Da röhrt dann auch der Heimathirsch

Parlamentarischer Abend des Sports:DOSB in Party-Laune / Haushälter bewilligten 23,2 Millionen mehr / Seehofer macht den Salto

Berlin 28. Juni. Mit einem klassischen Salto scheint das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat (BMI) eine Wende eingeleitet zu haben: Es zeichnet sich ab, dass es seine bisherige kritische Haltung gegenüber dem Sport zumindest öffentlich aufgibt. Das jedenfalls ist aus den Aussagen des zuständigen Ministers, Horst Seehofer (CSU), zu schließen, der beim Sportausschuss in dieser Woche zu einer Art Antrittsbesuch vorbeikam – und dort milde und verständnisvoll über den Sport sinnierte. Was der Mann aus Ingolstadt gerade im Asylstreit mit der Schwesterpartei CDU vermissen lässt. Und die Haushälter machten am Mittwochnachmittag überraschend zusätzlich 23, 2 Millionen Euro für 2018 für den Spitzensport locker, was nun noch das Parlament absegnen muss. So wurde der Parlamentarische Abend des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) für viele zur Party, als der SPD-Haushälter Martin Gerster per SMS den Granden des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) die erlösende Botschaft mitteilte, dass sich das Steuergeld-Füllhorn weiter öffnen wird als wohl erwartet. Aber der Reihe nach.

DOSB-Präsident Alfons Hörmann hatte am Nachmittag in der Sitzung der Spitzensportverbände durch seinen CSU-Parteifreund Stephan Mayer erfahren, dass es grünes Licht für einen Aufschlag geben werde. Entsprechend entspannt wirkte er, als er die Gäste begrüßte. Er variierte an diesem Abend seine Standardaussagen zum Thema Breitensport, Sportvereine, Ehrenamt mit dem Heimatbegriff. Und da hatten auch die letzten begriffen, dass unter dem Dach des Innenministeriums auch der Heimat-Gedanke formiert und weiß-blau definiert werden soll. Sport und Heimat unter einen Hut bringen – geht. Und die rechte Stimmung erzeugen, sich die Bälle gegenseitig zuspielen – läuft. Da röhrt er dann, der Heimathirsch.

Kuschelgefühle

Hörmann machte es wunderbar vor. Der Allgäuer sorgte – trotz mahnender Worte über ernste und unruhige Zeiten – für heimatliche Kuschelgefühle. Da lobt er – zu Recht – das mittlerweile 29 Jahre laufende Bundesprogramm „Integration durch Sport“. Und wird zum Supporter des Mannes an der BMI-Spitze, der durchaus auch eine Willkommens-Kultur unterstützt, wenn es sich um Sport und Menschen mit Migrationshintergrund handelt. „Der Sport pflegt Tradition und bildet im Zeitalter von Ich-AGs ein großes und wertvolles Wir. Er schafft Heimat für alle – unabhängig von Einkommen, Religion und Geschlecht“, sagt der Präsident. Und setzt noch ein Ausrufezeichen: „Längst ist der Sport das emotionale Fundament für gelebte Integration.“ Stimmt. Der Dank dafür gilt aber der Vereinsbasis, die gut auf Sonntagsreden mit heimatlichem Phrasenkitsch verzichten kann. Braucht´s des? Auf die Frage des Kabarettisten Gerhard Polt würde die Basis antworten: „Na, des braucht‘s ned.“

In guter Erinnerung, das weiß nicht nur Innen-Staatssekretär Markus Kerber, ist vielen der heimatliche Sportverein. Ebenso der Trainer, der gefördert und gefordert hat, bis man dann andere Interessen hatte und dem Sportverein für eine lange Zeit den Rücken kehrte, um dann bei den seltenen Besuchen in der Heimat auch stets im altvertrauten Vereinsheim aufzuschlagen. Des braucht‘s!

Ohne Vereine gäbe es keine Grundlage für höhere sportliche Ansprüche. Etwa den Spitzensport. Und dessen Reform, die so etwas wie das Vermächtnis des Alfons Hörmann werden soll. Ein Reformlebenswerk. „Wo bitte schön, meine Damen und Herren, ist in unserer Gesellschaft denn ein vergleichbares Veränderungsprojekt mit so weitreichenden Veränderungen zu finden?“, sagt Hörmann. Der Sport sei veränderungsbereit und schon mitten in der Reform. „Um dieses komplexe Reformpaket mit unzähligen Details und Verknüpfungen zu verstehen, ist viel Zeit und Hingabe notwendig. Viele Außenstehende sind an dieser schwierigen Aufgabe gescheitert, das im Gesamtzusammenhang zu sehen und zu verstehen. Wir, die wir über Jahre an den Konzepten arbeiten, werden somit auch weiterhin damit leben müssen, dass Kommentare und Berichte erstellt werden, die von der Realität weit entfernt sind“, sagt der Mann, der sich gerne seine Realität zurechtzimmert, wie sie ihm genehm ist, in Richtung seiner Kritiker, die er auch in der Sportfamilie zuhauf hat. Und die er nach wie vor wissen lässt, dass nur alles richtig läuft, wenn sein Wille geschieht. Und der ist nicht unbedingt der Wille der anderen.

Alles palleti

Die Spitzensportreform ist im Umsetzungsstatus. Und Hörmann erweckt den Anschein, dass alles paletti sei. Wo nun der Bundesrechnungshof, das BMI und auch Kritiker aus den eigenen Reihen ganz anderer Meinung sind. Da wird dann kolportiert, der Rechnungshofbericht basiere auf alten Zahlen (was nachweislich nicht stimmt!). Und die ewigen Nörgler von außen (vor allem die JournalistInnen) hätten sowieso keine Ahnung. Und das BMI, mit dem man in den letzten Jahren immer heftiger im Clinch lag? Er habe ein „neues Lebensgefühl“ im Umgang mit dem BMI, soll er bei den Verbänden gesagt haben. Und dazu habe er selbst beigetragen, indem es personelle Weichenstellungen im Ministerium gegeben habe, die noch nicht abgeschlossen seien. Da überlegt man dann, was wohl Staatssekretär Markus Kerber, der den Minister abends in der Bütt vertritt, mit dem Satz gemeint haben könnte, der DOSB sei ja ziemlich gut vernetzt, sogar „bis in die Regierung“.

Passend zum Heimat-Thema hätte man ja wirklich Salutschüsse der Tölzer Gebirgsjäger, ein jubelndes Alphorn oder einen Kaiserjodler erwarten können, als der Präsident während seiner Rede endlich die erlösende SMS von Gerster bekam, dass der „Käs“, sprich die 23,2 Millionen Euro, erfolgreich gegessen sei.

Erleichterung. Was wäre eigentlich gewesen, wenn die Haushälter sich dem Zuschlag verweigert hätten, den der Sport als 70-Millionen-Forderung angedacht hatte. Hörmann hatte doch bei der Mitgliederversammlung in Magdeburg vor zwei Jahren die Zustimmung für die Reform nur bekommen, weil er den Verbänden viel Geld versprach. Seine CDU/CSU-Freunde haben ihm diesen Erfolg beschert, der ihm auch im verbandsinternen Kleinkrieg Luft verschafft.

Begleitet der Rechnungshof weiter?

Allerdings stellt sich die Frage, was ein Rechnungshofbericht, den die Haushälter selbst in Auftrag gegeben haben, bei der Bewertung des Zuschlags wirklich zählte. Im vergangenen Jahr waren die vier Parteien, die damals im Bundestag saßen, von dem Sport-Hickhack ums Geld so genervt, dass sie den Rechnungshof beauftragten. Und eine weitere Frage wäre an die Haushälter zu stellen: Wird die Reformumsetzung vom Bundesrechnungshof weiter begleitet?

Nun also wurden unter anderem sieben Millionen für Bundesstützpunktleiter und Trainer draufgeschlagen. Wo auf die Schnelle Personal zum Beispiel für die Stützpunktleiter herkommen soll, ist offen. Da es noch kein Anforderungsprofil gibt, gibt es auch noch keine Ausschreibung, wie Insider sagen. Wie also will man das Geld in den verbleibenden Monaten ausgeben, wenn es keine Bewerber gibt? Wenn die Mittel im laufenden Haushalt nicht ausgegeben werden, verfallen sie. 3,5 Millionen stehen zusätzlich für die Verbandsförderung zu Buche. Auch hier könnte der warme Geldregen zu einem Problem werden, nämlich wenn ein Verband nicht genügend Eigenanteil vorweisen kann – Steuergeld fließt nur, wenn man selbst was hat. Und, glaubt man den Klagen mancher Organisation, dann nähen sie ziemlich auf Kante. Umschichtung, Projektstreichung, Mitgliedsbeiträge sind dann nicht selten die Notlösungen oft auf Kosten des Breitensports, um klar zu kommen. Übrigens: Wegen der verzögerten Regierungsbildung gab das BMI, damals noch mit Abteilungsleiter Gerhard Böhm, in Absprache mit dem Finanzministerium schon Mittel frei, soweit das rechtlich möglich war.

Sporthilfe freut sich

Freude herrscht auch bei der Stiftung Deutsche Sporthilfe. 3,5 Millionen Euro bekommt sie mit der Aussicht auf mittelfristig 25 Millionen. Nur in zwei Ausnahmesituationen sprang bisher der Bund finanziell in die Bresche – zu Zeiten der Wende, und als das Geschäft mit den Sport-Briefmarken im Tiefflug war. Für Sporthilfe-Vorstandsvorsitzenden Michael Ilgner war der 27. Juni 2018 „ein historischer Tag“, weil nun staatliche Mittel kontinuierlich fließen sollen. AthletInnen werden nicht nur während ihrer aktiven Laufbahn unterstützt. Auch für die Alterssicherung soll gesorgt werden.

Drei Millionen bekommen die wissenschaftlichen Institute IAT und FES, 1,4 Millionen an Prämien werden an erfolgreiche Trainer bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Pyeongchang ausgeschüttet. Die Wunschliste des Sports wurde mit einer Million für neue Wettkampfformate und 800. 000 für Innovationsprojekte von Verbänden erfüllt. 830.000 Euro sind für den paralympischen Sport vorgesehen, 300.000 Euro für sportmedizinische Untersuchungen. Und natürlich die 225.000 Euro für den Athletenverein, um die so heftig gestritten wurde. Verwunderung löste die Position 500.000 Euro für die nordische Skiweltmeisterschaft 2021 in Oberstdorf auf, weil der Betrag offiziell noch gar nicht angefordert wurde.

Bleibt es bei dem Minister und bleibt der bei seinen Aussagen, dann brechen wohl rosige Zeiten für den DOSB an – Seehofer steuert einen neuen BMI-Kurs. Das bisher hochgehaltene BMI-Credo – erst liefern, dann Geld, das auch der Rechnungshof in seinem Bericht einforderte, ist offensichtlich nicht mehr unumstößlich. Und auch die Forderung seines Amtsvorgängers Thomas de Maizière nach einem Drittel mehr Medaillen ist Geschichte. Eine „gewisse Leichtigkeit“ fordert Seehofer und nicht „Statistische Erwartungshaltungen zu definieren und nur darauf zu starren: Was hat die Statistik an Ergebnissen gezeitigt?, das würde ich für falsch halten.“

Und: „Ich bin gegen Verbissenheit, dieses Kämpfen um jeden Preis“, sagt er, was angesichts des Verbeißens mit der Kanzlerin ziemlich spooky klingt. „Die Freude am Sport sollte immer noch der erste Maßstab sein.“ So die schlichte, gefällige Botschaft.

Maßstäbe gesetzt

Maßstäbe in finanzieller Hinsicht setzt er dann gleich auch noch. 120 Millionen sollten es dann am Ende schon sein, die der DOSB mindestens zusätzlich bekommt. Punktlandung im Sinne des DOSB. Der Minister ist dem Partner weit entgegen gekommen. Und auch der Athletenverein sollte noch einmal Gesprächsthema sein. „Wir sollten es partnerschaftlich organisieren mit dem DOSB. Eine Athletenvertretung, die sich nur so versteht oder verstehen würde, eine Antipode zum DOSB zu sein, im ständigen Konflikt, das wäre nicht gut“, sagt der Minister ins Mikrofon des Deutschlandfunks. Und übernimmt ein DOSB-Argument, der den Verein lieber heute als morgen wieder auflösen würde.

Während der Minister auf dem Weg ins Fernsehstudio zu Maischberger ist, wo er sich zu dem Streit mit der Schwesterpartei und der Kanzlerin äußern wird, hat sein Staatssekretär Kerber des Ministers Rede mit eigenen Akzenten vorgetragen. Die BMI-Vertreter, die an diesem Tag an drei Orten ihre Positionen zum Sport darlegen, haben sich gut abgestimmt. Und stehen für eine Rückwärtsbewegung zu alten Gepflogenheiten – zumindest auf den ersten Blick. Der Bund als Geldgeber, der sich auf keinen Fall in sportfachliche Dinge einmischen wird, wie Seehofer sagt. Was aber keinen Freifahrtschein für alles bedeutet, wie überraschend Stephan Mayer den Verbänden verklickert. Die Lufthoheit über den Sport hat wieder der DOSB. Falls es sich nicht um eine Fata Morgana handelt. Alles wie gehabt. Der Sport fordert und kriegt. Oder doch nicht?

Wer dem Staatssekretär genau zuhört, der merkt dann doch, in welche Richtung der Takt vorgegeben wird. AthletInnen und Trainer – die Menschen – sollen im Mittelpunkt stehen. Die alte und neue BMI-Philosophie, die der DOSB noch immer nicht wirklich entdeckt hat. Kerber spricht von Zusammenarbeit mit Athletenvertretung und Sporthilfe, Leistung ja, aber nicht um jeden Preis. Und nochmal: „Unsere Haltung lautet: Zuerst der Mensch, dann das Verfahren.“

Widerstand überwinden

Was wäre Spitzensport ohne Großereignisse im eigenen Land? Seehofer will wieder Bewerbungen, auch um Olympia. Zuletzt scheiterten Olympiaträume an Bürgern und Bürgerinnen, die von Olympischen Spielen und deren Machern, von Korruption und Doping, von Sonderprivilegien und überzogenen Ansprüchen die Nase voll haben. „Ich glaube, diesen Widerstand der Bevölkerung kann man überwinden, wenn wir den Kommerz aus diesen großen Veranstaltungen stärker herausnehmen. Wenn es wieder mehr um Sport an sich geht. Da hat der DOSB volle Rückendeckung.“

Wie man das mit dem Kommerz dem Sport beibringen soll, lässt er offen. Im BMI hat man im letzten Jahr ein Konzept zum Thema Großveranstaltungen erarbeitet: das hatte der Ex-Minister noch in Auftrag gegeben. Bürger und Bürgerinnen müssten einbezogen und mitgenommen werden, man müsse über Nachhaltigkeit und Bescheidenheit nachdenken, um zu überzeugen und wieder zu begeistern. Kerber ist sicher, dass Deutschland Olympische Spiele kann und will. Den Ball nahm der Berliner Innensenator Andreas Geisel gerne auf. „Wir können in Berlin Großveranstaltungen. Berlin ist eine Sportstadt.“ Für Geisel kommt aber nach den letzten schlechten Erfahrungen nur eine „nationale Bewerbung“ in Frage.

Aber jetzt sind erst einmal andere Baustellen zu bewältigen. Etwa die Potenzialanalyse, wo Hörmann nun die PotAS-Kommission samt dem eigenen Direktor Leistungssport Dirk Schimmelpfennig zur Eile antreibt. Geht es nach dem Präsidenten, dann soll der Prozess mit den Sommerverbänden 2019 abgeschlossen sein – falls alle mitziehen.

Also Friede, Freude, Eierkuchen, nachdem nun Geld in die Kassen schwappte? Eher nicht: Der DOSB sucht passendes Personal auf allen Ebenen: Hauptamtliche für verschiedene Ressorts. Und eine Findungskommission soll geeignete Präsidiumsmitglieder für die Wahlen  im Winter ausfindig machen. Was mangels BewerberInnen momentan ziemlich schwierig werden könnte.