Studie: Gesellschaft erwartet viel mehr vom Leistungssport
Berlin,14.Juli. Die deutsche Sportpolitik formatiert sich gerade neu: Ein Ministerium für Sport und Ehrenamt ist nun im Kanzleramt angedockt. Ein Ministerium, gewünscht von vielen im Sport, die sich durch eine eigene Staatsministerin mehr Sichtbarkeit und Bedeutung in der Öffentlichkeit und in der Politik erhoffen. Seit Gründung der Republik war der Sport im Bundesministerium des Innern (BMI) mit einer eigenen Abteilung beheimatet und wurde – nicht nur aus Sicht des Ministeriums – gut behandelt. Nun also eine neue Organisationsform, neues Spitzenpersonal, das sich derzeit einarbeitet. Auch der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) hat den verwaisten Stuhl des Vorstandsvorsitzenden nach längerer Zeit wieder besetzen können.
Der Bundestag debattiert derweil über den Haushalt 2025 – und ein alter sportpolitischer CSU-Bekannter und Parlamentarier verkündet den größten Sporthaushalt ever: 333 Millionen Euro – 50 Millionen mehr als letztes Jahr, aber da sind auch die 43,5 Millionen für die World University Games in Nordrhein-Westfalen mit eingepreist. Soviel Ehrlichkeit muss sein!
An dieser Stelle drängt sich nun die Frage auf: Wie steht es denn um die Inhalte, wo ist die Strategie, wo sind die Ziele, wie der deutsche Sport denn nun aussehen soll? Wer in die Sportausschuss-Sitzung oder in die Haushaltsdebatte hineingehört hat, der registriert viel Bekanntes, viel Merkwürdiges und sieht erstmal Null Wegweisendes. Da tröstet auch das Nachlesen im Koalitionsvertrag nicht. Verliert man sich wieder im Kleinklein und Einzelpositionen? Oder gelingt dann doch eine zielorientierte sportpolitische Wende, die manche schon wieder als historisch feiern, bevor sie überhaupt begonnen hat?
Vakuum
In dieses gefühlte Richtungs- und Inhalts-Vakuum als eine Art Seismograph und Richtungskompass passen gut die Ergebnisse einer Sinus-Umfrage, die am 14. Juli unter dem Titel „Mehr als Medaillen? Was sich unsere Gesellschaft vom Leistungssport erwartet“ erschien. In Zusammenarbeit mit Athleten Deutschland und dem DOSB hat das Institut in einem Jahr über 1500 Menschen aus allen Schichten zum Verständnis, der Bedeutung und der Förderung des Leistungssports in Deutschland online befragt.
Manche FunktionärInnen, aber auch PolitikerInnen wird es vielleicht wieder mal überraschen, dass Medaillen für viele BürgerInnen nicht alles sind, was im Leistungssport wichtig ist, wie so gerne von systemerhaltenden Funktionsträgern behauptet wird. Überragende persönliche Leistungen von SportlerInnen beeindrucken viele mehr als manches Edelmetall.
Überraschend mag es nicht sein, dass die Förderung des Breitensports dem Fußvolk wichtiger ist als die des Spitzen- und Leistungssports. Auch als internationaler Imageträger Deutschlands spielt der Leistungssport eher eine untergeordnete Rolle – unter 12 landet der Leistungssport auf dem vorletzten Platz hinter Umweltschutz und Nachhaltigkeit und vor Küche und Gastronomie. Spitzenreiter sind Wirtschaftskraft, Gastfreundschaft, Technologie, wissenschaftliche Leistungen. Das überrascht einerseits, aber es gibt eine Erklärung. Zur Erinnerung: Zu Zeiten des Kalten Krieges war das etwas anders – der Sport war eine zentrale Größe im internationalen Wettbewerb der politischen Systeme.
Im konservativ-gehobenen Millieu
Welches Verhältnis wer zum Leistungssport hat, erklärt Marc Calmbach, Sinus-Geschäftsführer: „Die gesellschaftliche Bedeutung des Leistungssports wird je nach Milieu unterschiedlich bewertet. An stärksten überzeugen seine Mehrwerte in gehobenen und progressiven Milieus – insbesondere im konservativ-gehobenen Milieu. Diese betonen zudem besonders die ethischen und sozialen Mehrwerte des Leistungssports.“ Wen wundert’s? „Am wenigsten überzeugt vom gesellschaftlichen Nutzen des Leistungssports sind die ressourcenschwächeren Milieus. Dort steht man auch dessen staatlichen Finanzierungen überdurchschnittlich kritisch gegenüber“, so Calmbach. Ältere und Frauen haben einen kritischeren Blick, sehen die sozialen Komponenten mehr als Männer, die sich als informierter, interessierter einstufen und mehr Wert auf internationale Wettbewerbsfähigkeit legen. Menschen, die im Sportverein engagiert sind, haben überdurchschnittlich hohe Erwartungen an staatliche Förderung und nehmen gleichzeitig die Risiken des Leistungssports kritischer wahr.
Welche Ziele also soll nach Meinung der BürgerInnen die mit ihrem Steuergeld finanzierte Leistungssportförderung erreichen?
94% halten die Kinder- und Jugendarbeit in den Vereinen für „sehr wichtig“ oder „eher wichtig“. Genau so viele wollen, dass ethisch sauberes Verhalten im Sport sichergestellt ist: Also kein Doping, keine rassistischen Ausfälle, keine Übergriffe zum Beispiel. Auch die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts (90%), die Einbindung benachteiligter Gruppen (89%) und die Vorbildwirkung der AthletInnen (88%) spielen für viele der Befragten eine wichtige Rolle.
Wirkungsketten
Nun liegt eine diese neue umfassende Datenbasis vor, aus deren Antworten sich weitere Fragen ergeben – unter anderem im Bezug auf die Kausalität. „Empirisch noch zu klären ist, wie die Wirkungsketten des Leistungssports funktionieren und welches Potenzial für das Gemeinwohl in den einzelnen Sportarten steckt“, sagt Maximillian Klein, stellvertretender Geschäftsführer von Athleten Deutschland. Und weiter: „Die Studie ebnet nun den Weg für eine informierte Zieldebatte. Zentral dabei ist die Frage, welche sportlichen und gesellschaftlichen Ziele mit der staatlichen Leistungssportförderung verfolgt werden soll – und wie sie tatsächlich erreicht werden können. Die Zielklärung sollte die Grundlage einer nationalen Spitzensportstrategie bilden. Dieser strategische Rahmen muss der Gesellschaft eine sinnstiftende Erzählung bieten, die die Mehrwerte der Förderung überzeugend vermittelt.“
Das heißt auch, dass der DOSB nicht nur eine Zielstrategie entwickeln muss. Olaf Tabor, Vorstand Leistungssport im DOSB, spricht von einem „Datenschatz“, die „vielfältigen Ziele“ der Untersuchung zu vereinen, „sei eine Herausforderung, aber das sollte unser Anspruch für den Leistungssport in Deutschland sein. Es geht um einen international erfolgreichen Leistungssport, von dem der organisierte Sport und unsere Gesellschaft gemeinsam profitieren.“
Politikfähigkeit
Und das setzt Politikfähigkeit, Politikverständnis voraus – davon war auf der ehrenamtlichen Präsidiumsetage des DOSB in letzter Zeit immer sehr wenig zu merken. Auch bei gesellschaftspolitisch für den Sport relevanten Themen blieb der DOSB an vielen Stellen still oder reagierte verspätet. Besonders bei der Frage, wie der Sport in dieser Republik aussehen soll, blieb der DOSB einfallslos und lethargisch. Da halfen auch unzählige Gremien und teuere Untersuchungen nichts – sie blieben wirkungs- und folgenlos. Das Sportelend wurde größer.
Da scheint sich gerade etwas zu ändern. Politikfähig ist man aber noch lange nicht, wenn man sich nun wieder ins eigene Haus einen Politiker holt. Nach langer Vakanz -sieht man von dem Intermezzo des ehemaligen Ministerpräsidenten Volker Bouffier ab- ist der Stuhl des Vorstandsvorsitzenden im DOSB nach Torsten Burmester wieder mit einem Politiker besetzt. Mit einem ausgewiesenen Haushaltsexperten und – laut der Berliner Politik-Blase – auch einem Teamplayer und „netten Kollegen“: Otto Fricke, mit seiner FDP aus dem Bundestag geflogen, soll nun die Geschicke des DOSB zur Überraschung vieler in die richtigen Bahnen bugsieren. Nicht wenige fragen sich, wie sich jemand diesen Posten freiwillig antun kann.Warum er das Amt nun übernimmt? Dazu schreibt Fricke selbst auf Linkedin: „Nicht weil es einfach ist, sondern weil es wichtig ist. Sport hat mich mein Leben lang begleitet, nicht nur als Anwalt, sondern auch als Abgeordneter, spätestens dann, wenn es um den Haushalt ging“.
Wieder trittfest machen
Nun ist für den DOSB zu hoffen, dass Otto Fricke nicht nur „eingekauft“ wurde, um bei seinen ehemaligen Kollegen Kohle klar zu machen. Er ist auch als Rundumpolitiker gefragt, um den DOSB als ernst zu nehmenden politischen Partner und nicht nur als quengelnden Lobbyisten auf dem Polit-Parkett wieder trittfest zu machen. Die Sinus-Studie könnte dabei helfen – zieht man nun auch die richtigen Schlüsse daraus. Übrigens: Auch das BMI hat vor längerer Zeit dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft (Bisp) einen Auftrag gegeben. Das Forschungsvorhaben hat den Titel „Gesellschaftliche Bedeutung des Spitzen- und Leistungssports in Deutschland“ und läuft noch bis 2026. Hätte wohl auch mehr Sinn gemacht, diese Aufträge vor einer Reform, einem Sportfördergesetz, einer Leistungssportagentur zu vergeben. So waren die Reformversuche immer eine Art Fahrt ins Blaue. Und die endete bisher nahezu immer mit mit einem schweren Kater.
Wo also geht die Reise für den deutschen (Spitzen-) Sport hin? Wird es der neuen Staatsministerin für Sport und Ehrenamt, Christine Schenderlein, zusammen mit ihrer Abteilungsleiterin Babette Kiberle gelingen, eine neue Sportpolitik in Bewegung zu bringen, die am Ende nicht wieder nur eine Diskussion um Geld mündet? 100 Millionen soll es bis 2029 mehr geben. Und schließlich soll ja auch das Sondervermögen für Sportstätteninfrastruktur verwendet werden können, wenn denn die Prioritätenliste in Ländern und Kommunen das dann auch vorsehen – die Konkurrenz ist groß. Aber nur allein um Geld kann es doch nicht schon wieder gehen?!
Bitte neue Kreativität
Bei der Haushaltdebatte letzte Woche machte der sportpolitische Sprecher der CDU/CSU Fraktion, Stephan Mayer, nun nicht gerade Hoffnung, dass da was Neues kommt. Mayer trug wieder mal eloquent altbekannte Hausaufgaben vor, die immer noch nicht gelöst sind, wie Traineroffensive oder Stützpunktsystem. Und natürlich ging es wieder um die Bewerbung um olympische und paralympische Spiele. Und ordentliche Sportstätten für Spitzen- und Breitensport.
Vielleicht hilft die Studie, dass Debatten-Beiträge zum Sport sich nicht im Eigenlob auf einen schon wieder gewachsenen Sportetat und andere Rechen- und Zahlenspielen erschöpfen, sondern endlich mal mit kreativen Ideen und neuen Vorschlägen die Zuhörer beglücken.