Die misslungene Finte des Thomas Bach

IOC-Präsident gerät in Erklärungsnot und führt den Anti-Doping-Kampf ad absurdum

Berlin, 6.August. Es sollen mal wieder die besten Olympischen Spiele ever werden, die  gestern in Rio de Janeiro eröffnet wurden. Doch nachgewiesenes russisches Staatsdoping versaut die Stimmung der olympischen Familie schon im Vorfeld, bringt das Internationale Olympische Komitee (IOC) und seinen Präsidenten Thomas Bach in Erklärungsnot, die olympische Familie ins Schwitzen und Kritiker in Wallung. Schlechte Ausgangslage am Zuckerhut – so war der olympische Karneval nicht gedacht.

Bisher verlief die Funktionärskarriere von Thomas Bach stringent und steil nach ganz oben: Seine Strategie, die er 1983 als Mitglied der Athletenkommission des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau beschrieb, ging bisher immer auf: „Fühler ausstrecken, nach `Freunden` suchen, abtasten und mit Akribie beobachten, was hinter den Kulissen läuft.“

Bach, Jahrgang 1953 und aus der Generation der Baby-Boomer, die nach den 68ern zunächst etwas desillusioniert im luftleeren Raum hing und sich dann doch noch für Umweltschutz und das Motto „leben und leben lassen“ entschied, war ein Glückskind, was seinen sportlichen Aufstieg betrifft. Zuerst fand er in dem Friseurmeister und Trainer-Autodidakten sowie später gefeierten Goldschmied der Fechterhochburg Tauberbischofsheim, Emil Beck, einen Förderer. Und später galt er lange als Kronprinz des damaligen Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees (NOK) von Deutschland, Willi Daume. Dessen Begeisterung für den „ehrgeizigen jungen Mann“ (Daume) mehr und mehr abkühlte, je mehr Bach die Nähe des Daume-Widersachers und großen spanischen Zampanos, des IOC-Präsidenten Juan Antonio Samaranch suchte, der Mentor für einen reibungslosen olympischen Gipfelsturm des gewieften Anwalts wurde, der zuletzt wegen seiner durchgewunkenen Agenda 2020 als olympischer Reformer gefeiert wurde.

Richtig Gegenwind

Doch nun erlebt Bach zum ersten Mal richtig heftigen Gegenwind: Als  in Rio die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele weltweit ausgestrahlt wurde, hatte der deutsche IOC-Präsident zumindest für die vier Stunden, die das Spektakel dauerte, Ruhe vor unangenehmen Fragestellern. Und die Hoffnung, dass der „olympische Funke“ nicht nur auf die sozial arg gebeutelten Cariocas, die Bewohner von Rio, überspringt, die bisher von Olympia nicht begeistert sind. Jeder zweite ist gegen die Spiele am Zuckerhut, vor allem, weil das Geld, das für Olympia ausgegeben wurde, an anderer Stelle schmerzhaft fehlt und der Großteil der Bevölkerung von den Spielen wegen finanzieller Flaute im eigenen Portemonnaie ohnehin ausgeschlossen ist.

Nun gut. Wenn die olympische Familie, sprich das IOC, angeführt von „our friend Thomas“, wie IOC-Mitglieder Bach gerne nennen, wenn er in der Nähe ist, in ihrer glänzenden, glimmernden „Schein“-Welt abgetaucht sind, dann hoffen sie, dass die unschöne Affäre um das russische Staatsdoping- und andere verdächtige Länder, die gerne in der Diskussion vergessen werden – vorerst erledigt ist.

Vermutlich verrechnet

Doch diesmal haben sich die Permanent-Verdränger und -Aussitzer, die kühlen Strategen und Kalkulierer wohl verrechnet: Die Diskussion wird sie während der ganzen Spiele verfolgen, bei auffälligen Zeiten und Weiten, und besonders wenn die Siegerehrungen stattfinden. Und eine russische/r AthletIn – ob sauber oder nicht – auf dem Treppchen stehen wird.

Bach, selbst einst erfolgreicher Olympionike im Fechten, betont bei seinen Auftritten immer wieder, dass der Athlet im Mittelpunkt seiner Bemühungen stünde. Spätestens jetzt wird deutlich: Das kann nicht so sein, denn sonst würde er nicht mit seinen hanebüchenen (Nicht)-Entscheidungen für Verunsicherung bei allen Athleten sorgen, die jahrelang auf diesen olympischen Moment hingearbeitet haben.

Eiertanz à la Bismarck

Eiertänze aller Art ist man vom IOC und von Bach gewöhnt. Und die berühmte Karikatur von 1863, die Reichskanzler Otto von Bismarck im Tutu beim Aufführen eines „politischen Eiertanzes“ zeigt , könnte man getrost auch von Bach anfertigen. Auch er tänzelt um Probleme herum, dabei wäre klare Kante angezeigt.

Doch Bach wäre nicht Bach, wenn er klar sagen würde, was Sache ist. Wer ins Archiv taucht und Interviews von ihm nachliest, der findet selten klare Stellungnahmen zu einem Problem. Die Antworten sind nichtssagend, verschwommen. Wird es heikel, zieht er sich meist mit juristisch verwinkelten spitzfindigen Argumentationsketten aus der Affäre. Es verwundert nicht, dass er wegen dieser „Gabe“ schon zu seinen Zeiten als IOC-Mitglied den Spitznamen „Pudding“ bekam.

Bilder der letzten Tage und Wochen: Aschgrau, mit hochgezogenen Schultern, unruhigem leeren Blick sitzt Bach bei Pressekonferenzen, nach Worten suchend und sich windend, wie er und das IOC in dieser Dopingaffäre das Gesicht wahren können. Aber juristische Finessen und Phrasendrescherei helfen diesmal nicht. Das IOC und sein Präsident erweisen sich als unglaubwürdiges Doppel ohne Courage und Rückgrat.

Scheingefechte

Diesmal hat Bach die falsche Finte angewandt, denn nun werden die Scheingefechte des IOC der letzten Jahrzehnte ad absurdum geführt – und der angebliche Anti-Doping-Kampf zur Bankrotterklärung. Null-Toleranz predigte auch Bach immer wieder in seiner Multifunktionärstätigkeit gegen Sünder. Und nun entlarvt er sein so oft selbstgelobtes Anti-Doping-Credo als Lippenbekenntnis.

Der Bachsche Mentor Samaranch (dessen Sohn jetzt zum IOC -Vize gewählt wurde) war 1988 nach dem Jahrhundertlauf von Ben Johnson ziemlich sauer, als der Kanadier als Dopingsünder erwischt wurde. „So was darf nie mehr passieren“, beschwor der Spanier die Sportfamilie. Und meinte nicht etwa, dass es verwerflich und zu unterbinden sei, dass sich Superstars nach oben dopen, sondern dass sie sich erwischen lassen. In Seoul sei damals viel versucht worden, den Betrüger Johnson nicht auffliegen zu lassen, berichteten Insider – das war für das Geschäftsmodell Olympia nicht gut. Also, warum sollte es diesmal anders sein?

Coe wird plötzlich gefeiert

Was ist passiert in den letzten Wochen und Monaten, seit die Whistleblowerin Julia Stepanowa und andere auspackten? Dementis von der russischen Regierung, Aussitz- und Durchhalteparolen, Beschwichtigungen. Ein Spiel auf Zeit. Der Internationale Leichtathletikverband IAAF und sein umstrittener Präsident Sebastian Coe (der jetzt plötzlich als Aufklärer gefeiert wird, obwohl er vor Wochen noch Doping-Enthüllungen in den Medien als „Kriegserklärung“ bezeichnete) gerieten zunächst ins Zentrum der Anwürfe – und mussten als erste notgedrungen ihre Blockadehaltung aufgeben. Nach langem Gezerre: Sperre der russischen Leichtathleten. Bach zufrieden, dass sein „dear friend Sebastian“ das im olympischen Geist geregelt hat. Da glaubte er wohl, dass das Schlimmste überstanden sei.

Doch Bach, dem ein untrügliches Gespür für Situationen und Stimmungen nachgesagt wird, hätte sich diesmal nicht auf sein Bauchgefühl verlassen sollen.

Nach dem Bericht des kanadischen Sonderermittlers Richard McLaren im Auftrag der WADA (Welt-Antidoping- Organisation) vor zweieinhalb Wochen wurde die Chaostheorie Realität – zumindest für Bach und die olympische Familie. Der angesehene, unabhängige kanadische Jurist  bestätigte in seinem Untersuchungsbericht, dass in Russland zwischen 2011 und 2015 systematisch gedopt worden ist – gestützt, geschützt und gelenkt vom Staat. Und: Wurden Sportler positiv getestet, so wurden die Proben entweder ausgetauscht oder vernichtet.

Empörung allerorten, IOC und WADA werteten gemeinsam das Vorgehen der Russen als massiven Betrug am Sport und seinen Werten.

Bach in Unruhe

Bach war die Unruhe nach McLarens Auftritt schon anzumerken, und spätestens, als die WADA den Ausschluss des gesamten russischen Teams forderte, wirkte er gereizt auf Fragen, wie es denn nun das IOC mit dem Ausschluss der Russen halte. Dass dann ausgerechnet diejenige ausgeschlossen wird, die den Stein ins Rollen gebracht und sich mehr als jeder Funktionär um sauberen Sport verdient gemacht hat, das verstanden nur die wenigsten: Julia Stepanowa, die Whistlerblowerin, soll nicht starten , weil sie ja selbst gedopt war – so der Wille des IOC, das sich bei anderen Doping-Sündern immer sehr großzügig zeigte.

Das IOC und sein Präsident setzten ihr Zeitspiel mit fadenscheinigen Maßnahmen von zweifelhaftem Wert fort: Die internationalen Fachverbände sollten nun über Sperre oder Nichtsperre entscheiden, ein IOC-Trio jeden einzelnen Fall noch mal gründlich!!! innerhalb von ein paar Tagen überprüfen, wozu andere Monate brauchen. Und dem internationalen Sportgerichtshof CAS flatterten im Stundentakt Klageschriften russischer Athleten auf den Tisch, die auf diesem Weg ihr Startrecht bis zur letzten Minute vor Beginn der Spiele erreichen wollen.

Schwarzer-Peter

IOC und Bach einerseits und WADA anderseits schieben sich nun gegenseitig den Schwarzen Peter für das entstandene Chaos zu, was eine weitere unglaubwürdige Farce ist, sitzt doch der WADA-Präsident Craig Reedie aus Großbritannien im Executive Board des IOC.

Ein weiterer Beleg dafür, dass niemand wirklich Interesse an sauberem Sport, an einem Antidopingkampf hat? Wenn Superathleten, Superleistungen fehlen, dann ist das Milliarden-Geschäft Olympia im Eimer. Wer weiß das besser als der Wirtschaftsanwalt Bach, der ja von Anfang seiner IOC -Zeit an mit dem ökonomischen Sektor des IOC vertraut ist.

Und es wissen alle, die da am Pokertisch des IOC sitzen, worum es geht: Money makes the world go round – besonders die olympische. Deshalb wollen sie sich nicht selbst als Falschspieler entlarven. Wie falsch das Anti-Doping-Spiel ist, zeigt eine Zahl: 2014 stellte das IOC der WADA 13,3 Millionen Dollar zur Verfügung – das sind 0,17 Prozent von den über acht Milliarden Dollar Einahmen in den letzten vier Jahren.

Gelassenheit und olympic spirit

Zwischen Erklärungsnot und Schuldzuweisungen versucht Bach Gelassenheit zu vermitteln, lässt sich beim Plausch im Cafe mitten in Rio oder umgeben von fröhlichen Kindern fotografieren – und beschwört den olympic spirit, um damit die bösen Geister zu vertreiben, die er selbst mit herbeigerufen hat.

Dafür und dagegen

Thomas Bach, der nicht unbedingt ein begnadeter Rhetoriker ist, schafft es immer wieder Sprachpirouetten zu drehen, wo man am Ende feststellt: Er ist sowohl als auch – dagegen und gleichzeitig dafür. Manchmal aber sagt er Sachen, die ihn vermutlich selbst erschrecken – und die er sich dann wieder zurechtbasteln muss, damit er nicht mit dem Gesagten festgenagelt wird

Am 18. Mai 2016 wird er in einer offiziellen IOC-Erklärung so zitiert: „Sollten die Untersuchungen die Vorwürfe bestätigen, würde dies eine erschreckende Dimension im Doping und ein bisher noch nie gesehenes kriminelles Niveau darstellen. Es gibt keinen Zweifel, dass das IOC mit seiner Null-Toleranz-Haltung reagieren würde – nicht nur in Bezug auf einzelne Athleten, sondern auch bezüglich ihres Umfeldes. Die Maßnahmen würden vom lebenslangen olympischen Ausschluss von involvierten Personen über harte finanzielle Sanktionen bis zur Suspendierung oder zu dem Ausschluss der Verbände reichen.“

Harte Maßnahmen? Durchgreifen? IOC-Devise: Verbal auf den Putz hauen… und dann irgendwie im Sande verlaufen lassen.

Aber diesmal klappt das einfach nicht: Kritik allerorten.

Daheim wenig Freunde

Besonders auch in seinem Heimatland erlebt der deutsche Olympia-Papst, der sich in seiner Zeit als DOSB-Präsident nicht viele Freunde gemacht hat, heftigen Gegenwind. Sportdeutschland gibt es nicht, das sich hinter ihm schart – und: Wir sind diesmal nicht Mister-Olympia. Diskuswerfer Robert Harting beschimpft Bach als „Teil des Systems“, das Gros der Athleten fühlt sich veräppelt vom Ober-Olympier. Einer der letzten ehrenwerten und verdienten deutschen Funktionäre, Hans-Wilhelm Gäb, gibt seinen Olympischen Orden zurück, Sportfans geißeln in Leserbriefen und in den sozialen Medien das IOC und Bachs Verhalten. Nur sein von ihm erwählter Nachfolger Alfons Hörmann und sein einstiger Statthalter, DOSB- Vorstandsvorsitzender Michael Vesper, halten in Nibelungentreue zu dem so arg gescholtenen Olympia-Chef. Und besonders die Deutschen müssten es besser wissen, was flächendeckendes Doping anrichtet: Schließlich gab es das in der ehemaligen DDR. Viele strahlende Athleten von damals, die mit „unterstützenden Maßnahmen“ für das Ansehen des Arbeiter- und Bauernstaates Medaillen sammelten, quälen sich heute mit physisch und psychischen Folgeschäden des Dopings herum. Und ringen um finanzielle Unterstützung für ein kaputtes Leben…

Unabhängigkeit des IOC

In der Weihnachtsausgabe der Frankfurter Rundschau 1993 sagte Thomas Bach, damals IOC-Mitglied,: „Über allem steht für mich das Thema Unabhängigkeit des IOC – im Interesse der Athleten. Da kommen immer wieder neue Faktoren. Da ist die Frage: Welche Stellung nehmen wir in der Politik ein?“ Diese Aussage geht wohl als Treppenwitz in die Sport-Geschichte ein. Unabhängigkeit des IOC und seiner Protagonisten? Thomas Bach ist ein Paradebeispiel dafür, wie das, was man heute elegant Vernetzung – früher Klüngel – nennt, Abhängigkeiten schafft. Und man dadurch leicht in die Bredouille geraten kann und deshalb Eiertänze aufführen muss, die zu Unglaubwürdigkeit führen. Im schlimmsten Fall wird man selbst zum ehrenamtlichen Kollateralschaden – siehe Joseph Blatter.

Türöffner fürs Geschäft

Bach ist ein global player, der den Sport auch als geschäftlichen Türöffner benutzt. Gerne war er in Kanzlermaschinen mit Wirtschaftsdelegationen an Bord bei offiziellen Besuchen, um Kontakte zu knüpfen. Seine Nähe zu arabischen Scheichs oder asiatischen Geschäftsleuten und natürlich deutschen Unternehmen ist kein Geheimnis. Nur die Frage ist: Wie nah ist Nähe? Und wie gut ist nahe Nähe in so einem Amt? Etwa zu Politikern wie dem russischen Präsidenten Waldimir Putin, mit dem ihn eine sogenannte Männerfreundschaft verbinden soll. Und dessen Ratgeber er auch sei. Und mittlerweile hat der olympische Zeus Bach mit Putin, der sehr sportaffin ist und den Sport als Image- und Propagandamittel nutzt, eine Art Zar des Weltsports an seiner Seite: Putin war Gastgeber der Olympischen Winterspiele in Sotschi, die nun auch ihre negativen Doping-Schatten werfen, der Leichtathletik-, Eishockey-, Schwimm-WM. Am Schwarzen Meer gastiert die Formel 1, und die Fußball-WM steht als nächstes Ereignis an.

Kein Einfluss der Politik

Bach verwahrte sich dagegen, von Moskau beeinflusst worden zu sein „Wir können keinen Staatschef oder Minister bestrafen“, wiederholte er nicht nur bei der Pk vor der Session in Rio. Das verlangt auch keiner – aber eigene Regeln umsetzen und einhalten, das könnte das IOC schon – wenn es unabhängig wäre, oder?

Also die Fragen in dem oben genannten Interview zur Wahrung der Unabhängigkeit des IOC und der Stellung in der Politik hat Thomas Bach nun 23 Jahre später beantwortet. Anders als damals angekündigt. Aber nicht anders als erwartet. Nun an der Spitze des IOC wurde er nicht zum Bewahrer der olympischen Idee und Werte: Diese wurden nun endgültig – nach kühler Abwägung und Kosten-Nutzenrechnung – unter Führung von Bach vom IOC in die Tonne gestampft.