DOSB im Trippelschritt und die Frage der Integrität

Mitgliederversammlung in Frankfurt am Main: Langeweile oder anregende Diskussionen / Es gäbe viel zu besprechen

Berlin, 6. Dezember. Wieder mal ein inszeniertes Schaulaufen unter dem Titel: „Der Nikolaus kommt – und mit ihm auch die Mitgliederversammlung des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB).“ Diesmal wird im Messehaus Kap Europa in Frankfurt am Main getagt. Nach der bemerkenswerten Veranstaltung im letzten Jahr in Düsseldorf, wo der Präsident der Deutschen Triathlon-Union Martin Engelhardt dem amtierenden DOSB-Präsidenten Alfons Hörmann mit einer Gegenkandidatur die Stirn bot, und damit gegen Führungsstil und inhaltliche Arbeit des Amtsinhabers seinen Protest zeigen wollte, erwarten die Delegierten diesmal wohl eher Business as usual.

Läuft, könnte man meinen, wenn man den DOSB-Geschäftsbericht von Präsidium und Vorstand liest. Aber: Auch bei dieser Mitgliederversammlung gäbe es viel zu diskutieren. Wenn man denn wollte. Und es täte. Nicht nur den Stand der Spitzensportreform. Wie verhält sich der Sport zum Beispiel zu den wachsenden Anforderungen, die nun der Klimaschutz mit sich bringen wird? Wie passen da Großveranstaltungen, etwa eine Nordische Ski-WM oder gar Olympische Spiele, ins Klima-Bild?

Die Deutschen gelten laut einer EU-Studie als dickste Europäer. Und dabei leben sie doch in der vermeintlichen Sportnation Deutschland mit dem Sportdachverband DOSB als größter Personenvereinigung. Wie bringt man die wieder in Form? Immer mehr Kinder und Jugendliche, so stellte die Weltgesundheitsorganisation fest, sind bewegungsfaul. Wie steht es um sie in Hörmanns Sportdeutschland? Fragen, mit denen man sich so schnell wie möglich ganz intensiv und öffentlich beschäftigen müsste.

Weil man ja irgendwie belegen muss, wofür man öffentliche Mittel haben möchte, wird man sich nolens volens wieder mit der Spitzensportreform befassen  müssen. Hinter verschlossenen Türen und am Samstag im Plenum. Die Reform, so wie sie einmal angedacht war und über die sich seit 2016 Sport und Politik ständig in den Haaren lagen, hat sich erledigt. Darin sind sich Insider und Beobachter einig. Spätestens seit Bundesinnenminister Horst Seehofer, der ja noch immer für den Sport zuständig ist, den Paradigmenwechsel per Zeitungsinterview verkündet hat. Das heißt: Die Spitzensportreform, die das vorhergehende Kabinett abgesegnet hatte, gibt es zwar auf dem Papier noch, aber in der Praxis eher nicht mehr. Dem Reform-Credo, einst verkündet von Hörmann und Seehofer-Vorgänger Thomas de Maizière, der nun auch als Vorsitzender der DOSB-Ethik-Kommission in Diensten des Sportbundes steht, wurde abgeschworen. Denn eigentlich sollte der Sport erst seine Reformaufgaben erledigen und dann entsprechend öffentliche Mittel erhalten. Nun bekommt der Sport mehr Millionen als je zuvor, ohne großartig zu liefern.

Große Gönner feiern sich

Haushalts-und SportpolitikerInnen inklusive Minister feiern sich brieflich und in der Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag als die großen Gönner, die dafür sorgten, dass nun nochmal weit über 30 Millionen Euro auf den Sportetat draufgesattelt wurden. Großzügigkeit fällt besonders leicht, wenn man für die vorweihnachtliche Bescherung in die Kasse der Steuerzahler greifen kann.

Besonders in der Haushaltsdebatte wurde einmal mehr deutlich, dass sich manche ParlamentarierInnen eher als LobbyistInnen und WohltäterInnen des Sports denn als Vertreter der BürgerInnen sehen. Kritische Nachfragen, wofür man das Geld ausgebe, wie der Stand der Reform denn nun sei, wie es um Transparenz stehe – Fehlanzeige. Mit dem Sport will es sich keiner verderben. Denn der strahlende Glanz von Medaillengewinnern und schöne Reisen zu Sportevents rund um den Globus machen Eindruck im Wahlkreis und sorgen für freundliche Duldung in der Sport-Community. Und hier wird Sportpolitik dann zur Farce…

Die Verantwortlichen von DOSB und BMI schachern oder verhandeln – wie immer – wieder hinter verschlossenen Türen. Von der öffentlich versprochenen „Transparenz und Klarheit“ ist man weiter entfernt denn je.

Baustellen

Baustellen über Baustellen. Es sei noch keine einzige richtig abgeschlossen, sagen Insider. Die Stützpunktfrage ist bis 2024 vertagt. Und am Ende werde man trotz oder gerade wegen der Bund-Länder-Vereinbarung an regionalen und parteipolitischen Egoismen scheitern. Auch bei vielen anderen Kernthemen, etwa Kaderzahlen, Talentsichtung oder Nachwuchsförderung, trete man auf der Stelle.

Und in Sachen Traineroffensive, die man seit 30 Jahren in vielfachen Varianten immer mal wieder in Angriff genommen hat, kommt man auch diesmal anscheinend nicht wirklich weiter. Zwar liegt ein Antrag vor, das Konzept zur „Verbesserung der arbeitsvertraglichen Rahmenbedingungen für TrainerInnen“ abzusegnen, aber geklärt ist deshalb noch lange nichts. Wie kann man den TrainerInnen-Beruf aufwerten? Zum Beispiel mit einer akademischen Ausbildung. Daran könnte man auch Bezahlung und Anstellung ähnlich wie bei Angestellten im öffentlichen Dienst anlehnen. In Düsseldorf war es nach heftigen Protesten der Verbände, die mit einer Reihe von Passagen nicht einverstanden waren, zurückgezogen worden. Nun also ein zweiter Versuch.

Viele Fragen stellen sich auch bei der Altersversorgung für AthletInnen. 2,7 Millionen Euro wurden dafür in den Haushalt gestellt, für diejenigen SportlerInnen, die nicht in öffentlichen Stellen wie Polizei, Bund oder Behörden untergebracht sind. Wer hat das beschlossen? Wie kam das Geld in den Haushalt? Auf welcher gesetzlichen Grundlage basiert diese Entscheidung, die ja eine wegweisende Grundsatzentscheidung im Sport ist? Reicht da als Argument „RepräsentantIn des Staates“? Will man mit einem Versorgungsanspruch und wachsender finanzieller Förderung dem Nachwuchs weiteren Anreiz bieten, der keine große Lust mehr hat, sich im Spitzensport zu quälen? Schafft man da nicht einen Präzedenzfall, denn es gäbe andere gesellschaftliche Gruppen ähnlich den Spitzenathleten, die sich aus Gleichheitsgrundsatz dann auf diese Entscheidung berufen können. Öffnet man nicht die Büchse der Pandora? Auch hier zeigt sich, wie Sportpolitik zur Farce wird, wenn parlamentarische Regularien einfach nicht eingehalten werden.

Resignation

Wer sich dieser Tage bei Sportverantwortlichen umhört, spürt Resignation und Ernüchterung. Das liegt nicht nur daran, dass die Verbände darüber nörgeln, dass sie wenig vom Inhalt des finanziellen Füllhorns sehen werden, das über den Sport ausgeschüttet wurde. Auch der Zwischenbericht der Potas-Kommission zu den Sommersportverbänden trägt zur Depression und schlechter Laune bei. „Potas ist am arbeiten, wenn auch unter völlig anderen Voraussetzungen als zu Beginn vorgesehen. Was dieser Zwischenbericht sollte, ist mir allerdings ein Rätsel“, sagt ein Sportdirektor. Und fügt hinzu: „Das kann man doch nicht mehr ernst nehmen. Auch wenn Potas zumindest zu besseren Strukturen und Arbeiten in den Verbänden beitragen kann, ist doch die Frage, welche Rolle  sie weiter übernehmen soll , völlig unklar.”

Das BMI hält an Potas fest. Staatssekretär Markus Kerber verweist darauf, dass man für ein Reformvorhaben einen langen Atem brauche. Stimmt. Doch dann hätten die Verantwortlichen aus BMI und DOSB nicht mitten im Reformprozess die Spielregeln ändern dürfen. Neben vielen anderen Vorgaben wurde auch Potas verwässert und der Kernauftrag konterkariert, Transparenz bei der Mittelvergabe durch eine Clusterung herzustellen.

Die vermeintlichen „Meilensteine“ der Reform werden mittlerweile zu Trippelschritten und den Machern geht die Luft aus, weil sie keinen wirklichen Plan haben, diesem vielfältigen Konstrukt Spitzensport Herr zu werden.

So halten die Verantwortlichen weiter an der Geschichte von der Jahrhundertreform fest, die unter dem Titel „Die Neustrukturierung des Leistungssports und der Sportförderung“ im Märchenbuch von DOSB/BMI zu finden ist. Und gerne liest Präsident Alfons Hörmann, der sein Reformziel – nämlich mehr Geld ohne Gegenleistung – erreicht hat, daraus manchmal vor. Obwohl – in letzter Zeit ist der DOSB-Präsident weniger auf dem Sportparkett als Erzähler in Erscheinung getreten. Der geschäftige, gut vernetzte, auf vielen Hochzeiten tanzende DOSB-Präsident bereitet sich gerade auf eine neue Aufgabe vor: Er kandidiert als CSU-Landrat im Oberallgäu. Seine Wahl gilt als sicher, „denn sonst hätte er es nicht gemacht. Und hier kann die CSU einen Besen aufstellen, der wird auch gewählt“, sagt ein einheimischer Kenner. Frotzelnde Pessimisten sehen darin schon den Startschuss für eine politische Karriere, die „wenn‘s ganz blöd geht, auch noch mit einem Ministeramt im bayerischen Kabinett enden könnte“.

Integrität

Wobei man zwangsläufig bei dem spannenden Tagesordnungspunkt der Mitgliederversammlung landet, der sich dem Thema Integrität widmet. Denn viele fragen sich, wie Hörmann beide Ämter unter einen Hut bringen will – nicht nur aus Zeitgründen. Sondern, weil Interessenkonflikte schon jetzt vorhersehbar sind. Böse Zungen behaupten, das Wort Integrität sei einer Reihe von internationalen SportfunktionärInnen ebenso völlig unbekannt, wie manchen in der DOSB-Führungsetage und dem einen oder anderen Verbandsverantwortlichen sowie auch einigen SportpolitikerInnen.

Deshalb also kurz die Definition des Begriffs. „Integrität ist die ethische Forderung des philosophischen Humanismus nach möglichst weitestgehender Übereinstimmung zwischen den eigenen Idealen und Werten und der tatsächlichen Lebenspraxis.“ Der besagte Tagesordnungspunkt beschäftigt sich mit Good Governance, Prävention sexualisierter Gewalt, Anti-Doping und Anti-Manipulation. Probleme erkannt? Oder beschäftigt man sich damit, weil man muss – nicht zuletzt, weil die Öffentlichkeit viel Druck macht?

In letzter Zeit hat vor allem der DOSB sehr anschaulich vorgeführt, dass er auf diesem Gebiet viel Nachholbedarf hat: Sowohl bei der Personalführung, dem Miteinander, der Art der Kommunikation und Information oder dem Umgang mit Kritikern machte vor allem der DOSB-Präsident selten eine gute Figur. Was um so befremdlicher ist, weil es im Sport doch um Fairness und Fair play, Toleranz, Gleichheit, soziale Verantwortung etc. etc. gehen soll.

Vermutlich sind schon viele Delegierte wieder, erschöpft von vorhergehenden Gremiensitzungen und Thekengesprächen, auf dem Weg zur Bahn und zu Fliegern, wenn das Thema am Samstag endlich aufgerufen wird.

Dabei ist Integrität heute ein Überlebensthema – besonders auch für den Sport und seine Organisationen.