Berliner Senat lässt den Sport hängen und spielt foul

Noch immer sind beschlagnahmte Hallen für Vereine nicht frei, weil Senat und Verwaltung mal wieder nichts auf die Reihe kriegen
Berlin, 11. November. Berlin feiert sich gerne als hipp, cool, super. Und auch die politisch Verantwortlichen in der Hauptstadt machen gerne bei diesen Celebration-Ritualen mit. Doch wenn es um politische Arbeit und deren Umsetzung, Verlässlichkeit und Zusagen des Berliner Senats geht, versagen die „Regierer“ der Möchtegern-Weltmetropole. Beispiele gibt es zur Genüge, wo BürgerInnen oder Organisationen hängen gelassen und enttäuscht wurden und werden. Auch der organisierte Berliner Sport erlebt nun ein politisches Foulspiel und unwürdige Hinhaltetaktik. Und ergriff deshalb mit einer Pressekonferenz eine öffentliche Notwehr-Maßnahme.

Hutschnur geplatzt

Wenn schon Landessportbund-Präsident Klaus Böger, erfahrener SPD-Parteigenosse und gestählter Ex-Bildungssenator, die Hutschnur platzt, wenn er jede diplomatische Zurückhaltung aufgibt und angesichts des politischen Umsetzungsdilettantismus im Zusammenhang mit der Sporthallenfreigabe auch seinen KollegInnen deutlich den Marsch bläst, dann muss sich nicht nur viel Ärger aufgestaut haben, sondern auch die Situation heftig sein. „Es ist nicht akzeptabel, wie der Berliner Senat mit dem organisierten Sport beim Freizug der als Notunterkünfte für Flüchtlinge beschlagnahmten Hallen umgeht“, erregte sich der ehemalige Politiker.

Worum geht es? Seit knapp einem Jahr sind in Berlin 63 Hallen an 51 Standorten als Notunterkünfte für Flüchtlinge beschlagnahmt worden. Über 7000 Menschen waren zeitweise dort untergebracht. Vereine und Verbände hatten sich zunächst gerne bereit erklärt, für einen überschaubaren Zeitraum auf Hallen zu verzichten. Und sie waren die ersten, die sich mit speziellen Angeboten im und vielen Hilfestellungen auch außerhalb des Sports für Flüchtlinge einsetzten.

„Willkommen in Deutschland, willkommen im Sport“, war die Devise der Sportverantwortlichen in den Berliner Vereinen und Verbänden. Begeistert engagierten sich die Ehrenamtlichen für die vielen Menschen, die in die Stadt kamen, obwohl der Senat teilweise „handstreichartig“ Hallen beschlagnahmte, anstatt rechtzeitig und ordentlich die Betroffenen aus dem Sport zu informieren und einzubeziehen. Spätestens bei der Aktion um das Horst-Körber-Zentrum fiel die Stimmung zwischen den Beteiligten bis nah an den Gefrierpunkt. Böger beklagte sich bitter über die Art des Umgangs: „Wenn man am Freitag um 13 Uhr erfährt, dass man um 14 Uhr aus der Halle sein muss – was ist denn das für ein Stil?“, ärgerte er sich damals.

Der Senat versprach Besserung. Und er versprach auch, dass die Räumung nach Auflösung der Notunterkünfte „zügig“ vonstatten gehen würde. Bis Anfang des Schuljahres 2016/2017 seien alle Hallen frei und für den Sport wieder nutzbar. Nun soll es Sommer 2017 werden, was aber nach den Erfahrungen der letzten Monate kaum jemand glaubt.

Blamiertes Berlin

Während im Rest der Republik Schulen und Vereine wieder über ihre Hallen verfügen, blamiert sich Berlin mal wieder bis auf die Knochen. Von 63 Hallen sind gerade mal 23 geräumt. Zwei davon sind nach einer „provisorischen“ Reinigung wieder nutzbar. Die übrigen müssen richtig saniert werden. Doch vor der Sanierung steht eine weitere Hürde: ein umständliches, bürokratisches Ausschreibungsmonster. Eine Reihe der geräumten Hallen stehe, so Böger, deshalb seit Wochen leer, und es bewege sich nichts. „Mit dieser Bilanz ist Berlin das absolute Schlusslicht in Deutschland. Warum geht bei uns nicht, was in Hamburg, Stuttgart oder Köln möglich ist?“ LSB-Vizepräsident Thomas Härtel, einst selbst Berliner Sport-Staatssekretär, sieht in einem „Zuständigkeitswirrwar“ in dem sich alle gegenseitig blockieren, einen Grund für das hauptstädtische Hallen-Fiasko.

Inkompetent und ignorant

Dass Frust und Wut angesichts dieser politischen Inkompetenz und Ignoranz bei den Vereins- und Verbandsverantwortlichen wächst, ist mehr als verständlich, nicht zuletzt auch deshalb, weil mittlerweile eine Reihe von Vereinen um ihr Überleben kämpfen. Im Gespräch mit Vereinsvorsitzenden oder Übungsleitern wird schnell deutlich, dass guter Wille, Kreativität und noch mehr ehrenamtlicher Einsatz am Ende nicht reichen, um zu überleben. „Wenn Sie Mitglieder von Woche zu Woche vertrösten müssen, ihnen nicht sagen können, wann man wieder in der Halle das Training aufnehmen kann, dann ist deren Geduld irgendwann zu Ende“, erzählt ein Übungsleiter, der wie viele andere Ehrenamtliche vor allem klagt, „dass unsere Arbeit offensichtlich überhaupt nicht geschätzt wird, wenn man uns so behandelt.“

Seit Jahrzehnten überzeugen Sportbund und Sportjugend in Berlin mit ihrer Arbeit, was nicht zuletzt an steigenden Mitgliedszahlen (die bei vielen Mitgliedsverbänden im Deutschen Olympischen Sportbund heute eher sinken) abzulesen ist. Vor allem wird neben dem sportlichen auch das soziale Engagement sehr geschätzt. Ohne Sportangebote und Projekte würde in manchen Kiezen der Hauptstadt das Miteinander vielleicht noch problembehafteter sein, als es ohnehin schon ist. „Wäre mein Sohn nicht täglich in seinem Sportverein und dem Jugendclub, dann müsste ich mir entsetzliche Sorgen machen“, beschreibt Imre am Rande eines Fußballturniers in Kreuzberg den Stellenwert des Sports. Andere Mütter stimmen ihr da heftig zu. Gerne nutzen auch PolitikerInnen die „Sozialtankstelle“ oder Imagehilfe Sport, wenn es gerade passt. Doch wenn es um konkrete Unterstützung, auch finanzieller Art geht, um langfristige Zusagen, um Planungssicherheit zu haben, hält sich die Begeisterung der Senatsvertreter in Grenzen.

Stellenwert

In diesem Zusammenhang muss man über den Stellenwert von Sport in der Hauptstadt auch noch unter einem anderen Aspekt nachdenken: Die Hallenblockade betrifft ja nicht nur den Vereinssport, sondern auch den Schulsport – und somit viele Kinder (und Eltern) doppelt. Wo bleibt der Aufschrei von Vätern, Müttern, RektorInnen und Lehrkräften? Auch hier wird deutlich, dass Schulsport in der Prioritätenliste von Helikopter-Eltern und Schulverantwortlichen nach wie vor ganz weit unten steht. Angesichts wachsenden Bewegungsmangels, daraus resultierender Krankheiten und Übergewicht oder motorischer Defizite müsste alles getan werden, um alle schnellstens wieder in Bewegung zu bringen. Und da sind ja auch noch die Flüchtlinge: Auch sie sollen (und wollen) mit Sportangeboten besser integriert werden. Wie aber ohne Halle?

Das Vertrauen zu den Hauptstadt-Politikern ist auch in der Sportgemeinde dahin. Da kommt auf den/die neue SportsenatorIn viel Arbeit zu, wenn sie/er weiter von den 2.400 Vereinen und 630.000 Mitgliedschaften unterstützt werden und profitieren will. „Man kann nicht immer wieder in Sonntagsreden die Sporthauptstadt Berlin feiern, und dann will am Montag keiner mehr etwas davon wissen“, so ein sarkastisches Fazit von LSB-Präsidenten Klaus Böger, der richtig und zurecht sauer ist. Und nicht nur er.