Mehr Professionalität oder die (un-)bedachte Machtverlagerung

Auf der Mitgliederversammlung in Dresden will der DOSB mit einer Struktur- und Satzungsänderung den bisher ehrenamtlich geführten Sport auf neuen Kurs bringen

Berlin, 1.Dezember. – Es ist wieder einmal ein Déjà-vu-Erlebnis: Die Diskussion um die Strukturreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), die nun am 6. Dezember bei der Mitgliederversammlung in Dresden verabschiedet werden soll, weckt Erinnerungen. Strukturdiskussionen im deutschen Sport – das hat(te) was.

Krach, Ärger, Kompetenzgerangel und viel Frust begleiteten beispielsweise 1989 die Arbeit an dem Strukturpapier, das auf der Grundlage der „Leitlinien im Spitzensport“ entstand und in Würzburg verabschiedet wurde. Oder als die Fusionsdiskussion entbrannte, die bis hin zu persönlichen Verletzungen ging, weil mancher Funktionär den eigenen Machtverlust schon ahnte.

Nun also fühlte sich die DOSB-Führungscrew bemüßigt, mal wieder eine Reform anzuleiern. Aber merkwürdigerweise gab es diesmal keinen öffentlichen Schlagabtausch zwischen den Mitgliedsorganisationen. Also alles einvernehmlich und gut? Friede, Freude, Eierkuchen? Nun ja.

Rege öffentliche Diskussionsfreude gibt es ja seit Jahren im deutschen Sport nicht mehr. Und mit der Transparenz ist das auch so eine Sache. Auf Anfrage beim DOSB, ob man die neue Satzung haben könnte, wurde man mit einem „Geht nicht, ist nicht offiziell“ oder ähnlichem abgespeist. Warum ein Geheimnis daraus machen, wenn alles koscher ist?

Auf den ersten Blick scheinen ja die Veränderungen irgendwie Sinn zu machen. „Ein Ehrenamt kann man heute nicht mehr zwischen 16 und 18.30 Uhr in einer Organisation führen“, so DOSB-Sprecher Christian Klaue zu der Veränderung, die das ehrenamtliche Präsidium entlasten soll: Das wird nämlich in Zukunft als eine Art „Aufsichtsrat“ über den hauptamtlichen Vorstand wachen, der das operative Geschäft führt. Aha? Und ist das nicht jetzt auch schon so?

Nicht viel ändern

Eigentlich werde sich nicht viel ändern, bestätigt auch Klaue. Dieses neue Konstrukt ist eine andere Rechtsform, bei der die ehrenamtlichen Präsidiumsmitglieder aus der finanziellen Haftung entlassen sind. Hätten sie bisher Mist gebaut, ohne böse Absicht, so mussten sie gegen etwaige finanzielle Folgen versichert werden, wie das heute auch in Sportorganisationen üblich ist.

Also soll dann die Reform den Zeitaufwand reduzieren? „Wo gewinnt man da Zeit, wenn man eine vorbereitete Unterschriftenmappe auf den Tisch kriegt und seinen Krakel drunter macht?“, fragt ein Ehrenamtlicher. „Sie glauben doch nicht, dass Präsidenten oder Präsidentinnen oder Präsidiumsmitglieder sich von Repräsentationsterminen verabschieden? Die wollen doch überall dabei sein. Ich weiß, wovon ich rede, man könnte ja etwas verpassen.“ Sarkastisch beschreibt er, wie sich in die Gremien gedrängelt wird: „Und noch ein Posten und noch ein Amt. Das unterstreicht, wie wichtig man ist. Es gibt nur wenige, denen es dann ernsthaft um die Sache geht, und die haben auch keine 20 Posten, wo sie ganz schnell den Überblick verlieren oder überfordert sind. Das ist im Sport genau so wie in anderen Bereichen.“

Das neue Präsidium ist, so sieht es die Struktur vor, die strategische und sportpolitische Führungsebene – also soll es weiter das „Sagen“ haben, obwohl die fünf Sportdirektoren unter der Leitung des Generaldirektors als geschäftsführender hauptamtlicher Vorstand aufgewertet werden.

Kritik und Ängste

Wer sich in den Mitgliedsorganisationen umhört, stößt dann doch auf Kritik und Ängste. Zwar habe man Verständnis, dass da ein ehrenamtlicher DOSB-Präsident entlastet werden will. „Ich möchte kein Papierraschler sein“, hat Alfons Hörmann bei einem Treffen mit den Landessportbünden unter anderem als Begründung für die Reformen angegeben. Aber ein ungutes Gefühl beschleicht doch viele, wie weit die Befugnis der Hauptamtlichen dann tatsächlich gehen wird. Und ob die Möglichkeiten von Kontrolle und Korrektur nicht nur reduziert, sondern vielleicht auch kaum noch möglich sind. Eine vielleicht (un-)bedachte Machtverlagerung?

Denn Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Noch dazu, wenn es um einen Mann wie Michael Vesper geht, der vermutlich der Chef des geschäftsführenden Vorstandes wird. Der ehemalige Grünen-Minister aus NRW wurde 2006 vom DOSB eingekauft, erarbeitete sich mit guten Kontakten und als enger Vertrauter des damaligen Präsidenten Thomas Bach viel Einfluss. Mit seinem oft rüpelhaften Auftreten machte er sich aber nicht überall Freunde, sagen Kritiker. Viele nehmen dem Sportdirektor auch übel, dass er sich offenbar immer noch bei seinem früheren Herrn und Meister in Lausanne rückversichert.

Dass Vesper ein anderes Verständnis als ein üblicher Angestellter hat, das hat er mit zahlreichen Alleingängen als graue Eminenz in den letzten Jahren immer wieder bewiesen, wo er weit über das Maß eines Hauptamtlichen hinaus Inhalte bestimmte.

Die personelle Konstellation schürt die Befürchtung, dass es in Zukunft noch mehr um Spitzensport gehen wird und der Breitensport hinten runterfällt, wie ein Landessportbundvertreter befürchtet, weil „die Landessportbünde ja nicht mehr ernst genommen werden“.

Nicht unverhältnismäßig

Doch öffentlich will zur personellen Konstellation kaum einer etwas sagen. Die Geschichte mit dem hauptamtlichen Präsidenten Vesper sei ja zum Glück gescheitert, aber ist er das jetzt nicht doch irgendwie? Dass sich da nichts mehr ändern lässt, davon sind alle überzeugt, auch wenn das neue Präsidium den Vorstand beruft. Das wird dann, wenn denn die Reform- und Satzungsänderung mit einer Dreiviertelmehrheit in Dresden durchgeht, in einer unmittelbar an die Mitgliederversammlung anschließenden Sitzung geschehen. „Über neue Verträge oder Vertragsverlängerungen oder eventuell weitere personelle Vorschläge wird das neue Präsidium entscheiden“, sagt DOSB-Pressesprecher Klaue. Und auch über die Höhe des Gehalts. Der Generaldirektor kann bisher mit dem der Bundeskanzlerin mithalten.

In der Satzung (auch schon in der alten übrigens) steht in diesem Zusammenhang ein interessanter Passus im Paragrafen 5 unter dem Titel „Gemeinnützigkeit“, Absatz 5. „Es darf keine Person durch Ausgaben, die dem Zweck des DOSB fremd sind, oder durch unverhältnismäßig hohe Vergütungen begünstigt werden.“

Wer bestimmt aber, was verhältnismäßig ist? Und da kommt ein weiterer Kritikpunkt an der neuen Führungsstruktur ins Spiel: „In allen Sonntagsreden wird über die einmalige Art des deutschen organisierten Sports gelabert, den es ohne Ehrenamtlichkeit so nicht gäbe. Wie sollen wir unseren ehrenamtlichen Leuten erklären, dass da in der Dachorganisation Jahresgehälter über 300 000 Euro bezahlt werden?“, sagt ein Verbandsvertreter. Geld einsparen wird man mit der neuen Struktur auf keinen Fall.

Noch Non-Profit-Organisation

Überhaupt: Passt das zu einer Non-Profit-Organisation? Wie lange kann der DOSB noch als „gemeinnützig“ gelten, fragen sich viele. Ist der DOSB wirklich „selbstlos tätig und verfolgt nicht in in erster Linie eigenwirtschaftliche Zwecke“, wie es in der Satzung heißt? Da gibt es mittlerweile doch so einige Zweifel. Mancher im deutschen Sport sieht in dieser Strukturänderung so etwas wie einen Systembruch.

Oben agiert man auf einer anderen Basis als unten. Eigentlich müssten die Mitgliedsorganisationen sich dann der vorgegebenen Struktur anpassen. Manche wie der Landessportbund Nordrhein-Westfalen oder der Deutsche Skiverband (dessen Präsident Hörmann war) haben diese Struktur schon umgesetzt. Niedersachsen wird nun, trotz Protesten, folgen. In anderen Landessportbünden und Verbänden ist man mit den bisherigen Strukturen zufrieden.

Viele werden sich teuere Änderungen gar nicht leisten können. „Wie soll so eine Anpassung gehen. Welcher normale Verband oder Verein könnte sich solche Strukturen leisten?“, fragt ein Turner, dessen unglücklich agierender Präsident Rainer Brechtken vom klammen Deutschen Turnerbund übrigens auch in dem DOSB-Strukturgremium saß, das mit seinen Änderungen vor allem mehr Professionalität verspricht. Die ist ja auch irgendwie personengebunden.

Willkommen im Unternehmen DOSB

Neue Strukturen – alte Köpfe. Es wird sich zeigen, wo die Reise des DOSB den deutschen Sport hinführen wird. Optimisten sehen in dieser Reform eine „Anpassung an Umstände, wachsenden Aufgaben- und Arbeitsaufwand sowie an Anforderungen des Hochleistungssports.“ Pessimisten befürchten, dass die Strukturänderung die erste Etappe zur Spaltung des deutschen Sports ist: hier Spitzensport – dort Breitensport.

Also: Adieu zur manchmal eigensinnigen, anstrengenden, aber engagierten und kreativen Vereins– und Verbandswelt – willkommen im mittelständischen Unternehmen DOSB, wo nun auch Begriffe wie Compliance und Good governance Einzug halten und grobe Fouls kaschieren sollen.

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