Schweinezyklus

Anhörung im Sportausschuss des Bundestages zur kommunalen Sportstätten-Förderung

Berlin, 27. März. Schulsporthallen, in denen Deckenplatten ein Eigenleben entwickeln und völlig losgelöst zu Boden donnern. Bröckelnder Verputz an der Außenfassade oder vergammelte Holzverkleidungen, durch die Wasser in die Wände dringt, sodass sich in der Halle und den Umkleidekabinen gefährlicher Schimmel bildet. Vergammelte Sanitäranlagen, holprige Fußballfelder, oder durch Sommerhitze mit Asphalt- oder Kunststoffblasen übersäte Plätze. Vermooste Schwimmbecken mit zerschlagenen Kacheln. Ungenutzte, vor sich hin verfallende Sprungschanzen und Trimmpfade – Sportstätten in Deutschland 2021. Viele BürgerInnen kennen die Probleme aus eigener Anschauung.

Mit der Förderung kommunaler Sportstätten hat sich der Sportausschuss des Deutschen Bundestages beschäftigt. Die Linken hatten diese öffentliche Anhörung beantragt. Lobbyisten und Sachverständige waren sich einig, dass der Sanierungsbedarf groß ist, man aber neue Wege einschlagen müsse.

Seit Jahrzehnten wird über den Sportstättensanierungsstau lamentiert und gestritten. Während es bei Sanierungen von Spitzensportanlagen – etwa Skisprungschanzen, Bob- und Rodelkanäle oder Biathlonanlagen, die meist nur von der Sportelite genutzt werden können, relativ zügig bei Mittelfindung und freigabe für Sanierungen oder Neubauten funktioniert, wird bei sanierungsbedürftigen „Sportanlagen für alle“ gezaudert, verschoben – manchmal so lange, bis es sich gar nicht mehr lohnt, einen Sack Zement zu verbauen. Natürlich wirken Spitzensportanlagen auch als Treiber für die Förderung von Wirtschaft und Tourismus, da liegt das Geld vielleicht lockerer in der Hand der Politik.

31 Milliarden Bedarf

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB), der Deutsche Städtetag und der Deutsche Städte- und Gemeindebund schätzen den Sanierungsbedarf für Sportstätten auf etwa 31 Milliarden Euro. Wie man genau auf die Zahl kommt, was man unter dem Begriff Sanierungsfall aufnimmt, ist nicht klar. 231 000 Sportstätten (inklusive vereinseigener Anlagen, die mittlerweile ein Viertel des Bestandes ausmachen) sowie rund 350 000 Kilometer Reitwege, Laufstrecken oder Loipen usw. seien darin inbegriffen.

Es gibt seit Jahren eine Reihe von Förderprogrammen des Bundes (wie „Investitionspaket Sportstätten Goldener Plan“ und Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur) und der Länder – aber diese Programme reichen offensichtlich aus Sicht des Sports nicht. Vizepräsident Andreas Silbersack sagte im Ausschuss, der DOSB würde es begrüßen, wenn die Förderprogramme des Bundes ausgebaut und fortgeführt und auch für die vereinseigenen Sportstätten geöffnet würden. Weitere inhaltliche Ideen trug er an diesem Nachmittag nicht vor.

Goldene Pläne

Goldene Pläne waren in den 1970-er, 1980-er und 1990-er Jahren die Geldquelle, um Sportstätten zu bauen oder zu sanieren. In diesem Zeitraum flossen 37,4 Milliarden Mark (ein Drittel steuerte der Bund bei). Nach der deutschen Einheit wurden über sieben Jahre für einen Goldenen Plan Ost von 1998 an 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Und auch der jetzige Bundesinnen- und Sportminister Horst Seehofer hat 2019 einen Goldenen Plan angekündigt. Seine Begründung damals: „Nur mit erstklassigen Sportstätten können wir Sport als tragendes Element der Gesellschaft erhalten.“

Viele dieser Sportstätten, die mit dem Goldenen Plan gebaut wurden, haben ihre besten Zeiten hinter sich. Und die Frage lautet: Wie konnte es so weit kommen? Professor Lutz Thieme von der Hochschule Koblenz sieht eine Ursache darin, dass „viele dieser Sportstätten nicht so gepflegt wurden, wie es nötig gewesen wäre“. Was in der Praxis ungefähr so zu verstehen ist: Kleine Reparaturen, die für einen dreistelligen Betrag zu erledigen gewesen wären, wurden nicht sofort in Angriff genommen und wuchsen sich später zu einer teuren sechsstelligen Sanierung aus. Es fehlten, so der Sozialwissenschaftler, Daten darüber, ob das viele Geld, das in diesen Bereich gesteckt werde, wirklich die beabsichtigten Ziele und Wirkungen erreicht hätten. „Das ist alles relativ unklar“.

Barrieren beseitigen

Thieme warnt vor der Gefahr, in einen „Schweinezyklus“ zu geraten. Jetzt steige der politische Druck für den Bund, sich an der Sanierung zu beteiligen. Will er aber nicht in zyklischen Abständen nennenswerte Beträge für die kommunale Sportinfrastruktur aufbringen, dann müssten die strukturellen Barrieren beseitigt werden, die verhinderten, dass Kommunen und Länder in ausreichenden Maße in die Sportinfrastruktur investieren können „und auch in der Lage sind, die im gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks zur Betreibung notwendigen Betriebs- und Sanierungskosten aufzubringen.“

Kurz in Erinnerung gebracht: In den 70-er Jahren baute nahezu jede Gemeinde Schwimmbäder und Sporthallen, ohne die Folgekosten im Blick zu haben. An vielen dieser Bauten, wenn sie denn noch stehen, hängt das Schild: „Geschlossen!“ Oder sie wurden für andere Zwecke verkauft, verpachtet.

Der Vorstandsvorsitzende der Internationalen Vereinigung für Sport- und Freizeiteinrichtungen (IAKS), Robin Kähler, war sich mit Thieme einig, dass die „engen Förderinstrumente des Sports, die auf normgerechte Sportstätten ausgerichtet sind, nicht mehr ausreichen.“ Man müsse vielmehr die Menschen und ihren Bewegungsraum im Blick haben, für die man diese Anlagen baut.

Flexibilisierung ist ein Zauberwort, das manche Kommunen, aber auch Verantwortungsträger im Sport schon verinnerlicht haben. Thomas Härtel, Präsident des Landessportbundes Berlin, verweist darauf, dass nicht erst die Pandemie gezeigt habe, dass man etwa im Hygienebereich von Sportstätten Nachholbedarf habe. Altersgerecht und barrierefrei müssten Sportanlagen sein, besonders im Gesundheits- und Rehasport. Um nicht in den „Schweinezyklus“ zu geraten „müssten die Kosten für die regelmäßige bauliche Unterhaltung der Sportstätten in den Länderhaushalten berücksichtigt werden“.

Sportstätten-Atlas

Der Sportminister von Thüringen Helmut Holter (Linke), plädierte für einen digitalen Sportstätten-Atlas. Der aber nur dann Sinn macht, wenn er stets auf dem aktuellen Stand ist und kontinuierlich fortgeschrieben werden muss, will man, wie Holter es fordert, eine vernünftige Datengrundlage haben.

Entscheidend sei aber die„Investitionsoffensive für den Sport, damit Sportstätten richtig auf Vordermann gebracht werden“, so der Thüringer. Was aber heißt das?

Geht es nach Holter, dann soll es eine Förderung mit einer „90 Prozent Bund- und 10 Prozent Länder-Quote geben“. Für ihn wäre ein Zehn-Milliarden-Programm über einen Zeitraum gestreckt die Lösung, um dem Sport richtig zu helfen.

Seine Kollegin Andrea Milz aus Nordrhein-Westfalen hat gegen mehr Geld naturgemäß auch nichts einzuwenden. „Wir nehmen alles“, sagt die Staatssekretärin. Aber: Sie hat auch mit ihrer Sportförderung einen neuen Weg eingeschlagen. „Wir haben 300 Millionen an die Vereine in NRW gegeben, damit sie ihre Anlagen modernisieren und instand setzen können. Neubauten sind ausdrücklich ausgeschlossen, damit etwas am Bestand passiert“, sagt sie. Und: Die Anträge laufen in NRW über Stadt- und Kreissportbünde – ohne den Landessportbund (LSB). Die Vereine, so Milz, vor Ort wüssten am besten, wo Geld „ideologiefrei“ eingesetzt werden muss.

Gleich mit dabei

Schon seit langem fordert u.a. der Berliner LSB-Präsident, dass der „Sport bei der Planung von Sportstätten von Anfang an mit dabei sein muss.“ Ressortübergreifend.

In Köln geht man nun bei Planung und Bau von Schulsporthallen künftig diesen Weg: Der Rat hat in seiner Sitzung vom 23. März beschlossen, dass die Bedürfnisse des Vereinssports schon bei der Konzeption berücksichtigt und entsprechend eingeplant werden soll. „Die (nachhaltige) Nutzbarkeit für den Schul- und Vereinssport kann so erhöhte und benötigte Hallenkapazitäten können besser abgedeckt werden“, heißt es in einer Pressemitteilung.

Nicht nur die Kölner müssen wie andere Großstädte mit begrenzten und immer weniger Flächenkapazitäten agieren und etwa auch Schulsporthallen multifunktional auslegen. „Es müssen nicht Flächenkonkurrenzen, sondern Flächensynergien im Vordergrund stehen“, sagt der zuständige Beigeordnete für Bildung, Jugend und Sport“, Robert Voigtsberger.

Auch außerhalb der Städte, wo Vereine aus dem Land- und Dorfleben für das Miteinander und den sozialen Kitt sorgen, müssen Sportstättenplanungen heute anders angelegt sein: Vereine mit eigenen schmucken Vereinsheimen und gepflegten Plätze werden eher weniger werden. Denn viele haben seit Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen und weniger Sponsoren zu kämpfen. Vereine müssen aufgeben oder sich zusammenschließen, was oft aus alt gewachsenen Rivalitäten kaum denkbar scheint. Dennoch: Wenn man keinen eigenen Fußball- oder Handballnachwuchs hat, ist es eine Strategie des Überlebens, sich zusammenzuschließen. Was dann in Zukunft im gemeinsamen Vereinsheim oder Sportplatz enden wird. „Wir müssen die Sportstätten zukunftsfähig machen“ sagt Silbersack. Da sind sich alle einig.

Timing im Wahljahr

Energieeffizienz, Barrierefreiheit, Umweltverträglichkeit, leichte Erreichbarkeit, vielfältige Nutzung sind einige Schlagworte, die in die Zukunft weisen. Es ist ein Wahljahr, und unter diesem Aspekt ist der Zeitpunkt nachvollziehbar, ein Investitionsprogramm für Sportstätten zu fordern. Aber unter Pandemie-Aspekten und angesichts der Milliarden Schulden, die die Republik nun schon hat, scheint das Timing schlecht gewählt. Natürlich ist Sporttreiben zu ermöglichen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, wie Alex Mommert, Sportreferent des Deutschen Städtetages, sagt. Aber das galt vor der Pandemie auch schon. Und danach sind erst einmal die Kommunen gefordert, auch ihren Vereinen schnell wieder – unbürokratisch – mit regionalen Aktionen auf die Beine zu helfen. Auch Sanierungen dauern in Deutschland bekanntlich länger als anderswo. Und den Sanierungsstau gab es auch schon bevor COVID-19 unser aller Leben auf den Kopf stellte.

Die Anhörung zeigte deutlich, dass es mit Geldforderungen alleine nicht getan ist. „Man muss Zielvorstellungen klar formulieren und Transparenz herstellen“, sagt Thieme. „Ansonsten sehen wir uns in dreißig Jahren zum selben Thema wieder hier.“ Und Härtel betont, man müsse die Kommunen, anders als in der Vergangenheit, auch auf baulichen Unterhalt und damit auf den Werterhalt der Anlage verpflichten.