Das laue Lüftchen wird zur leichten Böe

Öffentliche Erklärungen, weitere Kritik, Lob aus NRW zur Spitzensportreform des DOSB

Berlin, 9. November. Mittlerweile rumort es nicht nur hinter den Kulissen, sondern einige wagen sich mit ihrer Kritik an der Spitzensportreform auch aus der Deckung: Die Athleten, die ja im Mittelpunkt der neuen Reform stehen sollen, fühlen sich nicht nur beim Reformprozess außen vor gelassen. Vor allem verstehen viele nicht, dass außer Medaillen nichts anderes zählen soll. Nicht nur deswegen hat die Vollversammlung der Athletenvertreter am 30. Oktober in Bonn beraten, wie sie in Zukunft ihre Interessen selbst gut vertreten können. Der DOSB tut das offensichtlich nicht (was nun  auch an eigenen Pressemitteilungen der Athleten zu erkennen ist).

Auch die Bundestrainer reagierten irritiert und verschnupft auf die Rede von Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) bei ihrer Konferenz in Stuttgart vor ein paar Tagen, als er ihnen und den Verbänden vorwarf, „in Wandelgängen manches wie die Potenzialanalyse wortgewaltig in Frage zu stellen, aber kaum durchzublicken: „Viele diskutieren in relativer Oberflächlichkeit über das Konzept, wenige haben es gelesen“, zitiert ihn die FAZ vom 3. November. Dass die so Gescholtenen bis Ende September in das Reformverfahren weder einbezogen waren, geschweige denn informiert wurden, das sagt Hörmann allerdings nicht. Nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung “ um  von eigenen Fehlern abzulenken,  ist es billig, Kritik an dem Entwurf als Unwissenheit oder Gleichgültigkeit abzutun, besonders wenn sie sich sachlich mit dem Papier auseinandersetzt. „Es ist nicht zu spät, begleiten Sie uns kritisch“, forderte er die Bundestrainer auf, Vorschläge zur Reform einzubringen. „Aber mit offenem Visier“ verlangte er, der  die Reform zusammen mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière  vor  eineinhalb Jahren zur geheimen Kommandosache erklärte.

Das wurde Hörmann und dem Minister auch von den Mitgliedern des Bundestags- Sportausschusses vorgeworfen, die sich das so nicht gefallen lassen wollten. Und nicht nur bei der Vorstellung der Reform am 19. Oktober, sondern auch bei der kurz darauffolgenden Anhörung  taten diese ihren Unmut zu Prozedere und Inhalt kund.

Linke erklärt sich

Die SprecherInnen der Linken im Bundestag und in den Landtagen trafen sich in Magdeburg und beschlossen eine Erklärung zum Konzept der „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“, wie der Reformentwurf offiziell heißt (siehe Anhang 1).

Auch die Deutsche Triathlon Union (DTU), die sich am Wochenende zum Verbandstag in Leipzig traf, sparte nicht mit Kritik. Sie nahm nun als einer der wenigen Verbände öffentlich zu dem Reformpapier Stellung (siehe Anhang 2).

Sportminister tagen

Und die Sportministerkonferenz beschäftigt sich in den nächsten zwei Tagen in Dortmund mit der Leistungssportreform. Außerdem stehen u.a. auf der Tagesordnung: Dopingbekämpfung, Bewegungsförderung und Umsetzung nationaler Bewegungsempfehlungen. Die Themenkombination ist sehr interessant. Denn das vorgegebene, alles bestimmende Ziel der Reform sind ja Medaillen oder, anders formuliert, Podiumsplätze. Ohne Doping, aber mit Talentsuche. Etwa im Rahmen einer besonderen präventiven Bewegungsförderung. Schön, dass man sich bei der 40. Sportministerkonferenz damit beschäftigt, die ihre Kompetenz schon Jahrzehnte lang mit qualitativ und quantitativ oft unterirdisch schlechtem Schulsport unter Beweis stellt.

Aber vielleicht kommt ja die Wende, wenn man potenzielle Olympiasieger in Kitas und Schulen suchen will. Schließlich braucht man Athleten, um Olympische Spiele veranstalten zu können. Vielleicht zaubert die derzeitige Vorsitzende der Konferenz, die nordrhein-westfälische Sportministerin Christina Kampmann, ein überzeugendes olympisches Nachwuchs- und Bewegungskonzept aus dem Hut. Sie findet das Reformpapier gut und  die Konzentration auf Medaillen so wichtig, „weil wir Spitzenleistungen im Sport bringen wollen“, wie sie im Deutschlandfunk sagte. Wirklich überzeugt? Oder leistet sie da schon Lobbyarbeit, weil das klamme, aber offensichtlich mutige und rosa-sportbebrillte Nordrhein-Westfalen ganz heiß auf Olympische Spiele ist.

Anhang 1:

Magdeburger Erklärung der sportpolitischen Sprecher*innen der LINKEN im Bundestag und in den Landtagen

Am 7. November 2016 trafen sich die sportpolitischen Sprecherinnen und Sprecher der LINKEN im Bundestag und in den Landtagen in Magdeburg. Ein Schwerpunkt war das gemeinsame Konzept von Bundesinnenministeriums (BMI) und Deutschem Olympischen Sportbund (DOSB) zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“.

Zum derzeit vorliegenden Eckpunktepapier erklären Dr. André Hahn, sportpolitischer Sprecher der LINKEN im Bundestag, und die anwesenden Sportpolitiker*innen aus den Landtagsfraktionen der LINKEN:

 

„Eine breite Debatte zur Zukunft des Sports und zur Reform der Spitzensportförderung in Deutschland ist überfällig. Wir begrüßen das Ansinnen des organisierten Sports, gemeinsam mit Bund und Ländern ein entsprechendes Konzept zu entwickeln. Aus Sicht der LINKEN ist das derzeit vorliegende Ergebnis der zweijährigen Diskussion allerdings in mehrfacher Hinsicht unzureichend.

1.      Nicht akzeptabel ist zuerst das intransparente Verfahren. Gremium und Arbeitsgruppen aus DOSB, BMI und Sportministerkonferenz (SMK) tagten hinter verschlossenen Türen. Wichtige Akteure wie die Sportpolitiker*innen des Bundestages und der Landtage oder der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh) waren nicht beteiligt und werden jetzt vor vollendete Tatsachen gestellt.

Der DOSB plant, das Konzept auf seiner Mitgliederversammlung am 3. Dezember 2016 zu beschließen. Das weitere parlamentarische Verfahren ist noch unklar – Minister de Maizière kündigte bei der Vorstellung des Papiers am 28. September 2016 im Sportausschuss lediglich an, dass das Kabinett das Konzept beschließen wird und der Beschluss anschließend dem Bundestag zur Beratung vorgelegt werden soll. Völlig offen ist, wie und wann die Länder (im Bundesrat?) das Konzept beraten werden.

 

2.      Nicht akzeptabel ist insbesondere die ausschließliche Fixierung auf Podiumsplätze bei Olympischen Spielen, Paralympics und Deaflympics. Medaillen dürfen nicht das einzige Kriterium einer künftigen Förderung des Spitzensports sein. Vielmehr ist das Verhältnis des Spitzen- und Leistungssports zum Schul- und Breitensport zu klären. Wir brauchen dringend eine öffentliche Diskussion über den Stellenwert des Sports in der Gesellschaft.

 

3.      Nicht akzeptabel sind weiterhin die wenig substantiellen Vorschläge zur Nachwuchsentwicklung und zur „Dualen Karriere“. Letztere darf nicht nur bei Bundeswehr, Polizei und Zoll, sondern muss auch in anderen Bereichen des öffentlichen Dienstes und in der Privatwirtschaft möglich sein. Zweifelhaft scheinen auch die Wirksamkeit der computergestützten Potenzialanalyse und der Sinn der geplanten neuen Kaderstrukturen.

 

4.      Nicht akzeptabel ist die aktuelle Situation der Trainerinnen und Trainer. Der organisierte Sport braucht gut ausgebildetes Personal und in angemessener Zahl Trainerinnen und Trainer mit langfristigen Tarifverträgen, die in der Eingruppierung mindestens denen von Lehrerinnen und Lehrern an öffentlichen Schulen anzugleichen sind.

 

5.      Nicht akzeptabel sind schließlich auch die Vorschläge zur künftigen Förderung des Spitzensports von Menschen mit Behinderungen. Wenn überhaupt, kommen die Paralympics und Deaflympics in diesem Konzept nur am Rande vor. Notwendig ist aber eine gleichwertige Förderung für Sportlerinnen und Sportlern, für Trainerinnen und Trainern und dem sonstigen Personal in diesem Bereich. Der Behindertensport darf nicht länger schlechter gestellt werden, im Gegenteil: Behindertenbedingte Nachteile und Mehraufwendungen müssen künftig ausgeglichen werden.“

Anhang 2:

Stellungnahme zum 1. Entwurf zur Neuausrichtung der Sportförderung

Das Präsidium der Deutschen Triathlon Union lehnt den 1. Entwurf zur Neuausrichtung der Sportförderung ab.

Wir unterstützen das von den zentralen Wissenschaftsinstituten des Deutschen Sports (IAT Leipzig und FES Berlin) vorgelegte „Thesenpapier zur effektiven und effizienten wissenschaftlichen Unterstützung des Leistungssports“. Das Thesenpapier wird dieser Stellungnahme beigefügt.

Wie von der Konferenz der Spitzensportverbände am 10. und 11. Juni 2016 in Frankfurt am Main einstimmig beschlossen sollten „bewährte Strukturen des Hochleistungssports (IAT/FES) als zentrale Institution für die wissenschaftliche und technologische Unterstützung, Trainerakademie, Olympiastützpunkte, Führungsakademie) durch die Reform gestärkt werden“.

Die vereinfachte und verkürzte Position unseres Verbandes lautet:

  1. Die Führung von Politik und Sport sollten sich gemeinsam zur Bedeutung des Sports und des Hochleistungssports als nationale Herausforderung klar bekennen. Die für einen nachhaltigen Erfolg erforderlichen Mittel sind durch staatliche Förderungen wie in anderen Bereichen der Kultur bereitzustellen.

  1. Für die bereitgestellten staatlichen Mittel sind bereits existierende Kontrollmechanismen ausreichend. Eine staatliche Lenkung des Sports, auch eine Stärkung des BISP und eine ministerielle Kontrolle gerade im wissenschaftlichen Betreuungs- und Servicebereich lehnen wir als Verband ab. Gerade in diesem Bereich sind neben der fachlichen Expertise und Erfahrung der Zentralinstitute IAT und FES das bisher durch diese Institutionen praktizierte Vertrauen, die Kontinuität und Zuverlässigkeit für nachhaltigen Erfolg unverzichtbar.

  1. In dem vorliegenden Entwurf wird keine Differenzierung zwischen der Größe der Verbände vorgenommen (einem kleinen Verband stehen aktuell nicht die notwenigen Kapazitäten und Ressourcen zur Verfügung, um die sehr spezifischen Anforderungen des Attribute-Systems (PotAs) zu erfüllen.) PotAs ist sicher nicht grundsätzlich schlecht, aber sie kann nicht als Schablobe für den Idealverband dienen, da die Individualitäten unberücksichtigt bleiben, obwohl diese in den international maßgeblich beeinflussten, organisch gewachsenen Umfeldern (Wettkampfsysteme, Wettkampf- und Trainingsanforderungen) entscheidende Erfolgsfaktoren sind. Der Deutsche Sport lebte in der Vergangenheit von der Vielfalt und ist auf „vielen Schultern verteilt“. Auf diese Struktur können wir stolz sein und sollten diese erhalten und nicht ohne Not gefährden.

Fazit: Es fehlt die Flexibilität unter Erhöhung des bürokratischen Aufwandes.

Die Deutsche Triathlon Union plädiert für folgendes Vorgehen:

  1. Eigenständige Führung und Mittelvergabe des Hochleistungssports durch eine eigenständige Struktur des Hochleistungssports

Dies erfolgt durch die Hauptamtlichkeit Leistungssport des DOSB, die Institute IAT und FES sowie weiterer kompetenter Personen aus dem Hochleistungssport (finanziert durch Mittelaufwuchs).

Die Kontrolle erfolgt durch ein Aufsichtsratsgremium aus Verantwortlichen des BMI, des DOSB und ggf. gewählter Vertreter der Spitzensportverbände.

  1. Die kontinuierliche Leistungsfähigkeit der Wissenschaftsinstitute IAT/FES, der Trainerakademie und der DOSB wird durch eine Basisfinanzierung gesichert.

Zum weiteren Leistungsanreiz werden zusätzliche Förderungsmittel für Wissenschaft und weitere Projekte zur Verfügung gestellt.

  1. Eine zentrale Steuerung der Aktivitäten in der jeweiligen Sportart ist nur durch die Spitzenverbände sach- und fachgerecht sowie zielgerichtet möglich. Aktuell sind die Spitzenverbände die „Getriebenen“ , es fehlt an Mitteln, Instrumenten zur Durchsetzung der Richtlinienkompetenz, da ein DOSB, in bisheriger Stärke, nicht in der Lage ist, dies zu leisten.
  1. In der Reform wird keinerlei Vereinfachung der Verwaltung bedacht. Dieser Teil „frisst“ in kleineren Strukturen bereits jetzt schon 1/3 der Kapazitäten, zu Lasten der operativen Arbeit am Athleten.

Die Erfüllung der gesteckten Ziele ist nur mit einer signifikanten Erhöhung der Kapazitäten im Leistungssportpersonal, insbesondere im Sportmanagementbereich, möglich

Prof. Dr. Martin Engelhardt Präsident der Deutschen Triathlon Union