Speerspitze gegen Demokratiefeinde

dsj und DOSB starten Kampagne „Hör auf deinen Sport“

Berlin, 26. Mai. Während in der Republik 75 Jahre Grundgesetz gefeiert wird – das beste, das wir haben und behalten wollen –, sind nach wie vor rechte und linke Radikale, aber auch Biedermänner und -frauen als Brandstifter unterwegs. Unterstützt von uninformierten, nachplappernden MitläuferInnen. Ob AfD-Forderungen nach dem Ende von Europa, die total aus dem Ruder gelaufene Diskussion um den Nahostkonflikt, die den Antisemitismus nun wieder ungeniert nicht nur in Deutschland salonfähig gemacht hat – Demokratiefeindlichkeit ist überall: Im Bundestag. In Schulen. Im Supermarkt. In der Kneipe. Bei der Wohnungssuche. Auf dem Sportplatz. In dieser Gemengelage heißt es die Demokratie zu verteidigen. Auch die Deutsche Sportjugend (dsj) und der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) haben nun neben vielen anderen eine Demokratiekampagne gestartet mit dem Titel: HÖR AUF DEINEN SPORT.

Ein Plakatmotiv der DOSB/dsj-Kampagne. Alle Bilder ©DOSB

Nicht nur das Grundgesetz wird 75 Jahre, sondern auch einige Landessportbünde. Der Sport musste nach dem Zweiten Weltkrieg die Alliierten überzeugen, dass er aus seiner eigenen Geschichte gelernt hat: Viele Vereine und Verbände warfen ja 1933 in vorauseilendem Gehorsam schon mal jüdische und nicht in die Naziideologie passende Vereinsmitglieder vorsorglich aus ihren Reihen hinaus, bevor sie dann von den Nazis gleichgeschaltet wurden.

2024 sagt der Präsident des Landesportbundes Berlin, Thomas Härtel, dessen Verband mit dem Grundgesetz Geburtstag feiert: „Der Verein ist eine Demokratiezelle.“ Radio Eriwan würde darauf antworten: „Im Prinzip schon, aber manche Zellen sind manchmal zu schwach, um Widerstand zu leisten.“

Vornehmste Aufgabe

Widerstand gegen Demokratiefeinde leistet die dsj seit Jahrzehnten, in den letzten Jahren eher im Hintergrund, was nicht zuletzt auch von der Unterstützung der Erwachsenen-Dachorganisation und dem jeweiligen Präsidenten mit beeinflusst wurde. Demokratie-Bildung in allen Facetten war und ist eine ihrer vornehmsten Aufgaben, die sich die Jugendorganisation aufs Panier geschrieben hat, weil sie an vielen Stellen auch auf dem Sportplatz und auf den Rängen erkennen musste, dass Werte wie Teamgeist, Respekt, Miteinander, Akzeptanz von Niederlagen im Sport nicht für jeden, der da antritt, selbstverständlich sind.

Die dsj und die Jugendorganisationen der Landessportbünde bieten nicht nur besondere Sportangebote und Projekte an, um damit für „unsere demokratische und vielfältige Gesellschaft einzutreten und Haltung zu zeigen“, wie es im dsj-Positionspapier gegen Rechtspopulismus heißt.

Demokratiefeinde im Gröl-Modus

Benny Folkmann, Zweiter Vorsitzender der dsj, freut sich, dass der DOSB zusammen mit der Sportjugend nun diese Kampagne gestartet hat. „Wir erreichen dadurch noch einmal mehr öffentliche Aufmerksamkeit.“

Wie dringend notwendig politische Bildung und Aufklärung ist, das zeigen die jüngsten Ereignisse etwa auf Sylt in Partyclubs, in Bayern in einer Disco. Oder im niedersächsischen Löningen, wo ebenfalls von jungen Leuten auf das Lied „L’amour toujours“ bei einem Schützenfest „Ausländer raus“-Parolen und „Deutschland den Deutschen“ gegrölt wurden. Zwar hat sich der Schützenverein distanziert, aber das Image der Weltoffenheit und Toleranz ist erst mal im Eimer. Ob alkoholisiert oder einfach nur dumm, dieses Verhalten im Gröl-Modus ist durch nichts zu entschuldigen.

Folkmann: Weiter gegenhalten!

Aber diejenigen, die glauben, sich alles erlauben zu können, bekommen Gegenwind – die schweigende Mehrheit ist wach geworden. „Viele Menschen sind schon sensibler geworden und wehren sich, wie die großen Demos in den letzten Monaten gezeigt haben“, sagt Folkmann. Aber die Grenzen des Unsagbaren und der Intoleranz würden sich immer weiter verschieben. „Da müssen wir weiter gegenhalten. Aber nicht mit erhobenem Zeigefinger und belehrend, sondern überzeugend.“

Sport mit Courage

Und das tut die Sportjugend etwa mit dem Projekt „Sport mit Courage“, wo sie u.a. für ein langfristiges, demokratisches Denken und die nachhaltige Förderung von demokratischer Teilhabe sowie für eine Gesellschaft Grundlagen schaffen will, die sich einem menschenwürdigen Zusammenleben verpflichtet.

Besuche bei Vereinen in verschieden Bundesländern, in Städten oder auf dem Land sind nicht selten ernüchternd, weil man erkennen muss, dass es oft mit dem politischen Problembewusstsein nicht weit her ist. Beispiel: Ein Wochenende irgendwo auf dem Land in der Republik. Der Fußballverein hat ein Pokal-Turnier. 200 m Luftlinie entfernt lädt die AfD zum Familienfest mit Kinderprogramm. Zuschauer und die Besucher wechseln zwischen Sportplatz und Festplatz. Keine Berührungsängste? Der Gefragte schaut ungläubig. „Wieso? Das sind doch alles nette Menschen. Was die denken oder wählen, interessiert mich nicht.“ Oder: „Den kenn ich, und politisch sind wir auf einer Wellenlänge.“ Oder: „Wenn der beste Spieler aus der Mannschaft aus Syrien kommt, dann kann man über einiges hinwegsehen.“ Was bitte? Keine Antwort. Oder doch: „Ich bin nicht rechts, aber manches geht hier nicht mehr so weiter…“

An anderen Orten hört man immer noch jedes Wochenende auf dem Platz und von den Rängen rassistische Sprüche gegen Spieler oder Schiedsrichter. Der Sport wehrt sich, aber erlebt immer wieder dieselben Szenen. Die Grenzen des Tolerierbaren werden auch da, wo es um Spaß und gesunden Wettbewerb, um Freude am Spiel geht, immer weiter geschoben und dreister überschritten.

Freiheit für Frauen gibt es da nicht

Eine junge Afghanin, Malala, die aus ihrem Land geflohen ist, jetzt Medizin studiert und nebenher als Übungsleiterin in einem Verein Kindern Basketball beibringt, hat kopfschüttelnd in den letzten Tagen beobachtet, was an Berliner Universitäten passiert. „Wer in Länder wie mein Heimatland, Saudi-Arabien oder den Iran schaut, wie kann der die Hamas oder die Hisbollah glorifizieren? Freiheit gibt es da nicht, und besonders nicht für Frauen. Natürlich ist das rücksichtslose Vorgehen der Regierung Israels gegen die Zivilsten nicht zu akzeptieren, aber da gibt es eben Terrorgruppen, die mit dem Massaker am 7. Oktober das alles ausgelöst haben.“ Malala versucht ihren Basketball-Mädchen zu erklären, „dass man nicht alles glauben soll, was man hört“. Sondern sich selbst aus unterschiedlichen Quellen informiert. „Tiktok ist nicht die wirkliche Welt“, sagt sie ihren Schützlingen immer wieder.

Dieser Tage wird einer der Väter des Grundgesetzes, der SPD-Politiker Carlo Schmid, gerne zitiert: „Man muss auch den Mut zur Intoleranz gegenüber denen aufbringen, die die Demokratie gebrauchen wollen, um sie umzubringen.“

Neutralität?

Das gilt besonders auch im Umgang  mit der AfD, wo sich der DOSB anfangs schwer tat, weil er ja zur parteipolitischen Neutralität verpflichtet ist. Anlass, sich intensiver mit der AfD auseinanderzusetzen, war das Potsdamer Treffen von Rechtsextremen, an dem Mitglieder der AfD, CDU und der Identitären Bewegung teilgenommen hatten. Dabei wurden „Remigrations“-Phantasien vorgestellt, die böse Erinnerungen an die berüchtigte Wannsee-Konferenz von 1942 bei vielen weckten. Dieses Treffen brachte hunderttausende BürgerInnen, die bisher eher lethargisch und politikverdrossen alles hinnahmen, auf die Straße, um „ihre“ Demokratie zu verteidigen. Auch im Sport reagierten vor allem Fußball-Bundesligatrainer und SportlerInnen und Vereine sehr spontan auf dieses unsägliche Treffen.

Man darf sich „verhalten“

Was also heißt in diesem Fall Neutralität? „Parteipolitische Neutralität verbietet dem Sport, sich explizit und ausschließlich gegen eine Partei oder für eine Partei auszusprechen oder gegen sie zu stellen“ erklärte die Referatsleiterin Jugend und Sportpolitik der Hessischen Sportjugend, Angelika Ribler, in einem Radiointerview. Und weiter: „Es entlässt den Sport aber nicht aus einer gesellschaftspolitischen Verantwortung“, so Ribler, die Vereine im Umgang mit Rechtsextremismus in Hessen berät.

Um zu klären, wo die Grenzen politischer Neutralität des Sports sind, die nicht die Gemeinnützigkeit in Frage stellen, gab die dsj ein Rechtsgutachten bei Professor Martin Nolte, dem Leiter des Instituts für Sportrecht an der Deutschen Sporthochschule, in Auftrag. Quintessenz seiner Beurteilung: Der Sport als eingetragener Verein sowie überhaupt Vereine dürfen sich nicht nur, sondern sollen sich zu aktuellen politischen und gesellschaftspolitischen Themen auf jeden Fall verhalten.

Klare Kante

Mittlerweile ist die Haltung klar: DOSB-Präsident Thomas Weikert hat sich am Parlamentarischen Abend des Sports in Berlin am 16. Mai noch einmal klar von der AfD und ihren Protagonisten distanziert.

Nun also die Kampagne, die sich aber nicht nur an Demokratiefeinde von außen, sondern auch an die in den eigenen Reihen wendet – denn auch die Sportorganisationen sind ein Querschnitt der Gesellschaft, und auch da tummeln Menschen, denen man nicht auf den ersten Blick ansieht, dass sie für die Werte des Sports wenig bis nichts übrig haben.

Die optische Umsetzung der Slogans auf Plakaten wie „Kein Bock für Nazis“ oder „Fremdenhass? Stösst bei uns auf Ablehnung“ und „Menschenrechte sind keine Masche“ sollte manchen, den es angeht, schon mal ins Grübeln bringen.

Inhaltlich füllen

Es kann natürlich nicht bei so einer Kampagne und Plakaten allein bleiben, sondern da muss dann nun auch inhaltlich was kommen“, sagt Folkmann.

Inhaltlich haben die Jugend-Dachorganisation sowie die der Landessportbünde eine Menge aufzuweisen. In Zusammenarbeit mit der Zentrale für politische Bildung oder anderen Partnern werden sie weiter kreativ und engagiert neue Ideen entwickeln. Unterstützt nun also von einem DOSB, der damit zeigt, dass ihm gesellschaftlich relevante Themen, die lange vernachlässigt wurden, wieder wichtig sind. Auch im eigenen Interesse, wie schon der Schriftsteller Max Frisch feststellte: „Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einzumischen.“