DOSB-Präsident Hörmann zeigt die Rote Karte

Mitgliederversammlung beschäftigt sich mit Integrität / Seehofer verspricht neuen Goldenen Plan und führt seine Sport-Abteilung vor

Berlin/Frankfurt, 8.. Dezember. Wer am Samstag die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) in Frankfurt im Livestream und parallel dazu den SPD-Parteitag in Berlin verfolgte, wusste manchmal nicht genau, wem er da zusah. Zwei für die Öffentlichkeit inszenierte Spektakel, die vermitteln sollen, dass alle mitreden und in den Entscheidungsprozess einbezogen sind. Über Integrität und Solidarität werden auf beiden Veranstaltungen große Reden geschwungen. Aber wie halten es die Protagonisten selbst damit?

Etwa der Vorsitzende der Ethik-Kommission des DOSB, Thomas de Maizière. Er zitierte wohl aus seinem ethischen Poesiealbum: „Wenn wir wollen, dass Eltern ihre Kinder in Sportinternate geben, wenn wir wollen, dass öffentliche Sportförderung Akzeptanz findet, und wenn wir wollen, dass der Sport für Leistung, Teamgeist und Integration als Vorbild dienen soll, dann muss der Sport und alles um ihn herum sauber sein.“ Kann man nur unterstreichen. Dafür braucht es aber auch Transparenz, und da muss sich der ehemalige Bundesinnenminister, der seit einem Jahr – nicht unumstritten – den Vorsitz der Ethikkommission übernahm, fragen lassen, wie er es denn damit hält. Der eher dürftige Bericht lässt viele Fragen offen.

Etwa Horst Seehofer. Der aktuelle Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat, zuständig auch für Sport, der es sich nicht nehmen lässt, selbst in Frankfurt dabei zu sein, scheint das Bedürfnis zu haben, einiges gerade zu rücken. Der selbsternannte Sportversteher rechtfertigt und erklärt den Millionen-Sportetat und weitere bundespolitische Ambitionen im (Spitzen-) Sport. Er stellt erst einmal fest, dass im großen Haus BMI die Abteilung Sport zwar klein sei, aber „ in vielfältiger Hinsicht im Mittelpunkt steht“. Und als ob das ein Beleg dafür wäre, sagt er: „Ich habe mit 168 Millionen begonnen, und nun sind wir 2020 bei 279 Millionen Euro.“

Eine Wertschätzung

Er zählt auf, wofür das Geld gebraucht wird. Ein Punkt: Die Athletenaltersversorgung, die er, der ja auch mal sozialpolitisch tätig war, als eine „Wertschätzung“ der Athleten bezeichnet. Gerade aber als ehemaliger Bundesminister für Gesundheit und Soziales müsste er wissen, was mit dieser „Rente“ für eine Elite, für die nur der Steuerzahler Beiträge entrichten soll, für ein Fass aufgemacht wird.

Der Minister redet über vieles – ohne wirklich etwas zu sagen. Und das gilt auch für die Spitzensportreform. Die hat er ja selbst mit seinem Paradigmenwechsel für obsolet erklärt. Er redet aber trotzdem darüber – denn sie muss ja als Rechtfertigung herhalten, warum soviel Steuergeld in diesen Spitzensport fließt.

Seehofers 50 Jahre lange Politikerfahrung, auf die er gerne verweist, lassen ihn elegant inhaltliche Aussagen wortreich umgehen. Er springt bei den Themen und ermüdet sein Publikum, das schnell den Überblick verliert. Und der Zuhörer schreckt zwischendurch  auf: Wo san ma groad?

Bei den Millionen für die Sportstättensanierung? Oder bei den Millionen für den Um- und Ausbau von Sportanlagen zum Beispiel für die Nordische Ski-WM 2021 in seinem Heimatland Bayern oder für die Biathlon-WM im Nachbarland Thüringen 2023? Bei den 200 Millionen für ein kommunales Förderprojekt, von dem auch Einrichtungen des Sports profitieren werden? Oder bei der neuesten Idee, einen neuen Goldenen Plan zu entwickeln, der Antworten auf „gesellschafts- und klimapolitische Fragen“ geben soll? Dies war für den DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann „die Nachricht des Tages“. Allerdings hatte man diese Neuauflage der Goldenen-Plan-Idee schon länger in der BMI-Sportabteilung. Vielleicht entspringt dieser Vorstoß des Ministers nun auch der Kooperation zwischen dem Sport- und dem Heimatminister.

Olympia – Quell der Freude

Olympia ist immer wieder ein Quell der Freude im deutschen Sport. Natürlich will man da weiter im Spiel bleiben, und Seehofer möchte sich wieder darum bemühen. Wie hatte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier bei seiner Begrüßung gesagt? „Es gab Zeiten, da haben wir uns gefreut auf Bewerbungen.“ Diese Zeiten sind lange vorbei, nicht zuletzt dank der vielen Bewerbungspleiten, an denen dilettantisch vorgehende Politiker und Sportfunktionäre ziemlich intensiv beteiligt waren. Vor allem deswegen, weil sie BürgerInnen nicht von Anfang an mitgenommen haben und über deren Köpfe eigene Interessen durchziehen wollten. Der Minister ist nun Feuer und Flamme, wäre für eine neuerliche Bewerbung bereit. Nicht zuletzt deshalb wurde auch ein Referat in der Abteilung Sport eingerichtet, dass sich mit Großveranstaltungen beschäftigen soll. Aber Seehofer sagt auch, dass die Spiele weg müssen vom Image der Kommerzialisierung. Ein frommer Wunsch. Dennoch, so der Minister: „Wir können Olympia.“

Rhein-Ruhr-City ist ganz heiß auf Olympia und will 2032 ins Rennen. Man sei mit anderen Bewerbern im Gespräch, hatte DOSB-Präsident Alfons Hörmann in seiner Rede gesagt. Wenig später, nach der Mitgliederversammlung, bekundet er, dass Hamburg sich gar nicht bewerben will und für Berlin erst 2036 interessant wäre..

Fast sentimental wird Seehofer bei einem seiner beliebten Ausflüge in die eigene leistungssportliche Vergangenheit als Handballer, wo Herz und Spaß beim Sport das Wichtigste gewesen seien. Natürlich sei der Sonntag in keiner guten Stimmung verlaufen, wenn man ein Spiel davor verloren habe. Und natürlich brauche man Erfolg. Das habe er auch mit Athletenvertretern besprochen, doch es komme besonders auf die Leichtigkeit, die Lust und die Freude und eben das Herz im Sport an. Tu felix Spitzensportdeutschland! Das Wort Medaillen nimmt Seehofer nicht in den Mund. Ihm reicht es offensichtlich schon, wenn SportlerInnen mit ihrem Auftreten ein modernes, erfolgreiches Deutschland weltweit repräsentieren. Das muss dann wohl auch als Begründung reichen für die Millionen an Steuergeld für den Spitzensport.

Vorgeführt

Ob seine Sportabteilung und deren Leiterin Beate Lohmann das auch so sehen, zweifelt der Minister offensichtlich selber an. Und steuert schnurstracks ins Fettnäpfchen. Während seiner Rede berichtet er von der ausgezeichneten Zusammenarbeit zwischen DOSB und BMI, spricht den DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann und dessen Vorstandsvorsitzende Veronika Rückert persönlich an. „Sie haben eine nachdrückliche, charmante Art, Wünsche vorzutragen, die man – denkt man an seine Lebenserwartung – schnellstens erfüllen sollte.“ Und an seine, wohl angesichts der Ausführungen ungläubig schauende Abteilungsleiterin gerichtet, führt er in seiner ihm eigenen Art weiter aus. „ Das ist der Auftrag an sie und meinen ehemaligen Büroleiter Wiemann, sie durchzusetzen.“ Und: „So werden aus Wünschen Aufträge.“ Da war doch die ganze Zeit vorher schon von Ethik, Integrität und Good Governance die Rede? Ist es charmant, die eigenen Leute öffentlich so vorzuführen?

Christina Gassner, Geschäftsführerin der Deutschen Sportjugend (dsj), die zusammen mit dem Direktor Finanzen Thomas Arnold präsentierte, was sich der DOSB unter Good Governance vorstellt, spricht von Haltung, Bouffier von Zivilcourage, die man in vielen Bereichen, aber auch gerade im Sport zeigen müsse. „Hass, Gewalt, Ausgrenzung ist keine pflichtgemäße Geschichte, die wir nebenbei machen. Überwinden wir die Gleichgültigkeit. Nur wenn wir sie überwinden, haben wir eine Chance, Fehlentwicklungen zu überwinden.“

Rote Karte

Übergriffe und Beleidigungen im sportlichen Alltag sind Probleme, die sich im Sport immer breiter machen. DOSB-Präsident Hörmann zeigt die Rote Karte all denjenigen, die sich im Sport daneben benehmen. Man werde alles tun, um das in den Griff zu bekommen, versicherte der Allgäuer und spannte den Bogen zu Dopingbekämpfung. Das Thema werde nun nach den Spielen in Rio und Pyengchang auch Tokio erreichen – und „wir werden uns vermutlich wieder mehr mit Doping als mit dem Sport beschäftigen müssen“. Eher verhalten war Hörmanns Auftritt, der relativ wenig über die Reform sagte – das überließ er dem Direktor Leistungsport Dirk Schimmelpfennig. Der versuchte, die Pseudo-Reform und deren Fortschritte so positiv wie möglich darzustellen. Hörmann konnte es sich aber nicht verkneifen, darauf zu verweisen, dass er 2013 bei dem damaligen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich – Parteifreund des jetzigen starken BMI-Mannes – bescheidene 38 Millionen mehr gefordert habe. Dieser habe aber brüsk abgelehnt. Nun ja, es folgte Thomas de Maizière, mit dem man ins Reform-Geschäft kam. Hörmann freut sich, dass man nun – zu seiner Überraschung – bei 279 statt 270 Millionen Euro sei, wie er nun vom Minister erfahren habe. „Nun müssen wir uns heute Abend auf die Suche nach den neun Millionen machen.“

 Nun mal wieder switchen zum SPD-Parteitag: Da sind die GenossInnen gerade dabei, u.a. ihren eigenen Außenminister Heiko Maas bei den Vorstandswahlen abzustrafen, dann aber wird wieder die Solidarität beschworen und es gibt Wortmeldungen.

Beim DOSB gibt es keine einzige. Und Veronika Rücker macht schon fast einen verzweifelten Eindruck, als sie vergeblich immer wieder  suchend den Blick im Plenum nach Wortmeldungen schweifen lässt. Wäre es beispielsweise nicht interessant, wie Alfons Hörmann seine Zukunft als DOSB-Präsident sieht, wenn er im nächsten Frühjahr vielleicht als hauptamtlicher Landrat tätig sein wird?

In die neue Zeit?

Integrität heißt auch, Probleme mit denen zu besprechen, die es angeht. Es gäbe so viel zu bereden im deutschen Sport. Offen im Plenum. Nicht hinter vorgehaltener Hand. Nicht nur in den Gremien. Sondern auch in der Öffentlichkeit, die diesen DOSB und seine Mitglieder finanziert. Kommunikation hat Transparenz zur Folge. Und Motivation und Engagement. Und die braucht der Sport mehr denn je, wenn er gesellschafts- und zukunftsfähig sein will.

„In die neue Zeit“ – hatten die Sozialdemokraten als aufmunternden Slogan.. Wäre für den DOSB auch kein schlechtes Motto. Aber:  neue Zeiten brechen nur dann an, wenn die ProtagonstInnen nicht nur über Integrität reden, sondern sie auch umsetzen.