Drei Monate nach der Verabschiedung der Leistungssportreform: Absetzbewegungen und Verunsicherung
Berlin, 21.Februar. Die Chaos-Theorie besagt im wesentlichen: Es gibt Systeme, die, anders als wir vermuten, nicht vorausberechenbar sind. Und die durch kleinste Veränderungen oder Einflüsse aus den Fugen und ins Chaos geraten. Besonders groß wird das Chaos, wenn die Beteiligten in verschiedene Richtungen mit Lösungsansätzen agieren, die von Eigeninteressen gesteuert sind. Womit wir bei der Leistungssportreform des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) wären.
Die DOSB-Mitgliederversammlung in Magdeburg, wo dem umstrittenen Leistungssportkonzept von DOSB und Bundesinnenministerium (BMI) 98 Prozent der Verbände (fünf Enthaltungen, eine Gegenstimme) zustimmten, liegt nun schon fast drei Monate zurück. Wie also ist nun der Stand der Reform-Dinge?
Die Lage-Analysen aus den Mitgliedsorganisationen könnten nicht unterschiedlicher sein. Von vorauseilendem Aktionismus, konstruktiven Ergebnissen, Verärgerung und Stillstand ist die Rede. Das Fazit aber fast aller ist: „Es läuft ziemlich chaotisch.“ Da fällt einem der Satz des ehemaligen Stuttgarter Oberbürgermeisters Manfred Rommel ein, der feststellte: „ Die Summe der Einzelinteressen ergibt nicht das Gemeinwohl, sondern Chaos.“
Wuseln ins Blaue
Warum? „Wir treffen hier Entscheidungen, ohne zu wissen, ob sie Bestand haben und Sinn machen“, sagt ein Sportdirektor. „Wir wuseln vor uns hin, ohne zu wissen, ob wir jetzt die richtigen Weichen stellen. Es ist wie der berühmte Schuss ins Blaue“, sagt ein anderer Verbandsvertreter. Stillstand – vor allem in den Ländern Saarland, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, wo neben der Bundestagswahl in den nächsten Monaten noch Landtagswahlen anstehen.
Wahlen hin oder her: Das Bundeskabinett nahm nun die Leistungssportreform, die Bundesinnenminister Thomas de Maizière seinen KollegInnen vorstellte, zur Kenntnis. Eine Reform, die im Werden ist, und sicher nicht so umgesetzt werden wird, wie sie auf dem Kabinettstisch lag. Aber: Der Minister hat nun Rückendeckung, falls etwas gründlich schief laufen sollte. Etwa wenn die Finanzierung des Reformvorhabens alle zu verantwortenden Rahmen sprengen sollte. Denn wie teuer das neue Sport-Gesamtkunstwerk den Steuerzahler kommen wird, weiß bisher niemand wirklich. Und die von den Verbänden 2015 errechneten 53 Millionen Euro sind „eine Größe in einem unbekannten schwarzen Loch“, sagen Ökonomen und Leute, die sich in Sport- und Verbandsstrukturen auskennen, zu dieser Finanz-Prognose.
Durchwinken – der Startschuss
Für DOSB-Präsident Alfons Hörmann ist das Durchwinken der Reform durch das Kabinett laut Sportinformationsdienst (sid) der „endgültige Startschuss“, um jetzt das Papier konkret umzusetzen. Schließlich soll die Reform ab dem 1. Januar 2019 den deutschen Sport langfristig auf edelmetallglänzenden Erfolgskurs bringen.
Von einem ambitionierten Zeitplan sprechen da Fachleute, die angesichts der noch ungeklärten Probleme davon ausgehen, „dass der Zeitkorridor kaum einzuhalten ist, will man die Punkte seriös und nachhaltig abarbeiten.“ Begründung: Man ist nun in einem vorolympischen Zyklus, und es könne nicht mittendrin einfach alles Mögliche umgekrempelt werden. Frühestens, so sagen sie, würde man nach den Spielen in Tokio mit der wirklichen Umsetzung beginnen können. Das wäre dann 2020/2021.
Viele haben noch Gesprächsbedarf. Etwa die Oppositionsparteien und der Sportausschuss im Deutschen Bundestag. Die Grünen wollen im Plenum über die Reform diskutieren. Auch die Linken sehen das so, und die Koalitions-VertreterInnen im Sportausschuss sind ebenso dabei. Der Unmut über die Art und Weise, wie BMI und DOSB das ganze Reformvorhaben durchgezogen haben, hält noch immer an. Nur abnicken? Ganz sicher nicht. Schließlich seien die Parlamentarier ja auch diejenigen, die die Mittel genehmigen und dafür geradestehen müssten.
Kampf um Lufthoheit
Währenddessen scheint das Machtgerangel zwischen BMI und DOSB um die Lufthoheit über den deutschen Spitzensport weiterzugehen. Immerhin hat man sich jetzt auf einen PotAS-Vorsitzenden geeinigt. Es wird der Sportpsychologe Bernd Strauß, Professor an der Universität Münster, sein. Der 58-jährige, der auch Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesinstituts für Sportwissenschaft (Bisp) ist, war der Wunschkandidat des BMI. Sein Name fiel schon im November am Rande der Anhörung im Sportausschuss. Im April soll Strauß nun mit seiner Kommission loslegen, die es noch zu besetzen gilt (der Bundesinnenminister beruft die VertreterInnen). 700.000 Euro pro Jahr wird das Gremium inklusive Geschäftsstelle den Steuerzahler kosten.
In der Zwischenzeit finden unzählige Abstimmungsprozesse statt. Bis Juni sollen die Verbandsgespräche abgeschlossen sein, die derzeit schon im Gange sind – eine Herausforderung auch für den Vorstand Leistungssport Dirk Schimmelpfennig, den Sisyphus des deutschen Sports. Er ist nicht zu beneiden. Denn in diesen Gesprächen wird die langsame und mühevolle Vorwärtsbewegung der Beteiligten nicht selten schnell wieder zur Rückwärtsbewegung, weil die Erwartungen und Umsetzungsmöglichkeiten der Verbände oft nicht kompatibel sind mit denVorstellungen des DOSB (und des BMI).
Neu justieren
Kritiker sehen sich bestätigt. Alte Probleme sind die neuen. Und weitere sind hinzukommen. „An vielen Stellen muss in dem Reformpapier heftig nachgearbeitet und neu justiert werden. Nach wie vor gehen die Vorstellungen von BMI und DOSB immer noch weit auseinander“, sagen alle, die das sportfachliche operative Geschäft umsetzen müssen. Und natürlich haben auch die Verbände in vielen Fällen noch ganz andere Ideen als BMI oder DOSB. Und die Länder wollen auch mitmischen.
Allein das Reduzieren von Olympia- und Bundesstützpunkten wird eine Mammutaufgabe. Für den Moment, wo es ans Eingemachte, sprich Schließung oder Zurückstufung von Zentren geht, ist Krach schon mal programmiert. Länderpolitiker, die in den letzten Monaten harmonisch Zustimmung zur Leistungssportreform bekundeten, werden ebenso wie Kommunalpolitiker in dem Moment zu Widerstandskämpfern, wenn ihnen Sportzentren weggenommen werden sollen, die mit Steuermitteln jahrelang teuer bezahlt wurden. Wer Geld gibt, möchte verständlicherweise auch mitbestimmen.
Und da mutet es schon wie ein Streich aus Schilda an, wenn etwa Bundesleistungszentren, die mit Millionen öffentlicher Mittel in den letzten Jahren gebaut oder renoviert wurden, nun auf der Streichliste des DOSB stehen, weil es sportfachlich plötzlich keinen Sinn mehr macht. „An vielen Stellen ist da mit viel Geld was hingestellt worden. Ohne Hirn und Verstand“, schimpft ein leidtragender Nachlasserbe. Nicht nur aus finanziellen, sondern auch aus Rechtfertigungs- und Imagegründen ist dem Bürger und der Bürgerin dann schwer von Landes- oder Kommunalvertretern zu verklickern, warum gerade ihr Leistungszentrum geschlossen werden soll.
Marode Schanze – Training in Austria
Eine kleine Delegation des Sportausschuss des Deutschen Bundestages reiste in den ersten Februartagen durch die bayerischen Lande. Die Parlamentarier wollten sich die Trainingsstätten des Olympiastützpunktes Bayern in Schönau am Königsee, Ruhpolding und Inzell anschauen. Auf den ersten Blick: Alles paletti unter dem weiß-blauen Himmel. Auf den zweiten Blick dann der Katzenjammer. In einer gemeinsamen Erklärung der Bürgermeister der betroffenen Orte, des Bob- und Schlittenverbandes und des Olympiastützpunktes Bayern wird darauf hingewiesen, dass die Gemeinden „an den Grenzen ihrer Belastbarkeit“ angekommen sind. Dass hier Trainingsstätten geschlossen werden, ist zwar unwahrscheinlich, aber: „Die Defizite gehen eindeutig zu Lasten der Gemeinden“, sagt Klaus Pohlen, Leiter des Olympiastützpunkts. Steigende Unterhalts- und Sanierungskosten ohne mehr Mittel – auf Dauer könne man sich solche kostenintensiven Trainingsanlagen nicht mehr leisten. Und auch nicht erhalten. Es ist schizophren, dass drei 90-Meter-Schanzen, die in Berchtesgaden, Reit im Winkl und Ruhpolding in der Landschaft stehen, wegen Baufälligkeit nicht benutzt werden können. Die Springer nicht nur der Eliteschule Berchtesgaden etwa müssen deshalb nach Österreich zum Training gekarrt werden. Das Bayern-Beispiel ist kein Einzelfall: Kaum oder ungenutzte Stützpunkthallen, -bäder oder -trainingsanlagen findet man einige in Deutschland. Hier haben sich Verbandsfürsten im Zusammenspiel mit der Politik gerne ein Spitzensport-Denkmal gesetzt, das heute ein Sanierungs- oder Abrissfall ist.
Stier mahnt
Harald Stier, stellvertretender Vorsitzender des Sportausschusses, forderte nach dem Besuch: „ Es darf nicht sein, dass jeder versucht, die Kosten beim jeweils anderen abzuladen.“ Es säßen zu viele Partner im Boot. Man müsse eine bessere Vertragsgestaltung zwischen den Beteiligten erreichen. Und mit Blick auf die Reform mahnt der Unionsabgeordnete, es sei richtig, dass im Rahmen der Autonomie des Sports die Sportverbände entschieden, wem das größte Potential zugetraut wird und wo das Geld hingeht. Doch: „Es kann aber auch nicht sein, dass wir riesige Investitionen seitens des Bundes in eine Sportanlage getätigt haben und diese am Ende nicht mehr betrieben werden kann, weil nach Ansicht der Verbände des Potenzial der Sportart nicht mehr vorhanden ist.“
Auch aus diesem Grund ist die Reform aus Sicht der ParlamentarierInnen „noch lange nicht gegessen.“ Auch deshalb nicht, weil schon wieder die Transparenz in Frage steht: „Es werden offensichtlich Bundesstützpunkte geschlossen, aber dann unter einem anderen Titel weitergeführt wie vorher. Es entstehen Landesstützpunkte, weil man sonst auf die Förderung der Länder verzichten müsste. Und man hätte neue Finanzierungs- und Stellenprobleme: TrainerInnen können nicht weiter beschäftigt und vor allem nicht mehr bezahlen werden, wenn diese Mittel wegbrechen. Da werden gerade Mogelpackungen verkauft statt ordentliche Rahmenbedingungen und Strukturen geschaffen“, berichten Insider. Anderseits wird beklagt, dass man nun die Olympiastützpunkte einem Nivellierungsprozess unterziehe. Alle sollen gleich behandelt werden. Im Ansatz richtig, bringt aber gut funktionierende Olympiastützpunkte nun eventuell finanziell in Nöte, weil das Budget kleiner wird. Das hat zur Folge, das beispielsweise Serviceleistungen im therapeutischen Bereich für die SportlerInnen gestrichen werden müssen. Wer die Aufgaben übernimmt? Achselzucken.
Transparenzportal
Wer bezahlt was? Wer bekommt Geld wofür? Bisher war der Fluss der öffentlichen Mittel im Sport nicht immer wirklich nachzuvollziehen, was der Bundesrechnungshof stets beklagte und Transparenz einforderte. Das BMI versicherte immer wieder, bei der Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung genau darauf ein besonderes Augenmerk zu legen. Und auch die Parlamentarier sind beim Geld für das Reformvorhaben besonders nickelig. In ihrem Bundestagsantrag fordern die Grünen „ein Transparenzportal im Bezug auf die Förderung durch die öffentliche Hand“.
Die Chaostheorie bestätigt sich in der Stützpunktfrage. Und löst weitere Verwirrungen und Verunsicherung bei AthletInnen aus. Es ist nicht generell geklärt, was passiert, wenn SportlerInnen zu einem anderen Stützpunkt wechseln müssen. Kann ich da studieren? Wie sieht es mit einer Wohnung aus? Wer übernimmt die Kosten? Dass die Deutsche Sporthilfe nun auch nur noch die Besten der Besten mit Medaillenaussichten fördern will, verunsichert die Aktiven noch mehr. Und so manche, die schriftlich von der Sporthilfe mitgeteilt bekamen, dass sie nun aus der Förderung gekickt werden, können sich den Spitzensport dann nicht mehr leisten: Sie werden aufhören.
Fragen und Ängste
Auch im Nachwuchsbereich, wo Schüler und Schülerinnen ihren Lebensmittelpunkt an andere Standorte verlegen müssen, wenn ihr Stützpunkt geschlossen wird, gibt es Verunsicherung, viele Fragen und Ängste. Warum muss man nun dort trainieren? Geht der eigene Trainer mit? Gibt es genügend Internatsplätze? Wie sieht es mit den schulischen Anforderungen in dem anderen Bundesland aus? Kann man einfach wechseln, ohne zu viel Zeit zu verlieren? Das sind Fragen, mit denn sich nicht nur Reinfried Kugel, verantwortlich für die Nachwuchsförderung in Berlin noch mehr als sonst beschäftigen muss.
„Ich finde es richtig, dass es eine Reform gibt, dass sich etwas ändern muss. Aber wir haben einfach zu viele Baustellen. Und meine Befürchtung ist, dass sicher viele AthletInnen aufhören werden, auch im Nachwuchsbereich, weil sie sich mit zusätzlichen Problemen belasten müssten.“ Sportverantwortliche aus Köln oder Frankfurt stimmen ihm zu. Kritiker beklagen, dass entscheidende Punkte, die man in den Reformversuchen der letzten Jahrzehnte vernachlässigt habe, auch diesmal nicht wirklich im Fokus stünden: Etwa die TrainerInnen und AthletInnen.
Verpuffte Trainer-Offensiven
A propos: Die Trainerproblematik begleitet den deutschen Spitzensport seit Jahrzehnten. Zahlreiche Offensiven wurden gestartet, die aber immer wieder verpufften. Qualifizierung und Ausbildung wurden ebenso vernachlässigt wie die Frage um das liebe Geld: Eine verlässliche Gehaltsstruktur ist seit langem überfällig, ebenso wie die damit verbundene frühzeitige finanzielle Planungssicherheit für die Verbände. Das arbeitsrechtlich fragwürdige Von-Vertrag-zu-Vertrag-Hangeln, das Bangen, ob und wie es weiter geht, ist nicht nur für die Betroffenen eine Zumutung. Der nicht selten 60 Wochenstunden schwere Job ist bei schlechter Bezahlung weder familienfreundlich noch gesundheitsfördernd. Dass heute gute Trainer ganz schnell dem deutschen Sport den Rücken kehren, wenn sie ein finanziell besseres Angebot bekommen, ist mehr als verständlich.
Warum DOSB und BMI und auch ein Gros der Verbände nicht hinkriegen, was in Landessportverbänden wie Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt oder Berlin möglich ist, verstehe wer will: Dort wurden nämlich Tariftabellen erarbeitet – mit transparenten Kriterien. Nachfrage beim zuständigen Abteilungsleiter für Leistungsport in Berlin, Frank Schlizio: „Wir haben versucht, mit den vorhanden Mitteln ein gerechtes Tarifsystem mit transparenten Kriterien zu entwickeln. Natürlich sind wir da immer noch in Gehaltsbereichen, wo andere erst gar nicht anfangen würden zu arbeiten“, erklärt er. Um gute und qualifizierte Trainer zu haben, müsse man endlich mehr Mittel zur Verfügung stellen. Und auch die Ausbildung verbessern.
Nix ohne AthletInnen
Lösungen müssen auch für diejenigen gefunden werden, ohne die nix geht: Die AthletInnen. Offiziell reden sie mit, wie der Sport, ihr Sport, in Deutschland aussehen soll. Aber ist das wirklich so? Sie haben eine Athletenkommission, und deren Sprecher sitzt mit im DOSB-Präsidium. Mitreden? Mitentscheiden? Die Realität sieht anders aus. Beispiel Magdeburg. Mühsam erkämpften die SportlerInnen, dass der Satz „Einbindung der AthletInnen unter anderem in die Strukturgespräche“ in die Beschlussvorlage zur Reform aufgenommen wurde. Denn: Auch die Athleten beklagten während des ganzen Reformprozesses, dass sie draußen vor der Tür gelassen wurden. Dabei sollten sie doch – so die Väter der Reform – im Mittelpunkt stehen. In Magdeburg war Christian Schreiber noch Sprecher der Athletenkommission. Nun ist er es nicht mehr. „Berufliche Belastung“ war der offizielle Rücktrittsgrund. Doch eher ist wohl richtig, dass der ehemalige Ruderer, der es allen recht machen wollte, zwischen den Loyalitäts-Mühlen zerrieben wurde.
Vor einigen Tagen gab Alfons Hörmann auf Eurosport in der Sendung „Wintersport Extra“ ein Interview. Er sehe es „als wertvoll und wichtig an, dass die Athleten mehr und mehr, wie es so schön heißt, auf die Barrikaden gehen“. Er bezog das aber auf den Kampf gegen Doping. Da würden die Sportler den Druck auf die Funktionäre erhöhen. Denn ansonsten sind mündige AthletInnen vor allem Störenfriede in den Kreisen der DOSB-Granden. Das wäre ja noch schöner, wenn die jetzt auch noch in eigener Sache eine Idee – und noch schlimmer – ihre eigene Meinung hinausposaunen, die meistens nicht deckungsgleich mit der der FunktionärInnen ist.
Nicht zu ändern
Schreiber-Nachfolger Max Hartung wagte es, die immer wieder mal entfachte Diskussion aufleben zulassen, ob die Bundeswehr als Förderer von Spitzensportlern so erstrebenswert sei, und ob man die 50 Millionen, die die Bundeswehr dem Sport zukommen lasse, nicht intelligenter und fairer einsetzen könne. Und wurde gemaßregelt.
Übrigens hatte sich der meinungsfreudige Athlet schon vor seiner Wahl zum Sprecher im ZDF-Sportstudio und beim Leistungssportforum des Deutschlandfunks ähnlich geäußert. Da empörte sich niemand. So musste der Fechter die Erfahrung machen, dass mit dem Amt die öffentliche Aufmerksamkeit wächst und man schnell in eine offene Klinge rennt, wenn man ehrlich sagt, was man denkt. Die Folge: Die SportlerInnen halten sich zurück, weil mal wieder der DOSB-Bannstrahl ausgeschickt wurde.
Ziele aktualisieren
„Verwunderte Verwirrung“ löste auch der fachlich und sachlich geschätzte Herr Schimmelpfennig mit einem sid-Interview aus. Der DOSB, stand da zu lesen, schafft für die Winterspiele in Pyeongchang im nächsten Jahr die Medaillenprognose ab. Um diese „Zielvorgaben“ gab es vor jeden Spielen immer wieder Ärger, weil sich manche Verbände beim Einschätzen des zu erringenden Edelmetalls gerne überschätzten. Warum also nicht ein stetes Ärgernis abschaffen?
Schimmelpfennig, der auch Chef de Mission in Südkorea sein wird, erklärte, man werde mit den Verbänden „die Ziele aktualisieren. Für uns ist der Ansatz, dass man den Leistungssport nicht auf Medaillen reduzieren sollte.“ Erstaunen. Und er fuhr fort: „Selbstverständlich bleibt es dabei, dass wir Medaillen gewinnen wollen. Aber wir freuen uns auch über Weltklasseleistungen, die sich im unmittelbaren Umfeld der Podestplätze bewegen, oder über Athleten, die ihre Bestleistung erreichen.“ Er räumte aber ein, dass man doch eine kleine Vorgabe machen werde, denn die Winterspiele von Sotschi mit 19 Mal Edelmetall sollten Maßstab sein. Prognostiziert waren damals 27 bis 42.
Kein Widerspruch
Ja, nun steht man etwas ratlos da. Die Aussagen, dass Medaillen nicht mehr das Maß aller Förderbedingungen sein sollen, wäre ja als erfreuliche Trendwende zu sehen. Gäbe es da nicht die Spitzensportreform. Und das dort als unumstößlich gepredigte Medaillen-Bekenntnis von Bundesinnenminister und DOSB-Präsidenten.
Und nun konterkariert der DOSB seine eigene Reform? Schimmelpfennig sieht in den Aussagen keine Rückwärts-Bewegung und keinen Widerspruch zum Leistungssport-Konzept. Auf Anfrage bei der DOSB-Pressestelle am 8. Februar antwortet er mit Sätzen aus dem Abschnitt I des Reformpapiers, wo es um die Bedeutung und die staatliche Repräsentation des Sports in Deutschland geht. Was aber die eigentlichen Fragen, wie das alles nun zusammenpasst, nicht beantwortet.
Überrascht von der „neuerlichen Pirouette“ wurde man im BMI, das den DOSB kurz darauf öffentlich mahnte, nicht von der Fahne zu gehen. Das BMI erwarte, „dass die im Reformkonzept formulierten Zielstellungen nach wie vor vom DOSB mitgetragen werden“. Dazu gehöre unter anderem „die Konzentration der vorhandenen Mittel auf die perspektivreichsten Athleten und Disziplinen mit einem Erfolgspotenzial: vier bis acht Jahre zum Podium“.
Absetzbewegungen
Beim DOSB-Präsidenten sind einige Absetzbewegungen festzustellen. So lässt Alfons Hörmann den Ball des Sports in Wiesbaden sausen und stattet lieber der umgebauten Heini-Klopfer-Schanze in seiner Heimat einen Besuch ab, wo er, wie die „Allgäuer Zeitung“, der er ein Interview gibt, schildert, im Matsch stand.
Seine sehr, sehr späte Absetzbewegung – erstmals in Magdeburg – vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) und dessen weltweit kritisierter (Nicht-)Haltung bei der Dopingpolitik im Zusammenhang mit den Russen, umschreibt Hörmann in dem Gespräch wie gewöhnlich wortreich und nach dem Motto: Schuld sind immer die anderen. Man wolle, hatte Schimmelpfennig dem sid gesagt, „das Bewusstsein für den Leistungssport auch dadurch schärfen, dass wir komplexere Ziele setzen“. Zu beachten seien auch sportpolitische Entwicklungen wie der Anti-Doping-Kampf.
Der Präsident distanziert sich in der heimatlichen Zeitung auch von der eigenen Reform, wenn er auf die Frage: „Die Zahl der Medaillen ist für Sie also gar nicht entscheidend?“ antwortet: „Man darf nicht immer alles nur an Medaillen festmachen….“ Aha, jetzt ist plötzlich alles anders?
Vertrauen geht anders
Zur Chaos-Klärung, Richtungsweisung und Glaubwürdigkeit tragen diese neuerlichen Einlassungen nicht bei. Ist dieser Salto rückwärts ein Zugeständnis an die Verbände, weil man die gegebenen (finanziellen) Versprechungen nicht einhalten kann und sie bei Laune halten muss? Oder ein Autonomie-Hinweis und sportlicher „Ätsch-Gruß“ des DOSB im Machtspielchen mit dem BMI?
„Ich habe Vertrauen, dass deutsche Sportfunktionäre moralisch integer handeln und die Einhaltung von Fair Play und Unbestechlichkeit beachten.“ Nur 27 Prozent der Befragten stimmten diesem Satz laut einer Studie der Deutschen Sporthochschule zu, in der es um die Akzeptanz des Spitzensports in der Bevölkerung ging.
Vertrauen geht anders. „Chaos ist gelegentlich nötig, um festgefahrene und erstarrte Strukturen aufzubrechen. Dann ist neues Wachstum möglich“, behauptet die Schriftstellerin Eva Roth. Sie kennt aber offensichtlich den deutschen Sport und vor allem den DOSB nicht.
Diesen und weitere Beiträge, u. a. von Professor Wolfgang Buss und Professor Thomas Alkemeyer sowie ein Interview mit dem sportpolitischen Sprecher der Linken, Dr. Andre Hahn, finden Sie zum Themenbereich Spitzensportreform in der neuen Ausgabe des „Olympischen Feuers“, der Zeitschrift der Deutschen Olympischen Gesellschaft (DOG).