.

Olympische Alltagsarbeit

Aber runter vom Thron, rein in die schnöde olympische Alltagsarbeit. Was muss das IOC jetzt vor Tokio noch tun, wo es zum Beispiel darum geht, ob man geimpft sein muss, wenn man antreten will? Bach sagt, es gibt keine Impfpflicht. Was wird die japanische Regierung fordern? In vielen Ländern gibt es gar keinen Impfstoff oder zu wenig (siehe Deutschland). Wenn die Japaner als Einreise- bzw. Teilnahmebedingung eine Impfung von den AthletInnen verlangen, was passiert dann? Offensichtlich sorgt Bach vor. Das IOC kauft von seinen chinesischen Freunden Impfstoff, den der DOSB mit Dank ablehnt: Man wolle für die Aktiven nur einen in Deutschland zugelassenen Impfstoff. Was, so die Frage an den Bundestagsabgeordneten muss denn jetzt dringend passieren?

Grundl: „Das IOC wird gefordert sein, ein umfassendes Konzept vorzulegen – und zwar bald. Eine bevorzugte Impfung der AthletInnen lehne ich ab, und ich glaube, die meisten AthletInnen selber auch. Da sind die schon bodenständiger als so mancher Funktionär.“

Aber so langsam muss man ja mal in die Puschen kommen mit einer Entscheidung – zumindest wenn man an die AthletInnen denkt, die unter Hochspannung stehen, wie es denn nun werden wird. Für sie gilt auch ein Valentin-Spruch: „Zuerst warte ich langsam, dann immer schneller“ – vor allem, wenn einem die Zeit davonrennt.

Ach ja: Zeit. Nun ist fast eine Legislatur rum, Ihre erste, Herr Grundl. Ziehen Sie doch bitte schon mal ein Fazit – es sind ja nur noch ein paar Monate bis zur Wahl – generell und besonders von Ihrer Arbeit im Sportausschuss. Ein sportpolitischer Schwerpunkt war die Leistungssportreform, wo viel Steuergeld hineingeflossen ist, und die bisher eine Unvollendete blieb. Nicht umsonst sind ja die Grünen hier in Sachen Evaluierung (auch die Linken machen sich dafür stark) und Transparenzportal aktiv geworden.

Ein bisschen früh

Für ein endgültiges Fazit der Legislatur ist es noch ein bisschen früh, dafür gibt es noch eine Menge zu tun. Zumal man die Legislatur, glaube ich, zweigeteilt sehen muss: Einmal vor der Pandemie und dann während der Pandemie. Feststellen lässt sich für mich allerdings jetzt schon, dass es für die Zukunft des Landes keine gute Legislatur war. Im Klimaschutz, bei der Verkehrswende, in der Landwirtschaft ist einfach zu wenig passiert. SPD und CDU/CSU waren vor der Pandemie und dann leider auch noch währenddessen mehr mit sich selbst beschäftigt als mit den Zukunftsaufgaben des Landes“, so der Allgemeinpolitiker Grundl. Was sagt der Sportpolitiker? „Im Sportausschuss haben wir gesehen, dass das BMI zusammen mit dem DOSB mit der Begründung der Leistungssportreform den Etat immer mehr aufgeblasen hat, aber am Ende die Reform davon nicht angetrieben wurde, sondern meiner Wahrnehmung nach jetzt brach liegt. Was mit diesem Geld am Ende passiert oder wo genau die Mittel landen, ist leidet auch in dieser Legislatur nicht transparenter geworden. Daher auch unser Antrag für ein Transparenzportal. Denn der steuerfinanzierte Spitzensport kann und wird in diesem Land nur wieder breite Akzeptanz finden, wenn auch klar ersichtlich für jeden ist, wo und warum da Steuergeld fließt.“

Mehr Gehör

Aber nicht alles war und ist beklagenswert. „Positiv finde ich, und das zeigt, dass es nicht immer mehr Steuergeld braucht, dass die AthletInnen in Deutschland jetzt das Heft selbst in die Hand genommen haben und mit Athleten Deutschland e.V. in kürzester Zeit eine Institution geschaffen haben, die die Sportpolitik in diesem Land vorantreiben kann und deren Meinung jetzt zum Glück mehr Gehör findet. Wie man große Sportprojekte mit Begeisterung vorantreiben kann, haben in dieser Legislatur die SOD (Special Olympics Deutschland, Red.) gezeigt und damit die World Games 2023 nach Deutschland geholt“, freut sich der Grüne.

Der würde, wenn es „meine Fraktion möchte und ich auch ein Mandat bekommen werde“, wieder gerne im Sportausschuss mitarbeiten. Und da hätte der 58-Jährige auch schon so einige überraschende Ideen. Und das Beste hebt er sich dann bis zum Schluss des Gesprächs auf: Mann sollte auch mal über den bundesdeutschen Tellerrand schauen, etwa nach Österreich. Dort ist „es gelungen, die Sportpolitik und die Kulturpolitik aus ihren bisherigen Häusern/Ministerien zu ziehen und unter einem gemeinsamen „Dach“ neu aufzustellen.Überlegungen in diese Richtung anzustellen, hätte auch bei uns den Vorteil, dass alte Denk-und Verhaltensmuster gerade in der Sportpolitik aufbrechen könnten.“ 

Die Schnappatmung auf den Führungsetagen im BMI und DOSB kann man angesichts des Vorschlags schon hören. Neue (Spitzen-) Sportwege einzuschlagen, wäre dringend nötig. Aber werden PolitikerInnen  die breitgetretenen Trampelpfade  verlassen, wenn die Sport-Lobbyisten wieder über sie hereinbrechen? Die jahrzehntelange Erfahrung sagt: Nein. Sie wollen ein Stückchen vom olympischen Glanz und ihre Ruhe, die man sich mit Geld schnell verschaffen kann. So soll denn der Komiker Valentin auch das letzte Wort haben: „ Mögen täten wir schon wollen, aber dürfen haben wir uns nicht getraut.“